Protokoll der Sitzung vom 26.06.2008

Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des Ministeriums für Ernährung und Ländlichen Raum – (Wie- der-)Vernetzung von Wildtierlebensräumen – Drucksache 14/2122

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung des Antrags fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.

Das Wort zur Begründung des Antrags erteile ich Frau Abg. Dr. Splett.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir kommen nun von der Kultur zur Natur, von der Vermessung der Kulturlandschaft zur Vernetzung von Landschaften, zur Vernetzung von Lebensräumen. Die Frage, wie wir mit der Umwelt, mit der Landschaft, die uns umgibt, umgehen, ist ja auch eine zutiefst kulturelle Frage.

Welch großes Problem die Landschaftszerschneidung für den Erhalt der Biodiversität darstellt, ist im Prinzip seit Langem bekannt. Wir wissen, dass auch kleinere Straßen für viele Arten praktisch zu unüberwindbaren Barrieren werden. Trotzdem wird dieses Problem bei vielen Entscheidungen noch immer unterschätzt.

Die Bedeutung der Wildtierkorridore nimmt durch den Klimawandel zu. Verbreitungsschwerpunkte, Verbreitungsgrenzen verschieben sich. Aber nur, wenn die Lebensräume vernetzt sind, wenn sich die Arten bewegen können, können sie auch darauf reagieren. Andernfalls geht es unseren heimischen Arten letztlich nicht besser als dem Eisbären, der auf einer schmelzenden Scholle sitzt und das feste Eis nicht mehr erreicht.

Wie ist der aktuelle Stand? Es gibt Vorarbeiten der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt. Die gibt es im Übrigen schon lange, ohne dass es bisher gelungen wäre, daraus ein landesweites Konzept zu stricken.

Ferner gibt es ein bundesweites Konzept des NABU. Es gibt Vorschläge des BUND, u. a. zu einem Rettungsnetz für die Wildkatze. Bundesweit wird auch von Regierungsseite an einem Wiedervernetzungskonzept gearbeitet. Wir hoffen deshalb, dass es in den nächsten Jahren zu tatsächlichen Fortschritten kommt.

Klar ist aber auch, dass die Rechtsgrundlage für die Sanierung bei Zerschneidungswirkungen im Straßenbestand fehlt. Da ist auch leider nichts in Sicht. Das heißt, dass keine Mittel bereitstehen, um Grünbrücken oder andere Querungshilfen an bestehenden Straßen zu errichten.

Andere Länder sind uns weit voraus. In den Niederlanden wird seit etlichen Jahren ein Konzept zur Landschaftsentschneidung umgesetzt. Auch in der Schweiz und in Österreich gibt es seit Jahren Konzepte, die umgesetzt werden.

Besonders beeindruckt hat mich das Beispiel Österreich, wo man die Umsetzung dadurch sicherstellt, dass es eine Dienstanweisung des Bundesverkehrsministeriums gibt, die auch die Nachrüstung von Bestandsstrecken umfasst. Da ist einfach festgelegt, welche Querungshilfen in den nächsten 20 Jahren errichtet werden müssen. Die Finanzierung erfolgt ganz selbstverständlich aus Straßenbaumitteln. Ein ähnliches Instrument wünschen wir uns auch für Baden-Württemberg und für Deutschland.

Damit komme ich zu unserem Antrag. Es ist uns ein Anliegen, dass mit Nachdruck an einem Wildwegeplan für BadenWürttemberg gearbeitet wird und dass dieser anhand eines breiten Zielartenspektrums erstellt wird, nicht nur fokussiert auf wenige jagdbare Arten. Wir wollen den fertigen Plan im Jahr 2009 tatsächlich in den Händen halten. Er muss neben der Darstellung von Wildtierkorridoren auch eine Liste der prioritären Maßnahmen enthalten, die umzusetzen sind, und zwar an den bestehenden Straßen. Wir wollen eine verbindliche Aussage des Landes, welche Maßnahmen – sagen wir: welche zehn Maßnahmen – im Straßenbestand in den kommenden Jahren umgesetzt werden sollen.

Es reicht nicht, wenn Sie im bisherigen Tempo weiterarbeiten. Es reicht auch nicht, wenn Sie die Konzepte anhand weniger jagdbarer Arten erstellen lassen. Die Wiedervernetzung von Lebensräumen ist eine zentrale Aufgabe des Naturschutzes. Wir meinen deshalb, dass dies auch in der Naturschutzverwaltung bearbeitet werden muss – nicht federführend von der FVA. Es reicht nicht, wenn die Großsäuger als alleiniger Maßstab genommen werden. Das Ökosystem ist deutlich komplexer gestrickt, als es die Antworten der Regierung sind.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Für das Parlament muss es einfach sein!)

