Protokoll der Sitzung vom 28.02.2008

Punkt 3 der Tagesordnung ist damit abgeschlossen.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Dann sind die Grünen nicht beteiligt worden! – Gegenruf des Abg. Franz Untersteller GRÜNE: Wir haben dem Antrag der Fraktion der SPD zugestimmt!)

Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums – Nutzung der Möglichkeiten aus der Reform des Berufsbildungsgesetzes – Drucksache 14/1586

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung des Antrags fünf Minuten und für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.

Ich darf das Wort für die SPD-Fraktion Herrn Abg. Kaufmann geben.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute über die Möglichkeiten aus der Reform des Berufsbildungsgesetzes. Ich darf in diesem Zusammenhang zunächst daran erinnern,

was seinerzeit die Gründe für diese im Jahr 2005 beschlossene Reform waren.

2005 wurde es immer klarer, dass das duale System der Berufsausbildung, das sehr viele Vorteile hat, auch mit erheblichen Nachteilen behaftet ist. Es ist weder verlässlich, noch ist es zeiteffizient, und es ist auch nicht immer zielführend. Das sieht man schon allein daran, dass der Zeitpunkt des Beginns einer normalen Lehre für die Jugendlichen im Durchschnitt erst im 19. Lebensjahr liegt. Früher betrug das Alter bei der Aufnahme einer Ausbildung 14, 15 oder 16 Jahre.

Ein zweiter Punkt war, dass Bund und Länder mit massiven Entlastungsmaßnahmen im Bereich der Berufsbildung einspringen mussten und gewaltige Summen für Übergangssys teme – man könnte auch sagen: für die Warteschleifen – ausgeben mussten. Was lag da näher, als zumindest vorübergehend einen Weg anzubieten, der größere Möglichkeiten des Zugangs zu einer beruflichen Ausbildung schafft? Dieser Ansatz des Gesetzes wurde von uns immer unterstützt.

Wir stehen auch dafür, dass den Jugendlichen in dieser angespannten Situation auf dem Ausbildungsmarkt ein Recht auf berufliche Erstausbildung zugebilligt wird. Damit meine ich nicht ein Recht im Sinn eines individuell einklagbaren Anspruchs, sondern eine Art Ausbildungsplatzgarantie. Es kann unseres Erachtens nicht sein, Ausbildung nach Konjunkturlage zuzulassen, sodass diejenigen, die in eine schlechte Konjunkturlage hineinkommen, schlechtere Ausbildungsbedingungen erhalten.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE)

Das seit 2005 geltende Berufsbildungsgesetz eröffnet nun ein Zeitfenster für die Länder, in dem sie in eigener Verantwortung einen Beitrag zu einem erleichterten Zugang zu einer beruflichen Ausbildung schaffen können, damit mehr junge Men schen die Möglichkeit erhalten, einen Beruf zu erlernen. Die Landesregierung hat sich – das muss man klar und deutlich sagen – diesen Möglichkeiten verweigert.

(Oh-Rufe von der CDU)

Es war auch Ziel des Berufsbildungsreformgesetzes, die bestehende Situation mit der Knappheit der Lehrstellen sowie die unbefriedigende Situation, dass zwar die berufsbildenden Schulen im Wesentlichen die negativen Effekte auf dem Ausbildungsmarkt mit teuren Maßnahmen kompensieren, es jedoch keine Mitgestaltungskompetenz in der beruflichen Erst ausbildung gibt, zu beenden.

Genau aus diesem Grund erhielten die Bundesländer die Möglichkeiten, Zeiten einer schulischen beruflichen Ausbildung anrechnen zu lassen sowie die Zulassung von Absolventen von Bildungsgängen berufsbildender Schulen zur Kammerprüfung zu erlauben. Dies beinhaltet einen erheblichen Entlastungseffekt; denn kürzere Lehrzeiten bedeuten natürlich auch, dass mehr junge Menschen eine Lehre durchlaufen können, dass das Ausbildungsangebot insgesamt erhöht wird. Das haben wir uns aus dieser Reform erhofft. Wir stellen mit Bedauern fest, dass die Landesregierung diese Optionen nicht genutzt hat.

(Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU: Oh!)

Die vorliegende Verordnung über die Anrechnung des Besuchs der einjährigen Berufsfachschule, die in der Drucksache dargestellt wird, ist nichts Neues. Das gab es schon immer. Das ist lediglich die Fortschreibung der alten Berufsgrundbildungsjahr-Anrechnungsverordnung. Die Landesregierung hat sie leider sogar noch verschärft. Sie hat nämlich einen Numerus clausus eingeführt, indem plötzlich die Noten auch eine Rolle dabei spielen sollen, ob dieses Jahr angerechnet wird oder nicht. Das bedeutet, dass der Anrechnungszugang noch enger gefasst wird. Das war früher nicht der Fall. Es hat eigentlich gereicht, die Prüfung zu bestehen. Damit war die Anrechnung möglich.

