Protokoll der Sitzung vom 10.10.2007

Es sagt uns, dass nicht der Alkohol das Problem ist, sondern der Umgang damit. Jährlich sterben 150 000 Menschen an den Folgen von Alkohol. Trotzdem gelingt es der Mehrheit, mit Alkohol umzugehen. Ähnlich ist es ja bei den Jugendlichen auch. Die Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren hat festgestellt, dass immer weniger Jugendliche Alkohol trinken, dass diese Jugendlichen dafür aber immer exzessiver trinken. Flatratetrinken ist in, Komasaufen ist in, und dies ist in der Tat ein Problem, dem wir nachgehen müssen. Hier geht es nicht um die Verteufelung von Alkohol, aber auch nicht um den harmlosen Gebrauch. Rauschtrinken ist kein Kavaliersdelikt.

Im Gegenteil: Wenn Sie sich einmal die Zahl der Jugendlichen, die alkoholbedingt im Krankenhaus behandelt wurden, anschauen, sehen Sie, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Von 2001 bis 2005, also innerhalb von vier Jahren, ist diese Zahl um 65 % gestiegen, und zwar von 2 059 auf 3 393. Dramatisch ist die Zunahme vor allem bei den 15-Jährigen. Die Zahl dieser Fälle hat um 65,4 % zugenommen. Bei den 16-Jährigen nahm die Zahl sogar um 109 % zu. Das Einstiegs alter, also das Alter beim Erstkonsum, liegt mit 13,9 Jahren

weiterhin auf sehr niedrigem Niveau. Es besteht also Handlungsbedarf.

Die Erfahrungen aus der Suchtarbeit zeigen, dass für die gezielte Reduzierung des Alkoholkonsums verschiedene Maßnahmen notwendig sind. Es geht also nicht nur um eine Verschärfung der Gesetze, sondern um einen Maßnahmenmix, der im Wesentlichen vier Punkte beinhaltet: erstens gezielte Präventionsangebote, zweitens schärfere Kontrollen der Einhaltung des Jugendschutzgesetzes und Ahndung bei Verstößen, drittens Änderungen im Gaststättenrecht und viertens Bestärkung von Eltern und Freunden in ihrer Vorbildfunktion. Es geht also auch um die Sensibilisierung der Familien und des Umfelds für das Thema Alkoholgebrauch/Alkoholmissbrauch.

Wir haben in Baden-Württemberg schon gute Präventionsangebote. Wir haben in Karlsruhe das Projekt „Sicheres Nightlife“, in Böblingen die „Red Box“ und in Lörrach das Bundesmodellprojekt „HaLT“. Die Evaluation dieses mit Landesmitteln geförderten Bundesprojekts hat gezeigt, dass zwei Punkte besonders wichtig sind. Der erste ist die Frühintervention bei gefährdeten Jugendlichen, also bei den Jugendlichen, die wegen Alkoholvergiftung ins Krankenhaus gekommen sind. Der zweite ist die Entwicklung einer kommunalen Präventionsstrategie zwischen Ordnungsämtern, Polizei und Festveranstaltern. Sinnvoll wäre es, dieses Konzept flächenhaft auch in Baden-Württemberg umzusetzen.

Jetzt zu der Frage, die aufgeworfen wurde: Brauchen wir mehr Verbote, oder brauchen wir sie nicht? Halten die bestehenden Gesetze tatsächlich alles vor, was nötig ist, um Alkoholexzesse zu unterbinden? Es gibt das Verbot für Wirte und Händler, an Jugendliche unter 16 Jahre Alkohol auszuschenken. Es gibt auch das Verbot, an Betrunkene Alkohol auszuschenken. Jugendliche unter 18 Jahren dürfen ohnehin nichts Hochprozentiges trinken. Es gibt sie also, die Vorschriften zum Schutz der Jugend. Nur: Was nützen diese, wenn ihre Einhaltung unzureichend kontrolliert wird und wenn Einzelhändler, Wirte, Tankstellenbesitzer ihr Fehlverhalten nicht einsehen, sondern eben nur an das gute Geschäft denken? Deshalb müssen wir den Trinkanimateuren im Gastgewerbe das Handwerk legen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD sowie des Abg. Thomas Blenke CDU)

Dazu gehört eben, das bestehende Jugendschutzgesetz konsequent anzuwenden und das Gaststättengesetz zu ändern.

