Protokoll der Sitzung vom 27.02.2008

Dies liegt daran, dass sich die CDU weigert, unser Schulsys tem zu modernisieren – zum Schaden unserer Kinder und Jugendlichen, und das im sogenannten Kinderland Baden-Würt temberg. Das liegt an der Wagenburg- und Bunkermentalität, die sich in der CDU breitgemacht hat. Ihr grabt euch immer weiter in die Schützengräben hinein. Ab und zu kommt Oettinger hoch, ballert dann irgendeinen seiner berüchtigten Schüsse ab, aber sonst seht ihr gar nicht mehr, was in der Welt vorgeht.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Heiterkeit der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Diese ideologische Verbohrtheit hat zur Folge, dass sich die CDU immer mehr gegen Kritik immunisiert und sich immer stärker isoliert.

Fragen wir doch noch einmal: Was ist eigentlich Aufgabe unserer Schulpolitik? In der Bildungspolitik fehlen die sozialen Antennen bei der CDU, und das in der Frage der Zukunft der Wissensgesellschaft, wo jeder weiß, dass nichts so sehr wie Bildung über Teilhabe und Chancengleichheit entscheiden wird, Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, Teilhabe an den Arbeitsplätzen der Zukunft. Darüber entscheidet Bildung, und da fehlen Ihnen die sozialen Antennen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Es genügt ein Blick in unsere Landesverfassung. Da heißt es in Artikel 11:

(1) Jeder junge Mensch hat ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht – das Recht! – auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung. (2) Das öffentliche Schulwesen ist nach diesem Grundsatz zu gestalten.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Wem wird dieses Recht verweigert?)

Die Bedeutung der Bildungspolitik habe ich schon genannt, aber auch die Bedeutung, die die Schulen für den Zusammenhalt der Gesellschaft und die Integration haben werden.

Sie haben – das gilt insbesondere für Kultusminister Rau – vor allem versäumt, mit den am Schulwesen Beteiligten partnerschaftlich Reformen umzusetzen. Sie verhalten sich allmählich wie eine klassische Obrigkeit. So wütend Sie auch gegen die Linke und die Kommunisten polemisieren, es riecht doch alles ein bisschen nach DDR. Alles wird von oben nach unten kommandiert.

(Unruhe bei der CDU)

Planwirtschaft von morgens bis abends. Das ist das, was Sie in der Schulpolitik retten wollen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

So hat halt jeder ein bisschen seine sozialistische Ecke. Es fehlt ein klares bildungspolitisches Werteprofil, bei dem es darum geht,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Die DDR hat die Kinder verstaatlicht!)

die Persönlichkeitsentwicklung in den Mittelpunkt zu stellen, Weltverständnis für die Kinder zu erreichen, die Urteilskraft zu schaffen, um sich in der Welt zurechtzufinden, Verantwortung in einer freien und sozialen Gesellschaft zu übernehmen und sich in Ausbildung und Beruf bewähren zu können, wie es ebenfalls in unserer Verfassung heißt.

Das Beispiel G 8 soll das einmal exemplifizieren. Das ist ja schließlich Auslöser dieser Debatte. Es gab eine Kritik an der Stofffülle des G 8 durch Ministerpräsident Oettinger. Ich darf einmal darauf hinweisen, dass diese Kritik bei Einführung des G 8 von der Opposition detailliert vorausgesagt wurde.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Wie gesagt, Sie brauchen Wahlergebnisse, um überhaupt zu hören, weil Sie auf Argumente nicht mehr hören.

Dann haben Sie, Herr Ministerpräsident Oettinger, vorgeschlagen, die Stunden in den Naturwissenschaften zu kürzen.

(Zuruf von der SPD: Unglaublich!)

Eine halbe Stunde pro Tag war Ihr Ziel. Sie haben dann davon gesprochen, das G 8 sei eigentlich faktisch eine Ganztagsschule, die Sie allerdings nur schleichend hintenherum eingeführt haben. Das sind ja keine wirklichen Ganztagsschulen, und nur ein Sechstel aller Gymnasien sind ja überhaupt Ganztagsschulen. Und die Hausaufgaben müssen weg.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Die Hausaufgaben müssen weg? Sie müssen also nicht mehr in der Schu- le gemacht werden, sondern die Hausaufgaben müs- sen generell weg?)

Jetzt habe ich leider meinen Zeitungsartikel auf dem Platz liegen lassen. Es gibt eine schöne Aussage von Frau Schavan aus dem Jahr 2001: „Kein Nachmittagsunterricht durch G 8“. Das muss man sich einmal vorstellen. Und Frau Schavan kommt jetzt in die Arbeitsgruppe, die die Krise des G 8 lösen soll? Da macht man wirklich die Geiß zur Gärtnerin.

(Heiterkeit und Beifall bei den Grünen und der SPD)

Jetzt muss man doch ganz ernsthaft fragen:

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Die Hausaufgaben sollen generell weg?)

Wie, bitte schön, sollen wir das Niveau des Gymnasiums halten – das wollen wir ja wohl –, die Leistungsstandards, auf die Baden-Württemberg ja bekanntlich stolz ist, wenn wir zugleich Stunden kürzen, und noch dazu in den Naturwissenschaften? Das muss man sich einmal vorstellen! Das geschieht in einer Situation, in der ganz Deutschland über den Ingenieurmangel redet. Ausgerechnet da wollen Sie bei den Naturwissenschaften kürzen. Das ist ein Anschlag auf den Standort Baden-Württemberg!

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU)

Jetzt gibt es dazu ein erhellendes Interview des Kultusminis ters Rau in den „Stuttgarter Nachrichten“ vom 15. Februar 2008. Er sagt:

Wir haben die Verpflichtung, 265 Stunden bis zum Abitur zu unterrichten, davon müssen 260 Fachunterricht sein. Wenn wir diese Bindung aufheben,

übrigens haben die CDU-regierten Länder in der KMK durchgesetzt, dass an dieser Stundenzahl festgehalten wird –

können wir den Schulen mehr Freiraum geben – etwa für die Hausaufgabenbetreuung.

(Abg. Norbert Zeller SPD: So ein Quatsch!)

Das heißt: Die Stundenzahl bleibt gleich, die Stunden werden aber anders verwendet.

Sie wollen also Fachunterricht streichen,

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Für Hausaufgaben!)

damit Sie stattdessen Hausaufgabenbetreuung machen können.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Blödsinn! – Abg. In- go Rust SPD: Unglaublich!)

Das muss man sich einmal vorstellen!

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Das wissen Sie doch besser! Hausaufgaben kann man in den Unterricht integrie- ren! Sie sind doch ein guter Pädagoge! Das wissen Sie doch genau!)

Jetzt muss man weiterlesen.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Weiterlesen!)

In dem Interview, Herr Kollege Rau, ist weiter zu lesen – das ist natürlich gegen seinen Ministerpräsidenten gerichtet; er muss jetzt irgendwie die Scharte von der Aussage mit den Naturwissenschaften auswetzen –:

Wichtiger ist das exemplarische Lernen: Wenn ich junge Leute für Naturwissenschaften begeistern will, darf ich nicht Stoff anhäufen, sondern brauche Zeit, um mit ihnen zu experimentieren.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Also doch!)

Herzlichen Glückwunsch!

(Heiterkeit bei den Grünen)

Das weiß man in den Naturwissenschaften seit hundert Jahren.

(Abg. Ingo Rust SPD: Tausend! Aristoteles! – Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Aber man weiß auch – das braucht man sich nur an den fünf Fingern abzuzählen –: Wenn Sie das machen, brauchen Sie eher mehr Stunden und nicht weniger.