Protokoll der Sitzung vom 19.12.2007

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erteile ich dem Minister für Ernährung und Ländlichen Raum, Peter Hauk.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Und Forstfach- mann par excellence! – Abg. Jochen Karl Kübler CDU: Jetzt kommen qualifizierte Ausführungen!)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Her ren! Im Prinzip sind drei Einflussfaktoren für den Gesundheitszustand unseres Waldes in Baden-Württemberg von besonderer Bedeutung. Einerseits sind es die bekannten Schadstoffeinträge. Zum anderen sind es biotische Schädigungen, z. B. durch Borkenkäfer, aber auch – da merken wir schon die Einflüsse des Klimawandels – beispielsweise durch den Eichenprozessionsspinner, ein besonders wärmeliebendes Insekt, das früher nur alle zehn bis 20 Jahre überhaupt einmal bedeutsam war, aber allein in den letzten zehn Jahren schon dreimal häufiger auftrat.

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Damit im Zusammenhang steht, immer wichtiger, auch die Witterung,

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: So ist es!)

und die Witterung ist wiederum ein Stück weit von unserem eigenen Verhalten abhängig, nämlich davon, was wir an CO2 zusätzlich emittieren, das bisher fossil gebunden war, und gegebenenfalls auch davon, was wir an anderen Gasen emittieren.

Damit wird klar, dass in diesem Gesamtkomplex – Schadstoffeinträge, biotische Schädigungen und Witterungsprozesse – der Mensch zunächst einmal ein Gutteil der Ursachen ausmacht. Wir hatten in früheren Jahrmillionen, Jahrhunderten oder Jahrtausenden – ich denke dabei an die letzten hunderttausend Jahre – sechs Eiszeiten, bei denen es keine anthropogenen Einflüsse gab. Aber der starke Anstieg der Temperaturen, der signifikant ist und der auch von niemandem mehr ernsthaft in Zweifel gestellt wird, ist sicherlich anthropogen, also vom Menschen verursacht. Wir müssen deshalb alles daransetzen, nicht nur Symptome zu kurieren, sondern auch an die Ursachen heranzugehen.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Richtig!)

Ich komme gleich darauf, Herr Kollege Pix. Wenn Sie meinen, in den letzten 25 Jahren sei nichts geschehen, muss ich sagen: Wahrscheinlich haben Sie doch nicht in Baden-Würt temberg gelebt.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß, es gibt ein paar ewige Ignoranten,

(Abg. Jochen Karl Kübler CDU: Soll es geben!)

die alles ignorieren, was die Landesregierung macht, die aber dennoch sagen: Bei uns ist es am schönsten. Aber sei’s drum.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den letzten vier Jahren zeigt der Waldzustandsbericht generell einen stark zunehmenden Einfluss von Witterungsextremen. Dabei waren die Auswirkungen des Jahrhundertsommers 2003 auf die Bäume im Südwesten besonders gravierend. Böden und Bäume haben ein Langzeitgedächtnis. Es sind Gott sei Dank langlebige Organismen. Die Auswirkungen sind heute noch spürbar.

Noch niemals, seit wir diese Waldzustandserhebungen machen, hat es das gegeben, dass wir über vier Jahre hinweg einen Nadel- und Blattverlust von über 25 % festgestellt haben. Das zeigt, dass der Einfluss der Witterung, des Klimawandels und der Ausfluss des trockenen Jahres 2003 zweifelsohne zusammenspielen. Den Organismus Wald, den Lebensraum Wald, die Wälder und Bäume muss man sich vereinfacht vorstellen wie einen menschlichen Organismus, der von vielerlei Bereichen beeinträchtigt werden kann: direkt angegriffen, direkt verwundet über Säureeinträge – das tut dem Menschen auch nicht gut – bis hin zu schleichenden Vergiftungen. Das soll es in der Kriminalliteratur und -historie auch schon gegeben haben. All diese Dinge strömen derzeit auf den Wald ein.

Als Folge des Klimawandels werden wir solche extremen Wetterlagen, wie wir sie hatten – Stürme sowieso, aber auch trockene Jahre – in Zukunft in immer kürzeren Zeitabständen zu erwarten haben. Angesichts dieser Perspektive müssen wir alles dafür tun, dass unsere Wälder so stabil wie möglich sind. Oder umgekehrt: Wir müssen die Stressfaktoren, die das Regenerationsvermögen der Bäume beeinträchtigen, reduzieren. Insbesondere spielt da – das ist ein ganz entscheidendes Element, weil das sehr selten betrachtet wird; man sieht immer nur das, was wächst; das ist ähnlich wie bei den Fischen, die sich auch nicht immer der ungeteilten Aufmerksamkeit des Naturschutzes erfreuen;

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Oder die Klein- lebewesen um die Fische herum!)

da schaut man eher auf die Kormorane, die fliegen – die Destabilisierung der Wälder durch eine steigende Versauerung der Waldböden mit hinein. Dies erhöht deren Anfälligkeit gegenüber witterungsbedingten Stressfaktoren.

Deshalb muss der Bodenforschung und auch der Vermeidung von Beeinträchtigungen des Grundwassers in den nächsten Jahren breiter Raum geschenkt werden. Ich sage nicht, dass dort eine Zeitbombe tickt. Aber die Entwicklung in unseren Böden und damit im Einflussbereich des Grundwassers verläuft nicht so, dass man darüber hinweggehen könnte. Deshalb haben wir bei der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Untersuchungen laufen, um nicht nur zu beobachten, sondern auch entsprechende Gegenmaßnahmen zu entwickeln.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Haas?