(Abg. Dr. Bernhard Lasotta CDU: Warum?)

Das Wirtschaftsministerium – der Wirtschaftsminister ist leider nicht mehr anwesend – hat einen Erlass gegen die sogenannten Flatratepartys auf den Weg gebracht, einen Erlass an die Regierungspräsidien, der die Grundlage für ein Verbot durch die Gaststättenbehörden bildet. Darin steht, dass Flat ratepartys bereits ein Indiz dafür seien, dass in Ausübung eines Gewerbes alkoholische Getränke an erkennbar Betrunkene verabreicht werden sollen. Es wird darum gebeten, bis zum 1. Oktober 2007 einen Bericht über die praktischen Erfahrungen vorzulegen. Sollte sich erweisen, dass der Erlass nicht ausreicht, sollten diese Veranstaltungen gesetzgeberisch verboten werden.

Ich hätte vonseiten des Wirtschaftsministeriums gern erfahren, wie dieser Bericht aussieht, wie die Erfahrungen bis zum 1. Oktober aussehen und ob jetzt gesetzgeberisch nachgebessert wird. Von daher ist es sehr schade, dass der Wirtschaftsminister nicht mehr anwesend ist. Wir lassen uns gern eines Besseren belehren und sind gespannt auf den Bericht.

Ich bin dem Innenministerium sehr dankbar – das bin ich auch nicht oft; aber heute bin ich es – für die Beantwortung der Fragen, die CDU und FDP/DVP in ihrem Antrag zum Thema „Inpflichtnahme der Jugendlichen“ gestellt haben. Sanktionen gegen Jugendliche haben im Jugendschutzgesetz überhaupt nichts verloren.

Eine Sanktionierung jugendlicher Verstöße würde der Zielrichtung des Jugendschutzgesetzes, der Abwendung von Gefahren für junge Menschen, widersprechen.

Dieser Satz des Innenministeriums spricht Bände. Diesen Satz kann ich voll unterstützen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Ebenfalls einig bin ich mit der Landesregierung darin, dass die Forderung nach einem grundsätzlichem Alkoholverbot für Menschen unter 18 Jahren komplett am Kern des Themas vorbeigehe. Es geht darum, Jugendlichen einen verantwortungsbewussten Umgang mit Suchtgefahren, mit Alkohol aufzuzeigen.

Ebenfalls unterstütze ich den Vorschlag, den Verkauf hochprozentiger Getränke an Tankstellen zu verbieten. Dieses Thema hätten wir mit diskutieren müssen, als es um die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten ging. Aber wir halten die Prüfung, ob eine Einschränkung des Alkoholverkaufs an Tankstellen außerhalb des Bereichs der Bundesfernstraßen möglich ist, für richtig.

Abschließend möchte ich noch einmal feststellen: Um den Alkoholkonsum bei Jugendlichen nachhaltig zu reduzieren, reicht es nicht aus, Gesetze zu verändern.

(Beifall des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Richtig! Sehr gut!)

Es geht um einen Mix verschiedener Maßnahmen, Kollege Noll. Das sind erstens die konsequente Anwendung des Jugendschutzgesetzes,

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Richtig!)

zweitens niedrigschwellige Präventionsangebote,

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Auch richtig!)

drittens Aufklärung der Erwachsenen

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Auch richtig!)

und viertens entsprechende Änderungen im Gaststättengesetz.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Abwarten!)

