Protokoll der Sitzung vom 03.04.2008

Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des Innenministeriums – Gutachtliche Äußerung des Rechnungshofs zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Finanzierungsbeteiligung des Landes an der Realisierung der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm – Drucksache 14/1741

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung des Antrags fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion. Es gelten gestaffelte Redezeiten.

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Wölfle für die Fraktion GRÜNE.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Die vorgesehene Redezeit werden wir wahrscheinlich gar nicht brauchen, weil der Sachverhalt eigentlich einfach ist. Wir Grünen haben beantragt, eine gutachtliche Äußerung des Rechnungshofs nach § 88 Abs. 3 der Landeshaushaltsordnung einzuholen, und zwar zu der Frage der verfassungsmäßigen Zulässigkeit der Finanzierungsbeteiligung des Landes an der Realisierung der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm. Warum?

Es geht ja nicht mehr um eine Vorfinanzierung, wie sie lange in Rede stand, sondern inzwischen um eine Mitfinanzierung. Gegen die Mitfinanzierung der Schienenbaustrecke Wendlingen–Ulm bestehen aus unserer Sicht – und wir sind nicht allein mit dieser Sicht – erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Ich habe bisher ge- dacht, Sie sind nur gegen Stuttgart 21 und nicht ge- gen die Neubaustrecke!)

Nein. Hören Sie mir deswegen ganz sorgfältig zu.

Ich habe ja gerade schon ausgeführt, dass es um verfassungsrechtliche Bedenken geht und nicht um die Realisierung dieses Projekts,

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Ach so!)

und zwar um verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber der Mitfinanzierung und nicht gegenüber der Vorfinanzierung.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Ich hatte den leisen Verdacht, es könnte auch etwas mit Ihrer Ablehnung von Stuttgart 21 zu tun haben!)

Nicht immer sind Ihre Vermutungen zutreffend, Herr Noll.

Die Strecke ist im Bundesverkehrswegeplan enthalten und damit nach Artikel 87 e Abs. 4 des Grundgesetzes ein Vorhaben in alleiniger Zuständigkeit des Bundes. Dem Bund obliegen sowohl die infrastrukturelle Grundentscheidung als auch die Ausgabeverantwortung und -finanzierung. Wenn ich daran denke, dass wir noch andere Schienenausbauprojekte in Baden-Württemberg haben, die eindeutig in der Zuständigkeit des Bundes liegen – ich nenne das Stichwort Rheintaltrasse –, dann, muss ich sagen, ist die Fragestellung, die wir aufwerfen, von grundsätzlicher Bedeutung.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Das könnte aber die Befürworter doch eher beunruhigen!)

Deswegen sind wir der Meinung, dass es richtig ist, eine gutachtliche Äußerung des Rechnungshofs einzuholen.

Die Landesregierung schreibt in ihrer Stellungnahme zu dem Antrag:

Die im Antrag dargestellte gutachtliche Äußerung des Rechnungshofs wäre nicht geeignet, eine abschließende Klärung zu der im Antrag zitierten Meinungsvielfalt in Rechtsprechung … herbeizuführen.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: So ist es!)

Natürlich kann sie dies nicht, weil eine gutachtliche Äußerung nun einmal nicht abschließend ist; das ist ja logisch.

Die Landesregierung entwertet aus unserer Sicht damit den Rechnungshof als Organ zur Kontrolle der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung und verzichtet auf die Sachkompetenz einer unabhängigen Kontrollbehörde.

Jetzt einmal zur strategischen Sicht: An Ihrer Stelle, an der Stelle der Regierungsfraktionen, würde ich dem Antrag zustimmen. Sie könnten den ewigen Kritikern, wie wir es sind, den Wind aus den Segeln nehmen – es sei denn, Sie fürchten das Risiko einer anderen Rechtsauffassung, nämlich der des Rechnungshofs.

Insofern: Nur Mut! Fürchten Sie die Äußerung nicht! Wie gesagt: Sie ist von grundsätzlicher Bedeutung. Die Klärung und die gutachtliche Äußerung des Rechnungshofs könnten uns für andere Schienenprojekte noch hilfreich sein.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erhält Herr Abg. Scheuermann für die Fraktion der CDU.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einer persönlichen Bemerkung beginnen: Sie brauchen sich keine Sorgen um meine Stimme zu machen; die belegte Stimme ist das letzte Relikt einer erfolgreichen Strumaoperation. Schnaufen kann ich schon wieder gut, und irgendwann werde ich auch wieder normal reden können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen – Abg. Wolfgang Drexler SPD: Sehr gut! Dann wol- len wir das auch kurz machen!)

Jetzt zur Sache: Herr Wölfle, ich halte diese Debatte für kropf unnötig.

(Abg. Hans-Martin Haller SPD: Sehr gut!)

Ich will das mit vier kurzen Bemerkungen begründen.

Erstens: Über die Entwicklung haben Sie selbst gesagt: Wir kamen von Zinsleistungen für eine Vorfinanzierung zu einer Mitfinanzierung der Neubaustrecke Stuttgart–Ulm. Ganz einfach gesagt: Ich selbst halte es für viel besser, anstatt Banken Zinsen zu zahlen, Baukosten zu übernehmen.

Zweitens: Sie sagen, wir brauchten ein Gutachten des Landesrechnungshofs. Wir haben ein Gutachten von Herrn Pro

fessor Dr. Dolde. Nun möchte ich einmal sagen: In der juris tischen Fachwelt hat eine juristische Äußerung von Professor Dolde mindestens die gleiche Glaubwürdigkeit wie eine gutachtliche Äußerung des Rechnungshofs.

