Protokoll der Sitzung vom 11.10.2007

Bei der Onlinedurchsuchung gibt es überhaupt keine Frage: Wir lehnen sie ab, weil in der Abwägung von Bürgerrechten und Freiheitsrechten gegenüber Sicherheitsbedürfnissen bisher ohne jeden objektiven Nachweis behauptet wird,

(Abg. Hans Heinz CDU: Schily hat das noch anders gesehen!)

es würde sich daraus Wichtiges ergeben. Das ist nicht der Fall. Wer Bürgerrechte ernst nimmt, der muss die Notwendigkeit beweisen, in diese verfassungsmäßig geschützten Rechte einzugreifen. Dieser Beweis konnte mit den bislang vorgetragenen Argumenten nicht erbracht werden, auch heute nicht. Die allgemeine Idee, es könnte uns unter Bedrohungsgesichtspunkten irgendetwas entgehen und man müsste daraufhin später sagen: „Hätten wir das gehabt, dann wäre es vielleicht anders ausgegangen!“, genügt auf keinen Fall, um in Freiheits- und Bürgerrechte einzugreifen.

(Beifall des Abg. Peter Hofelich SPD)

Es ist immer noch außerordentlich wichtig, was Benjamin Franklin gesagt hat:

Wer um der Sicherheit willen auf die Freiheit verzichtet, hat zum Schluss überhaupt nichts mehr.

Nämlich weder Sicherheit noch Freiheit. Das müssen wir bei allen sicherheitspolitischen Entscheidungen sorgfältig und sachlich miteinander diskutieren.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE)

Meine Damen und Herren, wir kommen zurück zu Punkt 3 der Tagesordnung:

Nachwahl eines Mitglieds zum Staatsgerichtshof

Ich gebe das Ergebnis der Nachwahl zum Staatsgerichtshof bekannt:

Bei der Wahl wurden 100 Stimmzettel abgegeben. Auf Herrn Professor Dr. Reichold entfielen 99 Stimmen. Ein Abgeordneter hat sich enthalten.

Damit ist Herr Professor Dr. Hermann Reichold zum Mitglied des Staatsgerichtshofs mit der Befähigung zum Richteramt für die restliche Amtszeit des ausgeschiedenen Herrn Professor Dr. Ferdinand Kirchhof gewählt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP/DVP)

Wir fahren mit Punkt 4 fort:

Aktuelle Debatte – Terrorgefahr und Terrorbekämpfung in Baden-Württemberg – Jüngste Erfolge und künftige Erfordernisse – beantragt von der Fraktion der CDU

Ich erteile nun Herrn Abg. Sckerl das Wort.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Blenke, wir brauchen uns nicht darüber zu streiten: Der Verhaftungserfolg vom 4. September dieses Jahres und die Wochen und Monate, die dem vorausgingen, sind ein bedeutender Erfolg für unsere Sicherheitsbehörden. Das steht ohne Zweifel fest. Wir haben uns dafür auch bedankt; das ist keine Frage. Das ist unser gemeinsames Potenzial an Sicherheitspolitik.

Ich stelle aber gleichzeitig fest: Dieser versuchte Terroranschlag war nicht der erste, sondern der dritte in diesem Land. Verhindert wurde er auf der Grundlage bestehender Sicherheitsgesetze – entscheidend und maßvoll geprägt von der damaligen rot-grünen Bundesregierung; das darf ich in aller Deutlichkeit hinzufügen. Er wurde effektiv und mit Maßnahmen, die auf der Höhe der Zeit sind, verhindert.

Gerade die Verhaftung vom 4. September hat doch jeder Bürgerin und jedem Bürger gezeigt, dass die Polizei und die Nachrichtendienste offensichtlich in jeder Sekunde auf der Höhe der Zeit waren. Sie waren sogar in der Lage, in Freudenstadt das für den Bombenbau vorgesehene Gemisch zu entschärfen.

(Abg. Hans Georg Junginger SPD: Auszutauschen, ja!)

