Wenn ich dann sehe, dass Sie an anderer Stelle den Aspekt der Mobilität überhöhen, muss ich feststellen, dass dieser mit einem solchen Konzept natürlich völlig untergraben würde.
Also, liebe Leute: Wir bleiben vernünftig. Wir haben Parameter aufgestellt, die Schulentwicklung ermöglichen, die der Kreativität keinen Abbruch tun, die auf bewährten Bildungskonzepten aufbauen und die Fördermöglichkeiten erhöhen. Ich glaube, dass wir damit auf dem richtigen Weg sind.
Ich will ein paar Worte über den Ausbau der Ganztagsschulen sagen, weil hier fast diffamierende Äußerungen gemacht
worden sind. Es wurde gesagt, wir hätten ein restriktives Verfahren eingeführt. Es wurde gesagt, es gebe Unklarheit über die Rahmenbedingungen und Versprechen würden nicht eingehalten. Ich will Ihnen deutlich sagen: Der Ministerpräsident hat in seiner Regierungserklärung vom letzten Jahr gesagt, Ziel sei es, innerhalb von neun Jahren einen bedarfsgerechten Ausbau der Ganztagsschulen zu erreichen, und dass wir davon ausgehen, mit einer Umwandlung von 40 % der Schulen einen bedarfsgerechten Ausbau zustande zu bringen.
Wir haben in Baden-Württemberg bisher 616 Ganztagsschulen – bei 4 200 bis 4 300 Schulen insgesamt. Wir genehmigen in diesem Jahr 211 Ganztagsschulen neu. Wir erhöhen also die Zahl der Ganztagsschulen um mehr als ein Drittel des jetzigen Bestands. Das sind Riesenschritte. Alle Anträge, die entscheidungsreif waren, sind genehmigt worden. Aber es waren nicht alle entscheidungsreif. Wenn die Betroffenen sich bei Ihnen beschweren, müssen sie sich bei dem, was sie zu ihrem Konzept noch beitragen müssen, einfach auf das nächste Jahr konzentrieren. Sie haben die notwendigen Unterlagen noch nicht vorgelegt, auf deren Grundlage man über ein solches Konzept wirklich entscheiden kann.
211 zusätzliche Ganztagsschulen, das ist eine Riesenzahl. Damit werden wir bei den Hauptschulen bereits in diesem Jahr auf insgesamt 290 Ganztagsschulen kommen. Und wir haben eigentlich noch acht Jahre Zeit, um den Plan, den wir im letzten Jahr aufgestellt haben, zu erfüllen. Wir werden diesen Zeitraum gar nicht brauchen, um den angestrebten Ausbau zu erreichen. Wir sind besser unterwegs, als wir es uns vorgenommen haben. Lassen Sie also Ihre Unterstellungen.
Herr Kultusminister Rau, mir liegen Berichte von Schulen vor, denen zufolge sie nicht die in dem Ausbauprogramm festgelegte Zahl an Lehrerstunden erhalten. So steht in dem Bericht einer Grundschule, die unter erschwerten pädagogischen und sozialen Bedingungen arbeitet, dass diese statt der vorgesehenen sechs Lehrerstunden nur fünf bekommt. Auch von anderen Standorten habe ich solche Rückmeldungen erhalten. Bekommt jede Ganztagsschule, die die entsprechenden Kriterien als Brennpunktschule oder offene Ganztagsschule erfüllt, grundsätzlich die vorgesehene Zahl an Lehrerstunden oder weniger?
Über die Zahlen hat es in der Tat Debatten gegeben. Da muss man ganz klar sehen: Die Umwandlung einer Schule in eine Ganztagsschule beginnt in der Regel in der untersten Stufe und wächst durch. So machen es die meisten Schulen. Manche Schulen fangen mit mehreren Klassenstufen im Ganztagsbetrieb an. Die meisten fangen in der untersten Klassenstufe an und lassen es durchwachsen. Manche hatten die Illusion, dass sie auch für die Klassen, die jetzt nicht in die Ganztagsschule überwechseln, Stunden bekommen.
Da hat es Enttäuschungen gegeben. Aber eine Übertragung von mehr Stunden war nie vorgesehen. Wenn wir definiert haben, dass es für eine bestimmte Schulart ein bestimmtes Budget gibt, wird dieses Budget auch eingehalten. Aber man muss sich dann die Details angucken, wieso es da vielleicht zu unterschiedlichen Vorstellungen bei den Zahlen gekommen ist.
Ich will an dieser Stelle deutlich sagen, dass sich die Partnerschaft mit den Schulträgern beim Ausbau der Ganztagsschule bewährt. Die Partnerschaft mit den Kommunen ist gerade in diesem Bereich sehr vorzüglich. Wir haben uns da auch auf genaue Kriterien geeinigt. Wir haben miteinander ein Bauprogramm verabredet. Es wird alles so gemacht, wie wir das miteinander verabredet haben. Da zeigt sich, dass das eine verlässliche Partnerschaft ist.