Herr Professor Dolde kommt zu dem Ergebnis, wir hätten es hier mit einer unechten Gemeinschaftsaufgabe zu tun, und eine Mischfinanzierung zwischen Bund und Ländern sei grundsätzlich möglich und keineswegs ausgeschlossen. Einzige Bedingung: Die Höhe der Mitfinanzierung muss immer dem Interesse des Mitfinanzierers am Gesamtobjekt entsprechen. Wir könnten jetzt lange miteinander darüber reden, ob das ein bisschen zu viel oder zu wenig war.

Dritte Bemerkung: Meine Damen und Herren, einen vergleichbaren Vorgang haben wir jahraus, jahrein, ohne dass die Grünen bislang auf die Idee gekommen wären, ihn zu monieren. Nehmen Sie jede Maßnahme im Bundesfernstraßenbau. Wir als Land planen diese Maßnahmen in Auftragsverwaltung und strecken die Planungskosten vor. Bei der Abrechnung ist es so, dass die Planungskosten heute weit über 10 % der Gesamtkosten ausmachen, wir jedoch vom Bund 3 oder 4 % pauschal für Planungen ersetzt bekommen. Kein Mensch regt sich darüber auf, dass wir hier Planungskosten für eine Bundesmaßnahme übernehmen. Im Gegenteil: Auch aus Ihrer Fraktion sind mir genügend Anliegen bekannt, das Land möge doch endlich einmal mit der Planung der entsprechenden Maßnahmen beginnen.

Letzte Bemerkung: Herr Kollege Wölfle und meine Damen und Herren von den Grünen, irgendwann sollte man eben auch einmal akzeptieren, dass die überwiegende Mehrheit in diesem Haus für Stuttgart 21 und für die Neubaustrecke Stutt gart–Ulm ist, und nicht mit immer abstruseren Methoden versuchen, dagegen Front zu machen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Sehr gut!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Drexler für die Fraktion der SPD.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuerst habe auch ich gedacht, das sei schon wieder ein Angriff gegen Stuttgart 21, man wolle die Neubaustrecke aufgeben, um Stuttgart 21 beenden zu können. Das wäre auch ein guter Coup.

Ich muss Ihnen nur sagen: Die Grünen haben, seit wir über dieses Thema debattieren, also schon seit Jahren, durch Herrn Kretschmann und durch Herrn Palmer unisono festgestellt: Diese Neubaustrecke wird nicht kritisiert; man ist dafür. Wenn man aber dafür ist, Herr Wölfle, dann muss man auch akzeptieren, dass wir sie jetzt anders finanzieren als am Anfang.

Herr Scheuermann hat schon darauf hingewiesen: Wir sind von Zinszahlungen weg hin zu einem direkten Zuschuss gekommen. Der Anstieg der Zinszahlungen von 600 auf 950 Millionen € war für uns natürlich auch ein bisschen hoch. Wir haben das auch kritisiert. Wir haben uns, wie Herr Scheuermann es gesagt hat, vor unserer Entscheidung aber auch klar und deutlich erkundigt; denn es war natürlich eine Maßnahme des Bundes. Klar ist, dass dies eine unechte Gemein

schaftsaufgabe u. a. des Bundes ist und deswegen eine Mitfinanzierung möglich ist. Wir haben uns beim Bundesverkehrsministerium erkundigt, und dieses hat uns vor unserer Entscheidung gesagt, eine Mitfinanzierung des Landes sei möglich, weil in § 9 des Bundesschienenwegeausbaugesetzes ausdrücklich eine Mitfinanzierung vorgesehen ist.

Also, beide Maßnahmen waren für uns klar. Deswegen haben wir diesem Zuschuss zugestimmt, und deswegen sollten wir daran auch nicht rütteln. Denn was wäre denn die Folge, wenn wir das – nehmen wir das einmal an – jetzt aus verfassungsmäßigen Gründen, in welcher Form auch immer, infrage stellen würden? Wir hätten die Neubaustrecke dann im Jahr 2030. Ich würde sagen, dann brauchen wir sie vielleicht gar nicht mehr zu bauen.

Insofern bitte ich darum, über dieses Thema jetzt nicht weiter zu reden; denn wir sind überzeugt, dass die Finanzierung verfassungsrechtlich in Ordnung ist.

Ich will, nachdem Herr Scheuermann auf den Bundesfernstraßenbau eingegangen ist, nur noch darauf hinweisen, dass wir den Bund natürlich auch schon beim Schienenwegeausbau ständig erheblich unterstützen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel, bei dem man nicht einmal unter den 50 % bleibt: Das Land hat sich beim Aus- und Neubau der Hochrheinbahn zwischen Basel und Waldshut maßgeblich beteiligt. Die Gesamtkosten der Strecke betrugen 44 Millionen €; das Land hat 35 Millionen € davon bezahlt. Da sind wir sogar weit über 50 % gegangen. Kein Mensch hat, weil wir das gebraucht haben, gesagt: Man muss jetzt aus verfassungsrechtlichen Gründen dagegen sein.

Wenn der Rechnungshof will, kann er das prüfen, und zwar unabhängig von einem Auftrag. Das kann er jederzeit machen. Wir würden deswegen heute den Rechnungshof auch nicht auffordern wollen, eine Untersuchung über die Verfassungsmäßigkeit der Finanzierung anzustellen. Wir bleiben bei unserer Entscheidung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Die war aber föderal, die Re- de!)

Natürlich war die Rede föderal!

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Bachmann für die Fraktion der FDP/DVP.

Verehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Wölfle, hätten Sie es uns heute nicht verraten, wäre niemand in diesem Haus auf die Idee gekommen, dass Sie und Ihre Fraktion dem Bau der europäischen Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Paris und Budapest auf dem Teilstück Stuttgart–Ulm kritisch gegenüberstehen.