Protokoll der Sitzung vom 05.06.2008

Vermehrt kommt es in letzter Zeit zu Fällen, in denen nach einem unerwünschten Anruf den Angerufenen Waren und Dienstleistungen in Rechnung gestellt werden, die sie so nie bestellt haben. Vor allem Jugendliche, Bürger mit Migrationshintergrund und Senioren sind betroffen. Wie Kollege Kübler vorhin zutreffend sagte, hat sicherlich jeder von uns schon einmal negative Erfahrungen mit solchen Anrufen gemacht. Ich zähle mich selbst noch nicht zu den Seniorinnen, bin aber auch schon Leidtragende von solchen Anrufen gewesen.

(Abg. Jochen Karl Kübler CDU: Jungseniorin! – Ge- genruf des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Keine Al- tersdiskriminierung!)

Um der Macht von Medien, Marken und krimineller Energie zu begegnen, hilft vor allem erstens der Schutz des Staates und zweitens die Erziehung zum mündigen Bürger. In Sachen Erziehung haben wir in diesem Haus schon einiges gehört. Ich denke, da sind wir alle – vor allem in den Kommunen und in den Parlamenten, in den kommunalen Parlamenten und in diesem Haus – sehr rege dabei, diese Mündigkeit, diese Erziehung zum mündigen Bürger schon im Kindergarten entsprechend zu forcieren.

Der erste Punkt schlägt sich in diesem Gesetzentwurf zur Bekämpfung unlauterer Telefonwerbung nieder.

(Abg. Birgit Kipfer SPD: Jetzt kommt sie zum The- ma!)

Wir, die FDP/DVP-Fraktion, begrüßen und unterstützen die Absicht des Bundesministeriums der Justiz, die Verbraucher vor den Folgen unlauterer Telefonwerbung zu schützen.

(Abg. Birgit Kipfer SPD: Gut!)

Die beabsichtigten Gesetzesänderungen sind aus unserer Sicht hilfreiche und zugleich unerlässliche Maßnahmen auf dem Weg, das gesetzte Ziel auch zu erreichen.

Eine zentrale Forderung der FDP war auch die schriftliche Bestätigung des Verbrauchers für die Wirksamkeit von Folgeverträgen. Durch die Einfügung einer neuen Regelung im Gesetz über den unlauteren Wettbewerb würden Folgeverträge nicht bereits am Telefon, sondern erst nach einer entsprechenden Bestätigung des Verbrauchers wirksam. Dabei wird unser Anliegen sowohl von der unabhängigen Verbraucherkommission Baden-Württemberg als auch von Landes- und Bundeseinrichtungen und Verbraucherzentralen unterstützt.

Im Rahmen der 3. Verbraucherschutzministerkonferenz im September 2007 sind auch entsprechende Beschlüsse zur Beendigung von unerlaubten Telefonanrufen gefasst worden. Nicht die Verbraucher, sondern die schwarzen Schafe der Callcenterbranche müssen unter Druck gesetzt werden. Der Telefonterror wird nämlich erst dann aufhören, wenn die illegalen Werbeanrufe wirtschaftlich unattraktiv werden.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Dr. Klaus Schüle CDU)

Das Wort erhält nun Frau Staatssekretärin Gurr-Hirsch.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kollegen und Kolleginnen! Man kann sagen: Unerlaubte Telefonanrufe sind zur Landplage des 21. Jahrhunderts geworden. Man wird, wenn man abends gemütlich zusammensitzt, durch solche Anrufe in seiner Privatsphäre massiv gestört, oftmals gerade zu dem Zeitpunkt, zu dem man zu Nacht isst und sein Familienleben leben möchte.

(Abg. Ute Vogt SPD: Sind Sie abends nicht auf Ter- minen?)

Da wird man mit Angeboten konfrontiert, bei denen man schon eine unglaubliche Eloquenz braucht, um sich davor zu schützen.

Werbeanrufe ohne die vorherige Zustimmung des Angerufenen sind aber nicht nur lästig oder belästigend. Nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb sind sie auch ungesetzlich. Da hat sich eine Branche entwickelt, die man als „Bergwerke des 21. Jahrhunderts“ bezeichnen kann. Da läuft etwas im Verborgenen ab; der Kollege hat es vorhin schon deutlich gemacht.

Man muss sich einmal vorstellen: Pro Vierteljahr gibt es 80 Millionen unerbetene Anrufe, sogenannte Cold Calls – sie erwischen dich ganz kalt. Im Jahr sind das mehr als 300 Millionen solcher Anrufe – mit steigender Tendenz. Statistisch gesehen, wird jeder viermal im Jahr damit belästigt. Die Untersuchungsergebnisse, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dokumentieren darüber hinaus, dass sich die Entwicklung bei diesen Cold Calls weiter fortsetzen wird. Da wird wohl ordentlich Geld verdient!

