Der eine Teil ist das, was in der Zeit der Nazidiktatur und in seinem Handeln als Marinerichter geschehen ist. Aber das andere, das Schwerwiegende, ist doch, wie er sich danach verhalten hat, unterstützt von manchen aus Ihren Reihen, nämlich zu sagen: „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein.“ Wenn wir uns einen solchen Satz vor Augen halten, so gäbe es ja danach kaum noch jemanden, der tatsächlich Unrecht begangen hätte. Denn wer weiß denn wirklich, wie es im Innersten vieler Tausender ausgesehen hat, die in mittlerer oder höherer Funktion oder auch als „kleine Rädchen“ in diesem System mitgewirkt haben?
Deshalb kommt es nicht nur darauf an, wie man sich selbst verhält, sondern vor allem darauf, ob man hinterher den Mut hat und die demokratische Verpflichtung spürt, zu Unrecht zu stehen. Daher, Herr Noll, fand und finde ich, dass ein Minis terpräsident sehr wohl als Parteifreund und möglicherweise auch als persönlicher Freund der Familie durchaus Leistungen eines ehemaligen Ministerpräsidenten würdigen kann.
Aber er muss doch die Größe haben und vor allem in seinem Amtsverständnis wissen, dass er die Pflicht hat, zu sagen: Das Tragische an Hans Filbinger war, dass er zeit seines Lebens, bis zu seinem Lebensende, niemals die Kraft und den Mut hatte, zu dem Unrecht zu stehen, das er anderen Menschen angetan hat.
Ich habe deshalb noch einmal das Wort ergriffen, weil ich den Eindruck habe, Herr Mappus und Herr Ministerpräsident: Es ist kein Zufall gewesen, dass diese Worte gefallen sind. In den letzten Jahren, in denen ich das verfolgen konnte, haben wir beobachtet, wie die CDU Baden-Württemberg immer wieder – zuletzt, ganz prominent, zum 90. Geburtstag von Hans Filbinger – Versuche unternommen hat, ihn zu rehabilitieren, und wie manch einer, der ein wichtiges Amt innehatte, sogar davon gesprochen hat, dass Hans Filbinger ja nun rehabilitiert sei. Das ist eine Geschichte, die Sie in falscher Weise in Ihre CDU-Parteigeschichte einbringen, die Sie verfälschen und die Sie zu solchen Aussagen bringt.
Wie sonst lässt es sich denn erklären, dass nach einer solchen Trauerrede, nach der jedem zunächst einmal der Schreck in den Gliedern saß, der CDU-Fraktionsvorsitzende davon sprach, er habe eine gute, ausgewogene Rede gehört? Der Finanzminister bekundete, Herr Oettinger habe in Bezug auf Ministerpräsident Filbinger keinen Fehler gemacht,
und fügte noch hinzu, Herr Oettinger habe vielen Menschen in Baden-Württemberg aus dem Herzen gesprochen. Auch der Kollege Rech hat – immerhin als Innenminister – bekundet, es gebe an der Rede nichts zu beanstanden. Fatalerweise hat sogar der Vorsitzende der Jungen Union, der nächsten Generation, die künftig Verantwortung übernehmen soll, Arm in Arm mit dem Vorsitzenden der Senioren-Union erklärt: „Endlich hat es einmal jemand gesagt. Es ist gut, dass jemand den Mut hatte, das einmal auszusprechen.“
Beim Jubiläum „200 Jahre Baden“ wurde uns Hans Filbinger als einer von drei großen Badenern dargestellt, Herr Ministerpräsident. Schon damals hatte ich als Badenerin ein sehr beklommenes Gefühl, weil das nicht die Persönlichkeit ist, die ich als vorbildlich für Baden empfinden möchte.
