Protokoll der Sitzung vom 10.10.2007

(Abg. Theresia Bauer GRÜNE: So ist es!)

Wir müssen feststellen, dass trotz der öffentlichen Diskussion, wonach wir auf einen Ingenieurmangel zulaufen – dieser ist ja auch aus den Zahlen ablesbar –, offenbar auch in der Industrie zu wenig erkannt wird, dass man Änderungen herbeiführen und auch hier wirkliche Chancengleichheit schaffen muss.

(Beifall bei den Grünen und der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU)

Die Vereinbarkeit von Beruf und Kindern ist heute in den klassischen Männerberufen noch kein ernsthaftes Thema. Das zeigt sich auch an diesen Zahlen. Chancengleichheit für Frau en in heute noch männerdominierten Berufen erfordert einen verstärkten Aufbau von Kinderbetreuungseinrichtungen und mehr Möglichkeiten der Teilzeitbeschäftigung. Selbst in frau

endominierten Berufen wie bei den Grundschullehrern – hier liegt der Männeranteil bei 27 % – ist die Schulleiterbesetzung mit 57 % doch wieder „typisch männlich“. Auch hier gilt in Baden-Württemberg: Karriere auch in öffentlichen Einrichtungen, in Schulen ist Männersache,

(Abg. Ute Vogt SPD: Ja!)

offensichtlich auch in frauendominierten Bereichen.

Eine besondere Brisanz erhält das Thema „Erwerbstätigkeit und Chancengleichheit von Frauen“ – das wurde auch schon angesprochen – durch den bevorstehenden demografischen Wandel. Bis 2030 wird sich die Zahl der Erwerbspersonen in Baden-Württemberg um ca. 12 %, das heißt 650 000 Personen, verringern. Ein dramatischer Fachkräftemangel – das wurde in den letzten Wochen bereits sehr stark thematisiert – wird gerade auch in den männlich dominierten Berufen eintreten. Allein bei den Meistern und Technikern rechnet das Statistische Landesamt bis 2030 mit einer Lücke von 80 000 Erwerbspersonen. Diese Entwicklung ist dramatisch. Chancengleichheit von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und in den beruflichen Hierarchien ist daher kein softes Wohlfühlthema, sondern die Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg des Landes.

Die von der Landesregierung aufgelisteten Maßnahmen vom Girls’ Day über die Mädchen-Technik-Tage bis hin zu der Initiative „Frauen in Naturwissenschaft und Technik“ sind richtige Ansätze, können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich oft nur um einzelne Initiativen handelt. Hier ist es dringend erforderlich, dass diese guten Maßnahmen flächendeckend und verpflichtend hier im Land eingeführt werden, damit ein nachhaltiger Wandel eintritt.

Die tradierten Berufswahlmuster von Frauen und Männern sind nur dann ernsthaft zu durchbrechen, wenn es in der frühkindlichen Erziehung im Kindergarten wie auch in der Grundschule gelingt, eine geschlechterspezifische Verortung in der Berufsorientierung zu verhindern. Dem läuft aber entgegen, dass die Kinder in den Kindergärten und Grundschulen fast ausschließlich weibliche Bezugspersonen haben.

Hier schließt sich der Kreis; denn es handelt sich hier um klassische Frauenberufe – Kennzeichen: geringer Verdienst und kaum vorhandene Aufstiegsmöglichkeiten. Wie soll sich da etwas ändern, wenn wir nicht bereit sind, in diesem Bereich, in dem viele Grundlagen gelegt werden, eine Veränderung herbeizuführen? Wir müssen also zunächst – das liegt in unserer Verantwortung – im Bereich der frühkindlichen Erziehung und auch im Bereich der Grundschulen einen Wandel herbeiführen, diese Ausbildungsgänge und Berufe aufwerten und den Männern ermöglichen, mit einer Erwerbstätigkeit in diesen Bereichen ihre Familien zu ernähren. Wenn wir das nicht hinkriegen, dann werden wir hier im Landtag noch viele frauenpolitische Tage haben, aber es wird sich nichts ändern.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erhält Frau Abg. Berroth von der Fraktion der FDP/DVP.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Es wurde völlig zu Recht gesagt: Dies ist ein Thema nicht nur für Frauen. Deshalb bin ich sehr dankbar, dass die anderen Fraktionen meine Anregung aufgegriffen haben, dass zu diesen Themen heute auch Männer reden sollen. Jetzt wollten wir Ihnen in dieser Runde nicht einen „Quotenmann“ schicken. Vielmehr können zu dem Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, das anschließend behandelt wird, mehrere Männer aus unserer Fraktion sehr kompetent sprechen; Dr. Noll als familienpolitischer Sprecher unserer Fraktion ist sowieso ständig mit dieser Materie befasst.

