Herr Röhm, Sie haben auch eines immer noch nicht begriffen: Es geht hier nicht nur um die Kinder, die diese zusätzliche Unterstützung brauchen, weil sie sie von den Eltern nicht bekommen, sondern es geht auch um die anderen Kinder, die mit diesen Kindern zusammen aufwachsen und lernen sollen. Denn auch die Stärkeren, die den Bildungshintergrund haben, profitieren davon.
Auch die Kinder auf Ihrer Schule, die diese Asylantenfamilie nicht kennenlernen und nicht weiter begleiten dürften, wenn die Eltern sich nicht so eingesetzt hätten, hätten einen Verlust
Deswegen plädieren wir dafür, diese Diskussion – Sie versuchen die Diskussion einzuengen mit der Aussage, wir würden nur für die Benachteiligten etwas tun wollen – endlich ehrlich anzugehen und zu sagen: Auch die Starken profitieren von individueller Förderung
und davon, dass sie mit den sozial schwächeren Kindern und den Kindern aus bildungsfernen Familien zusammen unterrichtet werden. Hier wächst eine ganze Gesellschaft stadtteil- und ortsbezogen heran und spaltet sich nicht nach vier Jahren Schule auf. Das ist ein Wert an sich, für den allein es sich schon für ein Gemeinschaftsschulsystem zu kämpfen lohnen würde.
Aber darum geht es im Moment nicht. Wir wollen weder heute das dreigliedrige Schulsystem über den Haufen werfen, wie uns das mehrfach vorgeworfen wurde, noch wollen wir eine verbundene und verpflichtende Ganztagsschule überall einführen. Ich gebe Ihnen und allen anderen Vorrednern recht, dass das durchaus Forderungen der Opposition sind. Es sind aber nicht die Forderungen, die heute auf dem Tisch liegen, sondern heute liegt lediglich unser gemeinsamer Änderungsantrag auf dem Tisch, der heißt: Lasst doch dort, wo die Eltern, die Schulen und die Schulträger dies wollen, Möglichkeiten zu, diesen Weg zu gehen, und errichtet dort nicht eine Barrikade, die ihr im eigenen Land argumentativ überhaupt nicht durchhaltet!
(Beifall bei der SPD – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das machen wir doch! – Gegenruf des Abg. Norbert Zeller SPD: Nein, machen Sie nicht! Sie leh- nen die Anträge ab! Die Anträge sind bisher abge- lehnt worden!)
Eines müssen Sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen: In diesen Anträgen spiegelt sich ein Elternwille wider. Wenn Ihnen schon der Wille der Eltern so wichtig ist, sollten Sie auch das anerkennen. In dem Run auf die Privatschulen und in den Anträgen auf die Erweiterung des Privatschulwesens spiegelt sich ein Elternwille wider.
Wollen wir denn zulassen, dass uns in Heidelberg demnächst Ganztagsprivatgrundschulen die Mittelschicht abziehen und wir dann nur noch in sozialen Brennpunkten Ganztagsschulen haben, die wirklich Ganztagsschulen sind?
Das ist doch die Kernfrage, wohin sich unser Schulsystem entwickelt. Das hat etwas mit dem Elternwillen zu tun und richtet sich nicht gegen den Elternwillen.
Zeigen Sie mir doch eine Schule im Land, die einen Antrag auf Anerkennung als Privatschule stellt, die als Halbtagsschule geführt werden soll. Sie werden keine finden, weil alle Eltern, die sich vom öffentlichen Schulsystem abwenden, vor allem in einem Ganztagsschulbetrieb einen wichtigen Aspekt sehen,
um sich zu diesem Schritt durchzuringen. Von daher können Sie doch nicht immer so tun, als gäbe es einerseits die Eltern – die vertreten Sie –, die sich nicht durch das „Einsperren“ ihrer Kinder am Nachmittag in der Ganztagsschule von ihrer Erziehung abhalten lassen wollen, und andererseits ein paar versprengte Eltern, die etwas mit sozialer Schicht zu tun haben. Es hat doch auch Ihre Kreise erreicht, dass man ohne ein vernünftiges Ganztagsangebot seinen eigenen Lebensstil nicht verwirklichen kann. Darum geht es doch an dieser Stelle auch.
Lassen Sie sich doch auf die Ergebnisse aus dem eigenen Land ein. Frau Arnold, ich muss nicht nach Südtirol – das kam von Herrn Schebesta –, nach Schweden oder Finnland gehen.
Warum darf ein Kind in Mannheim – hier wurde eben gesagt, das sei kein Modell für Mannheim, sondern das ginge nur im Montafon und in kleinen Gebirgstälern – eine integrierte Gesamtschule besuchen, die vor 30 Jahren eine Genehmigung erhalten hat, während man aktuelle Anträge aus anderen Kommunen ablehnt und den Kindern dort nicht diese Chance gibt?
Diese integrierte Gesamtschule, meine Damen und Herren, hatte in den Siebzigerjahren wirklich ein negatives soziales Image. Man müsste manches, was in der Fend-Studie herausgekommen ist, noch einmal dahin gehend hinterfragen, wie damals die Aufteilung der Kinder auf sogenannte Gesamtschulen und andere Schulen erfolgte. Heute aber ist die integrierte Gesamtschule eine Schule, die von allen Schichten frequentiert wird, weil es in dieser Schulform Ganztagsangebote gibt sowie Möglichkeiten, die Kinder bis zur zehnten Klasse zusammenzuhalten, auch wenn ab der achten Klasse im Hinblick auf unterschiedliche Abschlüsse ein Stück weit binnendifferenziert wird.
