Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit der Zweiten Beratung sind wir auf der Zielgeraden der Zustimmung des Land
tags zu den zentralen Vertragswerken zwischen dem Land Baden-Württemberg und seinen Kirchen. Mit dieser Verabschiedung kommt klar und unmissverständlich zum Ausdruck: Wir führen das jahrzehntelang bewährte Miteinander des Landes mit den Kirchen auf einer sehr vertrauensvollen Basis fort.
Mit dem Gesetz zu dem Evangelischen Kirchenvertrag vom 17. Oktober 2007 und zu der Römisch-katholischen Kirchenvereinbarung vom 31. Oktober 2007 regeln wir wichtige Sachverhalte, bündeln bestehende Rechte und Pflichten beider Seiten und schaffen damit ein Höchstmaß an Rechtssicherheit.
Wichtige Eckpunkte sind: Die Rechtsverhältnisse der Evangelisch-Theologischen Fakultäten an den Universitäten Heidelberg und Tübingen werden nun in aller Klarheit geregelt, sodass künftig eine reibungslose Kooperation zwischen Land und Kirchen zu erwarten ist. Gleiches gilt für den von kirchlichen Kräften erteilten Religionsunterricht einschließlich der Ersatzleistungen für diesen Unterricht. Es gibt eine Dynamisierung der staatlichen Leistungen in einem angemessenen Umfang. Hier wurde ein fairer Kompromiss erzielt. Damit ist auch klargestellt, dass Religionsunterricht in unserem Land weiter Priorität hat. Die eigenständige Arbeit kirchlicher Bildungseinrichtungen und der Diakonie wird ebenso garantiert wie das Seelsorgegeheimnis.
An dieser Stelle gehe ich auf die kritischen Anmerkungen des Rechnungshofs zu dem Kirchenvertrag ein. Es ist zunächst bedauerlich, dass die betreffende Stellungnahme des Rechnungshofs an die Öffentlichkeit gelangt ist, bevor sie dem Landtag vorgelegt wurde. Völlig unproblematisch wäre ein geordnetes Verfahren der Information der Öffentlichkeit gewesen. Unser ganzes Gesetzgebungsverfahren ist ja öffentlich. Aber so sind in Presseartikeln nur kursorisch einige Punkte benannt worden, ohne dass zu einem geeigneten Zeitpunkt der notwendige Tiefgang einer sachlichen Diskussion in der Öffentlichkeit möglich war.
Im Interesse der Kirchen und des Landes ist deshalb an dieser Stelle klarzustellen, dass die Kritik des Rechnungshofs aus unserer Sicht sachlich nicht überzeugt.
Erstens: Der Rechnungshof sagt, mit Blick auf die Auslastung der Evangelisch-Theologischen Fakultäten seien die Garantieleistungen des Landes zu hoch bemessen. Der Beurteilungszeitpunkt ist offenbar nur das Jahr 2003, in dem die Auslas tung knapp 40 % betrug. Wir hätten vom Rechnungshof erwartet, dass er, wenn er schon Anmerkungen macht, Durchschnittszahlen für die Auslastung der Fakultäten zugrunde legt. Denn aktuell liegt die Auslastung in Tübingen bei un gefähr 80 %, in Heidelberg bei 119 %. Ich glaube, wir brauchen eine verlässliche, gute Mittellösung. Die ist erzielt worden, und deswegen teilen wir die Kritik des Rechnungshofs nicht.
Zweitens kritisiert der Rechnungshof, dass die Lehrstühle an den Evangelisch-Theologischen Fakultäten künftig nur noch mit Zustimmung des jeweiligen Oberkirchenrats besetzt wer
Der Rechnungshof argumentiert, diese Entscheidung im Rahmen des Vertrags – ich zitiere – beeinträchtige die Unabhängigkeit der Evangelisch-Theologischen Fakultäten und damit der Universitäten. Aus unserer Sicht ist es stattdessen schlüssig und richtig, dass die theologische Ausbildung durch Personen verantwortet werden muss, die das Vertrauen der Kirchen haben, weil die Auszubildenden später auch für die Kirchen tätig sind.
Wir sehen, das ist eine politische Grundsatzfrage – keine fiskalische, nur im nachgelagerten Bereich. Deshalb an dieser Stelle gegenüber dem Rechnungshof eine Klarstellung: Der Rechnungshof hat in unserem Land eine sehr wichtige Aufgabe. Das ist keine Frage. Aber die politischen Entscheidungen müssen wir gemeinsam hier im Landtag treffen. Wir werden aus Überzeugung Artikel 3 des Kirchenvertrags zustimmen.