(Abg. Jörg Döpper CDU: Bravo!)

Es ist also nicht so, dass wir meinen, nur Frauen könnten zu diesen Themen etwas sagen.

Frau Kollegin Vogt, Sie haben zu Recht gesagt, dass Sie Taten erwarten. Wir hier im Landtag können beileibe nicht nur reden. Manchmal sind es auch kleine Taten, die große Dinge bewegen. Deshalb bin ich schon ein bisschen stolz darauf, dass meine persönliche Erklärung zur Gremienbesetzung in der Landeszentrale für politische Bildung dafür gesorgt hat, dass wir Frauen uns wieder einmal getroffen und gemeinsam fraktionsübergreifend etwas vorbereitet haben. Das ist eine wichtige Sache, und wir haben heute ein gutes Ergebnis.

Es sind schon eine ganze Menge Defizite aufgezeigt worden, die zum Teil auch in der Antwort auf die vorliegende Große Anfrage Drucksache 14/1616 dargestellt sind. Ich möchte meinen Beitrag ganz bewusst unter das Thema „Stärken stärken“ stellen. Es nützt nichts, wenn wir uns immer nur klarmachen, was alles noch fehlt. Wir müssen positive Beispiele hervorheben, an denen sich gerade Mädchen und junge Frauen orientieren können. Ich möchte deshalb einige klare Anmerkungen zu Themen machen, die in dieser Großen Anfrage benannt sind und zum Teil auch schon hier angesprochen wurden.

Thema Existenzgründerinnen: Die statistische Entwicklung zeigt, dass die Zahl der Existenzgründerinnen zugenommen hat. Ihr Anteil ist aber in Baden-Württemberg immer noch unterdurchschnittlich, wie auch bei anderen der in der Antwort aufgeführten Zahlen. Da haben wir noch Aufholbedarf.

Aber was ich beobachte und was aus den Zahlen so nicht ersichtlich wird: Diese Existenzgründungen haben inzwischen eine andere Qualität. Es wurde zwar das Thema Mikrokredite angesprochen, die immer noch schwierig zu bekommen sind. Aber bitte, es ist auch positiv. Frauen stürzen sich nicht gleich in große Risiken, sondern sie fangen klein an und bauen dann solide auf. Deshalb ist die Quote der Insolvenzen bei den Frauen, die wirklich selbst gegründet haben und nicht nur ein Alibiunternehmen gründeten, etwa stellvertretend für einen Mann, der zuvor selbst in die Insolvenz geriet, relativ niedrig. Die Quote der Selbstgründerinnen, die erfolgreich sind, ist wesentlich höher als bei den männlichen Gründern.

(Beifall bei der FDP/DVP – Zurufe von der SPD)

Ein anderes Beispiel – und ich habe ja während der immerhin elf Jahre als Abgeordnete in diesem Haus manches beobachten und einen gewissen Überblick bekommen können –: Die Partnerinnenvereinigung der unternehmerisch tätigen Frauen

in Baden-Württemberg – die ich auch mit angestoßen habe – ist in dieser Zeit erstaunlich stark geworden. Die jüngste Aktion, Politiker in die Betriebe zu bringen, ist eine ganz tolle Sache, bei der auch die Rolle der Unternehmerfrauen noch viel deutlicher wird, als manche von uns dies bislang wahrgenommen haben.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Drittes Beispiel: Immer häufiger – und ich habe dies berufsbedingt schon immer verfolgt, es angestrebt und angestoßen und nehme dies daher mit besonderer Freude zur Kenntnis – gibt es Nachfolgerinnen in Familienbetrieben. Ein Beispiel ist die Firma VAUDE, wo die Chefin dann auch gleich konsequent Folgendes umgesetzt hat: Dieses Unternehmen hat einen wundervollen Kinderhort. Wenn man dort hingeht, möchte man auch als Erwachsener am liebsten gleich bleiben, weil man merkt, wie wohl sich die Kinder dort fühlen. Daran sieht man übrigens, dass das uns außerhäuslich erwerbstätigen Frau en immer wieder angeheftete Rabenmutterimage überhaupt nicht zutrifft – das nur als Nebenbemerkung.

