Protokoll der Sitzung vom 28.06.2006

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Es steht an erster Stelle der Anliegen des Städte- und des Gemeindetags, dass wir zu diesem Konsultationsverfahren kommen.

Noch ein Wort zur Unternehmensteuerreform. Gleich, um welches Konzept es sich handelt: Die verlässliche Finanzausstattung der Kommunen ist hier neben der Mittelstandstauglichkeit für uns der wesentliche Prüfstein jedes Reformmodells. Das muss nicht unbedingt heißen, dass die Gewerbesteuer im Verhältnis 1 : 1 erhalten werden muss. Aber es muss heißen, dass keine Neuregelung getroffen werden darf, die neue Löcher in die kommunalen Haushalte reißt.

(Beifall des Abg. Jürgen Walter GRÜNE)

Wenn wir uns darauf verständigen, können wir dort sicher zu einer Übereinkunft kommen.

Zum Schluss des Finanzteils möchte ich noch einmal sagen: Wenn Sie sicherstellen wollen, dass die Schuldenlast nicht ausufert, dann folgen Sie endlich unserem Vorschlag des Einbaus einer Schuldenbremse – also Kredite nur noch dann aufnehmen, wenn deren Rückzahlung mit einem klaren Tilgungsplan und einem klaren Maßnahmenprogramm festgelegt ist. Sie haben den Vorschlag ja abgelehnt und ihn jetzt in der Koalitionsvereinbarung in etwas radikalisierter Form wieder aufgenommen. Von einem grundsätzlichen Verschuldungsverbot zu sprechen ist, finde ich, immer eine Großmäuligkeit. Bevor ich ein generelles Verschuldungsverbot festschreibe – ein solches Verbot ist ja gar nicht sinnvoll –,

(Abg. Dietmar Bachmann FDP/DVP: Wollen Sie jetzt sparen oder nicht? – Gegenruf der Abg. The- resia Bauer GRÜNE)

baue ich zunächst einmal doch wenigstens eine Bremse ein und verweigere mich nicht auch schon dieser.

Ich fasse zusammen: Das neue Regierungsprogramm zur Konsolidierung des Landeshaushalts besteht weitgehend aus dem alten Rasenmäher. Sie müssen mit dem Rasenmäher vernünftigerweise natürlich an wichtigen Positionen wie Bildung und Polizei vorbeifahren. Vor der Wahl haben Sie ein notwendiges Stelleneinsparvolumen von 30 000 Stellen bis 2015 genannt. Wir sind der Ansicht, dass wir den Haushalt mit der Einsparung von 20 000 Stellen strukturell sanieren können, wenn wir im sächlichen Bereich Maßnahmen nachschieben. Wir hören in der Regierungserklärung davon nichts mehr.

Die Aufgabenkritik spart von vornherein die großen Subventionstöpfe wie Messe und Flughäfen aus. Das Volumen, das Sie vorschlagen, reicht in keiner Weise aus, um die Nettonullverschuldung bis 2011 zu erreichen. Sie haben kein Konzept, wie wir trotz dieser Verschuldung im globalen Wettbewerb Handlungsspielräume bei den Schlüsselqualifikationen des Landes erreichen, nämlich in der Bildung, und zwar vom Kindergarten bis zur Hochschule.

(Beifall der Abg. Theresia Bauer GRÜNE)

Fazit: Die Ziele sind richtig, aber es werden keine Mittel und Maßnahmen genannt, um diese Ziele zu erreichen. Im Ergebnis kommt weder die Haushaltssanierung noch die Erfüllung der Kernaufgaben voran.

Warum wollen wir denn so rigoros sparen? Um die Kernaufgaben erfüllen zu können. Dazu gehört als die dramatischste Herausforderung zunächst einmal, dass wir mehr Studienplätze brauchen. Mehr junge Menschen haben durch zusätzliche Studienplätze eine Chance. Diese müssen wir nutzen und uns darüber freuen. Wir brauchen mehr Studierende, und es wollen auch mehr ausländische Studierende hier einen Studienplatz haben. Auch das sehen wir als positiv an.