Wir würden auch komplexe Antworten verstehen.

Es reicht nicht, wenn Sie die wichtigsten Wildtierkorridore auf eine Karte zeichnen und auf § 3 des Naturschutzgesetzes verweisen, wonach bisher unzerschnittene Landschaften vor der Zerschneidung zu bewahren sind. Ausnahmen gibt es allzu häufig.

Auch der Autobahnanschluss für den Baden-Airpark, von dem gestern die Rede war und den wir Grünen ablehnen, führt durch eine unzerschnittene Landschaft und durch ein wertvolles Natura-2000-Gebiet. Wenn dort trotzdem gebaut wird, zeigt das, dass es notwendig ist, Wildtierkorridore planungsrechtlich besser abzusichern. Ein Grünzug im Regionalplan reicht hierfür ganz offensichtlich nicht aus.

Es reicht nicht, wenn Sie sich auf Straßenneubauten konzentrieren. Wenn wir das in der nationalen Biodiversitätsstrategie definierte Ziel, dass im Jahr 2020 vom Straßennetz keine erheblichen Beeinträchtigungen für den Biotopverbund mehr ausgehen sollen, erreichen wollen, dann sind massive Nachrüstungen im Bestand notwendig. Hierfür brauchen wir eine Rechtsgrundlage, und das natürlich sowohl für Bundesstraßen als auch für Landesstraßen.

Wir finden – ich habe es vorhin schon erwähnt – die österreichische Vorgehensweise bestechend einfach und würden es

begrüßen, wenn wir auch hier eine entsprechend klare und einfache Regelung erreichen könnten. Was das Bundesstraßennetz angeht, fordern wir die Landesregierung auf, diesbezüglich im Bundesrat initiativ zu werden.

(Beifall bei den Grünen)

Nicht einverstanden sind wir mit der Aussage der Landesregierung, dass eine Übertragung auf die Landesstraßen gar nicht möglich sei. Die Landesregierung führt aus, dass es praktisch keine Landesstraßen mit Wildschutzzäunen oder der Möglichkeit, solche anzubringen, gebe. Ich brauche nur in meinem Wahlkreis die Landesstraße zwischen Karlsruhe und Stutensee entlangzufahren, die kilometerweit durch den Wald verläuft, mit Wildschutzzäunen umzäunt. Das zeigt mir, dass die Wirklichkeit etwas anders aussieht, als sie in der Stellungnahme des Ministeriums beschrieben ist. Es gibt sehr wohl Landesstraßen, die Grünbrücken oder andere Querungshilfen brauchen und wo deren Einrichtung auch durchaus möglich wäre. Wahrscheinlich gibt es auch Kreisstraßen, die das brauchen.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Jede Menge, Frau Kollegin! – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/ DVP: Miserabler Zustand, zum Teil!)

Wir müssen uns jetzt allerdings wohl oder übel damit zufriedengeben, dass die Konzepte auf Bundes- und Landesebene angekündigt sind. Ich kündige aber meinerseits an, dass wir die Frage der Umsetzung, der Rechtsgrundlage und der Mittelbereitstellung wieder auf die Tagesordnung setzen werden, sobald wir eine bessere Grundlage für die Benennung der wichtigsten Nachrüstmaßnahmen haben, sobald wir also wissen, wo prioritär gehandelt werden muss.

Wir werden uns auch die Ökokontoverordnung, die ja wohl noch in diesem Jahr den Landtag passieren soll, genau anschauen im Hinblick auf die Möglichkeit, Querungshilfen – sowohl Grünbrücken als auch Kleintierdurchlässe – als Ersatzmaßnahmen anerkennen zu lassen. Aus meiner Sicht ist das jedenfalls viel sinnvoller, als es viele jetzt im Entwurf enthaltene Maßnahmen wie Bodenkalkungen oder Ähnliches sind, deren Effekt auf die Biodiversität zweifelhaft ist.

Ich würde mich freuen, wenn wir den Antrag und die Thematik weiter debattieren könnten, und zwar im Innenausschuss, da es ja insbesondere um Straßeninfrastruktur geht.

Danke.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Elke Brunnemer CDU: Warum nicht gleich im Ausschuss?)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Locherer.

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Jetzt wird wieder zur Sache gesprochen!)

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! Das Thema „Vernetzung von Wildtierlebensräumen“ hat für mich vier Zielrichtungen: Artenschutz, Umweltschutz, aber auch Mobilität und Verkehrssicherheit. Wenn wir darüber diskutieren wollen, Frau Dr. Splett, meine Damen und Herren, dann müssen wir uns alle Ziele gleichrangig anschauen.

