Zum dritten Mal: Es ist den Schülerinnen und Schülern nicht geholfen, wenn wir sie von vornherein auf einen Weg stellen und sie dann nachher ohne Abschluss von der Schule abgehen. Wir haben in Baden-Württemberg die niedrigste Quote an Schulabgängern ohne Schulabschluss.
Sie erwähnen dann als Argument, dass der Elternwille zeige, dass die Hauptschule keine Zukunft habe. In dem Schulleiterbrief wird beklagt, dass es nirgends in Deutschland ein integratives Schulsystem ohne Einsprengsel eines gegliederten Systems gibt. Warum aber ist das denn so?
Wir als Regierungsfraktion würden die Verantwortung dafür tragen, wenn die Eltern hinterher immer noch nicht einverstanden wären, auch dann nicht, wenn wir Ihren Weg gehen würden. Denn in anderen Bundesländern gibt es Klagen über die Gesamtschulsysteme und wird ein grundständiger Bildungsgang für das Gymnasium neben dem integrativen Schulsystem gefordert.
Wenn Sie mit dem Elternwillen argumentieren, müssen Sie den Elternwillen, der möglicherweise andere Schulstrukturen ebenso infrage stellen würde, berücksichtigen.
Jetzt bin ich extra vor Ihnen, Frau Rastätter, ans Mikrofon getreten. Vorhin hatten Sie gesagt, Sie würden auf den Zwischenruf eingehen, wie denn die Größe einer Ihrer Schulen sei. Sie sind jedoch im weiteren Verlauf Ihrer Rede nicht mehr darauf eingegangen. Jetzt reden Sie – und das gilt auch für Sie, Herr Kollege Zeller – doch nicht nur von der „Schule im Dorf“,
sondern beantworten Sie einmal die Frage, wie Ihrer Meinung nach eine Verbundschule aussehen muss. Sagen Sie, wie eine Basisschule aussehen muss. Wollen Sie uns wirklich erklären, dass eine Hauptschule, die in den nächsten Jahren nur 60 bis 70 Schüler haben wird, durch die bloße Addition von weiteren 60 bis 70 Realschülern innerhalb einer einzügigen Schulart ein differenziertes Angebot machen kann, das allen Schülern in dieser Schule gerecht wird?
Wenn Sie das behaupten, stellen Sie sich zu denjenigen, die Sie sonst immer zitieren, den Bildungsforschern, völlig konträr. Diese sagen nämlich – so zum Beispiel Herr Rösner bei der VBE-Veranstaltung –, das gehe nur in einer mehrzügigen, und zwar mindestens vierzügigen oder, wenn auch das Gymnasium noch hinzukommt, sogar fünfzügigen Schule.
Jetzt kann ich ja verstehen, dass Sie hier eine Oppositionsrede halten wollten und im Landtag kräftig wirbeln.
Lassen Sie uns aber trotzdem bei dem, was wir an Weg möglich machen, hinschauen, und lassen Sie uns diesen Weg zusammen gehen. Wir haben – das wissen Sie ganz genau – bei der Vereinbarung mit den kommunalen Landesverbänden Kooperationsverbünde von Haupt- und Realschulen geregelt, mit einem vereinfachten Übergang in der sechsten und in der achten Klasse und mit einer Förderung des Wechsels von der Hauptschule zur Realschule.
Lassen Sie uns diesen Weg doch gehen, auch wenn Sie noch mehr wollen. Lassen Sie doch all diejenigen, die etwas in dieser Richtung machen wollen, diesen Weg mitgehen. Wir haben diesen Weg ermöglicht, aber wir wollen – und hier sind wir unterschiedlicher Meinung – an der Gliederung der Schularten festhalten. Sie sollten aber registrieren, dass hier Schritte
unternommen wurden und dass dies auch mit den kommunalen Landesverbänden bei der Standortdiskussion als ein Element vereinbart worden ist.
