Schließlich, meine Damen und Herren: Wir haben jetzt 363 Seiten Enquetebericht, 184 Seiten Zwischenbericht. Wir können sicherlich noch viel Papier produzieren; das ist ja bekanntlich geduldig. Aber wir appellieren an Sie: Denken Sie weiter, springen Sie weiter, damit der demografische Wandel tatsächlich eine Chance und keine Bedrohung ist.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der demografische Wandel als Chance für diese Gesellschaft: Ich glaube, es lohnt sich, wenn wir uns dieses Thema nach der Demografie-Enquete auch über die Tagespolitik hinaus immer wieder ins Bewusstsein rufen und historische Entwicklungen nicht außer Acht lassen. Denn nur derjenige, der weiß, woher er kommt, weiß, wohin er letztlich marschieren kann und will.
Ich will noch einmal die Historie der Demografie-Enquete aufgreifen. Der Name ist schon genannt worden: Walter Döring hat, wie Sie wissen, zusammen mit der FDP/DVP-Fraktion dafür gesorgt, dass die Demografie-Enquete im Landtag von Baden-Württemberg überhaupt zustande gekommen ist. Sofort waren alle Fraktionen dabei. Frau Altpeter – sie ist unverdächtig – nickt. Es war so.
Uns von der FDP/DVP war es wichtig, am Ende nicht irgendwelche schönen Leitsprüche zu entwickeln, die in der Realität aber letztlich wenig Konkretes nach sich ziehen. Deswegen bin ich froh und dankbar, dass wir heute Gelegenheit haben, nach drei Jahren sozusagen ein erstes Zwischenfazit zu ziehen. Wie nicht anders zu erwarten, wird es vonseiten der Opposition als ungenügend, als nicht ausreichend dargestellt. Aber ich kann Ihnen allen, liebe Kolleginnen und Kollegen,
nur empfehlen – übrigens auch allen Interessierten; das kann man inzwischen alles über das Internet abrufen –, sich diese 184 Seiten des Berichts der Landesregierung einmal anzusehen.
Wenn ich jetzt in zehn Minuten versuchen sollte, einzelne Punkte herauszugreifen, dann weiß jeder: Das geht nicht. Wenn ich jetzt ein Thema herausgreife, sagt man womöglich, ein anderes Thema sei mir nicht so wichtig. Sehen Sie es mir deswegen bitte nach, wenn ich mich auf wenige Themen konzentriere.
Eines ist auf jeden Fall klar: das Bewusstsein, dass alle Politikbereiche und damit auch alle Ressorts ihre politischen Maßnahmen verstärkt an dem Thema „Demografischer Wandel“ auszurichten haben. Das findet – in diesem Konvolut, hätte ich fast gesagt – in diesem wichtigen Bericht beredten Niederschlag. Da können Sie einmal nachschauen. Ich behaupte einmal: Unser Wirtschaftsminister und unser Justizminister finden sich darin doch relativ häufig wieder, wenn es darum geht, Handeln tatsächlich an diesen Richtlinien zu orientieren.
Hier war von der Landesplanung, der Regionalplanung, der Raumplanung, der Ausrichtung bestimmter Landesprogramme die Rede. Gerade das Wirtschaftsministerium z. B. zählt zu denjenigen, die deutlich gemacht haben, dass sie sich diesen Themen sehr früh gewidmet haben. Was ist denn z. B. im Zusammenhang mit dem Thema Landessanierungsprogramm der Hintergrund dafür, dass wir sagen: „Wir können jetzt auch Quartiersanierungen machen und damit die generationenübergreifende Gestaltung von Quartieren – nicht Entmischung, sondern Solidarität der Generationen – ganz konkret organisieren“?
Ich glaube also, es lohnt sich, nachzuschauen, wie viele gute Beispiele in konkrete Maßnahmen umgesetzt worden sind. Wir haben Mittel des Landes demografiegerecht gezielt für solche Maßnahmen eingesetzt.
Das geht weiter. Denken Sie daran, welches Bild vom Alter bislang vorherrschte. Wir können alle hier wunderbar darüber philosophieren, dass dieses Bild wohl falsch ist. Aber, liebe Kollegin Sitzmann, Sie haben wörtlich gesagt: „Eine alternde Gesellschaft ist nicht mehr so innovativ.“
dass diese Gesellschaft, wenn sich die Alterszusammensetzung mehr zugunsten der Älteren verändert, nicht mehr innovativ sei.
Wenn man Innovation als etwas betrachtet, bei dem man schnell von einem Thema zu einem anderen hüpft, auf einen
Wer war es denn? Waren es nicht die jungen, smarten Manager, die uns mit immer neuen Finanzinnovationen in die Misere getrieben haben?
Das waren nicht die Grauhaarigen, sondern das waren die Jungen, Smarten. Innovation kann man so und so verstehen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Thema „Demografischer Wandel“ wird in unserem Land sehr häufig fast angstbesetzt diskutiert. Wenn man es aber einmal in einen globalen Zusammenhang setzt und historisch betrachtet: Ich bin im Jahr 1946 geboren. In dieser Zeit lag die Bevölkerungszahl auf der Welt noch unter drei Milliarden. Inzwischen, in der vergleichsweise kurzen Zeit von 62 Lebensjahren, hat sich die Weltbevölkerung mehr als verdoppelt. Das heißt, während wir hier den Bevölkerungsrückgang beklagen, ist man in anderen Teilen der Welt an einem Punkt angelangt, wo man hofft, dass die Welt nicht mit so vielen Menschen bevölkert wird, dass sie gar nicht mehr ernährt werden können. Das heißt, wenn man es im globalen Zusammenhang sieht, ist der demografische Wandel – den wir vielleicht früher als andere erleben – doch keine Bedrohung, sondern eine Chance.