Insofern kann ich Sie nur nochmals auffordern, die Sache ernster zu nehmen, als es jetzt hier deutlich geworden ist. Sie müssen auch in Ihrer Verantwortung für die Demokratie für Klarheit sorgen. Das, was zum Teil geschehen ist, und das, was wir auch heute gehört haben, war nicht das Zeigen von Größe. Vielmehr haben Sie letztlich aufgrund massiven Drucks klein beigegeben. Es geht aber darum, dass Sie Ihre Überzeugung überprüfen und nicht nur schließlich dem Druck massiver öffentlicher Einwände entsprechend weichen und lieber still sind. Reden Sie, aber sprechen Sie mit den richtigen Worten.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Forderung von uns, dass die CDU Baden-Württemberg ihr Geschichtsbild in Verbindung mit Filbinger klären und aufarbeiten muss, hat ihren Kern doch darin, dass es hier um Beurteilungsmaßstäbe für geschichtliche Vorgänge und Bewertungen geht. Zunächst einmal haben Sie dabei ein fundamentales Prinzip verletzt, indem Sie sich nicht dem Urteil von Historikern in ihrer Pluralität gestellt haben. Vielmehr haben Sie sich irgendjemanden herausgepickt, von dem Sie glauben, dass er Filbinger exkulpiere. Das ist in einer modernen Demokratie völlig ausgeschlossen. Es gehört zum Wichtigsten, was eine Demokratie an Grundbestand hat, dass sie sich ihrer Vergangenheit stellt.
Wir sehen an dem Beispiel, wie die Türkei mit der Armenienfrage umgeht, dass es völlig ausgeschlossen ist, dass sich ir
gendeine Partei aus interessengeleiteten Gründen – weil es einer der Ihren war – eigenmächtig Geschichtsinterpretationen bemächtigt und sie in einem Staatsakt apodiktisch verkündet. Sie müssen sich der Frage stellen, wie es dazu kommt. Der Grund – das habe ich schon gesagt – sind Ihre Wagenburgmentalität
und ein ganz ungesunder Korpsgeist. Dieser ungesunde Korpsgeist ist ja nicht beseitigt. Ich zitiere dazu Gundolf Fleischer:
Ich möchte, dass man in der CDU geschlossen, kameradschaftlich und, wenn es sein muss, sich gegenseitig helfend in die Zukunft blickt.
Das hat die Einstellung zur Folge: „Wenn Kritik von außen kommt, muss man die Reihen schließen, darf man ja nichts an sich heranlassen, selbst wenn die gesamte Presselandschaft der Bundesrepublik diese Rede kritisiert.“ Sie müssen erst einmal aufarbeiten, wieso Sie in einer solch wichtigen Frage immer nur von „linken Kampagnen“ reden.
Sie müssen auch einmal sehen: Das Fatale Ihrer Rede ist – neben dieser Äußerung – noch etwas ganz anderes: Das ist die Vermischung von Tätern und Opfern. Wenn wir es zulassen, dass die Grenzen zwischen Tätern und Opfern verwischt werden, wo doch die Geschichtsforschung sich darum bemüht, den Unterschied zu klären, dann können wir keinen vernünftigen Geschichtsunterricht mehr über diese Zeit machen. Das sind doch nun wirklich ganz fatale Tatsachen, denen Sie sich stellen müssen. Dass die gesamte baden-württembergische CDU das beim Lesen einer solchen Rede mit Distanz nicht erkennt und dies auch noch verteidigt, muss Sie doch selbst aufrühren und aufrütteln.
Der Historiker Ott hat gesagt, dass der katholische Bund Neudeutschland – es wird ja immer behauptet, Filbinger hätte aus einer christlichen Gesinnung heraus gehandelt – selbst auf einem völkischen Weg war und dass Filbinger selbst solche Aufsätze geschrieben hat.
Jetzt fragt man sich doch: Warum dieser Enthusiasmus des Landesgruppenchefs Brunnhuber im Bundestag? Was soll es überhaupt heißen, Sie hätten damit „ein Tor aufgestoßen“, die Wirkung für die christlich-konservative Seele sei nicht zu unterschätzen?