Wenn Sie sich die drei vorliegenden Anträge anschauen, erkennen Sie, dass wir nicht in allen Punkten sehr weit auseinander liegen.

(Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: So ist es!)

Wir werden Abschnitt II Ziffer 1 des Antrags Drucksache 14/1411, in der die Einbringung einer Bundesratsinitiative gefordert wird, nicht zustimmen. Ich verweise dazu auch auf die Stellungnahme der Landesregierung. Denn die Landesregierung hat dazu richtig argumentiert.

Der Inhalt des Beschlussteils unseres Antrags Drucksache 14/1129, wonach über eine Änderung des Gaststättengesetzes ein Verbot der Flatratepartys gefordert wird, ist unter Abschnitt II Ziffer 2 Buchst. b auch im Beschlussteil Ihres Antrags von CDU und FDP/DVP enthalten. Das sind die Punkte, denen auch wir zustimmen können.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Für die CDU-Fraktion erhält Frau Abg. Kurtz das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema „Alkoholmissbrauch von Jugendlichen“ hat in letzter Zeit die Öffentlichkeit sowie die Fachkreise und die Zeitungen intensiv beschäftigt. Ich bin froh, dass wir es heute auf der Tagesordnung haben, denn es ist wirklich ein ernst zu nehmendes und – wie Herr Dr. Noll es beschrieben hat – auch ein sehr beunruhigendes Thema.

Es ist tatsächlich so: Es ist nicht die Breite, sondern es ist die Konzentration. Zum einen werden die jungen Leute, die mit Alkohol in Kontakt kommen, im Durchschnitt immer jünger, und zum anderen ist der Gebrauch exzessiv. Die Zahlen derjenigen, die wegen Alkoholmissbrauch im Krankenhaus behandelt werden müssen, sind wirklich alarmierend. Wir alle wissen: Alkoholmissbrauch bedeutet gesundheitliche Probleme, soziale Verwahrlosung und im Zweifelsfall Gewaltbereitschaft – das beschäftigt besonders die Polizei –, Straftaten, Kriminalität und Gefährdung anderer im Straßenverkehr.

Für die CDU war das frühzeitig ein Anlass, sich des Themas anzunehmen. Wir haben dazu eine Anhörung durchgeführt und haben gemeinsam mit der Fraktion der FDP/DVP den Ihnen jetzt vorliegenden Antrag auf den Weg gebracht. Dafür bitte ich heute in allen Punkten um Ihre Zustimmung.

Es geht uns nicht darum, Alkohol als Genussmittel zu stigmatisieren, und es geht auch nicht darum, alles, was ein bisschen Spaß macht, zu verbieten oder etwas, was sich in unserer Kultur etabliert hat, was durchaus zur Geselligkeit und Entspannung beitragen kann, staatlicherseits zu verbieten. Aber wir können es nicht einfach hinnehmen, wenn sich ein Teil unserer Jugendlichen den Kragen absäuft. Da ist auch der Staat gefragt, und ich meine, da müssen wir aktiv werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Ste- fan Scheffold CDU: So ist es!)

Der Staat tut dies sehr umsichtig. In der Stellungnahme der Regierung wird eine beachtliche Zahl an Präventionsmaßnahmen aufgeführt. Hier wird vernetzt gearbeitet. Hier ziehen verschiedene Ebenen – Schule, Polizei, Sozialarbeit, Jugendhilfe und Ärzte – an einem Strang. Ich bin aber auch der Meinung: Dieser Bereich der Prävention ist jetzt ausgereizt. Wir können da nicht noch etwas draufsatteln, im Gegenteil: Wir müssen darauf achten, dass wir diese Angebote aufrechterhal

ten können. Wenn wir hören, dass die Polizei zum Teil überlegt, sich aus manchen Bereichen zurückzuziehen, dann stimmt uns das besorgt.

Ich muss ehrlich sagen: Wir können nicht neben jeden problematischen Jugendlichen einen Sozialarbeiter, einen Psychologen und einen Polizisten stellen.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Wer will das?)

