Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Naturschutz in Deutschland hat eine sehr lange Tradition. Er reicht zurück bis in die frühen Jahre des 19. Jahrhunderts, und er hat auch Erfolge gezeitigt. Es haben sich viele gesetzliche Maßnahmen entwickelt. Wir haben inzwischen weit über 5 000 Naturschutzgebiete in Deutschland. Aber gleichzeitig mit dieser Erfolgsgeschichte hat auch die Nutzung der Landschaft immer mehr zugenommen. Der Flächenverbrauch ist exorbitant, und die Verkehrswege haben die Landschaft in kleine und kleinste Stücke zerhackt.
Vor diesem Hintergrund ist doch klar, wie wenig es eigentlich nützt, wenn eine Tierart einfach nur unter Schutz gestellt wird, diese quasi in ein Schutzgebiet eingesperrt wird. Die Populationen sind oft viel zu klein, um sich dauerhaft und ohne genetische Degeneration zu erhalten. Zu anderen Populationen kann eine Population nur noch durch Überwindung von Barrieren kommen – Schnellstraßen, Kanäle, Eisenbahntrassen. Das ist für viele Tierarten ein schwieriges, ein gefährliches und oft ein ganz unmögliches Unterfangen.
Übrigens besteht das Problem für Großtiere wie Luchs oder Wildkatze ebenso wie auch für Kleintiere, für Bodeninsekten und Reptilien. Es geht in dieser Frage nicht nur um die Großtiere. Beispiele gibt es in Hülle und Fülle. Der Umstand z. B., dass wir erst durch das Überfahren eines Luchses die letzte
Deshalb, meine Damen und Herren, ist es wichtig, neben Naturschutzpolitik auch für eine Vernetzung zu sorgen und – sicherlich notwendige – Landschaftszerschneidungen nicht zur unüberwindbaren Barriere für Wildtiere werden zu lassen.
Wenn wir nicht große Teile unserer Naturschutzbemühungen der letzten Jahrzehnte wieder zunichte machen wollen, dann muss bei jedweder Landschaftsplanung, Naturschutzplanung und insbesondere bei der Verkehrswegeplanung berücksich tigt werden, dass es zusätzliche Querungshilfen für Wildtiere geben muss. Das gilt gerade für Baden-Württemberg mit seinem großen Naturreichtum bei gleichzeitig dichter Besiedlung und hohem Verkehrsaufkommen.
Wir begrüßen deswegen die wesentlichen Forderungen des Antrags der Fraktion GRÜNE und teilen sie. Das größte Problem – Frau Splett hat es schon angesprochen – besteht darin, dass es für die Schaffung von Querungshilfen jedweder Art bei bestehenden Straßen keine rechtlichen und finanziellen Grundlagen gibt. Das muss sich ändern.
Denn es nützt nichts, dass die schlimmsten Konfliktstellen mit häufigen Wildunfällen analysiert werden und ein bundesweites Vernetzungskonzept entwickelt wird, wenn das in der Folge nicht zu entsprechenden, ganz konkreten Baumaßnahmen führt.
Ich kann deswegen Sie von der Landesregierung nur bitten, sich im Zuge der bundesweiten Konzepterstellung in den nächsten zwei Jahren dafür einzusetzen, dass auf Bundes-, aber auch auf Landesebene die Grundlagen geschaffen werden, dass Grünbrücken überall, wo sie denn notwendig und erforderlich sind, geplant und auch wirklich gebaut werden können. Das gilt für Straßen unterschiedlicher Kategorie, für Bundesstraßen ebenso wie für Landstraßen, und auch für Schienenwege. Es muss eine Liste entstehen, die dann nach naturschutzfachlichen Prioritäten abzuarbeiten ist, natürlich im Rahmen des finanziell Möglichen.
(Beifall des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr gut!)