Bei den zweijährigen Berufsfachschulen und den Berufskollegs herrscht ebenfalls absolute Fehlanzeige. Sie haben sich geweigert, irgendwelche Möglichkeiten zu schaffen und die enorme Ausbildungsleistung der beruflichen Schulen und Berufsfachschulen, die auf einem mittleren Bildungsabschluss aufbauen oder zu einem mittleren Bildungsabschluss führen, einzubringen. Das ist absolut unverständlich. In der gesetzlichen Regelung steht lediglich drin: „… geeignet, auf die Ausbildungszeit … angerechnet zu werden“. Das ist unseres Erachtens unmöglich, wird der Sache nicht gerecht, hilft den jungen Leuten nicht und bringt es mit sich, dass die Ausbildungszeit in erheblichem Umfang verlängert wird.

Meine Damen und Herren, mit dem Inkrafttreten des Berufsbildungsreformgesetzes können die Länder festlegen, dass Absolventen bestimmter Bildungsgänge berufsbildender Schulen einen Rechtsanspruch auf die Zulassung zur Kammerprüfung haben. Ich weiß, dass erhebliche Einwände seitens der Kammern und der Betriebe gegen die von ihnen als vollzeitschulisch abqualifizierten Ausbildungsgänge erhoben werden. Auch im Text der vorliegenden Drucksache 14/1586 wird von vollzeitschulischer Ausbildung gesprochen. Das ist nicht richtig. Das ist eine irrige Auffassung.

Denn dabei wird die wesentliche Botschaft des Gesetzes übersehen, dass nämlich auch die schulische Ausbildung mit einem der klassischen dualen Ausbildung vergleichbaren Anspruch durchgeführt wird. Das heißt, es ist eine andere Abfolge, aber im Prinzip ist es gleichwertig. Deshalb ist es eigentlich unverständlich, dass man diese Möglichkeit hier in Baden-Würt temberg nicht einführt. Sie ist eh bis zum Jahr 2011 begrenzt. Man sollte sich überlegen, ob man dies nicht zur vorübergehenden Entlastung des Ausbildungsmarkts einführt.

Unseres Erachtens hat die Landesregierung die Spielräume für die Verbesserung der Ausbildungsbedingungen junger Menschen verschenkt. Das bedauern wir. Die Hoffnungen und die Erwartungen, die in den Schulen und bei den Betroffenen bestanden haben, wurden nicht erfüllt. Unser Antrag verlangt eine Revision Ihrer bisherigen Haltung. Ich sage noch einmal: Es geht um die Lebensperspektiven junger Menschen und um die Sicherung des Fachkräftebedarfs der Wirtschaft – Handlungsfelder, die den Schweiß der Edlen lohnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Für die Fraktion der CDU erteile ich Frau Abg. Schütz das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Es ist seit jeher das Ziel der CDUFraktion, möglichst allen Jugendlichen einen erfolgreichen Start in ein eigenverantwortliches Leben zu ermöglichen.

(Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU: So ist es!)

Die duale Ausbildung spielt dabei eine herausragende Rolle. Denn sie stellt nicht nur für ein Drittel aller Jugendlichen den Übergang zwischen Schule und Beruf dar, sondern sie ist damit auch der erste Schritt in die eigene Verantwortung.

(Abg. Werner Pfisterer CDU: Ganz wichtig!)

Im Rahmen der letzten Novellierung des Berufsbildungsgesetzes wurden den Ländern Kompetenzen in der Berufsbildung eingeräumt, die der Landesregierung Handlungsspielräume eröffnet haben.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Die sie nicht genutzt hat!)

Die Landesregierung hat diese Kompetenzen genutzt, um insbesondere den Problemgruppen am Arbeitsmarkt, nämlich Jugendlichen, die noch keinen Ausbildungsplatz haben, zu helfen. Im Rahmen der genannten Anrechnungsverordnung hat die Landesregierung im Konsens mit der Wirtschaft die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, um den Besuch einer Berufsfachschule auf die Ausbildungszeiten in gewerblichen Berufen anzurechnen. Damit ist sichergestellt, dass die Teilnahme an vollzeitschulischen Maßnahmen für die Jugendlichen keine verlorene Zeit ist. Das entscheidende Merkmal der dualen Ausbildung ist, dass Jugendliche im Rahmen ihrer Ausbildung die betriebliche Praxis kennenlernen

(Abg. Gundolf Fleischer CDU: Sehr richtig!)

und damit alle aktuellen Veränderungen auch zeitnah mitbekommen. Erst dadurch gewinnt die duale Ausbildung ihren Wert für den Jugendlichen, für die Wirtschaft und für den Standort Deutschland.

