Protokoll der Sitzung vom 29.06.2006

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU und der SPD – Abg. Michael Theurer FDP/DVP: Ich stelle vielleicht eine Anfrage dazu!)

Ich will aber eines zu dieser Länderneugliederung sagen, Herr Kollege Kretschmann, in allem Ernst. Ich denke, die Wortmeldung unseres Ministerpräsidenten war genau richtig. Das hat auch die Reaktion gezeigt. Das Zitat von Peter Müller, das lustig und nett gemeint war, hat früher anders geklungen. Jetzt hat er gesagt: „Ich nehme Baden-Württemberg gerne aus“ – nein: „Ich nehme Baden-Württemberg gerne auf.“

(Abg. Michael Theurer FDP/DVP: „Aus“! Er nimmt uns gerne aus!)

Das auch. – Aber ich habe zigmal gehört, wie er sagte: „Uns will ja keiner mit unseren vielen Schulden.“ Das ist des Pudels Kern. Da liegt die Wahrheit begraben.

Wenn Sie die Agenda für die Föderalismusreform II anschauen, sehen Sie: Da geht es unter Punkt 5 um die Stärkung der aufgabenadäquaten Finanzausstattung und um das Finanzausgleichsgesetz. Da müssen Sie über die Größenordnungen diskutieren. Wir wissen ja: Es geht in der Politik nicht anders, als dass immer wieder Mut zu Klarheit und Wahrheit gefunden wird

(Abg. Michael Theurer FDP/DVP: Richtig! Dan- ke!)

und man auch an die Öffentlichkeit geht. Deswegen: Auch der Widerhall, den das gefunden hat, und die Diskussionen zeigen: Es war gut. Das hindert ja nicht daran, auch den kulturellen und geschichtlichen Interessen entgegenzukommen, und das hindert nicht, Zusammenschlüsse zu finden, die sich auch wirklich in einem Zukunftsmodell entwickeln können.

(Zuruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)

Dazu gehört einfach auch – und das ist die Kehrseite der Medaille –, dass man die Länderneugliederung in dem Bemühen unternimmt, zu adäquaten und betriebswirtschaftlich vernünftigen Größen zu kommen. Das gehört dazu. Das kann man nicht ausschließen. Das ist ganz wichtig.

(Beifall des Abg. Michael Theurer FDP/DVP)

Es geht nicht anders. Mit 16 Ländern kommen wir nicht weiter, es sei denn, das Fass des Finanzausgleichs wäre unerschöpflich. Aber das ist es nicht mehr. Zumindest BadenWürttemberg ist es leid, jedes Jahr 2, 3 oder 4 Milliarden € dafür einzuzahlen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Die Aktuelle Debatte unter Tagesordnungspunkt 1 ist damit beendet.

Ich sagte eingangs schon, dass Herr Wissenschaftsminister Professor Dr. Frankenberg heute Geburtstag hat. Er hat übrigens nicht nur Geburtstag, sondern auch Namenstag.

(Oh-Rufe von allen Fraktionen – Abg. Wolfgang Drexler SPD: Was, beides?)

Herr Professor Dr. Frankenberg, ich gratuliere Ihnen im Namen des ganzen Hauses herzlich und wünsche Ihnen alles Gute.

(Beifall im ganzen Haus)

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Verschärfte Situation auf dem Lehrstellenmarkt in Baden-Württemberg – beantragt von der Fraktion der SPD

Es gelten die gleichen Bedingungen wie unter Punkt 1: jeweils fünf Minuten für die Redebeiträge in der ersten und in der zweiten Runde. Ich bitte, diese Redezeiten einzuhalten.

Zunächst erteile ich Frau Abg. Vogt das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Soeben erreichen uns die aktuellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit für die Regionaldirektionen in Baden-Württemberg. Derzeit sind 54 093 Ausbildungsplätze gemeldet. Diesen gemeldeten Ausbildungsplätzen stehen 76 961 Bewerberinnen und Bewerber ohne Ausbildungsplatz gegenüber.

Es gibt heute 5,5 % weniger gemeldete Stellen als noch im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Wir sollten an dieser Stelle denjenigen danken, die dazu beitragen, dass 54 093 Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden. Diese kleinen, mittleren und auch großen Betriebe nehmen oft vieles auf sich, um junge Menschen zu einem Beruf hinzuführen. Deshalb sage ich von diesem Hause aus all denjenigen ganz herzlichen Dank, die Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der CDU, der Grünen und der FDP/DVP – Abg. Carla Bregenzer SPD: Da könnten auch die CDU-Kolle- gen klatschen!)

