Der Wald musste schon immer ziemlich viel aushalten, ob es nun die Kohlenmeiler des ausgehenden Mittelalters als Vorstufe zur Industrialisierung waren oder der Sturm und Drang der Romantik und die daraus resultierende Waldeslust. Der Brennholzverbrauch pro Kopf war zu Beginn des 20. Jahrhunderts genauso groß wie heute, mit einem Unterschied: Heute
wird Holz auch zur Papierherstellung benutzt, damals ausschließlich zum Heizen. Zudem musste der Wald auch einen Raubbau durch Reparationsleistungen nach dem Krieg aushalten, den sauren Regen der Achtzigerjahre, die großen Stürme Lothar und Wiebke, die Borkenkäferplage aufgrund der milden Winter und die Verwaltungsreform in der Forstwirtschaft, die Herrenreiter früher und die Mountainbiker heute sowie die noch immer zunehmende Wildschweinpopulation. Der Wald ist in Mode bei Joggern, Nordic Walkern, Downhillbikern. Er ist Lebensraum für die urbane Gesellschaft.
Und nun ist er als Thema einer Aktuellen Debatte auch ins Visier der FDP/DVP geraten. Aktuell, lieber Kollege, mag der Wald ja sein, wenn man die aktuelle Christbaumsaison betrachtet. Aber aktuell ist das Thema nun wirklich nicht.
Nachdem der Abgeordnete meint, wir hätten das Thema nun auch entdeckt: Herr Winkler, ist Ihnen bekannt, dass Anfang der Achtzigerjahre Professor Ernst Waldemar Bauer – Ihnen sicherlich bekannt, wenn Sie sich mit naturwissenschaftlichen Themen auch einmal über das Fernsehen auseinandersetzen – der Ers te war, der dieses Thema hier angesprochen hat?
Die Beantwortung dieser Zwischenfrage ergibt weitere zwei Minuten Redezeit für mich, danke. – Lieber Kollege, das Thema Waldschäden ist ja mit den Schwefelemissionen Ende der Siegziger-, Anfang der Achtzigerjahre ganz groß bei uns aufgekommen.
(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Mir geht es um den Vorwurf, wir würden das erst jetzt entdecken! Wir haben das in diesem Haus als Erste themati- siert!)
Auf diesen Vorwurf komme ich noch zurück. Ich will damit sagen: Aktuell ist das Thema beileibe nicht. Sonst würde die Landesregierung nicht von einem Waldzustandsbericht, sondern von einem Waldschadensbericht reden. In Wirklichkeit müsste er sogar Waldschadenszustandsbericht heißen. Lieber Kollege, das ist ein ständiges Thema, und damit sind wir wieder d’accord.
In der Tat muss der Wald für vieles herhalten: Kohlendioxidsenke, Wasserspeicher, Sauerstoffproduzent, Wirtschaftsfaktor, Freizeitnutzung und Waldbestattung, Lebensraum für Tiere und Waldkindergärten.
Sogar als Gebührenquelle für Gruppen war er schon im Gespräch. Wie gesagt: Die Erwartungen an den Wald sind gewachsen.
Das habe ich gesagt. – Man müsste ihn erfinden, wenn es ihn nicht gäbe. Es gibt ihn, aber es geht ihm schlecht, sehr schlecht sogar.
Ich zitiere aus der Pressemitteilung der Landesregierung vom 27. November 2007: „Leichter Rückgang der Waldschäden im Vergleich zum Vorjahr“. Darin steht:
Die Landesregierung verfolgt seine Entwicklung daher besonders aufmerksam und unterstützt Maßnahmen zur Stabilisierung und Verbesserung des Waldzustandes.
Welch ein politischer Kraftakt der Landesregierung! Da wird Gesundbeten als neue forstwirtschaftliche Theorie eingesetzt. Das ist zu wenig.
