Protokoll der Sitzung vom 03.04.2008

Verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Wölfle, hätten Sie es uns heute nicht verraten, wäre niemand in diesem Haus auf die Idee gekommen, dass Sie und Ihre Fraktion dem Bau der europäischen Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Paris und Budapest auf dem Teilstück Stuttgart–Ulm kritisch gegenüberstehen.

Aber Spaß beiseite. Heute lernen wir, dass Sie offenbar sogar die Neubaustrecke infrage stellen.

(Abg. Werner Wölfle GRÜNE: Ihnen habe ich es schon fünfmal erklärt! Lassen Sie das doch!)

Es ist schon beachtlich, mit welcher Hartnäckigkeit Sie immer neue Aspekte gegen dieses Projekt suchen. Heute also die

Verfassungsmäßigkeit. Als Jurist darf ich Ihnen versichern, dass ich seit vielen Jahren in der politischen Diskussion feststelle: Wenn man sich politisch nicht durchsetzt, setzt man seine Hoffnung auf die Verfassung.

Auf der einen Seite ist es beruhigend, dass auch Ihre Fraktion der Verfassung einen so hohen Stellenwert einräumt; auf der anderen Seite ist es erschreckend, mit ansehen zu müssen, für welche Dinge die Verfassung herhalten muss. Politisch gesehen fällt das in die Kategorie:

Und wenn man nicht mehr weiterweiß, dann macht man einen Arbeitskreis, und wenn es noch viel schlimmer wörd, wird der Verfassungsbruch beschwört.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Kennen Sie sich da aus? – Abg. Ingo Rust SPD: Wer hat die Rede ge- schrieben?)

Lieber Kollege Wölfle, der Rechnungshof hat Besseres und Wichtigeres zu tun, als sich mit solchen Ideen zu befassen.

Vor der Unterzeichnung des Memorandum of Understanding hat sich die Landesregierung, um alle Bedenken zu zerstreuen und anstandshalber noch einmal zu prüfen, von der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit überzeugt. In der Stellungnahme haben Sie die beiden wesentlichen Argumente ja gelesen, aber ich will sie Ihnen gerne noch einmal vorlesen.

Bei der Realisierung der Projekte handelt es sich um eine sog. unechte Gemeinschaftsaufgabe des Bundes und des Landes, die vom Verbot der Mischfinanzierung ausgenommen ist. … Die Höhe der Mitfinanzierung muss dem Verantwortungsanteil des Landes … entsprechen.

Diesen Eindruck haben wir.

Beim Abschluss entsprechender Vereinbarungen steht den Vertragspartnern

das ist das verfassungsrechtlich Entscheidende –

eine Einschätzungs- und Beurteilungsprärogative zu.

Aber es gibt noch ein zweites und viel besseres Argument:

Die Möglichkeit einer Mitfinanzierung von Schienenwege investitionen durch Gebietskörperschaften … ist … in § 9 Bundesschienenwegeausbaugesetz ausdrücklich vorgesehen.

Alle Bundesgesetze, also auch das Bundesschienenwegeausbaugesetz, werden von der Bundesregierung – ich darf Ihnen versichern, dass dort hervorragende Juristen sitzen – auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft. Sie dürfen also davon ausgehen, dass nicht nur die Juristen der Landesregierung, sondern auch die Juristen der Bundesregierung von der Verfassungsmäßigkeit einer Mitfinanzierung überzeugt sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit letzter Sicherheit können noch so viele Gutachten und Prüfungen durch bei der Regierung beschäftigte oder von der Regierung beauftragte oder beim Rechnungshof beschäftigte oder vom Rechnungshof beauftragte Juristen eine abschließende und verbindliche Prü

fung nicht vornehmen. Dies vermögen in einem gewaltenteiligen Rechtsstaat nur die unabhängigen Organe der Rechtspflege. Lieber Kollege Wölfle, es steht Ihnen ja frei, mit Ihrer Fraktion den Rechtsweg zu beschreiten.

Weitere Gutachten wären reine Zeit- und Geldverschwendung. Denn am Ende werden Sie doch immer neue Gründe mit der Lupe suchen, um eines der größten Umweltprojekte, die unser Land je gesehen haben wird, zu Fall zu bringen. Deshalb will ich die Gelegenheit nutzen, zumindest drei Vorteile des Projekts für die Umwelt noch einmal hervorzuheben.

Erstens: Die Bahn als umweltfreundlichstes Verkehrsmittel wird gestärkt.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Zweitens: Die zahlreichen Tunnelstrecken entlasten die Menschen von Lärm, z. B. im Stuttgarter Kessel. Ich gebe zu, dass das nicht die Neubaustrecke ist, aber auch dort ist das so.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Drittens: In Kombination mit Stuttgart 21 werden Flächen frei, und damit wird der Flächenverbrauch reduziert.

(Beifall des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP)

Zum Schluss sei mir noch ein Appell erlaubt; denn man weiß ja, dass nach der erfolglosen Beschwörung der Verfassung immer neue, merkwürdigere Ideen kommen: Halten Sie bitte die Aktivisten davon ab, seltene Tiere auf der Strecke auszusetzen.

