Protokoll der Sitzung vom 28.06.2007

Wem von der Fraktion GRÜNE darf ich das Wort geben? – Frau Kollegin Rastätter.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Einstellungsrunde für das kommende Schuljahr ist ein einziges Fiasko. 5 200 Lehrer und Lehrerinnen werden in die Arbeitslosigkeit geschickt. Besonders dramatisch ist die Situation für Bewerberinnen und Bewerber für die Grund- und Hauptschulen. Nur 13 % der jungen, qualifizierten Lehrerinnen und Lehrer werden übernommen, der Rest geht in die Arbeitslosigkeit.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Dabei haben wir an den Hauptschulen das allergrößte Problem. Seit vielen Jahren haben sich die Lehrer und Lehrerinnen mit den Füßen aus der Ausbildung zu Hauptschullehrern und -lehrerinnen verabschiedet. Die wenigen, die jetzt noch den Studiengang Hauptschule absolviert haben, werden, zum Teil mit allerbesten Noten, nicht in den Schuldienst übernommen. Das heißt, die Enttäuschung ist immens. Diese Lehrerinnen und Lehrer fehlen an unseren Schulen.

Der Bedarf ist riesig. Gleichzeitig sind dadurch, dass mehr Schüler und Schülerinnen auf die Gymnasien und die Realschulen übergegangen sind, durch diese Verschiebung der Übergänge Hunderte von Deputaten zu diesen beiden Schularten, insbesondere zum Gymnasium, umgeschichtet worden. Diese Deputate sind aus den Grund- und Hauptschulen abgezogen worden. Sie sagen – und das stimmt –, es gebe dort einen Rückgang der Schülerzahl um rund 12 000. Aber wir haben ja das Problem, dass sich an diesen Schulen, bei denen es sich zumeist um kleine Grundschulen und kleine Hauptschulen handelt, die Zahl der Klassen nicht im gleichen Umfang reduziert. Bei einem Abzug von Lehrerdeputaten bedeutet das faktisch, dass sich die Unterrichtsversorgung an den Grundschulen und an den Hauptschulen verschlechtern wird.

Es ist schon darauf hingewiesen worden: Bereits im letzten Vierteljahr haben Schulamtsleiter ihre Schulen, z. B. im Kreis Esslingen, in einem Schreiben darüber informiert, dass für den Ergänzungsbereich, für die Stütz- und Förderangebote, so gut wie keine Kontingente mehr zur Verfügung stehen werden.

Meine Damen und Herren, nun muss ich doch noch einmal das Stärkungsprogramm erwähnen.

(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Das sogenannte Stär- kungsprogramm!)

Einerseits werden hier Hunderte von Deputaten abgezogen, die Unterrichtsversorgung verschlechtert sich insgesamt, die

jungen Lehrer und Lehrerinnen stehen auf der Straße, und andererseits machen Sie gleichzeitig ein Stärkungsprogramm, durch das zwar 305 Deputate in vier Jahren zur Verfügung gestellt werden, aber keinesfalls die Lücke, die entstanden ist, geschlossen werden kann. Insofern ist auch das, was Sie mit dem Stärkungsprogramm machen, weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein.

Im Übrigen, muss ich sagen, entbehrt es nicht eines gewissen Zynismus, wenn diese jungen Hauptschullehrer, die sich bewusst für diese Schulart entschieden haben, weil sie davon ausgehen, dass sie dort die beste Förderung im Schulsystem erbringen können, nicht übernommen werden und ihnen jetzt gleichzeitig das Angebot gemacht wird, dort möglicherweise als Schulassistenten zu Billigtarifen eingestellt zu werden. Das halte ich für die zynische Seite dieser ganzen Angelegenheit.

(Beifall bei den Grünen)

Die Reduzierung der Klassengröße auf 28, die Sie vorgeschlagen haben und die auch schon in die Debatte gekommen ist, haben Sie ebenfalls nicht vorgenommen. Deshalb haben wir in unserem heute vorgelegten Änderungsantrag beantragt, den Zuweisungsmodus zu ändern. Denn wenn wir tatsächlich eine durchschnittliche Klassengröße von rund 20 Schülerinnen und Schülern an den Hauptschulen und 22 an den Grundschulen haben, dann können wir durch einen veränderten Zuweisungsmodus auch verhindern, dass größere Klassen als solche mit 25 Schülerinnen und Schülern im Hauptschulbereich und im Grundschulbereich eingerichtet werden. Denn trotz Ihres Stärkungsprogramms werden an den Hauptschulen weiterhin Klassen mit bis zu 33 Schülerinnen und Schülern möglich sein.