Die Gesellschaft ist als Ganzes gefordert. Die Eltern müssen ihre Verantwortung wahrnehmen. Wir brauchen in diesem Punkt diese sogenannte Kultur des Hinschauens. Ich glaube, in letzter Zeit hat sich da schon einiges getan.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Ul- rich Noll FDP/DVP: Besonders des Hinschauens!)

Jede Kassiererin muss das Jugendschutzgesetz nicht nur im Kopf haben, sie muss auch danach handeln. Der Kunde, der daneben an der Kasse steht, muss auch einmal fragen, ob der Knirps, der den Sixpack kauft, wirklich schon 16 Jahre alt ist. Nachbarn können durchaus fragen, was dort läuft, wenn nebenan sturmfreie Bude ist.

Ich glaube, in letzter Zeit ist viel geschehen. Zum Teil schießt man jetzt schon über das Ziel hinaus. Aber mir ist es lieber so als andersherum.

Aber bei aller Prävention, bei allem gesellschaftlichen Zusammenwirken: Die Prävention kommt ohne Repression nicht aus. Wir müssen auch von staatlicher Seite jetzt einiges regeln. Dazu bitte ich heute um Ihre Zustimmung.

Wir sehen das auch ein bisschen anders, als die Kollegin Lösch es eben gesagt hat. Ich meine durchaus, dass man die Jugendlichen selbst etwas in die Pflicht nehmen kann. Das ist im Jugendschutzgesetz momentan so nicht vorgesehen. Aber wenn ich mir anschaue, was wir in diesen Präventionsbereichen an die Jugendlichen herantragen, womit sie in der Schule und schon als Kinder im Kindergarten konfrontiert werden, kann ich von ihnen selbst ein gewisses Verantwortungsbewusstsein, eine gewisse Einsicht erwarten. Ich meine, im Alkoholmissbrauchsfall kann man durchaus mit Sanktionen drohen. Das muss keine Geldstrafe sein. Ich glaube, dass wir in diesem Zusammenhang durchaus die Bundesratsinitiative auf den Weg bringen und prüfen müssen, ob man das Jugendschutzgesetz um diesen Aspekt ergänzt.

Was uns ebenfalls ein Anliegen ist, ist eine Überprüfung dieser sogenannten Erziehungsbeauftragung. Ich weiß nicht, wer von Ihnen damit überhaupt schon befasst war. Auf jeden Fall wurde uns vonseiten der Polizei sehr deutlich gemacht, wie viel Schindluder damit betrieben wird. Wir meinen, dass wir durch eine Bundesratsinitiative diese Möglichkeit, die Beaufsichtigung junger Leute an andere Jugendliche zu delegieren, die gerade einmal 18 Jahre alt sind, unbedingt ändern oder stärker auf den ursprünglichen Zweck hin ausrichten müssen. Die CDU-Fraktion ist der Ansicht, dass es auch in diesem Bereich nicht ohne gewisse Repressionen geht.

Wir sind auch der Meinung, dass man Verstöße gegen das Jugendschutzgesetz mit erhöhten Mindestbußgeldern und durchaus auch mit gewinnabschöpfenden Bußgeldern stärker ahnden muss.

Was das sogenannte Flatratetrinken angeht, sind wir uns hier im Raum, glaube ich, alle einig. Die Innenministerkonferenz hat am 1. Juni 2007 beschlossen, dass sie die Möglichkeit eines Verbots prüfen wolle. Ich bin der Meinung, dass das nötig ist. Das Gaststättengesetz an sich reicht offensichtlich nicht aus. Wie auch die Kollegin Lösch gesagt hat, reicht es auch nicht, wenn irgendetwas theoretisch verboten ist; das muss eben auch in die Praxis umgesetzt werden. Ich sehe kein Problem darin, das Gaststättengesetz diesbezüglich um einen oder zwei Sätze zu erweitern.