Die Vertreter der Kalkbranche – wir wissen, sie haben eigene Interessen – sagen z. B., es sei traurig, wenn das Land im Jahre 2006 rund 13 Millionen € im Wald einnehme, im Jahr 2007 aber nur wenige Mittel und im Jahr 2008 keine Mittel für Kalkung mehr vorsehe.
Der Wald kränkelt seit 30 Jahren vor sich hin. Wir wissen das. Wenn die Leute durch den Wald gehen und sich nicht so auskennen, dann gaukelt das regelmäßige Entnehmen der kranken und abgestorbenen Bäume den Leuten, den Laien einen guten Zustand des Waldes vor, den er nicht hat.
(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Locherer! Den Namen sollte man sich merken! – Abg. Jochen Karl Kübler CDU: Paul Locherer aus Amtzell! – Beifall der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU)
lieber Kollege Locherer, die Konsequenzen sind tatsächlich nicht nur außerhalb zu suchen, sondern sie liegen schon auch bei uns. Die Antwort auf die Frage nach Konsequenzen in der Aktuellen Debatte heißt: Beim Wald muss die Pufferfähigkeit des Bodens durch Kalkung wieder verstärkt werden.
Der Wald darf nicht durch unsinnige Forstreformen und Verwaltungsreformen geschwächt werden, die eigentlich mehr ein Beschäftigungsprogramm für die Forstleute als ein Programm für den Wald sind.
Die Korrekturen bei der Forstverwaltung dürfen nicht nur auf die Vermarktung von Holz beschränkt bleiben, sondern sie müssen sich auch darauf ausrichten, dass sie auf den Zustand des Waldes eingehen.
Meine Damen und Herren, im zweiten Teil nenne ich noch einige Themen zur Konsequenz. Ich möchte jetzt in diesem Teil zum Schluss, wieder mit Goethe – leicht verändert –, sagen: Ich geh im Walde so für mich hin; er ist wieder gesund, das war mein Sinn.
(Beifall bei der SPD und des Abg. Helmut Walter Rü- eck CDU – Abg. Peter Hofelich SPD: Jawohl! – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Teilweise kann man ap- plaudieren! Aber nur teilweise! – Abg. Jochen Karl Kübler CDU: Alfred, du bist ein guter Dichter! – Ge- genruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Das reimt sich aber schlecht!)
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestern Abend hat unser Ministerpräsident bei der Verabschiedung von Stefan Rösler vom NABU folgende Weisheiten kundgetan: Er sagte, dass es ihm wichtig sei, für einen Interessenausgleich von zunehmender Industrialisierung und damit verbundenen steigenden Emissionen einerseits und den ökologischen Interessen andererseits zu sorgen. Das sei wohl auch das oberste Ziel der Landesregierung.
Wenn wir uns heute hier in der Aktuellen Debatte mit dem Waldzustandsbericht beschäftigen, dann handelt es sich sicher nicht nur um ein Ritual, wie es vorhin angeklungen ist, das sich jährlich wiederholt. Ich bin der FDP/DVP sehr dankbar dafür, dass sie diesen wirklich interessanten Konflikt, den wir hier auszutragen haben, in die Aktuelle Debatte getragen hat.
Es gibt noch einen anderen Waldzustandsbericht, nämlich den der Bundesregierung. Er wird nur alle vier Jahre neu aufgelegt. Der letzte Bericht stammt aus dem Jahr 2006. Er hat auch einen sehr interessanten Tatbestand zutage gebracht, nämlich den, dass Baden-Württemberg zusammen mit den Montanländern Nordrhein-Westfalen und Saarland leider – das muss man sagen – auch in Bezug auf die Schäden und das Schadensbild der Wälder an der Spitze liegt. 38 % des Landes sind mit Wald bedeckt, das entspricht 1,3 Millionen ha; davon sind 40 % stark bis besonders stark geschädigt. Das sollte uns aufhorchen lassen, zumal hier, wie es schon angeklungen ist, nicht nur das „Autoländle“ Arbeitsplätze bietet, sondern der Wald und die mit ihm zusammenhängende Industrie mindestens genauso viele Arbeitsplätze in Baden-Württemberg zur Verfügung stellen.