Meine Damen und Herren, wir haben außerdem seit vielen Jahren ein strukturelles Defizit bei der Unterrichtsversorgung an beruflichen Schulen. Es beträgt derzeit 4,4 %. Wir haben ein strukturelles Defizit an den Sonderschulen von rund 5 %. Das heißt, an diesen beiden Schularten wird nicht einmal der reguläre Unterricht nach Organisationserlass erteilt. Hoch ist der Unterrichtsausfall dort natürlich insbesondere in den Mangelfächern, aber auch in den allgemeinbildenden Fächern. Wir beantragen heute, an den beruflichen Schulen Lehrer und Lehrerinnen, die sich in anderen Schularten beworben haben und nicht in den Schuldienst eingestellt werden, für den Unterricht in den allgemeinbildenden Fächern einzustellen und damit die Situation an den beruflichen Schulen zu verbessern.

Wir haben außerdem in den letzten Jahren versäumt, genügend junge Frauen und Mädchen zu motivieren, sich für die Naturwissenschaften im Lehramtsstudium einzuschreiben. Wir müssen dringend eine intensivere Förderung der Schüler und Schülerinnen in den Naturwissenschaften vornehmen, damit wir diesen Mangel in den Naturwissenschaften und in den Ingenieurwissenschaften an den beruflichen Schulen, aber auch an den allgemeinbildenden Schulen abbauen können.

Meine Damen und Herren, ich habe es vorhin schon erwähnt und muss es noch einmal sagen: An den Ganztagsschulen gibt es ebenfalls das Problem, dass die Schulen und die Bürgermeister mit der Ausstattung mit Lehrerstunden nicht zufrieden sind; diesbezüglich werden die Versprechen zum Teil eben nicht eingehalten. Herr Kultusminister Rau, es ist nicht so,

dass die Schulen das – wie jetzt diese Schule, die ich erwähnt habe – auf die ganze Grundschule beziehen, sondern nur auf die eine Klassenstufe, für die die Lehrerzuweisung stundenmäßig unter dem bleibt, was vorgesehen war. Dabei besteht dann noch das zusätzliche Problem, dass sie keine Betreuungszuschüsse und keine Zuschüsse für die verlässliche Grundschule mehr bekommen und damit auch noch die Ganztagsschule für sie teurer wird als die reine Betreuung in der Halbtagsschule vorher.

Meine Damen und Herren, deshalb brauchen wir zusätzliche Deputate zum Ausbau der Ganztagsschule. Wir werden eine Dynamik hineinbekommen. Sie können das aus den rückläufi gen Schülerzahlen nicht finanzieren, weil wir in den nächsten Jahren durch die Ausweitung der Zahl der Mehrstunden im Gymnasium pro Jahrgang keine Möglichkeit haben, die Ganztagsschule in der Form, wie sie benötigt wird, auszubauen.

Ich möchte noch eines erwähnen. Ihr Programm, welche Deputate Sie den Schulen entziehen wollen, sieht noch Weiteres vor. 1 100 Stellen werden im Jahr 2008 durch die Rückzahlungsphase beim Vorgriffsstundenmodell der Unterrichtsversorgung entzogen, 800 Stellen für den Jugendbegleiter sollen in Mittel umgeschichtet werden, 900 Stellen sollen für das Projekt „Schulreifes Kind“ eingesetzt werden, und 380 Deputate wollen Sie für den Ausbau der Evaluation umschichten. Das heißt, es sind rund 3 200 Stellen, die in den nächsten Jahren der Unterrichtsversorgung entzogen werden sollen.

Das heißt konkret: Wir haben momentan und in den nächsten Jahren ausschließlich eine Verwaltung des Mangels. Das können wir uns nicht leisten. Wir brauchen eine ordentliche, eine vernünftige Unterrichtsversorgung, und wir brauchen vor al lem zusätzliche Förderangebote für alle Schüler und Schülerinnen, damit diese einen Lernerfolg erzielen, den sie ihrer Begabung entsprechend erreichen können, wenn sie an den Schulen ordentlich gefördert werden.

Meine Damen und Herren, wir Grünen haben angesichts dieser Mangelsituation bereits bei den Haushaltsberatungen den Abschluss eines Bildungspakts vorgeschlagen. Wir haben beantragt, zusätzlich Tausende von Lehrerstellen in einen Sonderfonds einzubringen, der refinanziert werden kann, wenn die Zahl der Lehrerstellen ab 2012 in einem größeren Umfang rückläufig ist.

(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Das ist der Schulden- fonds!)

Wir haben die Einrichtung dieses Sonderfonds beantragt und stellen jetzt fest, dass wir auch aus Ihren eigenen Reihen Unterstützung bekommen. So haben die CDU-Sozialausschüsse gerade gefordert, einen Bildungspakt zur Schaffung zusätzlicher Lehrerstellen in den nächsten Jahren einzurichten.

(Zuruf der Abg. Theresia Bauer GRÜNE)

Wir sehen diese Unterstützung und haben Ihnen vorgeschlagen, im Rahmen dieses Bildungspakts sofort die Stellensperre für die 870 gesperrten Stellen wieder aufzuheben, die notwendigen zusätzlichen Deputate für den Ausbau der Ganztagsschulen bis zum Ende dieser Legislaturperiode bereitzustellen, das strukturelle Defizit an den beruflichen Schulen und an den Sonderschulen in den nächsten drei Jahren komplett

abzubauen, den Ergänzungs- und Stützbereich, der so gut wie nicht mehr vorhanden ist, an allen Schularten auszubauen und schließlich die Lehrer in Mangelfächern in der Sekundarstufe I grundsätzlich schulartübergreifend einzusetzen.