Lassen Sie mich mit einem moralischen Appell schließen. In unserer hochzivilisierten Welt müssen Tiere mit den Rahmenbedingungen zurechtkommen, die ihnen von uns, von der selbst ernannten Krone der Schöpfung, zugestanden werden. Meine Damen und Herren, nicht nur die allseits so geliebten Haustiere – die Hunde, die Katzen, die Meerschweinchen und die Kanarienvögel – verdienen Aufmerksamkeit und Fürsorge, sondern auch die bei uns noch lebenden Wildtiere. Auch ihnen akzeptable Lebensbedingungen zu sichern liegt an uns, und zwar ausschließlich an uns.
Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Kollege Paul Locherer hat es auf den Punkt gebracht: Wir brauchen Mobilität und Artenschutz. Das ist, glaube ich, die generelle Aussage, an der wir uns bei diesem Thema entlanghangeln.
Allerdings bin ich auch der Auffassung, dass man bestimmte Fakten nicht wegwischen sollte. Es muss auch – da habe ich Ihrer Aussage, Kollege Bayer, Beifall gezollt – bezahlbar bleiben und im Rahmen eines Gesamtkonzepts geschehen; man kann nur eines nach dem anderen abarbeiten.
Ich darf an dieser Stelle zum Thema Straßenbau sagen: Wenn man den Zustand einiger Straßen bei uns im Land anschaut, merkt man, dass es sehr wichtig ist, dass die Mittel entsprechend eingesetzt werden und dass dort, wo Erneuerungen durchgeführt werden oder die eine oder andere Ortsumfahrung neu gebaut wird, die Notwendigkeiten des Artenschutzes berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang darf ich mich bei den Straßenplanern des Landes und den Straßenplanern vor Ort bedanken. Bedanken möchte ich mich aber auch bei denjenigen, die diese Flächen zur Verfügung stellen. Es sind in der Regel die Landwirte, die letztendlich ihre Flächen für solche Maßnahmen bereitstellen.
Meine Damen und Herren, man sollte aber nicht darüber hinwegschauen, dass wir ein blühendes Hightechland, ein Wirtschafts-, Kultur- und Tourismusland sind. Baden-Württemberg ist ein sehr dicht besiedeltes Land, wo es, Frau Kollegin Splett, sehr schwierig ist, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Wir haben ein sehr dichtes Straßennetz, ein sehr dichtes Verkehrsnetz, aber nicht überall ein gutes Verkehrsnetz; auch das möchte ich hier anmerken.
Ich verstehe den Antrag Ihrer Fraktion, Frau Kollegin – um das klarzustellen – nicht in dem Sinne „Weg von der Kulturlandschaft, hin zur Urlandschaft“.
Natürlich besteht, wenn ich zwischen den Zeilen des Antrags Ihrer Fraktion lese, durchaus der Verdacht, dass die eine oder andere Forderung vielleicht übertrieben ist. Natürlich muss die Planung vorwärtsgehen, Frau Staatssekretärin, natürlich müssen wir hier noch mehr machen. Aber wenn ich die Pressemitteilung des NABU von heute lese, in der steht – ich zi
tiere, Herr Präsident – „Wildtiere brauchen nachhaltigen Generalverkehrsplan – Zebrastreifen für Wildtiere“, dann frage ich: Zebrastreifen im übertragenen Sinn auch auf der Autobahn? Ich meine, man sollte nicht solche Reizworte verwenden – ich sage das hier deutlich –, wenn wir gemeinsam mehr erreichen wollen.
Meine Damen und Herren, zum Thema „Biotopschutz bzw. Naturschutz und Straßenbau“: Mir tut es auch weh, wenn die Kröten wandern und es keinen entsprechenden Schutzzaun gibt, wenn Igel totgefahren werden. Aber wir können hier, wie der Kollege Locherer gesagt hat, selbst als Verkehrsteilnehmer mehr tun. Wir müssen zudem – auch das ist wichtig – bei der einen oder anderen Straßenbaumaßnahme mehr tun.