(Abg. Volker Schebesta CDU: Binnendifferenziert oder eine äußere Differenzierung? Ich glaube, das ist eine äußere Differenzierung, was Sie gerade andeu- ten! – Gegenruf der Abg. Renate Rastätter GRÜNE – Unruhe)
Diese Schulform lässt es zu, dass die Kinder in Klasse 5, 6 und 7 zusammenbleiben und nur in den Kernfächern in unterschiedliche Kurse sortiert werden.
Das ist die Fortsetzung einer Binnendifferenzierung, Herr Schebesta. Sie haben das in Kisdorf doch auch erlebt.
(Abg. Volker Schebesta CDU: Das ist genau der Un- terschied zwischen innerer und äußerer Differenzie- rung! – Zuruf der Abg. Christine Rudolf SPD)
Was spricht denn dagegen, Kinder an einer Schule bei bestimmten Anforderungen in unterschiedlichen Gruppen individuell zu fördern?
Das ist doch das Individuelle. Trotzdem können diese Kinder in einer Grundklasse zusammenbleiben. Sie bleiben an der gemeinsamen Schule und können völlig ohne Schulwechsel, ohne Zeitverlust und ohne persönliche Niederlage den Abschluss machen, den sie erreichen können.
Warum dürfen Kinder in bestimmten Städten in Baden-Würt temberg eine integrierte Gesamtschule besuchen, doch anderswo im Land dürfen sie es nicht? Diese Frage können Sie nicht beantworten.
Wenn Sie konsequent wären, müssten Sie diese Schulen alle schließen. Denn aus Ihrer Sicht scheinen sie den Kindern ja eigentlich zum Nachteil zu gereichen. Aber genau das ist nicht der Fall.
Zudem ignorieren Sie den Willen der Schulträger. Wenn Ihnen die Partnerschaft mit den Kommunen so wichtig ist, warum ignorieren Sie dann das Votum der Schulträger? Mit der Regelung, dass immer alle zustimmen müssen, können Sie natürlich alles totmachen. Wenn in einer bestimmten Gegend eine fünf- oder siebenzügige Realschule zustimmen muss, wenn 30 oder 40 km entfernt ein kleiner Gemeinschaftsschulversuch gemacht wird, bei dem dieser Schule vielleicht 20 oder 40 Realschüler abgezogen werden, wird man in der Tat nie die Zustimmung aller Betroffenen erreichen. Aber Sie ignorieren an dieser Stelle den Willen der Eltern, den Willen der Schule, den Willen der Schulträger und indirekt – das behaupte ich – auch die Zukunftsfähigkeit der Realschulen,
denn denen machen Sie ja auch kein Angebot, wie sie von ihren viel zu großen Klassen und ihren völlig ausufernden Schul gebäuden wegkommen und die individuelle Förderung, die sie dringend bräuchten, erreichen können.
Insofern werden Sie erleben, dass sich auch die Realschullehrerverbände noch eines Besseren belehren lassen, wenn sie merken, dass sich noch keine Individualisierung ergibt, wenn man Hauptschüler zu Realschülern packt. Daraus wird erst dann etwas Individuelles, wenn man die Pädagogik umstellt, andere Schulgebäude hat, neue Ansätze umsetzt und die Versorgung mit Lehrerinnen und Lehrern anders organisiert. Das müssen Sie den Leuten dann aber auch einmal erklären, und das müssen Sie auch umsetzen.
Ein Letztes: Wir haben heute diskutiert, weil durch Äußerungen der Herren Oettinger, Stächele, Mappus und auch des Herrn Noll – auch wenn er jetzt nicht mehr da ist –
da ist er ja; wunderbar, Herr Dr. Noll – der Eindruck entstanden ist, dass keiner mehr weiß, wo es in der Bildungspolitik langgeht.
Wir haben jetzt eine Debatte erlebt, als hätten wir heute beantragt, das dreigliedrige Schulsystem abzuschaffen. Wir haben etwas völlig anderes beantragt, nämlich an Orten, wo die Entwicklung weitergehen soll und wo man sich an Modellen orientiert, die auch in Baden-Württemberg erfolgreich sind, den Druck aus dem Kessel zu nehmen.
Ich finde es eher beleidigend – das sage ich ganz deutlich – und ziemlich schwach, dass ausgerechnet diejenigen Protagonisten, die die Bildungspolitik in den letzten Wochen öffentlich zu einem Chaos inszeniert haben, heute nicht ans Podium gehen und nicht deutlich sagen, welche Linien ihre Fraktionen eigentlich verfolgen.
Denn unsere Meinungen, Herr Röhm, Herr Schebesta, Herr Minister Rau, können wir im Schulausschuss austauschen. Das können wir noch lange tun. Aber dann sollen Ihre Führungsleute Sie doch endlich in Ruhe lassen und mit uns die Bildungspolitik machen, die erforderlich ist. Sie sollten sich bei ihrer Selbstinszenierung aus der Bildungspolitik heraushalten und die Bildungspolitik nicht diskreditieren. So kann es nicht laufen.