Meine Damen und Herren, ich will einen Appell an Eltern, an Betriebe richten. Ich glaube, die Hauptschullehrerinnen und Hauptschullehrer sind zu Recht davon überzeugt, dass sie in ihren Schulen wirklich gute Arbeit leisten. Sie wissen, dass sie diese Arbeit auch für Kinder zu leisten haben, für die es ein schwierigerer Weg wird, in den Beruf zu finden, als für andere Kinder. Das liegt nicht an dieser Schulart.
Wenn man nun über Jahre hinweg diese Schulart, ihre Schülerinnen und Schüler und damit auch die, die dort Arbeit leis ten, schlechtgeredet hat, dann ist das gegenüber den betroffenen Jugendlichen, aber auch insgesamt gesellschaftspolitisch absolut unverantwortlich.
Ich habe die herzliche Bitte, dass die Schülerinnen und Schüler auch im Anschluss ihre Chance bekommen. Wir werden jetzt die Voraussetzungen dafür weiter stärken. Ich bin sicher, dass das gelingen kann, gerade bei uns im Land.
Wir haben gestern das Bündnis für Ausbildung unterzeichnet. Es zeichnet sich ab, dass die Zahl der Ausbildungsplätze in diesem Jahr deutlich steigen wird. Ich hoffe, dass diese Entwicklung anhält, weil das natürlich auch der Punkt ist, an dem die Nagelprobe gelingen muss. Die Zahlen zur Jugendarbeitslosigkeit habe ich Ihnen vorhin genannt.
Am Schluss will ich einen Schüler sprechen lassen, den Schüler, der die Hauptschulen im Landesschülerbeirat vertritt, Felix Kiesele. Er hat sich über das Hauptschulprogramm der Landesregierung geäußert und hat gesagt:
Ich finde, dass Herr Rau bei aller Kritik in der letzten Zeit die richtige Richtung eingeschlagen hat.
Als Vorstandsmitglied des Landesschülerbeirats hat er das gegenüber der dpa erklärt. Wenn die betroffenen Schülerinnen und Schüler ihre Chance sehen, will auch ich es für heute gut sein lassen. Dann können andere ja nachkommen.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Ich will einmal den Versuch wagen, das Thema auf eine etwas andere Weise anzugehen, und will mir Gedanken darüber machen, wie in diesem Land Bildungspolitik als Regierungshandeln zu organisieren ist und welche Voraussetzungen nötig sind, um das fachpolitische Handeln in dieses Regierungshandeln zu integrieren. Da, meine Damen und Herren, komme ich zu vier Erkenntnissen:
Die erste Voraussetzung, die man mitbringen muss, ist die Bereitschaft, Herr Rau, Situationen zu verstehen und Realitäten anzuerkennen. Es ist nicht so, dass die Hauptschule seit 40 Jah ren darunter litte, dass sie schlechtgeredet würde. Vielmehr ist es so, dass sich die Eltern für ihre Kinder zunehmend gegen einen Hauptschulabschluss entscheiden – und zwar aus gutem Grund –, und es ist so, dass die Entwicklung bei den Ausbildungsplätzen und die Übergangsmöglichkeiten den Eltern noch im Nachhinein zusätzlich allen Grund für die getroffene Entscheidung geben. Das kann man hier nicht wegdiskutieren.
Genauso wenig kann man wegdiskutieren, dass alle Fitness programme, egal, in welchem Bundesland, an diesem Trend – trotz aller Bemühungen, das Wahlverhalten der Eltern in eine andere Richtung zu lenken – bisher nichts ändern konnten. Das muss man doch als Realität zur Kenntnis nehmen und darf nicht annehmen, ausgerechnet wir in Baden-Württemberg würden alles anders und besser machen können.
Die zweite Erkenntnis, Herr Schebesta: Ich habe nicht nur von Hauptschulen geredet, sondern ich habe von bestimmten Kriterien gesprochen, die Ganztagsschulen betreffen, und von bestimmten Entscheidungen für eine Fortentwicklung des Schulkonzepts, die dazu beitragen könnten, auch den Bedürfnissen vor Ort gerecht zu werden. Da geht es bei der Forderung, die Schüler bis einschließlich Klasse 6 nicht in unterschiedlichen Schularten zu unterrichten, nicht nur um Hauptschüler, sondern um alle Kinder der entsprechenden Jahrgänge. Ich verstehe überhaupt nicht, dass auf der einen Seite gesagt wird, solche Schulmodelle könne man nicht machen, da diese durch die erforderliche Mehrzügigkeit, die jedoch vor Ort nicht umzusetzen sei, nicht lebensfähig seien, und auf der anderen Seite durch Frau Dr. Arnold vorgetragen wird, aufgrund des neuen Vorschlags wäre alles möglich, man müsse es nur kreativ auskosten. Sie müssen mir einmal erklären, welche Ihrer Auffassungen nun stimmt!