Baden-Württemberg hat nur erneuerbare Ressourcen, und die wichtigste Ressource ist unsere Gescheitheit –

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

nicht nur weil es einfach zu den sehr schönen Erfahrungen des Lebens gehört, durchzublicken und Ideen zu haben, weil Bildung also zur Persönlichkeitsentwicklung sehr wichtig ist. Vielmehr stehen wir auch im globalen Wettbewerb. Die Hochschulen bilden heute eine internationale Wissenschaftsgemeinschaft. Der PISA-Vergleich hat gezeigt: Wir müssen uns heute mit anderen Ländern in Europa und der Welt messen. Schon aufgrund der demografischen Entwicklung ist jeder Kopf wichtig.

Aber ganz entscheidend ist auch: Die individuelle Förderung unabhängig von der sozialen Herkunft ist in Zukunft das Fundament sozialer Gerechtigkeit. Die Frage der sozialen Gerechtigkeit wird sich wie nie zuvor über die Teilhabe an Bildung entscheiden, unabhängig von der sozialen Herkunft. Sie wissen alle – da hätte ich von Ihnen ein paar selbstkritische Worte erwartet –, dass Baden-Württemberg bei der Teilhabe an Bildung in der Frage der sozialen Gerechtigkeit außerordentlich schlecht aufgestellt ist.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Stefan Mappus CDU: Das stimmt doch nicht!)

Die Zahlen liegen auf dem Tisch. Wir brauchen unserer Ansicht nach 19 000 neue Studienplätze, weil Sie ja 4 000 abgebaut haben. Sie nennen 16 000 und lassen die 4 000 unter den Tisch fallen. Sie haben auf einem Hochschulkongress gesagt, Herr Oettinger:

Bei 30 % mehr Studierenden muss mehr Geld her.

Und Sie sagten weiter:

30 % mehr Köpfe heißt, dass das Land sich im Haushalt nicht mit null davonstehlen darf.

Im Koalitionsvertrag steht aber null, und in der Regierungserklärung steht auch null. Sie sagen: bestenfalls auf dem Niveau von 2005/2006. Sie haben keinen Hinweis gegeben, dass im Haushalt etwas anderes steht.

Dabei haben der Wissenschaftsminister und Sie die Dimension klar benannt, nämlich: Zwischen 200 und 300 Millionen € sind dafür erforderlich.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: 200! – Abg. The- resia Bauer GRÜNE: Jährlich!)

Das ist wirklich viel mehr Geld als null. Aber Sie haben wohl null Konzept und auch null Ideen, wie das zustande kommen soll.

(Beifall bei den Grünen)

Winken Sie nicht ab, Herr Ministerpräsident. Das waren Äußerungen in Ihrer Regierungserklärung. Wer so mit einer großen Chance und Herausforderung umgeht, der handelt grob fahrlässig und verspielt die wichtigsten Ressourcen der Landespolitik.

Auch hier geht es wieder um den internationalen Blick. Die ETH Zürich mit 12 000 Studierenden – die Schweiz ist immerhin unser Nachbar – hat einen Etat von 700 Millionen €, Karlsruhe mit 16 000 Studierenden hat einen Etat von 157 Millionen €. Die ETH Zürich hat also, gemessen an den Studierendenzahlen, das Fünffache an Mitteln. Ich denke, wir wären schon glücklich, wenn wir für Karlsruhe die doppelte Summe hätten. Denn nur wenn wir in Forschung, Entwicklung und Lehre investieren,

(Abg. Klaus Dieter Reichardt CDU: Sparen!)

haben wir eine Chance, stark zu bleiben. Wenn wir das nicht tun, untergraben wir die Quellen des Reichtums der Zukunft.

(Beifall bei den Grünen)

Wir haben mit unserem Bildungspakt ein konkretes Modell der Finanzierung vorgestellt.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Na?)