Das nächste Thema: Vor etwa 100 Jahren hatte man eine durchschnittliche Lebenserwartung von gut 40 Jahren. Vorhin ist ein entsprechender Artikel aus dem Brockhaus von 1884 zitiert worden, wonach das Greisenalter bereits mit 45 bis 60 Jahren beginne. Ich behaupte, wir leben nicht nur länger, sondern dadurch, dass wir ein sehr viel längeres Leben haben, sind auch die Biografien sehr viel bunter geworden. Auch da sorgt Demografie für ein bunteres Bild in unserer Gesellschaft und für buntere Biografien im Leben des Einzelnen. Es ist immer noch eine steigende Lebenserwartung zu konstatieren, und man kann den Jahren Leben hinzufügen.
Genau darum geht es, meine sehr geehrten Damen und Herren. Früher sahen Biografien häufig so aus: Kindheit, Jugend, Ausbildung und Beruf – und zwar immer der gleiche –, und nach dem Beruf konnte man sich nur noch ziemlich fertig und „abgeschafft“ auf das Ende vorbereiten. Das ist völlig verändert angesichts einer Verdopplung der Lebenszeit auf bis zu 100 Jahre.
Für mich ist die entscheidende politische Frage, wie wir diese Buntheit der Gesellschaft insgesamt, die Buntheit der einzelnen Lebensbiografien in diesem längeren Verlauf des Lebens an ihren Brüchen, an ihren Schnittstellen, an ihren Übergängen besser organisieren. Da ist Politik gefragt, und das betrifft alle Bereiche. Das beginnt mit der Geburt und nicht erst mit dem Kindergarten.
Dann die Frage: Können wir uns weiterhin – auch das zieht sich nahtlos durch alle Bereiche – erlauben, dass Jahreszahlen fallbeilartig entscheiden? Entsprechen die alten Raster noch der Realität? Da ist bei Kindern die Frage, ob man sie exakt
mit sechs Jahren einschulen muss. Wir sind inzwischen weiter, indem wir in der Bildungspolitik flexiblere Übergänge, individuellere Übergänge schaffen. Ähnliches gilt beim Übergang von der Ausbildung in den Beruf, und während des Berufslebens kommt es nicht unbedingt auf eine ungebrochene Berufsbiografie an, sondern wichtig ist es auch – wie haben Sie es genannt? –, den Boxenstopp einlegen zu können.
Ein ganz entscheidendes Thema ist der Übergang vom Beruf in die dritte Phase. Die Franzosen nennen es „troisième âge“. Dieser Begriff gefällt mir übrigens sehr gut.
Warum lachen Sie? Baden-Württemberg hat zumindest im Badischen Französisch als erste Fremdsprache. Deswegen: Nicht nur „Kids als VIPs“, sondern „troisième âge“ für die Älteren – in dem ich mich befinde, wie Sie wissen.
Auch da darf es nicht ausschließlich heißen: „Wir müssen länger arbeiten“, sondern es sollte darum gehen, länger aktiv bleiben zu dürfen, und zwar in einer dem Alter und der Leistungsfähigkeit gemäßen Form; das heißt, flexiblere Übergänge müssen möglich gemacht werden.
Über alle diese unterschiedlichen Stationen des Lebens hinweg hat für mich das Thema „Lebenslanges Lernen“ Priorität. Vielleicht erinnert sich jemand. Der Deutsche Skiverband hat einmal gesagt: „LLL – Langläufer leben länger.“ Ich würde sagen: Wer länger lebt, muss auch die drei anderen L – lebenslanges längeres Lernen – verinnerlichen.
Es ist wirklich lohnend, einmal im Bericht der Landesregierung zu diesem Thema zu schauen, welche Vielfalt an unterschiedlichen Möglichkeiten geboten wird.
Ich habe das Gefühl, Sie lernen gerade untereinander. Wenn man sich untereinander austauscht, ist das informelles Lernen. Aber es wäre nett, wenn Sie noch ein bisschen zuhören könn ten.
Grundsätzlich gilt natürlich der Spruch: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“ Das frühe Lernen ist insofern in der Tat Voraussetzung, weil im frühen Kindesalter – dem tragen wir jetzt Rechnung – die Plastizität des Gehirns gebildet und damit die Voraussetzung für lebenslanges Lernen geschaffen wird. Diese Chancen müssen ergriffen werden.
Angesichts der vielen Maßnahmen, die hier aufgelistet sind, frage ich mich manchmal – das sage ich ganz offen –: Wie schaffen wir es, das, was die Betriebe, was wir als Politik und als Verwaltung an Angeboten machen, in die Bevölkerung zu tragen? Es nützt nichts, ein breites Angebot zu haben, wenn keiner dieses kennt und nutzt.