Wenn ich Ihnen jetzt eine für mich persönlich sehr schlimme Erfahrung vortrage, dann soll Ihnen dies die Dramatik vor Au

gen führen: Meine Schwiegermutter wohnt in Erlangen. Wir haben immer wieder versucht, sie anzurufen, sind aber nicht durchgedrungen. Nach 14 Tagen – wir hatten inzwischen sämtliche Geschwister angerufen – hat man uns gesagt, dass sie das Telefon nicht mehr abnimmt, weil sie ständig von solchen Anrufen belästigt wird. Man hat sich dann auf ein Zeitfenster zwischen 18 und 19 Uhr geeinigt. In diesem Zeitraum dürfen wir nun anrufen, da nimmt sie den Hörer ab.

An diesem Beispiel sehen Sie: Die Anrufe richten sich vornehmlich an die Schwächeren, an die alten Menschen, an die Jugendlichen und an die Migranten, die nicht so gut argumentieren können.

Die vorliegenden Fallzahlen belegen für die Landesregierung einen dringenden politischen Handlungsbedarf. Ich freue mich, dass es im Zusammenwirken mit der FDP/DVP, die in wirtschaftlichen Fragen ja oftmals einen anderen Ansatz verfolgt, gelungen ist, einen Kabinettsbeschluss zu fassen, um auch im Bundesrat in dieser Hinsicht etwas zu bewegen.

Es darf nicht sein, dass in einer Marktwirtschaft mit ungesetzlichen Methoden in großem Stil Geld verdient werden soll. Das können wir als diejenigen, die die soziale Marktwirtschaft vertreten, nicht zulassen. Deswegen haben wir schon vor einem Jahr eine Kampagne gegen die unerlaubte Telefonwerbung gestartet. Damit stehen wir nicht allein – es wurde schon angedeutet –: Unsere Verbraucherkommission, die seit dem Jahr 2004 der Politik als beratendes Expertengremium an die Seite gestellt ist, hat uns gestärkt und aufgefordert, hier nicht nachzulassen.

Sie haben ja im letzten Jahr erlebt, wie gerade unser Verbraucherschutzminister Peter Hauk die Verbraucherschutzminis terkonferenz als Vorsitzender ein Jahr lang sehr engagiert nach vorne gebracht hat. Ich denke, das Jahr 2007 war ein gutes Jahr für den Verbraucherschutz. Das Thema ist noch nie so stark nach vorne gespült worden wie im Jahr 2007.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Die Bundesjustizministerin hat im letzten Jahr einen politischen Handlungsbedarf energisch bestritten. Hierfür mögen rechtsdogmatische Gründe den Ausschlag gegeben haben. Aber es ist schwierig gewesen, sie hier mit ins Boot zu nehmen.

Frau Kipfer hat einiges vorgetragen, was in den letzten Wochen passiert ist. Es geht um das Verbot, bei Werbeanrufen die Anzeige der Rufnummer zu unterdrücken. Aber dieses Verbot ist eigentlich nur eine Farce. Denn Sie können gegenüber demjenigen, der Sie belästigt, ohne dass dabei seine Rufnummer angezeigt wird, kein Bußgeld erwirken. Hierfür müssten Sie ja – zumindest nach meinem praktischen Verständnis – eine Fangschaltung einrichten.

Manchmal wundere ich mich schon: Ich kenne Juristen eigentlich als Menschen, die auf den Punkt kommen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Es ist nur die Fra- ge, wann! – Heiterkeit)

Aber wenn der Staatssekretär im Bundesjustizministerium sagt, es könnte, wenn dem Vorschlag aus Baden-Württemberg

gefolgt würde, keine Pizza mehr bestellt werden, dann ist das schlichtweg Unsinn.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Die sollen doch Maultaschen essen und keine Pizza!)

Man muss doch einfach immer sehen, von wem die Willenserklärung ausgeht. Wenn ich Hunger habe und einen Pizza dienst anrufe – was ich noch nie getan habe –,

(Zurufe von der CDU: Sehr gut! – Abg. Wolfgang Drexler SPD: Tu doch nicht so unschuldig! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Die Frau Staatssekretä- rin joggt hin und holt sie selbst ab!)

dann geht ja die Willenserklärung von mir als Kundin aus.

(Abg. Rainer Stickelberger SPD: Haben Sie Maulta- schen bestellt? – Abg. Wolfgang Drexler SPD: Maul- taschen sind auch nicht schlecht!)

Die mache ich selbst! – Wenn man eine Pizza bestellt, ist man als Verbraucher derjenige, der eine Willenserklärung abgegeben hat. Das hat dann nichts mit einen Cold Call zu tun, sondern da ist es gerade umgekehrt.

Es geht uns also ganz konkret darum, die Persönlichkeitsrechte bei der Rechtsdogmatik in den Vordergrund zu stellen. Deswegen finde ich es eigentlich sehr enttäuschend, was da in Berlin gelaufen ist.