Meine Damen und Herren, bei der konkreten Ausgestaltung des Berufungsrechts zeigen sich quasi exemplarisch das Grundverständnis unsererseits in Bezug auf die Arbeit der Kirchen und auch unser Grundvertrauen. Deshalb ist der Artikel 30 des Kirchenvertrags keine technische Kündigungsklausel, sondern eine Regelung, die auf Vertrauen basiert. Wenn wesentliche Änderungen der Verhältnisse gegenüber dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses eingetreten sind, dann setzt man sich zusammen, bespricht dies miteinander und passt den Vertragsinhalt einvernehmlich an.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Vereinbarungen und darüber hinaus die Zusammenarbeit des Landes, unseres Staates mit den Kirchen sind von grundsätzlicher Bedeutung. Sie ist aktueller denn je. Warum ist das so? Professor Böckenförde hat es auf die klassische Formel gebracht:
Damit sind in erster Linie die gemeinsamen Werte und die daraus resultierende Kultur zu verstehen. Er hat recht. Mehr denn je sind wir in unserer Gesellschaft, sind wir in Europa wie in Deutschland wie bei uns in Baden-Württemberg darauf angewiesen, Werte einer gemeinsamen Orientierung wieder zu stärken. Nicht ausschließlich, aber in ganz besonderem Maße sind das die christlichen Grundwerte und die daraus entwickelten Grundsätze der Menschenwürde und der Humanität. Dabei nehmen die christlichen Kirchen in unserem Land nach unserem Verständnis eine Schlüsselrolle ein. Darauf sind wir gemeinsam angewiesen.
Auch deshalb wird in dem Vertrag zwischen dem Land und den Kirchen ausdrücklich auf die christlichen Werte und insbesondere auf Artikel 12 unserer Landesverfassung Bezug genommen. In Artikel 6 des Evangelischen Kirchenvertrags – Erziehungsziele – heißt es – ich zitiere –:
Die Jugend ist in der Ehrfurcht vor Gott und im Geiste der christlichen Nächstenliebe zu erziehen. Das Land und die Kirchen wirken im Bewusstsein ihrer unterschied lichen Aufträge und Aufgaben als verantwortliche Träger der Erziehung zusammen.
Die Grünen, Herr Kollege Kretschmann, haben bei der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs gefordert – und dies nicht zum ersten Mal –, das Wort „christlich“ in diesem Vertrag und darüber hinaus in Artikel 12 der Landesverfassung zu streichen und durch einen säkularen Begriff zu ersetzen.
Die CDU-Fraktion lehnt diesen Vorstoß der Grünen auf Streichung des Wortes „christlich“ aus unserer Landesverfassung strikt ab.
(Beifall bei der CDU und des Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Bra- vo!)
Warum? Alle Gottesbezüge und der Hinweis auf die christlichen Werte sind nicht deshalb nach 1945 ins Grundgesetz und 1953 in die Landesverfassung gekommen, weil sie damals „en vogue“ gewesen wären. Maßgeblicher Grund dafür waren für die Mütter und Väter unserer Verfassung die Erfahrungen mit dem totalitären Dritten Reich. Es war eine bittere Erkenntnis, dass ein Staat nur mit Werten neu aufgebaut werden kann. Man wollte damals bewusst eine Werteverankerung in der Verfassung, auch in bewusster Abkehr von einer materialistischen Weltanschauung.
Es wurde in Artikel 12 der Landesverfassung kein „evangelisches“ und kein „katholisches“, sondern ein zentral „christliches“ Ziel formuliert, das edelste zumal: das Gebot der Nächstenliebe. Es ist nicht zu verstehen, dass man genau dieses Ziel streichen will.
Unsere Verfassung, unser Staat ist gegenüber der Vielzahl von Überzeugungen, Lebensstilen, Verhaltensformen offen und neutral. Das gilt in intensiver Weise gegenüber religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen. Dieser Freiheitsraum ist insbesondere garantiert durch das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in Artikel 2 des Grundgesetzes, durch die Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit in Artikel 4 des Grundgesetzes und durch die Meinungsfreiheit. Die gleichen Rechte sind ja in die Landesverfassung mit aufgenommen worden.
Sie, Herr Kretschmann, haben bei der ersten Lesung argumentiert, das Wort „christlich“ müsse gestrichen werden, weil sich theoretisch jeder Bürger mit der Verfassung identifizieren können müsse, also auch ein Nichtchrist. Nach meiner Überzeugung ist es abwegig, zu glauben, man könne eine Verfassung schaffen, mit der sich theoretisch jeder identifizieren kann. Das kann man schon daran sehen, dass wir in der Bevölkerung auch Nichtdemokraten haben, und die wollen wir hier mit Sicherheit nicht einbeziehen.
