Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Die Shell-Studie bringt es auf den Punkt: Mit einem wirklich glücklichen Leben verbinden Jugendliche in erster Linie Familie. Aber sie wissen auch ganz genau, dass es nicht einfach ist, Ausbildung, Beruf, Karriere, Partnerschaft und Kinderbetreuung unter einen Hut zu bringen. Die Folgen dieser Skepsis sind ja auch bekannt: hohe Kinderlosigkeit und ein Verschwinden der Mehr-Kind-Familien.
Familie ist also noch zeitgemäß. Aber die Rahmenbedingungen, die wir als Gesellschaft der Familie im 21. Jahrhundert zumuten, sind nicht mehr zeitgemäß. Wenn Baden-Würt temberg tatsächlich d a s kinder- und familienfreundliche Land sein soll, dann muss die Förderung der Familie zukünftig einen höheren Stellenwert einnehmen, und zwar nicht nur in Sonntagsreden, sondern auch im realpolitischen Tun. Es gilt, Prioritäten zu setzen und sich auf die Bereiche zu kon
zentrieren, in denen der größte Handlungsbedarf besteht. Dazu gehören vor allem der Ausbau der Kleinkindbetreuung, die Verbesserung der Qualität der Kinderbetreuung und die Bekämpfung sowie die Verhinderung von Armut.
Über den ersten Punkt – Ausbau der Kleinkindbetreuung – haben wir uns gestern Abend ja ausführlich unterhalten. Ich möchte nur einen Punkt nochmals aufgreifen, der auch die Kommunen betrifft. Im Hinblick auf die große Anstrengung, die wir von den Kommunen beim Ausbau der Kleinkindbetreuung erwarten, was auch mit dem von uns sehr begrüßten Rechtsanspruch auf Kleinkindbetreuung zu tun hat, ist das Land gefordert, seinen finanziellen Anteil an der Kleinkindbetreuung zu erhöhen und deshalb den von ihm übernommenen Anteil an der Finanzierung der Betriebskosten von derzeit 10 % auf 30 % zu erhöhen. Das ist übrigens auch eine Forderung der kommunalen Landesverbände, also des Gemeinde- und des Städtetags. Ohne diese Aufstockung wird es den Kommunen nicht möglich sein, bis 2013 ein bedarfsgerechtes Angebot für die Kleinkindbetreuung zu machen.
Der zweite Punkt, der auch im Hinblick auf die Bekämpfung und Verhinderung von Armut wichtig ist: Ohne eine Erhöhung des Landesanteils werden die Elterngebühren für die U3-Betreuung in vielen Orten höher sein als die Kindergartengebühren. Das trifft vor allem Alleinerziehende und sozial schwache Familien. Die sind dann ein weiteres Mal benachteiligt.
Aber für uns Grüne steht nicht nur die Quantität, sondern vor allem die Verbesserung der pädagogischen Qualität der Angebote im Mittelpunkt. Vorrangig ist für uns die Schaffung besserer Rahmenbedingungen für die U3-Betreuung und die Kindergartenbetreuung.
Damit komme ich auf den zweiten Punkt zu sprechen: kostenfreie Kindergärten. Ein gebührenfreies Kindergartenjahr oder gar ein kostenfreier Kindergarten liegt ja im Trend. Wir haben es gehört: Rheinland-Pfalz, Hessen und das Saarland haben es vorgemacht, Berlin zieht jetzt nach. Auch in BadenWürttemberg werden Forderungen nach einem kostenfreien Kindergarten laut. Zum einen werden sie vonseiten der SPD laut. Frau Vogt hat im Februar im „Vorwärts“ gesagt: „Zur Stärkung des Bildungsauftrags streben wir an, den Kindergarten insgesamt beitragsfrei zu stellen.“
wie die Forderung von Ministerpräsident Oettinger nach ei nem verpflichtenden und somit kostenfreien letzten Kindergartenjahr. Diese Forderung steht ja auch im Raum. Ein „kos tenfreies“ letztes Kindergartenjahr würde mindestens 51 Millionen € kosten.
Die Umsetzung des Bildungsauftrags, liebe Kolleginnen und Kollegen, hängt nicht von der Kostenfreiheit ab. Im Gegenteil, wir brauchen zunächst eine Qualitätsverbesserung im Kindergarten. Dann können wir über Beitragsfreiheit reden.
Wünschenswert ist viel. Wir müssen aber auch entscheiden, was machbar ist. Ich frage Sie: Ist die Schaffung des kostenfreien Kindergartens im Augenblick wirklich das Problem?
Schon jetzt besuchen doch ca. 97 % aller Kinder den Kindergarten im letzten Kindergartenjahr. Also geht es doch nicht um eine Frage der Quantität, sondern es ist eine Frage der Qualität, wenn Kinder im Übergang zur Schule nicht schulfähig sind. Da ist ein verpflichtendes letztes Kindergartenjahr die falsche Antwort auf ein richtig erkanntes Problem.
Dieses Problem lösen wir auch nicht durch eine Vielzahl unzusammenhängender Modellprojekte. Wir reduzieren die Diskussion um die Qualität in der frühkindlichen Bildung im Augenblick auf den Übergang zur Schule. Das ist ein Fehler. Eine umfassende Bildung von Anfang an kann nur durch eine Stärkung der Kernbereiche des Kindergartens gelingen, das heißt durch eine Verbesserung der Rahmenbedingungen. Wir brauchen also kleinere Gruppengrößen, einen anderen Personalschlüssel und eine andere Qualifikation der Erzieherinnen. Deshalb hat für uns zunächst einmal Qualität Vorrang vor Kos tenfreiheit.
