Protokoll der Sitzung vom 08.11.2007

(Beifall bei der SPD)

Insbesondere – das will ich zur FDP/DVP sagen – Ihr Justizminister, Ihr Integrationsbeauftragter hat volles Verständnis für die Position der Stadt Rastatt gezeigt. Da frage ich mich: Wäre er – dazu noch als Justizminister, der für Recht zuständig ist – hierfür nicht auch von Ihnen zu kritisieren?

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Norbert Zeller SPD: Er hat nicht einmal das Recht!)

Von der integrationspolitischen Seite, also von der Frage, ob es vernünftig war, was er dazu gesagt hat, will ich hier erst gar nicht reden. Aber er hat eine rechtlich unzulässige Auffassung toleriert und hat das noch unterstützt. Sie sollten einmal dazu Stellung nehmen und sagen, wie Sie das heute sehen. Das wäre Ihre Aufgabe.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Das ist ei- ne Verkennung der Situation! – Abg. Alfred Winkler SPD: Schweigen im Walde!)

Meine Damen und Herren, wir haben in unserem Bildungssystem das grundsätzliche Problem – das betrifft auch Kinder mit Migrationshintergrund –, dass es uns noch nicht in ausreichendem Umfang gelungen ist, Bildungserfolg von der sozialen Herkunft unabhängig zu machen.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das liegt aber nicht am muttersprachlichen Unterricht! Mit Sicher- heit nicht!)

Das ist die große Aufgabe. Darunter leiden die Kinder aus bildungsferneren Schichten, die in unserem Schulsystem nicht zurechtkommen.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das hat doch nichts mit muttersprachlichem Unterricht zu tun!)

Das hat im Übrigen auch die Präsidentin des Statistischen Landesamts in einem bemerkenswerten Aufsatz festgestellt:

Bildungsferne Schichten haben es schwer, in unserem Bil dungssystem Fuß zu fassen. Der enge Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und sozialer Herkunft sollte für uns die zentrale Herausforderung darstellen.

Daran haben wir zu arbeiten, meine Damen und Herren. Das wäre der vernünftige Weg.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das liegt an den Hausaufgaben, nicht am muttersprachlichen Unter- richt!)

Deshalb können wir auch das Anliegen, das hier zum Ausdruck kommt, grundsätzlich unterstützen, wobei es in den einzelnen Fragestellungen sicherlich noch Modifizierungen gibt. Da muss man nicht jedes Komma und jeden Punkt genau übernehmen.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: So weit kommen wir gar nicht! Da müssen Sie keine Sorge haben!)

Aber die Zielrichtung stimmt.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Renate Rastätter GRÜNE)

Für die FDP/DVP erteile ich Frau Abg. Dr. Arnold das Wort.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Jetzt warte ich schon zwei Tage auf den Kollegen Kluck! Der kommt nicht! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Der Justizminister ist reif für den Rücktritt! Wo ist er denn? Ist er im Ur- laub? – Gegenruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/ DVP: Nein, er ist auf der Justizministerkonferenz! Das können Sie uns nicht vorwerfen!)

Sehr verehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Rastätter, Sie machen mir wirklich Spaß. Sie haben jetzt wieder ganz massiv unseren Justizminister angegriffen, wie schon in der Debatte im März 2007. Das Thema wurde ja schon angesprochen. Dabei hat er nur das gemacht, was Sie heute auch machen. Er hat die Frage gestellt: Ist der derzeitige Konsulatsunterricht noch zeitgemäß? Ist er nicht vielmehr ein Integrationshindernis?

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Dr. Hans-Peter Wet- zel FDP/DVP: So ist es!)

Genau diese Frage haben Sie heute auch gestellt. Wir freuen uns über diese Kehrtwende, aber Sie sollten schon ehrlich sein.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Er wollte die Mit- tel für den muttersprachlichen Unterricht streichen! Das ist etwas ganz anderes! – Gegenruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Lassen Sie sie doch einmal ausreden!)

Lassen Sie mich einmal ausreden. – Sie haben durch Ihren massiven Angriff und durch Ihre Haltung in dieser Landtagsdebatte entscheidend dazu beigetragen, dass das Konsulatsmodell mehrheitlich im Landtag bestätigt worden ist, und jetzt wollen Sie die Kehrtwende. Das müssen Sie uns erst einmal erklären.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Karl Zim- mermann CDU – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Sehr richtig!)

Was Herrn Professor Goll und seine Fähigkeiten als Justizminister anbelangt, möchte ich Sie auf Folgendes hinweisen: Das Urteil – ich habe hier einiges in der Hand –, das Sie soeben zitiert haben, ist eine vorläufige Anordnung. Die Entscheidung in der Hauptsache hat noch gar nicht stattgefunden. Diese muss erst stattfinden. Es ist eine einstweilige Anordnung, damit die Nachteile, die der türkischen Gruppe hier entstehen, nicht zu groß werden. Das heißt, das Hauptsacheurteil ist noch gar nicht gesprochen. Das sollten Sie auch einmal zur Kenntnis nehmen.

(Abg. Gunter Kaufmann SPD: Setzen Sie auf eine an- dere Lösung?)

Meine Damen und Herren, jetzt zum eigentlichen Thema. Wir haben einen Antrag vorliegen. Ich habe eben schon erläutert, dass dieser in meinen Augen eine Kehrtwende darstellt. Wir begrüßen dies, und wir begrüßen den Erkenntniszugewinn, der daraus ersichtlich ist.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Das haben wir schon seit zehn Jahren gefordert!)