Jetzt habe ich noch eine letzte Bitte: Wenn Sie hier im Landtag schon poltern, dann versuchen Sie sich doch wenigstens in der Öffentlichkeit in Bezug auf die Schülerinnen und Schüler etwas zurückzuhalten.
(Abg. Dieter Hillebrand CDU: Sehr gut! – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: So ist es! – Abg. Christine Ru- dolf SPD: Wir sind hier in der Öffentlichkeit!)
Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, Herr Kollege Dr. Mentrup, wenn Sie in einem Redaktionsgespräch davon sprechen, die Hauptschüler seien mit einem „Makel“ belegt.
(Anhaltender Beifall bei der CDU – Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Stefan Mappus CDU: Sehr gut! Su- per!)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Jede Gesellschaft hat Strukturen, und der normale Weg der Politik ist, dass Reformen innerhalb solcher Strukturen gemacht werden. Das haben Sie über viele Jahrzehnte hinweg gemacht, und das war auch relativ erfolgreich. Sie haben das dreigliedrige Schulsystem jeweils in seinem Inneren reformiert. Es gibt in der Gesellschaft aber immer auch Wendepunkte, bei denen die Strukturen weitere innere Reformen behindern. An diesem Punkt – das behaupten wir – sind wir nun angekommen; das zeigt sich auch bei vielen anderen Themen.
All die Bemühungen, die zum Beispiel an den Hauptschulen mit dem Ziel stattfinden, aus diesen Hauptschulen noch etwas zu machen, können nicht mehr funktionieren, weil eben diese Strukturen Reformen behindern.
Das ist das Problem, das Sie haben. Wir kommen immer wieder an solche Wendepunkte. Denken Sie nur an die Gesundheitsreform und an andere wichtige Bereiche, in denen wir einen Systemwechsel vornehmen müssen, weil die inneren Reformen nicht mehr funktionieren. Diese Blockade müssen Sie endlich überwinden.
Nun sind 100 Schulleiter einen ungewöhnlichen Weg gegangen. Sie haben Ihnen einen offenen Brief geschrieben. Sie sind dazu noch in einem Landstrich tätig, in dem wir noch relativ hohe Übergangsquoten in die Hauptschule haben. Wenn bei
Wir müssen in dieser Situation doch einmal fragen: Was sind denn die Bewegungskräfte, die dazu führen, dass wir jetzt neu über das Schulsystem diskutieren müssen? Das ist die Globalisierung. Wir müssen unsere Schulen heute nicht mehr nur mit Schulen in Mecklenburg-Vorpommern vergleichen, sondern mit Schulen in allen anderen Industrienationen.
Zweitens: Wir haben dramatische Veränderungen in der Arbeitswelt. Die klassischen Strukturen, in denen Hauptschüler genauso gut wie Gymnasiasten einen Arbeitsplatz finden, gibt es nun eben nicht mehr, weil sich die Arbeitswelt grundlegend verändert hat, weil viele Berufe, in denen man früher mit der Hauptschulausbildung leicht einen Job gefunden hat, wegfallen.
Wir haben dramatische Veränderungen in der Demografie. Wir haben dramatische Veränderungen in den Familienstrukturen. Früher hatte man eben fünf Kinder; da hat man eines an die eine Schule geschickt, ein anderes an die andere Schule und die übrigen wieder an andere Schulen. Eines der Kinder ist dann Pfarrer geworden, ein anderes Maurer usw. Das ist vorbei. Wir haben heute Familien mit einem Kind oder wenigen Kindern. Da funktioniert das nicht mehr. Diese Überlegung stammt übrigens nicht von mir, sondern von Ministerpräsident Oettinger.
(Abg. Stefan Mappus CDU: Holen Sie zwischen- durch einmal Luft! – Vereinzelt Heiterkeit – Zuruf der Abg. Christine Rudolf SPD)
Wir sind eine Migrationsgesellschaft. Das alles sind Bewegungskräfte, die dieses ganze dreigliedrige Schulsystem jetzt ins Rutschen gebracht haben.