Ich möchte dabei auch nicht missverstanden werden. Wir sind selbstverständlich dafür, dass Kindergärten mittelfristig kos tenfrei sind. Aber in einer Zeit, in der wir noch Gruppengrößen mit bis zu 28 Kindern haben – bei einem Schlüssel von 1,5 Fachkräften –, ist an Kostenfreiheit nicht zu denken. Denn Qualitätsverbesserung und der Ausbau der U3-Betreuung kos ten einfach viel Geld. Die Mittel dafür stehen bei uns an ers ter Stelle. Wenn diese Ziele erreicht sind, dann können wir über die Kostenfreiheit der Kindergärten reden.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Familien sind in ihrer Ausgestaltung heute so vielfältig wie die Gesellschaft insgesamt. Deswegen ist es schwierig, von d e r Familie und von den Problemen d e r Familie zu reden. Wir neigen manchmal dazu, dass wir uns, wie gegenwärtig, auf ein ganz spezielles Thema in der Familienpolitik beschränken und anderes ausblenden.
Deswegen glaube ich, dass es insgesamt richtig ist, sich auch einmal über die Aufgabenverteilung, also die Frage, wer wofür zuständig ist, Gedanken zu machen.
Ich habe es schon in der gestrigen Debatte über Kinderbetreuung gesagt: Ich bin der Meinung, dass Kinderarmut und Familienarmut in einer so reichen Gesellschaft wie der unsrigen ein Skandal sind.
Das kann im Grunde nicht durch Einzelmaßnahmen vor Ort oder auch durch Maßnahmen seitens des Bundes, von dem jetzt z. B. wieder vorgeschlagen wird – an sich richtigerweise – –
Herr Müntefering sagt, für Hartz-IV-Empfänger solle jetzt ein Schulstarterpaket mit einer Zulage von, glaube ich, 150 € beschlossen werden. Das macht in der Summe 20 Millionen €, die der Bund an Hartz-IV-Empfänger geben soll. Es ist ja schön, dass man dieses Problem jetzt erkannt hat. Aber das ist zu kurz gegriffen.
Wir versuchen immer wieder, an einzelnen Stellen kleinere Reparaturen zu machen. Ich kann nur noch einmal wiederholen: Wir müssen die Familienförderung in ein Gesamtkonzept „Steuer- und Transferrecht“ einbinden. Dazu liegen Konzepte vor. Wir sagen: Gebt den Kindern genau wie jedem Erwachsenen in der Familie den gleichen Anspruch auf eine Grundsicherung. Das nennt sich dann Steuerfreibetrag und bewegt sich bei 7 700 € und einem entsprechenden Kindergeld. Dann haben wir einmal die finanzielle Basis, für die der Bund zuständig ist – unabhängig davon, ob jemand arbeitslos ist, ob er arbeitet und wenig verdient oder ob er Steuern zahlt, sich etwas leisten kann und deswegen keiner Subventionierung bedarf.
Mein medizinischer Hintergrund verführt mich immer wieder dazu, zu sagen: Polypragmasie – ganz vieles an vielen Stellen zu tun – ist in der Medizin immer ein Zeichen dafür, dass man nicht so richtig weiß, was man machen soll.
(Abg. Thomas Blenke CDU: Beim Zahnarzt heißt das, er zieht vorsichtshalber alle Zähne! – Weitere Zurufe)
Das zieht sich nahtlos durch. Es gibt ja immer wieder gute Vorschläge. Liebe Kollegin Wonnay, Sie haben mich zitiert: „Wir sind noch ein ganzes Stück davon entfernt, ‚Kinderland‘ Nummer 1 zu sein.“ Es ist in der Tat so. Bei uns gibt es viele unterschiedliche Modelle. Aber irgendwann müssen wir schon auch einmal versuchen, von der Polypragmasie in eine Richtung zu kommen, damit wir die Kernpunkte und Leitlinien festlegen können.
(Abg. Marianne Wonnay SPD: Ich dachte, Sie sind an der Regierung! – Zuruf der Abg. Katrin Altpeter SPD)
Herr Kollege Noll, Sie haben von Einzelmaßnahmen gesprochen. Ich möchte von Ihnen wissen, ob Sie es für falsch halten, wenn alle Kinder die Möglichkeit erhalten sollen, ein warmes Mittagessen zu be
Wenn dem nicht so ist: Was tun Sie als regierungstragende Fraktion hier in diesem Land konkret dafür?
Die andere Frage: Sie haben ein Gesamtkonzept mit Steuerfreibeträgen vorgestellt. Ist Ihnen klar, dass Steuerfreibeträge denen zugute kommen, die Steuern zahlen,
(Abg. Reinhold Gall SPD: Natürlich ist ihm das klar! – Zuruf von den Grünen: Manche zahlen aber gar keine Steuern, weil sie kein Einkommen haben! – Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Das ist doch Quatsch!)
dass wir aber gerade bei denjenigen Menschen Probleme haben, die wenig Einkommen oder gar kein Einkommen haben?