Artenschutz ist in den vergangenen Jahren immer stärker in das öffentliche Bewusstsein gerückt, und das ist gut so. Gerade die Wildtiere erfahren eine höhere gesellschaftliche Wertschätzung. Das bedeutet natürlich auch, Verantwortung zu übernehmen, beispielsweise bei der Umsetzung der FFHRichtlinie und angesichts der Zerschneidung von Lebensräumen. Baden-Württemberg übernimmt im Rahmen seiner Möglichkeiten Verantwortung, und zwar, meine Damen und Herren, Verantwortung für eine gute Verkehrsinfrastruktur – die haben wir nämlich auch – und für den Schutz von Lebensräumen von Wildtieren.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Ich nenne Ihnen ein ganz konkretes Beispiel: Ich komme aus dem Wahlkreis Wangen im Allgäu, einer Ecke, die, was die Verkehrsinfrastruktur anbelangt, bis zum heutigen Zeitpunkt nicht gerade verwöhnt war. Jetzt bauen wir z. B. die A 96 zwischen Memmingen und Lindau aus.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Endlich!)

Dort haben wir beides gemacht, nämlich die Autobahn ausgebaut und an vier Stellen – denn dort ist, wie Sie ja wissen, auch ein internationaler Wildtierkorridor – auch Wildtierbrücken gebaut. Das ist vorbildlich. Für diesen Einsatz und für dieses Engagement sowie die Unterstützung möchte ich mich beim Land ausdrücklich herzlich bedanken.

(Beifall bei der CDU – Zurufe der Abg. Norbert Zel- ler SPD und Jörg Döpper CDU)

Dort wird für die Menschen, die Verkehrsinfrastruktur und auch für die Natur etwas geleistet. Das ist vorbildlich, kann ich da nur nochmals sagen.

Sehr geehrte Frau Dr. Splett, wenn Sie den Landesentwicklungsplan richtig lesen, dann wissen Sie, dass wir dort eben gerade auch die unzerschnittenen Räume mit hohem Wald- und Biotopanteil mit einer Größe von über 100 km2 planungsrechtlich abgesichert haben. Übrigens: Sie sehen, BadenWürttemberg ist auch hier spitze.

Sie sehen das an einem weiteren Beispiel – das haben Sie ja erwähnt, Frau Dr. Splett –: Baden-Württemberg ist das erste Bundesland, das bereits vor fünf Jahren mit den Wildtierkorridoren ein Vernetzungskonzept vorgelegt hat. Hier gilt mein Dank insbesondere der Staatlichen Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg. Ein herzliches Dankeschön möchte ich hierfür aussprechen. Wir sind auch hier vorbildlich.

Drittens – ein weiterer Bereich –: Das novellierte Naturschutzgesetz trägt dem Anliegen des Antrags Rechnung.

Dann viertens – ein weiterer Bereich –: Der Generalwildwegeplan ist in Angriff genommen worden. Das haben Sie ja selbst bestätigt, Frau Dr. Splett.

(Zuruf der Abg. Dr. Gisela Splett GRÜNE)

Ein bundesweites Wiedervernetzungskonzept ist durch den Bund in Bearbeitung, übrigens mit einer starken Beteiligung des Bundeslands Baden-Württemberg.

Liebe Frau Dr. Splett, seien wir uns doch darüber einig und im Klaren: Nicht an jeder Landesstraße werden wir entsprechende Querungseinrichtungen schaffen können. Das funktioniert einfach nicht. Es gibt sicher Abschnitte – Sie haben ja ein Beispiel genannt –, wo man das machen kann, aber das wird eben nicht überall funktionieren. Sie haben auf Öster reich verwiesen. Dazu darf ich nur sagen: Die dortige Richtlinie bezieht sich ausdrücklich auf Autobahnen und Schnellstraßen und nicht auf Landesstraßen, wie Sie sie angesprochen haben.

Lassen Sie mich aber auch noch eines unterstreichen: Gefordert sind wir alle auch als Verkehrsteilnehmer, meine Damen und Herren. Durch Aufklärung, Sensibilisierung und angepasstes Fahrverhalten können wir zu unserer eigenen Sicherheit, aber eben auch zur Vermeidung von Wildtierunfällen selbst einiges beitragen und dafür sorgen, dass hier nichts passiert.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Mobilität und Artenschutz schließen einander nicht aus. Deshalb darf man sie auch nicht gegeneinander ausspielen. Wir sind auf einem guten Weg. Von diesem sollten wir uns auch nicht abbringen lassen.

Liebe Frau Dr. Splett, der Beschlussteil Ihres Antrags geht ins Leere. Wir können nicht zu Maßnahmen aufrufen, die wir schon längst angegangen sind.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Gundolf Fleischer CDU: Sehr gut!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Bayer.