Ich möchte es sportlich ausdrücken: Wenn Sie ein Spiel gewinnen wollen, dann müssen Sie den effektivsten Spieler aufs Feld schicken. Ich denke, dass unser Trainer das bei der Fußball-Europameisterschaft auch immer richtig machen wird. Die illegalen Werbeanrufe werden erst dann aufhören, wenn sie sich wirtschaftlich nicht mehr lohnen. Das wiederum ist nur zu erreichen, wenn der Matchwinner ins Spiel kommt. Das ist für uns eine gesetzliche Regelung! Die Folgeverträge aus unlauterer Werbung sollen ohne schriftliche Bestätigung keine Wirkung mehr entfalten können. Nur das ist der richtige Ansatz.

Sehr geehrte Damen und Herren, in genau diese Lücke ist der Vorschlag gestoßen, für die Wirksamkeit der Folgeverträge die schriftliche Bestätigung vorzusehen. Durch die Einfügung eines neuen Absatzes 4 in § 7 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb werden die Verträge zukünftig nicht bereits am Telefon, sondern erst nach einer Bestätigung des Verbrauchers – beispielsweise durch Fax, Brief oder Mail – wirksam.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, ich sage mit aller Deutlichkeit: Unser Ziel ist diese schriftliche Bestätigung, und zwar nicht nur für die Kommunikationsverträge, wie es Frau Zypries mit ihrem erweiterten Vorschlag vorsieht.

(Abg. Birgit Kipfer SPD: Auch für Pizza?)

Nein. Frau Kipfer, ich habe doch gerade den Unterschied klargemacht. Es geht darum, dass Sie, wenn Sie angerufen werden, selbst keine Willenserklärung abgegeben haben, sondern dass man Ihnen diese überbrät. Ich glaube, wir brauchen da nicht miteinander zu streiten. Es ist ganz normal, dass man erkennt, dass zuvor eine Willenserklärung vorliegen muss.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Sehr gut!)

Es darf, so meine ich, nicht sein, dass der Verbraucher hier durch den Überraschungseffekt eines nicht erwarteten Anrufs übervorteilt wird. Ich möchte ganz einfach feststellen, dass der werbende Unternehmer die schriftliche Bestätigung erbringen muss, um die Wirksamkeit des Vertrags nachzuweisen. Wie ich bereits angemerkt habe, sind hier nämlich vor allem ältere Menschen gefährdet. Wenn die Folgeverträge bei fehlender schriftlicher Bestätigung durch den Verbraucher von vornherein unwirksam sind, wird sich die unlautere Telefonwerbung auch nicht mehr lohnen, und dann wird sie einschlafen.

Bei unserer Lösung muss also der Verbraucher nichts tun, sondern derjenige, der ihm einen Vertrag aufgeschwätzt hat, muss tätig werden. Beim Widerruf – so, wie Sie es vorgeschlagen haben – wäre es gerade umgekehrt: Obwohl der Verbraucher nichts wollte, muss er aktiv werden. Das ist aber doch wohl die Härte! Nachdem ich schon belästigt worden bin, soll ich auch noch daran denken, dass ich widerrufen muss, und mir hierzu vielleicht erst noch eine Adresse selbst beschaffen, zu der ich zunächst gar keinen Zugang habe.

Als Gegenargument gegen die schwebende Unwirksamkeit wird auch gern angeführt, dass Folgeverträge unter Umständen vom Verbraucher auch erwünscht sein könnten. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich denke, dass die Fallzahlen das Gegenteil beweisen. Sie sprechen eine sehr deutliche Sprache. Ein paar Hundert Fällen stehen eben diese Millionen von unerbetenen Telefonanrufen gegenüber.

Bei unserem Fokus auf die Folgeverträge geht es also nicht um die Frage, ob es sich im Einzelfall um einen guten oder um einen schlechten Vertrag für den Verbraucher handelt. Wir brauchen keine juristischen Spiegelfechtereien, sondern wir brauchen eine wirksame Lösung des Problems, damit Millionen von Bürgern tagtäglich geholfen werden kann.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Sehr gut! Das ist der richtige Weg!)

Man muss das Übel an der Wurzel packen. Wenn wir die schwarzen Schafe der Callcenterbranche erfassen, ist das für die ganze Branche ein Gewinn, nämlich auch für die seriösen Anbieter. Wir müssen bei Callcentern immer unterscheiden, ob es sich um ein Inboundgeschäft oder um ein Outboundgeschäft handelt. Das heißt, wenn ein Klient von sich aus tätig wird, dann ist es ein Inboundgeschäft. Die meisten Verträge kommen aber andersherum zustande, indem nämlich die Reaktionen aus den Callcentern kommen.

Ich möchte zusammenfassen: Unsere Initiative verfolgt das Ziel, den entscheidenden Teil des Beschlusses der Verbraucherschutzministerkonferenz umzusetzen. Wir freuen uns, dass wir auch die Unterstützung der Grünen haben. Wir wollen damit die derzeitige Situation der Verbraucher schnell, aber auch substanziell verbessern und somit gegen schwarze Schafe in der Branche vorgehen, um den Sumpf trockenzulegen, indem wir die wirtschaftliche Attraktivität dieses unlauteren Handelns ganz einfach bekämpfen.