Noch einmal zum Thema Nachfolgerinnen: Prominenteste Beispiele, die gerade im letzten Jahr gezeigt haben, dass dies auch in größeren, erfolgreicheren Unternehmen gut läuft, sind im Hause Trumpf die Firmenchefin, Frau Leibinger-Kammüller, und im Hause Würth Frau Bettina Würth. Beide sind hoch kompetente Unternehmerinnen, die sich effizient einbringen und die gute Beispiele auch für andere Familienunternehmen abgeben und zeigen, wie man es machen kann. Damit verbinde ich den Aufruf an alle Unternehmer: Denkt bei der Nachfolgeplanung und -regelung daran, dass ihr auch kompetente Töchter habt!

Ich bin sowieso sehr zuversichtlich. Die demografische Entwicklung wird dazu führen, dass wir die volkswirtschaftliche Verschwendung beenden, die darin besteht, Frauen zunächst gut auszubilden, sie dann jedoch nur am Herd stehen zu lassen. Ich muss hinzufügen: Ich koche sehr gern; das soll kein Argument gegen das Kochen sein. Aber ich möchte Frauen nicht nur auf diese Position beschränkt sehen, sondern jede Frau, die das will, soll die Chance haben, auch etwas anderes zu tun. Umgekehrt gibt es ja auch Männer, die gern kochen und dies selbstverständlich auch dürfen.

Die volkswirtschaftliche Verschwendung, die darin liegt, dass Frauen gerade in der Zeit, die Männer dazu nutzen, sich weiterzuentwickeln und sich für Führungspositionen zu qualifizieren, häufig familienbedingt ausscheiden, muss und wird ein Ende haben; da bin ich sehr zuversichtlich. Ich habe einen Brief vom Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertag erhalten, der uns auffordert, dafür zu sorgen, dass die Kinderbetreuung in Baden-Württemberg vorankommt. Uns als FDP/DVP freut es besonders, dass man dort die Forderung stellt, wir sollten endlich auf konsequente Subjektförderung umstellen. Das ist etwas, was wir schon lange wollen und woran wir weiterarbeiten müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Ich möchte noch auf etwas hinweisen – auch weil es manche nicht bemerken –: Gerade hier im Landtag hat sich einiges getan. Das gilt zwar nicht, wenn man die reine Frauenquote betrachtet; die entwickelt sich sehr langsam. Aber das, was sich

hier bewegt, ist z. B. die Tatsache, dass immer mehr Frauen hier im Haus Ausschussvorsitzende oder stellvertretende Ausschussvorsitzende sind, dass viele aktiv auch bei Themen reden dürfen, die „wichtig“ sind; das ist ja auch etwas, was sich erst entwickeln musste.

(Heiterkeit bei der SPD – Abg. Marianne Wonnay SPD: Welche Themen sind denn unwichtig? – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Was sind denn „wichtige“ Themen?)

„Wichtige“ Themen sind eben gerade die Themen, die man früher nicht unbedingt Frauen zugeordnet hatte. Das sind beispielsweise – heute Morgen wurde unsere ehemalige Kollegin Frau Brenner hier begrüßt – Wirtschaftsfragen, Finanzfragen und all das, was Männer sonst bisher noch für so wichtig gehalten haben, dass sie meinten, nur sie könnten dazu reden.

Auch früher gab es schon starke Frauen hier im Landtag. Ich erinnere an eine unserer Vorgängerinnen, Elly Heuss-Knapp, die sehr, sehr viel auch im Parlament bewegt hat. Aber wir haben inzwischen auch heute gute Beispiele, die für andere „Taten“ als Vorbild dienen können. Wir haben es geschafft, dass die Tagesmütter stark geblieben sind, indem wir den Landesverband weiter gefördert haben. Wir haben es geschafft, dass die Kontaktstellen „Frau und Beruf“ erhalten blieben.