Das ist, wie ich denke, doch ein sehr deutlicher Beweis für die Einsatzfähigkeit, Ermittlungsfähigkeit und Kooperationsfähigkeit unserer Sicherheitsbehörden.

(Zuruf des Abg. Hans Heinz CDU)

Keine Frage: Der 4. September hat nochmals deutlich gemacht – und das stand ja nie in Abrede –, dass der islamistische Terrorismus eine kolossale Gefahr ist. Deutschland gehört zum Gefahrenraum und ist keine Insel der Glückseligen – schon lange nicht mehr. Darüber gibt es gar keine Diskussion. Die Diskussion findet statt über die Maßnahmen, mit denen wir diesen Terrorismus bekämpfen.

Nebenbei bemerkt, Herr Innenminister: Im Moment besteht ja die Gefahr, dass der Erfolg vom 4. September durch diese peinliche Debatte über die tatsächliche oder auch nur virtuelle Existenz der Dschihad-Union auf dem Spiel stehen könnte. Dazu werden wir Sie noch mit einem Antrag beglücken. Es bedarf ganz sicher der Aufklärung, wenn sich ein hochbefähigter Mitarbeiter unseres Landesamts für Verfassungsschutz dazu in entsprechend klarer, pointierter Weise auch im Fernsehen und in Tageszeitungen geäußert hat.

Aber ganz eindeutig ist: Anlass für politischen Alarmismus, so nenne ich es einmal, entsteht aus der Verhaftung vom 4. September nicht. Herr Blenke, Sie können daraus keinerlei Rechtfertigung und Notwendigkeit für zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen ableiten, auch keine Rechtfertigung für Onlinedurchsuchungen. Es war die übliche reflexartige Behauptung einen Tag danach, mit der Möglichkeit von Onlinedurchsuchungen wäre das kostengünstiger, personalsparender und schneller erfolgt. Allein der Beweis dafür konnte bis zum heutigen Tag nicht vorgelegt werden. Er wird auch nicht vorgelegt werden, weil die Technik, die Systematik der Onlinedurchsuchung genau diese Beschleunigung von Ermittlungs- und Fahndungstätigkeit gar nicht ermöglicht, sondern im Gegenteil eher erschwert.

Gestern gab es klare Signale aus Karlsruhe. Ich denke, die Union konnte gestern Abend ihre Pläne auch für Baden-Würt temberg zu Grabe tragen. Das wird in diesem Umfang, wenn es überhaupt kommt, nicht kommen. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts hat klargemacht, dass es ein modernes Grundsatzurteil geben wird, das weit über den Anlass, nämlich das Verfassungsschutzgesetz von Nordrhein-Westfalen, hinausgeht. Es geht um eine Neudefinition des Schutzes

der Privatsphäre, des Rechts auf Privatsphäre im digitalen Zeitalter. Das ist, denke ich, auch notwendig. Wenn im Jahr 2004 die Wanze im Wohnzimmer – Stichwort „Großer Lauschangriff“ – das große Thema war, so ist es im Jahr 2007 der Trojaner als Anhang zu einer gefälschten Behörden-E-Mail. Darüber muss Klarheit geschaffen werden. Es wäre im Übrigen ein Eingriff völlig neuer Qualität in Grundrechte, weil der PC zu Recht und nicht umsonst als Inbegriff der Privatsphäre im modernen digitalen Zeitalter gilt. Da haben wir einiges zu klären.

Im Übrigen stellt sich die Wirtschaft im Telekommunikationsbereich massiv gegen Ihre Pläne, egal, ob es die großen Updatefirmen sind, ob es Firmen sind, die Viren abwehren und Firewalls und Sicherheitssysteme produzieren, oder ob es sons tige Wirtschaftsunternehmen in Verbindung z. B. mit dem arabischen Raum usw. usf. sind. Auch da stoßen Ihre Pläne auf massive Ablehnung.

