Ich kann Ihnen aber verraten, dass diese Liste den Sprung in den Gemeinderat nicht geschafft hat, und ich finde das auch gut so; denn Selbstbeschwörung, Frau Hübner und auch Herr Raab, kann Handeln leider nicht ersetzen.
(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Wir sind aber schon im Landtag drin!)
Lassen Sie mich kurz rekonstruieren: Wir haben in der letzten Legislaturperiode auf Initiative der Regierungsfraktionen die Enquetekommission „Demografischer Wandel“ eingerichtet. Wir haben uns monatelang mit unterschiedlichen Handlungsfeldern beschäftigt. Wir haben um Empfehlungen gerungen. Wenn Sie, Frau Staatsrätin, jetzt behaupten, dass jedes einzelne dieser Ziele, aber auch die Summe dieser Ziele schon seit Langem Inhalt der Politik der Landesregierung seien, dann ist das einfach falsch! Die Enquete hat nicht nur bestätigt, was Sie als Landesregierung ohnehin schon tun, sondern sie hat auch einen umfangreichen Katalog dessen vorgelegt, was noch zu tun ist.
Bei der Umsetzung kommen diverse Probleme zusammen: Zum einen zählt nachhaltiges und ressortübergreifendes Denken nicht zu den Stärken dieser Landesregierung, zum Zweiten ist im Ringen um diese Empfehlungen leider oftmals nur der kleinste gemeinsame Nenner herausgekommen. Die Kollegin Altpeter hat gesagt, dass auch die Verbände kritisiert haben, die Empfehlungen seien leider oft sehr vage und wenig konkret. Und drittens kann nun wahrlich nicht die Rede davon sein, dass die Empfehlungen der Enquetekommission bereits alle umgesetzt wären.
Es gibt also keinen Grund, sich zurückzulehnen und zu behaupten, es sei alles schon erledigt. Vielmehr müssen wir bei vielem von dem, was die Landesregierung tut und was Sie, Frau Hübner, auch ausgeführt haben, konstatieren, dass es einfach zu kurz gedacht und zu kurz gesprungen ist.
Einfach zu sagen „Wir sind eine alternde Gesellschaft – na und?“ wird den Herausforderungen nicht gerecht. Denn klar ist: Wenn wir nicht handeln, werden die wenigen erwerbsfähigen jungen Menschen nicht in der Lage sein, die vielen Menschen im Rentenalter zu versorgen. Wenn wir nicht handeln, werden wir mit einer alternden Erwerbsbevölkerung an Innovationskraft und auch an Wertschöpfung verlieren. Wenn wir nicht handeln, wird sich Baden-Württemberg nicht als erfolgreicher Wirtschaftsstandort im globalen Wettbewerb be
haupten können. Herr Kollege Raab, dieser globale Wettbewerb mit den innovativsten Wirtschaftsregionen der Welt ist die Hürde, die wir nehmen müssen.
Wenn wir heute gestalten, dann kann es gut sein, dass der demografische Wandel eine Chance wird. Erst wenn nicht gehandelt wird, wird er tatsächlich zum Problem. Die wichtigen Handlungsfelder sind die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, das Thema Fachkräftemangel, dem wir offensiv begegnen müssen, aber auch eine an die Bedürfnisse einer älter werdenden Gesellschaft angepasste Infrastruktur, um nur ein paar zu nennen.
Diese Beispiele zeigen, dass es nicht ausreicht, kurzfristig zu denken, in Legislaturperioden zu denken, in Eifersüchteleien zwischen einzelnen Ressorts zu verfallen. Vielmehr brauchen wir eine Politik der wirklich langen Horizonte. Wir brauchen eine neue Kultur der Beteiligung. Das ist etwas ganz anderes, als Gesetzentwürfe formal zur Anhörung freizugeben und dann nichts daran zu ändern.
Wir brauchen eine klare Werteorientierung, die sowohl für die jungen und für die nachkommenden Generationen als auch für die Generation der Älteren Verantwortung übernimmt. Wir brauchen eine Werteorientierung, die den Jugendlichen und Kindern beste Startchancen ermöglicht sowie den Älteren, Alten und Hochbetagten ein selbstbestimmtes Altern in Würde erlaubt.
Dafür können wir noch keine Ansätze erkennen. Deshalb gilt für uns auch hier: zu kurz gedacht und zu kurz gesprungen, meine Damen und Herren.
Schließlich brauchen wir ein konsequent subsidiäres Denken. Insbesondere die Kommunen werden durch die demografischen Veränderungen auf unterschiedlichste Weise vor Herausforderungen gestellt. Das betrifft alle Bereiche: Schule, Verkehr, Gesundheit, Altenhilfe, Kindergärten, Infrastruktur, alles ist betroffen. Vor diesem Hintergrund reicht es nicht aus, einen Demografie-Spiegel anzuregen. Vielmehr geht es darum, die Kommunen bei diesen wichtigen Zukunftsaufgaben nicht allein zu lassen. Auch hier sind Sie zu kurz gesprungen, meine Damen und Herren.
Gerade bei der Kinderbetreuung zeigt sich, dass Sie die Kommunen bei wichtigen Zukunftsaufgaben nicht ausreichend unterstützen. Sie haben sich erst bewegt, als Sie auf Bundesebene von Frau von der Leyen dazu gezwungen wurden. Dann haben Sie in Bezug auf Ihre blamable Betreuungsquote für Kinder unter drei Jahren nachgelegt.
Jetzt sind wir bei einer Betreuungsquote von annähernd 12 %. Die Hauptlast des Ausbaus haben aber noch immer die Kommunen zu schultern. Das ist zu kurz gedacht und zu kurz gesprungen, meine Damen und Herren.