Da muss man sich doch fragen: Was heißt hier eigentlich „konservativ“? Was soll überhaupt das Konservative an dem angesprochenen Teil dieser Rede sein? Damit kann doch wohl nur Rechtspositivismus gemeint sein, der in dem Satz Filbingers gipfelte: „Was früher Recht war, kann heute nicht Unrecht sein.“ Diese Auffassung hat bis weit in die Sechzigerjahre hinein die höchstrichterliche Rechtsprechung beeinflusst, und der Bundestag musste kollektiv alle NS-Terrorurteile aufheben, um dem endlich ein Ende zu machen. Offen
Wenn man dem Begriff „konservativ“ irgendetwas Positives abgewinnen möchte, dann ist es doch Folgendes: „Konservativ sein“ heißt, zu Werten zu stehen, die immer richtig sind, egal, wie die Zeiten sind. Das ist ein sinnvoller Begriff von „konservativ“.
Schon in den „Sokratischen Dialogen“ von Platon kann man nachlesen, dass man Gesetzen nur in einer Demokratie gehorcht und nur, wenn sie auf einer guten Verfassung beruhen. Das sind doch die besten Werte, die wir haben.
Dass wir nichts unkritisch und ungeprüft übernehmen, auch das hat eine zweieinhalbtausendjährige Tradition. Auch das gehört zu unseren besten Werten.
Was soll denn an dieser Redepassage christlich sein? „Christlich sein“ heißt doch wohl, dass man Schuld vergibt und verzeiht. Aber das ist doch etwas ganz anderes, als Schuld wegzureden, umzudeuten und überhaupt so zu tun, als sei sie gar nicht da gewesen.
Was immer das auch ist: Christlich ist das auf jeden Fall nicht; es scheint mir eher heidnisch zu sein.
Ich sage es nochmals: Selbstverständlich sind das christliche Werte, die sich tief in unserer Rechtskultur verankert haben. Deswegen ermöglichen wir auch Terroristen die Rückkehr in die Gesellschaft, und deswegen sind wir auch in der Lage, jemandem, der in der Nazidiktatur Schuld auf sich geladen hat, zu verzeihen. Letztlich bewerten wir in der Demokratie ja nicht Gesinnungen, sondern Taten.
Letztlich fällen wir auch keine moralischen Urteile über andere, ob sie nun Filbinger heißen oder Klar. Wir stellen uns moralisch über niemanden, denn wir können nicht in das Innere anderer Menschen blicken. Eben das ist auch der Grund dafür, warum ich, der ich als Vertreter der Grünen nicht gut auf Filbinger zu sprechen war – ich erinnere daran, dass er es war, der die Winzer am Kaiserstuhl förmlich wegprügeln ließ, und dass wir mit diesem Mann viel auszufechten hatten –, dennoch ein Signal setzen kann, das lautet: Wir können verzeihen, und das spätestens nach dem Tod. Dieses Signal halte ich für wichtig.
Gerade weil wir dies können, können wir – da es in einer Demokratie nicht darauf ankommt, dass die in ihr Lebenden möglichst unfehlbar sind, sondern darauf, dass sie in der Lage sein müssen, ihre Fehler zu korrigieren, damit sie danach wieder in die Gesellschaft aufgenommen werden können – geschichtliche Tatsachen vorbehaltlos annehmen, uns ihnen stellen und diese in den öffentlichen Diskurs bringen. Das ist genau das, was wir von Ihnen erwarten.
Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Die Aktuelle Debatte unter Tagesordnungspunkt 1 ist damit erledigt.
Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Sprachenfolge in den weiterführenden Schulen nach der Grundschulfremdsprache Englisch und Französisch – Drucksache 14/871 (geänderte Fassung)
Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: jeweils fünf Minuten für die Begründung der beiden Anträge und fünf Minuten je Fraktion – gestaffelt – in der Aussprache.