Aus ebendiesem Grund sind einer Anrechnung auch Grenzen gesetzt. Deshalb wird der Besuch einer ein- oder einer zweijährigen Berufsfachschule maximal mit einem Jahr auf die Ausbildungszeit angerechnet. Eine weiter gehende Anrechnung, beispielsweise auf der Basis von § 43 Abs. 2 des Berufsbildungsgesetzes, würde im Ergebnis zu einer Verschulung unseres erfolgreichen Ausbildungssystems und damit zu einer Aushöhlung des Standortvorteils führen.

(Beifall bei der CDU – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: So ist es! Richtig! – Abg. Gundolf Fleischer CDU: Sehr gut!)

Das Beispiel unseres französischen Nachbarn zeigt, dass dies der falsche Weg ist. Dort ist die vollzeitschulische Ausbildung die Regel und die Jugendarbeitslosigkeit deutlich höher als bei uns. Wegen dieser Praxisnähe der dualen Ausbildung wollen sich auch Tschechien und Großbritannien an der dualen Ausbildung, wie sie in Deutschland betrieben wird, orientieren.

Die Tatsache, dass Jugendliche keinen Ausbildungsplatz finden, obwohl die Wirtschaft in ausreichender Zahl Stellen zur Verfügung stellt, zeigt, dass manche Jugendlichen noch nicht

ausbildungsreif sind. Diese Jugendlichen haben, weil sie – aus welchen Gründen auch immer – mit der Lernsituation in der Schule nicht zurechtkommen, in ihrer Schulkarriere einen Misserfolg erlebt. Deshalb ist ihnen wenig damit gedient, sie weiter in dieser Situation zu belassen.

Die Erfahrung zeigt nämlich, dass gerade solche Jugendlichen deutlich mehr aufblühen, wenn sie in einem betrieblichen Umfeld lernen und auch den konkreten Nutzen des Gelernten erkennen. Hier spreche ich aus eigener Erfahrung. Ich habe in unserem Unternehmen 17 Jahre lang ausgebildet.

Vor diesem Hintergrund hat die Ausbildung im dualen System mit den Lernorten Betrieb und Schule für die CDU oberste Priorität. Wir würden ebendiesen Jugendlichen einen Bärendienst erweisen, wenn man sie auf der Grundlage vollzeitschulischer Maßnahmen zur Kammerprüfung zulassen würde. Selbst wenn sie diese bestehen würden, was wenig aussichtsreich erscheint, hätten sie am Ende ein Zeugnis, ohne dass sie einen Betrieb von innen gesehen haben. Dieses Zeugnis hätte für die nachfolgenden Bewerbungen gar keinen praktischen Wert. Denn die Betriebe wollen Mitarbeiter mit betrieblicher Nähe haben.

(Abg. Gundolf Fleischer CDU: Sehr richtig! – Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU: Jawohl!)

Mit der geschilderten Ausgestaltung der Anrechnungsverordnung und dem Verzicht, von der Ermächtigung gemäß § 43 Abs. 2 des Berufsbildungsgesetzes Gebrauch zu machen, haben wir eine Lösung gefunden, die sowohl im Interesse der Jugendlichen als auch der Wirtschaft liegt. Die Lösung liegt auch im Interesse des Arbeitsmarkts, weil wir damit zugleich sichergestellt haben, dass auch die Jugendlichen, die sich derzeit in einer Warteschleife befinden, dem Arbeitsmarkt zügig als Fachkräfte zur Verfügung stehen.

(Glocke des Präsidenten)

Frau Abg. Schütz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Winkler?

Im Anschluss gern.

Im Anschluss, Herr Winkler.

(Zuruf des Abg. Dr. Klaus Schüle CDU)

Damit haben wir einen Beitrag zur Verkürzung der Ausbildungszeit geleistet. Darüber hinaus wird die Kooperation zwischen den Lernbetrieben und den Schulen gestärkt. Mit der geregelten Übertragung der Zuständigkeiten für eine Aberkennung der Ausbildungsbefähigung vom Regierungspräsidium Stuttgart auf die Kammern als zuständigen Stellen haben wir zudem noch einen Schritt in Sachen Deregulierung unternommen.

Als Fazit ist daher festzuhalten, dass die Landesregierung die Möglichkeiten, die sich aus der Reform des Berufsbildungsgesetzes ergeben haben,

(Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE: Nicht genutzt hat!)