Diese in Bezug auf die Gesetzesintention katastrophale Einschätzung bezieht sich vor allem auf zwei Punkte: erstens darauf, dass Auszubildende nur noch fünf Tage Freistellung bekommen – übrigens eine Form von Ungleichbehandlung, die möglicherweise schon fast ein Fall für das Antidiskriminierungsgesetz sein könnte.
Auch bei den Begründungen, die hier immer wieder vorgetragen werden, habe ich manchmal den Eindruck, als würde das Wohl und das Wehe der baden-württembergischen Wirtschaft von den Freistellungstagen der Jugendgruppenleiter abhängen.
Zweitens geht es darum, dass in das neue Gesetz zusätzlich eine Versagungsklausel eingebaut wurde, neu hineinformu
liert wurde und ein wichtiger Punkt völlig verschwindet, der im alten Gesetz zumindest in einer Fußnote noch aufgetaucht war, nämlich der Vorrang der Jugendarbeit.
Alle Stellungnahmen, die vorliegen, nehmen einen zentralen Punkt völlig aus, weil man hier ohnehin kein Entgegenkommen erwartet: die Lohnfortzahlung. In Hessen ist das seit Jahren kein Problem, bei wechselnden Mehrheitsverhältnissen auch gesellschaftlich anerkannt: Hier finanziert das Land.
Ich finde es nun nicht so dramatisch, dass sich im internen Koalitionspoker auch einmal die FDP/DVP durchsetzen darf. Herrn Schebesta, so war in der Zeitung zu lesen, wäre es auch lieber, man würde von einer Freistellungshöchstdauer von zehn Tagen für alle ausgehen. Nein, meine Damen und Herren, wirklich problematisch finde ich, dass die Ökonomisierung aller Lebensbereiche auch vor Jugendarbeit und Ehrenamt offensichtlich nicht haltmacht.
Es scheint inzwischen fast alles in unserer Gesellschaft nur dann Bestand zu haben, wenn es betriebswirtschaftlich standhält, wenn es sich rechnet.
Die Jugendarbeit hat dann Pech gehabt. Sie rechnet sich nicht, aber sie lohnt sich, meine Damen und Herren.
Sie lohnt sich für den Einzelnen, sie lohnt sich für die Betriebe, und sie lohnt sich insbesondere für die Gesellschaft als Ganzes.
Dieser Mehrwert darf nicht nur proklamiert werden, sondern er muss systematisch gefördert werden. Genau dies tut der vorliegende Gesetzentwurf nicht.
Diese Einschätzung wird vielfach geteilt. Originalton Caritasverband der Erzdiözese Rottenburg-Stuttgart:
Abgesehen von der Senkung der Altersgrenze von 18 auf 16 Jahre sehen wir keine substanzielle Verbesserung gegenüber dem geltenden Gesetz. Daneben müssen wir an entscheidenden Stellen eine Verschlechterung konstatieren.
Es erheben sich Zweifel, ob die eigentliche Zielsetzung der Stärkung des Ehrenamtes in der Jugendarbeit erreicht werden kann.
Insgesamt ist der Gesetzentwurf enttäuschend. Die Nachteile überwiegen bei Weitem die zu erwartenden Verbesserungen.
Der Kommunalverband für Jugend und Soziales sieht besonderen Klarstellungsbedarf, was die Einbeziehung der örtlichen Organisationen der freien Jugendarbeit angeht – ein Aspekt, der in dem Gesetzentwurf überhaupt nicht auftaucht.
Der Landesjugendring merkt neben vielen sehr, sehr differenziert dargestellten Einzelpunkten kritisch an – ich zitiere hier wörtlich –:
... dass sich im gesamten Duktus des GE nicht das von der aktuellen Landesregierung proklamierte Klima für eine Zivilgesellschaft und bürgerschaftliches Engagement widerspiegelt. Er ist vielmehr sehr einseitig davon geprägt, den angeblichen ökonomischen Erfordernissen der Wirtschaft Rechnung tragen zu müssen. Die Belange der Arbeitgeber werden weit mehr in den Mittelpunkt der gesetzlichen Regelungen gerückt als die notwendigen Regelungen zur Stärkung des Ehrenamts in der Jugendarbeit. Die Väter (und Mütter) des Sonderurlaubsgesetzes von 1953 waren an dieser Stelle offensichtlich wesentlich weiter.