(Heiterkeit des Abg. Reinhold Gall SPD)

Denn der Tierschutz ist nun einmal ein Verfassungsgut – Gott sei’s gedankt. Es wäre nicht fair, Tiere für politische Zwecke dort leiden zu lassen. Haben Sie ein Herz für Tiere, wenn Sie schon kein Herz für die Umwelt haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Karl-Wil- helm Röhm CDU – Abg. Werner Wölfle GRÜNE: Wenn, dann nehmen wir FDPler! – Vereinzelt Heiter- keit)

Das Wort erteile ich Herrn Minister Rech.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Argumente sind hier in aller Klarheit ausgetauscht. Deswegen muss ich hier keine lange Rede halten. Ich will meinen Beitrag auf ganz wenige Sätze beschränken.

Ich will es dahingestellt sein lassen, ob der Rechnungshof tatsächlich die richtige Stelle ist, um über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser Finanzierung zu urteilen.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Ja! Das ist gut!)

Aber der Kollege Drexler hat darauf hingewiesen: Der Rechnungshof ist unabhängig, er kann dies tun und kann uns jeder

zeit eine Stellungnahme vorlegen. Ich will darauf hinweisen, dass das Innenministerium natürlich vor Unterzeichnung des Memorandum of Understanding selbstverständlich die Frage der Zulässigkeit eines solchen Zuschusses geprüft hat. Es wurde vom Kollegen Scheuermann schon darauf hingewiesen – deswegen erspare ich mir weitere Ausführungen –, dass Herr Professor Dolde in einem Gutachten bestätigt hat, dass ein solcher Zuschuss mit dem Grundgesetz zu vereinbaren ist.

Bei Stuttgart 21 und der Neubaustrecke Ulm–Stuttgart handelt es sich nicht nur um eine Aufgabe des Bundes. Das Land fördert mit der Mitfinanzierung der Neubaustrecke u. a. Verbesserungen für den Nahverkehr und die regionale Wirtschaft, also die Wirtschaftsstrukturen. Das Vorhaben dient damit eben auch der Erfüllung von Aufgaben des Landes, weil die Realisierung von Stuttgart 21 zwingend voraussetzt, dass die Neubaustrecke realisiert wird. Wir haben das deshalb auch immer als eine Einheit gesehen, der Bund sieht das als Einheit, die Europäische Union sieht das als Einheit. Dies liegt auch auf der Hand.

Die Realisierung setzt also zwingend voraus, dass die Neubaustrecke zeitgleich realisiert wird. Infolge der Zusammengehörigkeit von Stuttgart 21 und Neubaustrecke handelt es sich hier um eine – auch das wurde gesagt – sogenannte unechte Gemeinschaftsaufgabe des Bundes und des Landes. Die ist eben vom Verbot der Mischfinanzierung ausgenommen. Ich bringe nur ein kurzes Zitat aus dem Gutachten; dann ist dieser Aspekt schon erledigt. Professor Dolde schreibt in seinem Gutachten:

Eine Mitfinanzierung des Vorhabens Neubaustrecke Stuttgart–Ulm durch das Land Baden-Württemberg ist mit Artikel 104 Abs. 1 des Grundgesetzes vereinbar, wenn die Verwirklichung des Vorhabens Neubaustrecke Stuttgart– Ulm einer unechten Gemeinschaftsaufgabe dient, das heißt auch der Erfüllung einer Aufgabe des Landes.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: So ist es!)

Dieses landespolitische Interesse ergibt sich aus der Realisierung von Stuttgart 21 einschließlich der Flughafenanbindung.

Dies also zu diesem Komplex.

Jetzt nur noch zwei Sätze zur Höhe der Mitfinanzierung des Landes. Auch die ist nicht zu beanstanden. Was hier allerdings zulässig ist und was nicht, ist rechtlich nicht näher definiert. Beim Abschluss entsprechender Vereinbarungen steht den Vertragspartnern ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zu. In diesem Zusammenhang will ich darauf hinweisen, dass der Landesanteil deutlich unter 50 % des Gesamtumfangs des Projekts liegt. Er entspricht damit also der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung. Auf § 9 des Bundesschienenwegeausbaugesetzes, der die Möglichkeit der Mitfinanzierung einräumt und vorsieht, wurde hingewiesen.

Nach alledem, meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen, kann ich an der Verfassungsmäßigkeit des Handelns der Landesregierung keinen Zweifel hegen. Ich will in einem allerletzten Satz lediglich noch darauf hinweisen, dass natürlich auch der Bund seinerseits die Frage der Verfassungsmäßigkeit zu prüfen hatte und sie sicherlich auch geprüft hat.

Deswegen steht für uns das Ergebnis eigentlich unzweifelhaft fest.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wir kommen jetzt zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung des Antrags. Über den Antrag Drucksache 14/1741 soll abgestimmt werden. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Antrag ist mehrheitlich abgelehnt.