Das Problem, um das wir uns kümmern müssen – dazu dann in der zweiten Runde mehr –, ist das Thema „Polizeiausstattung im Lande Baden-Württemberg“. Die innere Sicherheit in diesem Lande steht in Zukunft, wenn nicht gehandelt wird, an dieser Stelle auf dem Spiel, und die Verantwortung dafür liegt ausschließlich bei der Landesregierung.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kluck.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Blenke, es geht mir so langsam auf den liberalen Geist, wenn Sie nun nach jedem verhinderten Terroranschlag nach neuen Gesetzen und zusätzlichen Eingriffsmöglichkeiten rufen.

Die Aufdeckung krimineller Pläne – Sie haben das selbst hier herausgestrichen – und die Festnahme dieser Banditen machen doch deutlich, dass Polizei und Verfassungsschutz mit den vorhandenen Mitteln erfolgreich sind.

(Abg. Hans Heinz CDU: Noch!)

Wir wollen sie darin stärken. Wir wollen, dass sie die vorhandenen Möglichkeiten ausschöpfen.

Ich will noch einmal klarmachen: Die Liberalen geben den Sicherheitsorganen das, was sie für ihre nicht leichte Arbeit brauchen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Wir ermuntern Polizei, Justiz und Verfassungsschutz, die vorhandenen gesetzlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. Wir sind uns aber auch beispielsweise mit Gewerkschaftsvertretern der Polizei im Bund wie im Land einig, dass diese von Ihnen wie eine Monstranz vor sich hergetragene Onlinedurchsuchung nicht notwendig ist und dass sie überhaupt nichts bringt.

Ich will jetzt nicht auf Ihren merkwürdigen Vergleich eingehen, auf Ihre Aussage, Mord sei ja auch strafbar und deswe

gen hätte der Justizminister unrecht, wenn er sage, wir bräuchten keine gesetzlichen Möglichkeiten. Das ist ja nun Käse, entschuldigen Sie. Auch terroristische Anschläge sind strafbar; aber so wenig, wie Sie einen terroristischen Anschlag mit Onlinedurchsuchung verhindern können, können Sie damit einen Mord verhindern.

Sie haben darauf hingewiesen, dass das nordrhein-westfälische Gesetz im Hause eines FDP-Ministers entstanden ist. Das ist richtig. Ich will nur der Vollständigkeit halber sagen, dass unter den Klägern sehr prominente FDP-Mitglieder sind.

(Abg. Stefan Mappus CDU: Das macht es aber eher schlimmer!)

Nein, Herr Kollege Mappus, das macht deutlich, dass wir Liberalen intensiv, hart und ernsthaft um die notwendigen Entscheidungen ringen, um dieser Terrorgefahr entgegenzutreten, dass wir aber nicht zu Schnellschüssen neigen. Es ist doch nicht hinnehmbar, was beispielsweise Herr Schäuble macht, wenn er mit immer neuen Schreckensszenarien die Menschen überzieht. Das ist doch keine Politik, die zu mehr Sicherheit beiträgt, sondern eine Politik, die zu größtmöglicher Verunsicherung der Bevölkerung führt.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der SPD und der Grünen)

Computerexperten haben es gestern bei der Verhandlung in Karlsruhe noch einmal deutlich gemacht: Es ist technisch unmöglich, bei der Überwachung die gesuchten Daten von den im Computer gespeicherten höchstpersönlichen Daten abzugrenzen. Das ist die Problematik. Das wird richtigerweise als Generalverdacht bezeichnet. Wenn man z. B. durch ein mit einer gefälschten Behördenmail installiertes Programm auf einem Rechner nach einem Wort wie meinetwegen „Wasserstoffperoxid“ sucht, liegen im Falle eines Treffers alle auf diesem Computer gespeicherten Daten vor. Dadurch wird die Privatsphäre in höchstem Maße verletzt. Ich sage Ihnen eines: Wir werden da nicht mitmachen, heute nicht, morgen nicht und übermorgen auch nicht.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Reinhold Gall SPD: Da sind wir ja gespannt, was in einer Woche pas- siert!)

Ich danke dem Kollegen Junginger für die Klarstellung, dass die SPD das auch nicht will. Allerdings weiß ich nicht, wie lange die Halbwertszeit dieser Äußerung ist.

(Unruhe bei der SPD)