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist in Baden-Würt temberg noch immer ein Problem. Was bedeutet denn eine Betreuungsquote von 12 %? Das bedeutet, dass gerade einmal für jedes zehnte Kind ein Betreuungsplatz zur Verfügung steht, womöglich halbtags oder auch nur stundenweise. Wenn viele Frauen in Minijobs und in Teilzeit arbeiten, dann zeigt dies, dass Angebot und Nachfrage bis heute nicht zusammenpassen.
Ich sage Ihnen, dass wir es uns nicht erlauben können, in Zukunft auf das Potenzial vieler gut ausgebildeter Frauen in diesem Land zu verzichten.
Kollege Raab hat gesagt, dass Bildungsthemen für den demografischen Wandel sehr wichtig sind. Da stimme ich Ihnen völlig zu. Ein solides Bildungsfundament ist die beste Armutsprävention, die wir leisten können. Das heißt aber auch, dass wir alle Kinder auf diesem Weg mitnehmen müssen, egal, aus welchem Elternhaus sie kommen und von welcher Kultur sie abstammen. Wir müssen ihnen die besten Startchancen geben.
In der „Stuttgarter Zeitung“ gab es in dieser Woche einen Artikel über den Schulleistungsvergleich der Länder.
Darin wird deutlich, dass 19,2 % der 15-Jährigen in BadenWürttemberg zur Risikogruppe gehören, was mangelnde Lesekompetenz betrifft. Da müssen bei Ihnen doch alle Alarmglocken schrillen. Diese Ergebnisse können wir nicht hinnehmen. Wir brauchen umfassende Reformen in der Bildungspolitik. Auch hier agieren Sie nach dem Motto: zu kurz gedacht, zu kurz gesprungen.
Der Fachkräftemangel ist schon heute für viele Unternehmen Realität. Er wird es in Zukunft bleiben, auch wenn wir jetzt vielleicht durch den Wirtschaftsabschwung eine kleine Delle in der Nachfrage haben. Aber der Fachkräftemangel bedeutet auch, dass wir wirklich Qualifizierung in großem Stil betreiben müssen. Es ist schon richtig, Frau Hübner: Die Deutschen sind Weiterbildungsmuffel. Aber richtig ist eben auch: Es ist nicht nur Aufgabe der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, für Qualifizierung zu sorgen, sondern auch das Land ist hier in der Pflicht, meine Damen und Herren.
Wir alle gemeinsam müssen dafür sorgen, dass das Qualifikationsniveau der gesamten Bevölkerung steigt. Wir haben vor gut einem Monat einen Antrag zum Thema „Erleichterte Anerkennung ausländischer Qualifikationen“ eingebracht. Nach Schätzungen leben 500 000 Akademikerinnen und Akademiker in unserem Land, deren ausländische Abschlüsse hier nicht anerkannt werden.
Das ist ein Handlungsfeld der Landesregierung. Hier müssen Sie endlich etwas tun, meine Damen und Herren.
Das gilt auch für ganz konkrete Vorschläge, die die Enquetekommission gemacht hat. Wir haben ja Strukturen in der Weiterbildung, und das Einfachste wäre doch, diese vorhandenen Strukturen endlich zu vernetzen. Wir bräuchten regionale und vernetzte Lernberatungsstellen, die sich mit Personalentwicklung befassen, für alle Erwerbsfähigen, für Unternehmerinnen und Unternehmer. Auch da reicht es einfach nicht aus, nur die Homepage „Fortbildung“ zu verbessern. Zu kurz gedacht, zu kurz gesprungen, meine Damen und Herren.
Schließlich – die Frau Staatsrätin hat es gesagt –: Wir haben vor zwei Wochen einen Kongress mit dem Titel „Entfalten statt Liften – Perspektiven für das Leben über 60“ veranstaltet. Bei diesem Kongress hat sich gezeigt, dass wir eine grundlegende Korrektur des Altersbildes brauchen. Wir müssen generationenübergreifend denken. Wir müssen neue Wohnformen fördern. Wir müssen ein Altern in Würde ermöglichen und deshalb Pflege im häuslichen Umfeld unterstützen und die entsprechende Infrastruktur schaffen sowie Pflegezeit gewähren.
Die Kollegin Altpeter hat darauf hingewiesen, dass genau das vonseiten der Landesregierung nicht geschehen ist. Die Landesregierung hat sich vielmehr beim Heimrecht weiter am Leitbild des Heims orientiert und eben nicht an einem Leben im häuslichen Umfeld. Sie hat sich auch dagegen ausgesprochen, eine Pflegezeit zu gewähren.
(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Werner Raab CDU: Da müssen Sie das Ge- setz ganz lesen!)
Bei der Enquetekommission ging es auch um den Schwerpunkt „Wohnungsbau, Verkehr, Landes- und Regionalplanung“. Wir haben damals – fraktionsübergreifend – beschlossen, dass wir dem Flächenverbrauch endlich etwas entgegensetzen müssen. Wir haben den Beschluss gefasst, dass Innen- vor Außenentwicklung die Handlungsmaxime ist. Wir haben – ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen – fraktionsübergreifend für die Einführung von handelbaren Flächenzertifikaten plädiert. Sie erinnern sich: Im Juli dieses Jahres haben
Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP/ DVP, es beim Landesplanungsgesetz, bei dem es um das Thema Flächenverbrauch geht, doch tatsächlich geschafft, entgegen dem Beschluss der Enquetekommission einfach null Ins trumente vorzuschlagen.