Protokoll der Sitzung vom 21.06.2006

Argumente schärfen und ihr Vorgehen im Bundesrat abstimmen, damit sie und damit Baden-Württemberg nicht aus der zweiten Stufe verschlechtert hervorgehen. Ich glaube, dass gerade auch hier eine parteiübergreifende Chance für alle demokratischen Mandatsträger des Landtags liegt, in ihren Parteien Lobbyarbeit für unsere Interessen zu machen, die in den nächsten Wochen geleistet werden muss.

Wir glauben, dass die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland nicht die alleinige Richtschnur sein darf. Solidarität ist wichtig; aber es macht im Interesse ganz Deutschlands keinen Sinn, die Starken immer weiter zu schwächen, ohne dass es gelingt, die Schwachen durchgreifend zu stärken.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie des Abg. Oswald Metzger GRÜNE – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Sehr richtig!)

Wir müssen uns fragen, wo sich der finanzielle Einsatz des Staates mit Blick auf Wachstum und Beschäftigung am meisten lohnt. Einer Reform, die die Situation Baden-Württembergs im Verhältnis zu anderen Ländern weiter verschlechtert, werden wir in keinem Falle zustimmen. Für diesen Fall kündigen wir schon jetzt eine Klage in Karlsruhe zur Wahrung unserer Interessen ausdrücklich an.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Seit einigen Monaten ist das Thema der Länderneugliederung kein Tabu mehr. Was vor fünf Jahren noch undenkbar war und keine Mehrheit fand, wird heute offen diskutiert: im Norden Deutschlands, im Osten Deutschlands. Kurzum: Es kommt Bewegung in die Frage der Zahl der Länder und ihrer Grenzen.

Ich glaube, dass der, der den Föderalismus stärken will, neben der Forderung nach einer Neuordnung der Finanzen und nach mehr Kompetenzen auch die Debatte um die Zahl der Länder, um weniger und leistungsfähigere Länder offensiv aufnehmen muss.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Ab- geordneten der SPD und der Grünen)

Wir wollen, dass die demokratischen Möglichkeiten für den Zusammenschluss von Ländern deutlich erleichtert werden. Die Gefahr, dass eine Volksabstimmung, die nur in den betroffenen Ländern durchgeführt wird, keine Mehrheit bringt, bleibt sehr groß. Nehmen wir einmal Berlin und Brandenburg: Warum soll Brandenburg zu Berlin gehen und damit in Insolvenz?

(Heiterkeit der Abg. Hagen Kluck FDP/DVP und Boris Palmer GRÜNE)

Wenn die Pro-Kopf-Verschuldung nach der Länderneugliederung doppelt so hoch wird, sagt jeder Brandenburger: Nicht mit mir! Deswegen regen wir drei Maßnahmen an:

Die erste Maßnahme könnte sein, dass nicht mehr nur die betroffenen Länder abstimmen, sondern die Landkarte Deutschlands vom deutschen Volk insgesamt durch Volksentscheid neu gestaltet wird. Durch eine Grundgesetzänderung wäre dies sehr wohl darstellbar.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP und des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Ich sage Ihnen auch, warum dies wichtig ist: weil von der Neugliederung im Norden Deutschlands oder im Osten Deutschlands oder auch im Westen Deutschlands auch Baden-Württemberg direkt und indirekt betroffen ist. Das heißt, dass der eine Weg demokratisch fundiert sein kann, dass wir das Grundgesetz ändern, um durch nationalen Volksentscheid die föderalen Gebietsgrenzen neu zu ordnen und die Zahl der Länder nennenswert zu verringern.

Der zweite Weg könnte sein, dass in Berlin und Brandenburg nicht mehr das Volk entscheidet, sondern dass Parlamente entscheiden – repräsentativ.