Leider muss man festhalten, dass der Wald auf hohem Niveau nicht nur vor sich hinkränkelt, wie Kollege Winkler es gerade verharmlosend gesagt hat, sondern dass er auf hohem Niveau dahinsiecht. Wir haben es hier mit einem ähnlichen Phänomen wie bei unserer Finanzkonjunktur zu tun. Wenn man bis 1983 zurückgeht, wird man feststellen, dass die Waldschäden in Baden-Württemberg in kleinen Zyklen leider sehr signifikant linear ansteigend wachsen. Deswegen lässt sich das Problem nicht verharmlosen und verniedlichen.
Mit dem neuen Waldzustandsbericht darf man sich nicht wieder zurücklehnen und die Arme verschränken, wie es die Landesregierung schon seit einem Vierteljahrhundert macht.
(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Das ist ja unglaub- lich! – Abg. Jochen Karl Kübler CDU: Dann muss eben der Minister etwas sagen!)
Man muss vielmehr leider feststellen – nachdem die Diagnose doch so eindeutig ist und die FVA hier in hervorragender
Weise Ergebnisse vorgelegt hat, die sehr signifikant und zuverlässig erarbeitet worden sind und auch keinerlei Interpretationen zulassen –, dass eine Therapie nach wie vor fehlt bzw. die Therapievorschläge, die wir hier schon öfter gemacht haben – da gibt es ja genug –, leider nicht umgesetzt werden.
Es ist bitter für uns, vor allem für meinen Fraktionskollegen Franz Untersteller, der klimapolitischer Sprecher ist, mit ansehen zu müssen, wie unser Wald als Biomasseträger Nummer 1 in Baden-Württemberg und als CO2-Speicher nach und nach wegbricht.
Es ist bitter für uns, vor allem für meine Kollegin Gisela Splett, unsere Umweltbeauftragte, mit anschauen zu müssen, wie das Ökosystem mit seiner biologischen Vielfalt nach und nach in sich zusammensackt.
Es ist sehr bitter, zuschauen zu müssen, wie Waldeigentümer und Waldbesitzer – egal, ob das private oder kommunale Eigentümer sind oder ob es das Land ist – schleichend eine Enteignung über einen Wertverlust erleiden müssen. Denken wir nur an Lothar, Wiebke, Vivian und Kyrill zurück. Dann sehen wir, wie diese Waldeigentumsgesellschaft über den Holzpreisverfall in sich zerfällt.
Es ist äußerst bitter, mit anschauen zu müssen, wie der „Hauptbrotbaum“ der Sägeindustrie in Baden-Württemberg, die sich auch sehr stark in Richtung Export orientiert, nämlich die Fichte – sie macht 35 % unserer Baumarten aus und fällt damit sehr stark ins Gewicht; dieser aktuelle Bericht zeigt das besonders präzise –, nach und nach vor allem an trockenen Standorten – auch im Neckartal – ihre Standortbedingungen verliert und auch aufgrund der klimatischen Entwicklung weiter verdrängt wird.
Aber am bittersten für uns alle ist es, mit ansehen zu müssen, wie der Wald seit einem Vierteljahrhundert vor sich hinstirbt und die Landesregierung zuschaut. Man müsste hier eigentlich von unterlassener Hilfeleistung sprechen. Es nützt uns nichts, das Waldsterben zu verharmlosen. Das ist eine Schönfärberei. Es ist fast schon euphemistisch, zu sagen, hier handle es sich eigentlich nicht um gravierende Waldschäden oder um ein Waldsterben, sondern höchstens um hier und da auftretende Waldschäden, und dann letztendlich von einem Waldzustandsbericht zu sprechen.
Analyse allein genügt nicht. Es muss gehandelt werden, meine sehr verehrten Damen und Herren. Es fehlt ein Hand lungskonzept. Kompensationskalkungen sind vielleicht eine Schmerztablette. Ich kann Ihnen nur mit Horst Stern zurufen: Rettet den Wald!