Erschreckend ist nur, dass Sie zum selben Ergebnis kommen, nämlich die Modellprojekte – die ja vor Ort durchgerechnet, die durchdacht und von den Schulträgern und den Eltern mitgetragen werden – abzulehnen. Das ist, denke ich, unverantwortlich, und das lässt sich mit den vorgetragenen Argumenten auch nicht vernünftig begründen.
Was spricht denn dagegen, Frau Dr. Arnold, dass in Amtzell jetzt eine solche Gemeinschaftsschule entsteht? Der Gemeinderat hat dies einstimmig beschlossen; es wird jedoch nicht anerkannt. Was würde sich denn dort vor Ort ändern? Inwiefern geht denn dort jetzt bitte schön Ihr System flöten? Wo wird dort zentralisiert statt dezentralisiert? Lassen Sie doch die Vorschläge, die aus dem Land kommen und die sorgsam durchdacht sind, zu. Wir können doch abwarten, welches Sys tem sich am Ende durchsetzen wird. Aber bügeln Sie das doch nicht einfach so ab!
Wir tun auch immer so, als ginge es nur um die Hauptschulen – und damit bin ich bei meinem zweiten Punkt.
Wir müssen doch wissenschaftliche und empirisch gewonnene Ergebnisse akzeptieren. Wir haben doch nicht nur ein Problem am Ende der Leistungsskala, sondern wir haben in der Bundesrepublik auch ein Problem an der Spitze der Leistungsskala. Zudem haben wir das Problem, dass der Bezug zur sozialen und wirtschaftlichen Herkunft sowie zum Bildungsstand der Eltern bei uns größer ist als anderswo. Diese Erkenntnis muss man doch akzeptieren, und zur Bestätigung dieser Erkenntnis braucht man nicht erst noch weitere Projekte. Wir verhalten uns hier in Baden-Württemberg in Bezug auf das Thema „Wissenschaftliche Erkenntnisse“ so, als wenn jede Klinik, die irgendwann einmal den Holzhammer gegen die moderne Anästhesie eingetauscht hat, zuvor ein eigenes Modellprojekt hätte durchführen müssen, um zu prüfen, ob die neue Technik überhaupt funktioniert. Wenn in diesem Bereich so vorgegangen worden wäre, hätten wir heute im Gesundheitsbereich Zustände, unter denen sicherlich keiner von uns versorgt werden wollte.
Warum nehmen wir gerade im Bildungsbereich entsprechende wissenschaftliche Ergebnisse im In- und Ausland nicht zur Kenntnis? Warum nehmen wir nicht zur Kenntnis, dass die Robert-Bosch-Stiftung im Rahmen ihres Wettbewerbs „Beste Schule Deutschlands“ nur Schulen prämiert, die integrative Konzepte verfolgen und die Schüler möglichst lange zusammenhalten?
Warum können wir dies nicht akzeptieren, und warum meinen wir, wir müssten nun auf der Basis von Vergleichsstudien – etwa einen Vergleich mit Sachsen – oder Ähnlichem das Rad noch einmal neu erfinden? Akzeptieren Sie doch wenigstens einmal die Ergebnisse, und dann können wir darüber diskutieren, welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sind.
(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Carla Bregenzer SPD: Sie wollen es einfach nicht! – Zuruf des Abg. Alfred Winkler SPD)
Das Dritte: Ich erwarte von Ihnen Konzepte, und Konzepte bedeuten für mich nicht Zielvorstellungen, die sich daran orientieren, dass man die Position im PISA-Ranking halten muss und es eben gerade noch akzeptieren kann, dass Sachsen uns
in irgendeinem Bereich möglicherweise überholt. Wir brauchen Konzepte, die langfristige Lösungen bringen. Dieser Fusionsdruck, der im Moment auf den Hauptschulen liegt – das können Sie sich vor Ort von jedem bestätigen lassen –, führt dazu, dass wir dieselbe Diskussion in vier oder fünf Jahren noch einmal führen müssen. Die Frage, was mit den einzügigen Grundschulen geschehen soll, die in ein paar Jahren in die Gefahr kommen, geschlossen werden zu müssen, haben Sie auch nicht beantwortet. Darauf sind Sie gar nicht eingegangen.
Auch auf die Differenzen, die es zwischen Ihnen und manchen Kommunen über die Ausstattung des Ganztagsschulprogramms gibt – dazu habe ich ja konkrete Beispiele genannt –, sind Sie nicht eingegangen.
Ich sage ausdrücklich: Wir brauchen Konzepte, die erkennen lassen, wo wir in zehn Jahren oder in 15 Jahren stehen werden, und keine Überbrückungskonzepte, die Ihnen vielleicht über die nächste Landtagswahl hinweghelfen, wobei dann die Diskussion wieder von vorne losgeht.