Wir haben jetzt und in den nächsten Jahren bis 2012 steigende Bedarfe, und zwar in Hochschule und Schule.

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Auf Sand gebaut!)

Wir werden zurückgehende Schülerzahlen haben und damit rechnerisch frei werdende Lehrerstellen. Aber diese Entwicklungen erfolgen zeitversetzt. Dazu kommt – wir wollen ja das Ziel der Haushaltskonsolidierung nicht aus den Augen verlieren –:

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Wie schön!)

Um jetzt in langfristigen, überschaubaren Zeiträumen agieren zu können und verantwortlich zu handeln, wollen wir keine ungedeckten Belastungen für die Zukunft mehr eingehen. Deshalb brauchen wir jetzt mehr Mittel für die Bildung, und zwar für die frühe Förderung, für die Schulen und für die Hochschulen. Wir brauchen knapp 2 000 Stellen für Ganztagsschulen, damit 40 % aller Schulen bis 2011 zu Ganztagsschulen ausgebaut sind,

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Genau das haben wir vor!)

sowie 800 Stellen für Haupt- und Realschulen entsprechend den Poolstunden an den Gymnasien, damit wir auch diese Schulen besser fördern können. Das strukturelle Defizit an den Berufsschulen und an den Sonderschulen muss abgebaut werden. Dazu brauchen wir noch Stellen für den Ethikunterricht, Fremdsprachen an Grundschulen, Vorgriffsstunden. Außerdem brauchen wir 3 000 zusätzliche Stellen an den Hochschulen bis 2011, und dieses Plateau müssen wir halten.

Mit dem Bildungsfonds finanzieren wir diese Stellen in Schulen und Hochschulen vor. Wir zahlen das Geld zurück, wenn die Schülerzahlen nach 2012 zurückgehen und die

Lehrerstellen frei werden. Dieses Konzept entspricht genau der Schuldenbremse. Wir legen jetzt also genau fest, wie wir das refinanzieren. Das Ergebnis des Bildungspakts im Jahr 2016 ist: Wir haben die Deckung des zusätzlichen aktuellen Bedarfs für Bildung dauerhaft im Landeshaushalt finanziert, ohne neue Schulden zu hinterlassen.

(Beifall bei den Grünen – Zuruf der Abg. Heidero- se Berroth FDP/DVP)

Dazu kommt natürlich die Ansage: Mehr Bildung für das gleiche Geld. Wir wollen nämlich kein Geld in unreformierte Systeme stecken.

(Beifall bei den Grünen – Zuruf der Abg. Theresia Bauer GRÜNE)

Dazu haben wir auch Vorschläge für eine Reform der Schulverwaltung durch selbstständige Schulen gemacht, bei der wir davon ausgehen, dass wir damit, wenn man das mutig macht, 80 % der Schulverwaltung im nächsten Jahrzehnt einsparen können. Wir fordern Sie auf, zu überprüfen, ob wir die Lehrerfortbildung nicht wirklich weitgehend an den Schulen machen können und damit keine teuren Institutionen vorhalten müssen. Erst wenn Sie uns nachweisen, dass das nicht geht, können wir dem, was Sie jetzt bei den Neubauten der Lehrerakademien planen, zustimmen.

Das Sitzenbleiben kostet, wenn man das einmal umrechnet, statistisch 1 000 Lehrer – ganz konservativ gerechnet. Wenn man das Sitzenbleiben abschafft und progressiv rechnet, dann kann man noch immer sehr viele von den frei werdenden Lehrern dafür einsetzen, Kinder effektiver zu fördern als durch dieses idiotische Sitzenbleiben.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Machen wir doch G 6!)

Das ist also eine klare Effizienzreserve. Der Korrekturaufwand der Lehrer beträgt teilweise ein Drittel ihrer Arbeitszeit – als würde die Sau vom Wiegen fetter.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der Grünen)