Der dritte Weg, der mir wichtig ist: Wenn derzeit Berlin in Karlsruhe klagt und eine Entschuldung beantragt, sehen wir eine Entschuldung ohne Länderneugliederung nicht ein. Wenn aber Brandenburg zum Beispiel in einem Bundesland Berlin-Brandenburg aufgeht, dann kann ich mir vorstellen, dass die Steigerung der Pro-Kopf-Verschuldung der Brandenburger national getragen wird und nicht alleine eine Belastung des Landes bleibt. Dann, und nur dann, ist nach meiner Einschätzung ein Anreiz einer nationalen Finanzentlastung gegeben und auch ein Argument, damit die entsprechende Mehrheit zustande kommen kann.

Kurzum: Es kommt Bewegung in die Ländergrenzen. Ich glaube, dass Baden-Württemberg hier aus gutem Grund moderat Anstöße und Impulse geben kann. Denn wir haben unsere Aufgaben durch unsere Großeltern schon vor 50 Jahren erfüllt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Was machen wir im Land aus der Föderalismusreform? Die Umsetzung bietet uns die Chance, unserer Landespolitik ein schärferes Profil zu geben und mit anderen Ländern in einen Wettbewerb einzutreten, von dem alle profitieren. Wenn die Föderalismusreform gelingt, haben wir die einmalige Chance, die Landespolitik, den Landtag, die Landesregierung, unsere Arbeit deutlich aufzuwerten. Die Regierung will dabei Partner und treibende Kraft sein. Noch

(Ministerpräsident Günther Oettinger)

im Herbst wollen wir dem Landtag konkret sagen, in welchen Rechtsgebieten wir den neuen Spielraum nach der Reform nutzen wollen. Wir werden auch unsere Zusage einlösen, die Rechtsetzung wieder zu stärken. Wichtige Fragen der Politik sollen von den gewählten Volksvertretern entschieden werden und nicht auf dem Verordnungsweg durch die Exekutive.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU, der FDP/DVP und der SPD)

Wir bauen die Zahl der Verordnungen und die Zahl der Verordnungsermächtigungen in künftigen Gesetzen nachhaltig ab.

Eine andere Baustelle der Bundespolitik ist der Bürokratieund Standardabbau. Die Forderung nach einem konsequenten Abbau von Bürokratie und Standards ist mehr als nur eine Floskel. Wir beschäftigen uns immer mehr mit uns selbst und setzen noch Standards, die wir uns eigentlich nicht mehr leisten können.

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Wir wollen deswegen die Bundesregierung unterstützen. Bürokratie- und Standardabbau ist jetzt notwendig. Wir haben dafür Vorarbeiten geleistet. Wir erwarten, dass die Bundesregierung Ernst macht und nicht neue Vorschriften aufbaut, sondern bestehende abbaut. Wenn der Bund den Ländern und Kommunen schon kein Geld geben kann, ist mehr Luft zum Atmen, sind Freiraum und weniger Bürokratie die beste Förderung von Landes-, Kommunal- und Wirtschaftspolitik.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das in diesen Tagen beraten wird, in Gegensatz zu diesen Zielen steht, ist allseits erkannt. Deswegen werbe ich bei unserem Koalitionspartner in Berlin dafür, das Draufsatteln auch hier noch zu überprüfen. Ich halte das, was in diesem Entwurf steht, für Mittelstand und Handwerk für unzumutbar. Im Rahmen unserer rechtlichen Möglichkeiten arbeiten wir im Bundesrat dahin gehend, dass das Gesetz nicht im Verhältnis 1 : 1 mit den draufgesattelten Elementen in die Realität unserer Arbeitswelt kommt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP und des Abg. Oswald Metzger GRÜNE)

Der Bundesfinanzminister hat seinen Entwurf zum Unternehmensteuerrecht vorgelegt. Wir glauben, dass hierüber noch in diesem Jahr entschieden werden muss. Es geht um eine grundlegende Reform mit dem Ziel weltweit wettbewerbsfähiger Steuersätze, wie es im Koalitionsvertrag auf Bundesebene vereinbart ist.