Meine Damen und Herren, wir stehen bei der Erreichung des Ziels einer soliden und bedarfsgerechten Unterrichtsversorgung vor großen Herausforderungen, weil wir durch die veränderten Übergangsquoten und durch die höhere Bildungsbeteiligung in den nächsten Jahren keinesfalls mit rückläufigen Schülerzahlen rechnen können. Sie können diese Bedarfe, die Sie durch die Umschichtung von Lehrerstellen finanzieren wollen, nicht decken. Wir brauchen die 3 180 Deputate an den Schulen. Deshalb werden wir die Unterrichtsversorgung und den Ausbau der Ganztagsschulen ohne zusätzliche Deputate im Umfang von 3 000 Lehrerstellen nicht im erforderlichen Maß sicherstellen können.

Wir plädieren dafür, dass Sie heute das Signal geben, dass wir einen solchen Bildungspakt gemeinsam entwickeln, damit die Schüler und Schülerinnen in den nächsten Jahren die Unterrichtsversorgung bekommen, die einem Land wie BadenWürttemberg auch gerecht wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte darauf aufmerksam machen, dass die Redezeiten für die Antragsbegründung fünf Minuten und für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion betragen.

(Zuruf der Abg. Renate Rastätter GRÜNE)

Nein, Sie haben schon jetzt über zehn Minuten lang gesprochen. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass Sie nachher keine Redezeit mehr haben, wenn der Herr Minister gesprochen hat. Ich weise nur darauf hin, dass das so ist.

Jetzt bekommt für die SPD-Fraktion Herr Abg. Zeller das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Was wir in der Bildungspolitik in Baden-Württemberg derzeit erleben, kann man ohne zu übertreiben als bildungspolitisches Desaster bezeichnen. Damit meine ich nicht nur die verfehlten Versuche zur Rettung der Hauptschule, sondern ich spreche hier auch von der mangelhaften Unterrichtsversorgung und der Nichteinstellung von über 5 000 Lehrerinnen und Lehrern. Angesichts des Unterrichtsausfalls von jährlich über 2,8 Millionen Stunden, der Streichung von Stütz- und Förderkursen usw. ist es unverantwortlich, Lehreranwärterinnen und Lehreranwärter auf der Straße sitzen zu lassen.

(Beifall bei der SPD)

Weil Sie mir das Ganze sonst nicht glauben, will ich Ihnen einige Beispiele aus der Praxis nennen. Leider habe ich nicht die Zeit, all die vielen Zuschriften vorzutragen. Aber ein paar wenige Beispiele will ich zur Verdeutlichung anführen.

Das Staatliche Seminar für Didaktik und Lehrerbildung in Rottweil schreibt an die Kolleginnen und Kollegen – ich zitiere –:

Völlig überraschend und unvorbereitet und mit großer Betroffenheit haben wir Kenntnis nehmen müssen von folgenden Tatsachen:

Im Bereich der Regierungspräsidien Karlsruhe und Tübingen wird kein einziger Lehreranwärter und keine einzige Lehreranwärterin eingestellt.

(Zuruf des Abg. Nikolaos Sakellariou SPD)

Im Bereich des Regierungspräsidiums Stuttgart werden insgesamt 38 Lehreranwärter oder Lehreranwärterinnen eingestellt.

Im Bereich des Regierungspräsidiums Freiburg werden insgesamt 19 Lehreranwärterinnen oder Lehreranwärter eingestellt.

(Abg. Nikolaos Sakellariou SPD: Das ist im ganzen Land so!)

Meine Damen und Herren, nach einem Schreiben einer Schule aus Mönchweiler wurden der Schule in Vorverhandlungen 378 Lehrerstunden genehmigt. Bei einer weiteren Verhandlung wurden Abstriche daran vorgenommen. Der Schulleiter stellt heute fest: Für das kommende Schuljahr sollen nun bei gleicher Klassenzahl, annähernd gleicher Schülerzahl und der offiziellen Einführung der Ganztagsschule in offener Form 14 Stunden weniger zugewiesen werden.

(Zuruf des Abg. Nikolaos Sakellariou SPD)

Das heißt, trotz zusätzlicher Aufgaben wird überall reduziert. Sie übertragen den Schulen weitere Aufgaben, aber es werden weniger Stunden zur Verfügung gestellt. Das ist unverantwortlich.

(Beifall bei der SPD)

Ich komme zu einem weiteren Beispiel. Sie treten hier groß auf und sprechen davon, man müsse vor allem in der Grundschule fördern, Sprachförderung betreiben. Ein weiteres Beispiel aus der Praxis:

Bei uns an der Schule

so schreibt eine Lehrerkollegin –