Bitte schön, Herr Kollege Haas.

Herr Minister, würden Sie einem gemeinsamen Antrag von Herrn Dr. Bullinger und mir beitreten und versuchen, die Waldschadenssituation dadurch wieder in den Griff zu bekommen, dass Sie Mittel bereitstellen, damit diese Maßnahmen wieder durchgeführt werden können?

(Zuruf von der CDU: Damit was durchgeführt wer- den kann?)

Sie meinen jetzt die Waldkalkungen, Herr Kollege

Haas? Okay. Lieber Kollege Haas, ich komme sofort dazu, wo wir ansetzen müssen.

(Unruhe)

Zum einen ist dies die Symptombekämpfung. Wir werden es nicht schaffen – – Da machen wir uns gar nichts vor. Was wir heute an CO2 emittieren, wirkt sich auf die Atmosphäre in 20 oder 30 Jahren aus. Was wir heute an Witterung und Klima erleben, geht auf den CO2- und Schadstoffausstoß von vor 20 oder 25 Jahren zurück.

(Abg. Gustav-Adolf Haas SPD: Das ist bekannt!)

Ich will es nur sagen. – Deswegen brauchen wir mittel- und langfristige Maßnahmen, und wir brauchen kurzfristige Maßnahmen.

Zu den kurzfristigen Maßnahmen zählen zweifelsohne die sogenannten Bodenschutzkalkungen, die nachweislich der Abpufferung von hohen Säuregraden, die in die Waldböden eingetragen werden, dienen. Wir wollen daher ein nachhaltiges Kalkungsprogramm zur Wiederherstellung und Stabilisierung unnatürlich versauerter Böden auflegen, und zwar, Herr Kollege Haas, im Zusammenhang mit der Gründung des sogenannten LHO-Betriebs Forst, der die nötige Flexibilität erhalten muss, um genau solche gesellschaftspolitischen Daueraufgaben in der Größenordnung von 1 Million bis 2 Millionen € zu bewerkstelligen. Der Bedarf wird derzeit berechnet. Wir haben somit zunächst einmal für den Staatswald ein klares Programm über die nächsten Jahre hinweg, das zur Pflichtaufgabe gehört.

(Abg. Gustav-Adolf Haas SPD: Wann wird das sein, Herr Minister? – Zuruf des Abg. Alfred Winkler SPD – Gegenruf des Abg. Jochen Karl Kübler CDU: Lasst doch den Herrn Minister ausreden! – Unruhe)

Zweitens sollen auch entsprechende Mittel, Herr Kollege Winkler, für Kommunen und Privatwälder zur Verfügung gestellt werden – gemeinsam mit dem Bund, aus der Gemeinschaftsaufgabe –, damit auch diese hoch bezuschusst werden: wahrscheinlich zu 100 %, allerdings ohne Mehrwertsteuer; das ist der Eigenanteil, den die Eigentümer dann tragen müssen. So können auch diese Partner hoch bezuschusst ihre Aufgabe erfüllen und gleichermaßen ihren Beitrag leisten.

(Abg. Gustav-Adolf Haas SPD: Zeitpunkt, Herr Mi- nister! Wann?)

Es geht um die Kalkung, ausschließlich darum. Ich spreche im Augenblick nur über die Kalkung.

(Abg. Gustav-Adolf Haas SPD: Wann denn? Wann wird das sein? – Abg. Ursula Haußmann SPD: Nicht immer bloß herumeiern!)

Lieber Herr Kollege Haas, es hängt von der Entschlussfreudigkeit des Landtags ab,

(Oh-Rufe von der SPD – Lachen des Abg. Gustav- Adolf Haas SPD – Zurufe der Abg. Alfred Winkler SPD und Dr. Bernd Murschel GRÜNE)

wie schnell wir den LHO-Betrieb auf den Weg bringen können. Die Vorbereitungen im Ministerium sind so weit abgeschlossen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das war der erste Punkt: die Symptome.

Der zweite Punkt: Wir brauchen vielfältige und auch naturnahe Mischwälder. Deren Vitalität steigt auch durch eine intensive Waldpflege. Es ist ein Irrglaube von manchen, zu meinen, es sei das Beste für den Wald, wenn man ihn sich selbst überlässt. Nein, das Gegenteil ist der Fall.

(Beifall des Abg. Karl Rombach CDU)

Wir brauchen die Waldwirtschaft. Wir brauchen die Holznutzung

(Zuruf der Abg. Dr. Gisela Splett GRÜNE)

und dürfen die Holznutzung auch nicht wegen eines vermeintlich unbefriedigenden Waldzustands einschränken. Die Waldpflege stärkt die Widerstandskraft der Wälder. Es muss unser Ziel sein, dass wir die Intensität der Nutzung in den nächsten Jahren sogar eher noch verstärken als zurücknehmen.

(Beifall bei der CDU – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Sehr gut! Das ist der richtige Weg! – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Guter Mann! – Zuruf von der CDU: So ist es!)

Auch das kommt hinzu, meine sehr verehrten Damen und Herren, denn wir wollen ja auch zuwachsstarke Wälder. Jeder Kubikmeter Holz, der draußen steht, bindet CO2. Das ist ein erheblicher CO2-Speicher.

(Abg. Reinhold Pix GRÜNE: Warum wollen Sie das Holz dann abhacken, wenn es CO2 speichert? Das ist doch ein Widerspruch!)

Es will niemand etwas abhacken, Herr Kollege Pix. Sie haben meines Wissens eine ähnliche Ausbildung durchlaufen wie ich.