(Beifall bei der SPD und des Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE – Abg. Norbert Zeller SPD: Vernichtend! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Oh! Sag einmal!)
„Klärungsbedarf“, „Zweifel“, „enttäuschend“, „einseitig“, „Rückschritt“, „Verschlechterung“, „sachlich falsch“, „nicht nachvollziehbar“ – so schallt es aus allen mir vorliegenden schriftlichen Stellungnahmen.
Deswegen setze ich auf deutliche Nachbesserungen im parlamentarischen Verfahren, meine Damen und Herren. Ich plädiere auch dafür, der weiteren Behandlung eine öffentliche Anhörung vorzuschalten und neben dem Sozialausschuss auch den Schulausschuss damit zu befassen. Nach Jahrzehnten wirklich peinlichen Zauderns ist es nicht zu viel verlangt, die sehr differenzierten Stellungnahmen nicht nur einfach zu Protokoll zu nehmen, sondern sie auch ernst zu nehmen.
Erlauben Sie mir zum Schluss ein kurzes persönliches Wort an dieser Stelle: Ich gehöre persönlich zu denen, die seit Anfang der Siebzigerjahre in vielfältigen Funktionen für die Verbesserung dieses überholten Gesetzes gekämpft haben. Können Sie sich vorstellen, wie schwer es mir jetzt fällt, Ihnen hier und jetzt zu sagen, Sie sollten nichts überstürzen, Wünsche und Forderungen ernst nehmen, den Klärungsbedarf aufnehmen, alles nur nicht auf die Schnelle, nur damit jetzt nicht ein Gesetz verabschiedet wird, das unterm Strich eher eine Verschlechterung darstellt?
Ich komme zu meinem letzten Satz: Weil dies so ist, ist jede Form von Beweihräucherung dieses eingebrachten Gesetzes reine Ehrenamtslyrik.
(Anhaltender Beifall bei der SPD – Abg. Gundolf Fleischer CDU: Diese Regelung ist für den Sport weit besser!)
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich war, muss ich sagen, gespannt, wie die Regierung diese Gesetzesnovelle hier einführt und begründet. Ich muss sagen: Die Begründung, die hier vorgetragen wurde, ist überhaupt nicht nachvollziehbar und passt eigentlich auch nicht zu dem, was Sie in die Koalitionsvereinbarung geschrieben haben. Es passt auch nicht zu der Aussage, die Sie eben noch einmal betont haben, Baden-Württemberg sei d a s Land des bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland.
Das mag stimmen, und mit dem hier vorgelegten Gesetzentwurf folgen Sie pro forma auch den Reformbestrebungen, die es bundesweit gibt – in Hessen und in Rheinland-Pfalz hat man 2000 und 2001 die neuen gesetzlichen Grundlagen geschaffen –, dem Namen nach: Es geht um „Stärkung des Ehrenamtes“. Das ist so weit auch in Ordnung. Aber in der Realität nehmen Sie unter dem Deckmäntelchen dieses neuen Titels einen Abbau der Standards vor, die in dem Gesetz von 1953 enthalten waren – das muss man sich einmal klarmachen.
Ich habe mir die Begründung des hessischen Gesetzes angeschaut, und ich möchte hier auch gar nicht über die Finanzierungsfragen mit Ihnen diskutieren.
Nein, das ist nicht mein Vorbild. Aber ich will Ihnen jetzt einfach einmal einen Abschnitt aus der Begründung des hessischen Gesetzes von 2001 zitieren:
Die Wiedereinführung der unbezahlten Freistellung – wie sie vor 1983 geregelt war – kommt aus jugend- und sozialpolitischen Erwägungen nicht in Betracht. Dies würde der erklärten Zielsetzung des Landes, das Ehrenamt in allen Bereichen zu stärken, widersprechen und den notwendigen Ausbau der Anerkennung sowie Förderung des ehrenamtlichen Engagements junger Menschen infrage stellen.
So heißt es dort. – Ich möchte Sie bitten, in dem Gesetzgebungsverfahren zumindest die Verschärfungen, die Sie hier hereingebracht haben, wieder zurückzunehmen. Das ist meine Bitte.