Wir begrüßen ausdrücklich, dass der Steuersatz für die Körperschaften in der ersten Stufe auf unter 30 % gesenkt werden soll. Wir halten eine zweite Stufe mit einem Steuersatz von dann nur noch 25 % für notwendig, damit die Abwanderung nach Österreich und in andere europäische Nachbarstaaten weitgehend verhindert werden kann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Wir brauchen international wettbewerbsfähige Steuersätze für Kapitalgesellschaften, müssen aber im Sinne einer rechtsformneutralen Besteuerung auch die Personenbetriebe

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Genau!)

und andere Rechtsformen in diese Reform einbeziehen. Die Investitionsrücklage – für Personenbetriebe – reicht dafür nicht aus. Deswegen wollen wir die Optionslösung: Die OHG und die KG sollen entscheiden dürfen, ob sie die Einkommensteuer oder aber die Körperschaftsteuer und die Gewerbesteuer nutzen.

Zur Gewerbesteuer sage ich klar: Ein befriedigendes Konzept zu ihrer ersatzlosen Streichung liegt noch nicht auf dem Tisch. Wer sie aber wie wir mittelfristig abschaffen will, darf sie jetzt nicht zementieren und verbreitern. Deswegen lehnen wir die deutliche Verbreiterung im Konzept von Steinbrück ausdrücklich ab.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zurufe von der SPD)

Die Kosten der Arbeitsmarktreformen laufen aus dem Ruder. Die Fortentwicklung des SGB II ist zwar ein erster Schritt in die richtige Richtung, aber wir glauben, dass eine weitere Kostenbegrenzung notwendig ist.

(Abg. Ute Vogt SPD: Das hat er alles schon einmal gesagt!)

Wir fordern von der Bundesregierung ausdrücklich, dass sie ihre Zusage an die Kommunen einlöst. Diese Zusage lautete, dass durch Hartz IV und das SGB II Entlastungen in Höhe von 2,5 Milliarden € entstehen. Diese werden bisher nicht erreicht. Das Gegenteil tritt ein. Die Kommunen haben uns als Partner, damit durch weitere Reformen im SGB-Bereich eine Entlastung der Kommunen auch wirklich gelingt.

Kein Geheimnis ist es, dass uns, der Landesregierung, die Festlegungen der großen Koalition zum Arbeits- und Tarifrecht längst nicht weit genug gehen. Meine feste Überzeugung ist: Ohne eine deutliche Flexibilisierung des Arbeitsmarkts und des Arbeitsrechts werden wir die Arbeitslosigkeit nicht in den Griff bekommen, wird die Abwanderung weiter die Regel sein.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Hier wäre weniger mehr. Wir glauben, dass weniger Tarifrecht, Kündigungsschutzrecht und Arbeitsrecht zu mehr Arbeitsplätzen, zu mehr Beschäftigung führen.

(Zuruf des Abg. Norbert Zeller SPD)

Wir drängen die Bundesregierung, in einem zweiten Schritt mehr zu tun, als dazu in der Koalitionsvereinbarung steht.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Kapital unseres gemeinsamen Landes sind seine Menschen. Ihnen, den Mitbürgern,

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Und Mitbürgerin- nen!)

(Ministerpräsident Günther Oettinger)

verdanken wir unseren Reichtum an kreativen Ideen, verdanken wir kulturelle Leistungen, verdanken wir eine integrative Gesellschaft, soziale Partnerschaft und hohe Lebensqualität.

Mit Stolz präsentieren wir uns in diesen Tagen als „Deutschlands schönste Fankurve“. Unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger als Mitgastgeber vermitteln der ganzen Welt über Fernsehbilder und vor Ort ein sympathisches, lebenswertes, erfolgreiches Land Baden-Württemberg. Trauen wir gemeinsam diesen Menschen auch in Zukunft viel zu! Wir sind nicht nur gute Gastgeber, wir können nicht nur ausgelassen feiern. Wir sind auch für die Zukunft mit Fleiß, Tatkraft und Energie, mit Weltoffenheit und Innovation gut vorbereitet.