Eine Verfassung braucht ein wertebasiertes Grundfundament. Das ist bei uns nicht nur historisch das Christentum. Noch heute gehören zwei Drittel der Bevölkerung der evangelischen oder der katholischen Kirche an. Deshalb setzen wir auch bei den Angehörigen anderer Religionen oder den Vertretern anderer Weltanschauungen – die es bei der Verabschiedung der Landesverfassung übrigens auch schon gab – darauf, dass sie dieses Grundfundament respektieren.
Mich hat beeindruckt, was eine aufgeklärte Muslima, nämlich Seyran Ates, eine Rechtsanwältin, die besonders für die Rech
te muslimischer Frauen in Deutschland eintritt, zu diesem Thema gesagt hat. Erst vor Kurzem hat sie gesagt, als überzeugte Muslima denke sie dankbar daran, die christliche Ethik in der Schule kennengelernt zu haben.
Hier zeigt sich an einem ganz konkreten Fall, wie eine Muslima mit unserem freiheitlichen Wertesystem bestens zurechtkommen und dennoch ihre eigene Identität bewahren kann.
Die Gefahr droht uns von einer ganz anderen Seite, wie ein aufgeklärter Vertreter des Islam, Bassam Tibi, ausgeführt hat. Bassam Tibi sagt:
Zivilisatorische Selbstverleugnung hat wertbeliebigen Multikulturalismus zur Folge und führt zu Parallelgesell schaften und Gettos.
Er hat recht. Multikulturalismus als Konzept ist gescheitert; das wissen wir inzwischen längst. Was wir brauchen, sind mehr gemeinsame Werte in unserer Gesellschaft. Hierfür leis ten die Kirchen einen unersetzlichen Beitrag für die Menschen und damit auch für unseren freiheitlichen Rechtsstaat. Denn der ist – nicht ausschließlich, aber in besonderer Weise – darauf angewiesen, dass christliche Grundwerte weitervermittelt und natürlich auch praktisch gelebt werden.
Wir bekennen uns auch dazu, dass dies im Vertrag und in unserer Verfassung ausdrücklich verankert wird und verankert bleibt.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, den Kirchen für ihren Einsatz im sozialen Bereich, im Bildungsbereich, aber auch – und dies heute ganz besonders – für die unersetzliche Vermittlung christlicher Grundwerte in unserer Gesellschaft zu danken.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die CDU-Fraktion stimmt den Vertragsentwürfen zu und verbindet damit die Erwartung, dass es zum Wohle der Menschen auch weiterhin zu einer vertrauensvollen und erfolgreichen Zusammenarbeit mit den Kirchen in unserem Land kommt.
Sehr verehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der zweiten Lesung des Gesetzentwurfs zu dem Staatskirchenvertrag möchte ich auf einige Einzelpunkte eingehen, nachdem ich bei der ersten Lesung eher grundsätzliche Ausführungen gemacht habe.
Zu Beginn jedoch noch einige eher grundsätzliche Worte: Dieser Vertrag ist ein Verhandlungsergebnis; darauf hat auch Herr Kollege Dr. Schüle schon hingewiesen. Er stellt eine Art Kompromiss dar, den beide Seiten für zustimmungswürdig erach
ten. In diesem Zusammenhang möchte auch ich kurz auf die öffentliche Kritik des Landesrechnungshofs an dem Vertragswerk eingehen.
Gerade als Vorsitzender des Finanzausschusses, der natur gemäß sehr eng mit dem Rechnungshof zusammenarbeitet, möchte ich kurz Folgendes festhalten:
Ich halte es für legitim, dass sich der Rechnungshof zu Wort meldet, auch wenn, wie hier, ein Rechtsakt gerade erst im Entstehen begriffen ist. Dem Rechnungshof zu verordnen, zu warten, bis das berühmte Kind in den Brunnen gefallen ist, halte ich für falsch. Ich halte es auch für richtig, dass sich der Rechnungshof öffentlich zu Wort meldet. Was ich allerdings für problematisch erachte, ist, dass sich der Rechnungshof aus einem sehr komplexen Gesamtwerk einen einzelnen Punkt herausgreift und sich an diesem Punkt – Sie verzeihen mir die Formulierung, Herr Präsident – regelrecht festbeißt, ohne eine Abwägung mit den vielen anderen Bereichen, die in diesem Vertragswerk geregelt sind, vorzunehmen. In diesem Fall wäre nämlich tatsächlich eine Abwägung gefragt gewesen.
Ich habe bei der ersten Lesung bereits angekündigt, dass die SPD-Fraktion dem Gesamtwerk zustimmen wird. Trotzdem möchte ich noch einige Punkte kritisch ansprechen und damit doch etwas Wasser in den Wein gießen.
Zunächst zum Thema Religionsunterricht: Der Religionsunterricht ist in Baden-Württemberg ordentliches Lehrfach. So ist es in der Landesverfassung festgeschrieben. Das heißt, die Landesregierung hat die Pflicht, zu gewährleisten, dass Religionsunterricht stattfindet.