Herr Hausmann, das muss man schon sagen: Sie haben das Wirtschaftsministerium angesprochen und gesagt, da gebe es noch viel zu tun. Sie müssen auch einmal schauen, was sich da alles tut. Da bewegt sich enorm viel, ohne dass groß gewirbelt wird. Ich habe mich sehr gefreut, als ich die Einladung zu den Frauenwirtschaftstagen bekommen habe, wo am Vorabend der Eröffnung erstmals Frauen – und zwar nur Frauen – geehrt werden, die in der baden-württembergischen Wirtschaft Außergewöhnliches geleistet haben.

(Minister Ernst Pfister: Frau Sitzmann, dafür sind Sie verantwortlich! – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Ehre, wem Ehre gebührt!)

Das ist ein wichtiger Ansatz, der positive Beispiele aufzeigt. Von daher glaube ich zwar nicht, dass, wie der Zukunftsforscher Horx es kürzlich benannt hat, das Jahrhundert der Frau anbrechen wird.

(Abg. Ute Vogt SPD: Das ist zu wenig! Jahrtausend!)

Das würde ich auch nicht für so ganz toll halten.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Meine Damen und Herren, ich darf um Ruhe bitten.

Ein Jahrhundert der Frau, das mag als Provokation für Aufmerksamkeit sorgen. Mir würde es nicht so sehr gefallen, weil ich schon immer gesagt habe – und ich stehe nach wie vor dazu –: „Gemeinsam sind wir stark!“ Das gilt nicht nur für die Frauensolidarität, die wichtig ist, sondern auch für gesundes und gutes Zusammenwirken mit den Männern.

Mein Dank gilt heute ausdrücklich all denen, die sich für die Belange der Frauen und damit gleichzeitig aller Menschen in

unserem Land einsetzen. Es gibt noch viel zu tun. Packen wir es gemeinsam an.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das Wort erhält Frau Ministerin Dr. Stolz.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das ist in der Tat ein wichtiges Thema, das heute unter Tagesordnungspunkt 1 zur Debatte steht: Arbeitsmarkt und Frauen. Es ist in der Diskussion ja schon deutlich geworden, dass es in der Tat noch gravierende Unterschiede zwischen Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt gibt.

Lassen Sie mich noch einige Ergänzungen auch zu den derzeitigen Rahmenbedingungen einbringen. Der baden-würt tembergische Arbeitsmarkt hat sich sehr erfreulich entwickelt. Er ist weiterhin von einer großen Dynamik gekennzeichnet. Die Arbeitslosenquote im Land ist im Spätsommer weiter gesunken und hat Ende September einen Stand von 4,7 % erreicht. Das sind 71 000 Menschen oder ein Fünftel weniger als im September letzten Jahres. Im Bundesdurchschnitt waren im September 2007 8,4 % arbeitslos. Baden-Württemberg ist damit vor Bayern weiterhin das Bundesland mit der niedrigsten Arbeitslosenquote. Ich denke, diese Zahlen sind wichtig, wenn man über den Arbeitsmarkt redet, und die Landesregierung wird auch weiterhin das Erforderliche tun, um diese Entwicklung zu unterstützen.

Ein fast noch wichtigerer Indikator für die Entwicklung des Arbeitsmarkts ist neben der Arbeitslosenquote auch die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Menschen. Auch hier können wir eine positive Entwicklung verzeichnen. Zum letzten Stichtag im Juli waren 3,8 Millionen Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt, das heißt 1,8 % mehr als im Juli letzten Jahres. Damit konnte auch hier eine Trendwende erreicht werden.

Heute stellt sich natürlich insbesondere die Frage, in welchem Umfang Frauen von diesen Entwicklungen profitiert und daran partizipiert haben. Die Erwerbstätigenquote von Frauen ist schon angesprochen worden. Sie ist in Baden-Württemberg mit 63 % sehr hoch. Sie liegt über dem Bundesdurchschnitt von 59 % und über dem Durchschnitt der EU-Länder, der bei 55 % liegt. Die Lissabon-Strategie der EU „Arbeit und Beschäftigung“ sieht vor, bis zum Jahr 2010 eine Frauenbeschäftigungsquote von 60 % zu erreichen. Dieses Ziel haben wir in Baden-Württemberg dank der guten Arbeitsmarktlage also bereits erreicht.