Frau Rastätter, auch Sie stellen jetzt die Frage: Ist dieser Konsulatsunterricht eigentlich noch zeitgemäß?

Sie haben in Ihrem Antrag einiges angesprochen, das durchaus unsere Unterstützung findet – das wurde auch von meinen Vorrednern schon erwähnt –: Mehrsprachigkeit mit Blick auf den Europäischen Binnenmarkt, bilinguale Schulen, mehr Migranten, die als Lehrer tätig werden, Verhandlungen mit den Konsulaten – alles d’accord! Aber eines müssen Sie mir einmal ein bisschen konkreter erklären – Frau Krueger hat es ja auch schon angesprochen –: Ich habe hier ein konkretes Beispiel zu dem, was Frau Krueger sagte. In einer Grundschule in Stuttgart mit 450 Schülern haben wir 37 verschiedene Herkunftssprachen. Jetzt möchte ich doch gern einmal von Ihnen erklärt bekommen, wie Sie das in den regulären Unterricht einbauen wollen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Dietmar Bachmann FDP/DVP: Nicht ganz sauber!)

Muttersprachlicher Unterricht, meine Damen und Herren, ist in jedem Fall sinnvoll; völlig klar! Aber im zweiten Teil Ihres Antrags, dem Beschlussteil, fordern Sie – ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren –,

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Der braucht keine Er- laubnis zu geben!)

alle EU-Staaten zu verpflichten, Kindern mit Migrations hintergrund gleiche Bildungschancen zu gewähren.

Wir müssen nicht erst über die EU verpflichtet werden, diese Aufgabe zu erfüllen; wir erfüllen diese Pflichtaufgabe längst. Wir sind längst dabei, genau diese Pflicht zu erfüllen.

Wir wissen: Ein schulisches Angebot in unserem Land muss allen Kindern eine erfolgreiche Bildungslaufbahn ermöglichen, unabhängig davon, welchen sozialen und ethnischen Hintergrund sie haben. Hierzu müssen diese Kinder aber zunächst einmal ausreichend Deutsch können, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das ist unsere Pflichtaufgabe. Wir haben in der gestrigen Debatte schon festgestellt, dass diese Pflichtaufgabe bereits mit dem Eintritt in den Kindergarten beginnt, und haben uns klargemacht, wie viel gerade in diesem Bereich noch zu tun ist – im Kindergarten, in der Grundschule, in der Hauptschule –, damit die Kinder richtig Deutsch sprechen lernen. Hierfür zu sorgen, ist unsere Pflicht, und dieser Pflicht kommen wir nach.

Ich möchte noch ein Problem ansprechen, das mich im Moment sehr intensiv beschäftigt und mir große Sorgen bereitet. Ich glaube, ursprünglich sind wir alle einmal davon ausgegangen, dass sich Menschen aus anderen Ländern, die bereits in der dritten Generation in diesem Land leben, weitgehend integriert haben sollten. Aber tatsächlich findet eine gegenläufige Entwicklung statt.

(Zuruf von der CDU: So ist es!)

Gerade in der dritten Generation der Migrantinnen und Migranten in unserem Land, der Enkelgeneration, stellen wir eine Entwicklung fest, die uns mit großer Sorge erfüllt. Die Parallelgesellschaften haben sich so verfestigt, dass etwa junge Frauen, die – mehrheitlich aus der Türkei – nach Deutschland kommen, um hier verheiratet zu werden, hier in Deutschland dann ein türkisches Leben leben können, ohne ein einziges deutsches Wort zu sprechen. Diese Frauen jedoch sind die Mütter der uns anvertrauten Kinder. Jedes dritte Kind unter fünf Jahren ist heute ein Kind mit Migrationshintergrund. Das bedeutet, dass diese Kinder nur dann reale Bildungschancen in unserem Land haben, wenn wir auch an die Elterngeneration herantreten.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Wir freuen uns über jeden, der zu uns kommt. Damit es nicht falsch verstanden wird: Wir betrachten jeden türkischen Mitbürger und jede türkische Mitbürgerin in unserem Land als eine Bereicherung für unsere Gesellschaft. Aber wir müssen der jungen türkischen Elterngeneration klarmachen,

(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Warum immer nur der türkischen?)

dass sie mithelfen muss, um den Bildungserfolg ihrer Kinder zu gewährleisten.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Diese jungen Mütter müssen also zunächst einmal Deutsch lernen, denn sonst können sie diese Aufgabe ja gar nicht leis ten.

Wie so etwas aussehen kann – und damit möchte ich meine Rede schließen –, ist mir gerade in Form einer Einladung auf den Tisch gelegt worden. Die Robert Bosch Stiftung wird am 5. Dezember 2007 den Deutschen Schulpreis 2006 verleihen. Der Hintergrund ist: Eine Grundschule in Dortmund bekommt den Preis deshalb – und hier möchte ich mit Erlaubnis des Präsidenten zitieren –:

(Abg. Ingo Rust SPD: Das brauchen Sie gar nicht! – Abg. Norbert Zeller SPD: Sie dürfen ohne Erlaubnis zitieren!)

Schon neun Monate vor der Einschulung macht sich die Schule mit Lebenssituation und Entwicklungsstand der Kinder vertraut, und sie berät die Eltern