Wir haben – das will ich hier auch einmal klar und deutlich sagen – in den letzten 20 Jahren vor allem bei der Flurneuordnung und im Straßenbau vieles erreicht: Ackerrandstreifen, FFH-Gebiete, Renaturierungen. Deshalb auch ein Dank an die Naturschützer, an die Jägerschaft, an die Vereine und die vielen ehrenamtlichen Mitglieder, die genau diese Maßnahmen unterstützen und ihren Teil beitragen; denn der Staat kann nicht alles tun, meine Damen und Herren.
Wir sollten uns nicht an dünn besiedelten Ländern wie Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg oder Bayern orientieren. Das können wir nicht, und das werden wir auch nicht tun.
Meine Damen und Herren, noch ein Wort in Richtung Wiedereingliederung. Schon in meiner Zeit als parlamentarischer Berater im Jahr 1989 war der Luchs ein Thema gewesen. Bei diesem Punkt muss man sehen: In einem dicht besiedelten Raum kann man bestimmte Entwicklungen nicht rückgängig machen.
Der Luchs, die Wildkatze oder der Rothirsch brauchen einen bestimmten Raum. Man sollte berücksichtigen, dass diese Tiere Flächenansprüche haben, die in unsere dicht besiedelte Landschaft mit ihrem Straßennetz nicht hineinpassen. Es ist ein Irrglaube, wenn man meint, man könne diese Tiere einfach ansiedeln. Vermutlich stammte der Luchs, der damals im Schwarzwald überfahren worden ist, aus der Schweiz und wollte sich nicht hier ansiedeln, sondern ist durchgewandert.
(Abg. Jörg Döpper CDU: Er hat keinen Pass dabei- gehabt! – Abg. Dr. Gisela Splett GRÜNE: Es gab mehrfach welche!)
Deshalb, meine Damen und Herren, sollte man realistisch sehen: Wo die Futtergrundlage und die notwendige Fläche nicht vorhanden ist, sollte man nicht mit Akribie versuchen, bestimmte Entwicklungen rückgängig zu machen.
Unabhängig davon sage ich noch einmal: Mit den vielen Querungshilfen, die wir einrichten, sind wir auf einem guten Weg. Ich glaube, es ist wichtig, hier nicht nachzulassen. Ich warne jedoch vor Übertreibungen. Wichtig ist, dass wir dort, wo
Straßenbaumaßnahmen anstehen, die Notwendigkeiten berücksichtigen. Aber man kann hier nicht im Sinne von hohen Mittelausgaben übertriebene Wünsche befriedigen.
Wir brauchen im Land viel Geld zur Instandhaltung von Straßen. Vor allem brauchen wir – das haben wir in den letzten zwei Tagen gehört – viel Geld für Forschung, Bildung, Standortsicherung. Das gehört natürlich bei der Finanzierung an die erste Stelle.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kollegen und Kolleginnen, sehr geehrte Damen und Herren! Das, was uns als verbindendes Element die Straße ist, nämlich dass sie uns schnell von einem Ort A zu einem Ort B bringt, das ist für viele Tierarten gerade umgekehrt und verhindert und beeinträchtigt deren Wanderungen. Ich glaube, darüber sind wir uns alle in den Beiträgen hier einig gewesen.
Es macht uns auch sehr betroffen, Herr Bayer. Aber die Betroffenheit ist das eine, die Realität das andere. Man muss sich vor Augen führen, dass Baden-Württemberg das mit am dichtesten besiedelte Bundesland ist, auch aufgrund dessen, dass in den letzten Jahren immer mehr Menschen zugewandert sind und wir ein Transitland sind, seit der Osten geöffnet ist. Das alles trägt dazu bei, dass unser Straßennetz überlastet ist. Wie dringend das Problem ist, wurde auch heute in der Fragestunde klar, in der das Thema Straßen dominiert hat. Allerorten wurden Forderungen erhoben, doch noch mehr in den Straßenbau zu investieren. – Das nur zu unserer Glaubhaftigkeit.