Aber wir müssen auch sehen, dass eben nicht alle Betriebe dieser Verpflichtung nachkommen. Bei einem solchen Defizit an Ausbildungsstellen ist es auch notwendig, deutlich zu machen, dass noch Handlungsbedarf besteht. Es ist eben nicht richtig, dass man – wie der Ministerpräsident – davon sprechen könnte, dass das Ausbildungsbündnis ein voller Erfolg gewesen sei. Es hat Zeichen gesetzt, aber wir sind noch weit davon entfernt, den jungen Menschen die Zukunftsperspektive zu bieten, die sie verdient haben und die wir auch für den wirtschaftlichen Fortschritt unseres Landes dringend benötigen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Entwicklung ist schon seit längerem absehbar: Im Jahr 2000 gab es 82 800 Ausbildungsstellen, im Jahr 2005 standen noch 63 600 zur Verfügung, und heute sind wir bei rund 54 000. Als ich gestern gesagt habe: „Man muss auch der Wirtschaft auf die Füße treten“, waren diejenigen gemeint, die sich an der dringend notwendigen Vorsorge – auch für das Fortbestehen des eigenen Unternehmens – nicht beteiligen. Wer heute nicht ausbildet, sägt selbst den Ast ab, auf dem ein gesundes Unternehmen in der heutigen Zeit sitzt und den es für das künftige Wachstum dringend brauchen wird.

(Beifall bei der SPD)

41 % der Betriebe in Baden-Württemberg besitzen keine Ausbildungsberechtigung. Darunter sind sicher viele, die gar nicht ausbilden könnten – zum Beispiel werden dabei Ich-AGs mitgezählt. Trotzdem könnte ein Teil dieser Betriebe ausbilden, wenn man sich zusammenschließen würde. Wir erwarten von der Landesregierung, dass sie diesbezüglich initiativ wird und etwas tut, um Ausbildungsverbünde anzuregen. Man kann beispielsweise zwei, drei kleinere Unternehmen, die es alleine nicht schaffen, zusammenbringen, damit sie gemeinsam Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen. Das wäre ein Schritt, um diese riesige Zahl von 41 % der Unternehmen, die überhaupt nicht ausbilden dürfen, deutlich zu verringern. Ein Verbund könnte die Ausbildungsbefähigung der Betriebe herstellen.

Noch gravierender ist, dass auch von denjenigen, die die Berechtigung haben, auszubilden, insgesamt 35 % dieses Recht nicht wahrnehmen. Mehr als ein Drittel der badenwürttembergischen Betriebe, die Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen dürften, entziehen sich dieser Verantwortung. Hier sind auch wir, meine Damen und Herren, als Landespolitiker und ist insbesondere die Landesregierung gefragt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Mit großem Stolz wurde damals in die Landesverfassung aufgenommen, dass es für uns eine Verpflichtung gibt: In Artikel 11 steht, das jeder junge Mensch ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung hat.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen und insbesondere Ministerinnen und Minister der Landesregierung, wir fordern Sie auf: Werden Sie dieser Verpflichtung aus der Landesverfassung gerecht, und nehmen Sie Ihren Auftrag ernst, aktiv dafür zu werben und aktiv dafür einzutreten, Ausbildungsplätze zu schaffen und anzubieten. In der zweiten Runde werden wir Ihnen einige konkrete Vorschläge machen, wie Sie das sehr schnell umsetzen könnten. Aber der Wille und der Mut müssen erst einmal da sein, deutliche Worte gegenüber den Unternehmen zu finden, die sich ihrer Verantwortung für die jungen Menschen derzeit noch entziehen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Nemeth.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass ich gerade zu dem Thema „Ausbildungsplatzsituation in Baden-Württemberg“ meine erste Rede vor dem Parlament von Baden-Württemberg halten kann. Fast auf den Tag genau vor 25 Jahren habe ich selber die Ausbildung des Industriekaufmanns begonnen. Das ist ein Ausbildungsberuf, den noch andere hier im Raum erlernt haben, beispielsweise der Fraktionsvorsitzende der CDU von Baden-Württemberg. Also so schlecht kann es um das Ausbildungswesen in Baden-Württemberg nicht stehen.

(Beifall bei der CDU – Abg. Ute Vogt SPD: Vor 25 Jahren – eine Stelle!)

Meine Damen und Herren, Frau Vogt, ich will nicht Öl ins Feuer gießen. Es ist natürlich schon etwas makaber, wenn Sie, die Sie sieben Jahre lang in gemeinsamer Verantwortung von Rot-Grün einen Bolzen nach dem anderen gegen den Mittelstand geschossen

(Abg. Ute Vogt SPD: Sie wissen schon, dass Sie jetzt im Landtag sind?)

und diesem neue Hürden und Bürokratie auferlegt haben, jetzt hierher kommen, sich hier hinstellen und der Landesregierung erklären wollen, wie sie den Karren aus dem Dreck ziehen soll. Das ist etwas makaber, und das ist abzulehnen.

(Beifall bei der CDU – Abg. Ute Vogt SPD: Sie müssen den jungen Leuten helfen! – Abg. Carla Bregenzer SPD: Es ist makaber, dass so viele junge Menschen auf der Straße stehen!)

Die Ausbildungsplatzabgabe, die wir hier nicht besprochen haben, ist ein Monstrum, das Sie entwickelt haben, das noch in der Schublade steckt. Das gehört nicht in die Schublade, sondern gleich in den Mülleimer.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Ute Vogt SPD: Wir reden von dem, was Sie im Landtag zu tun haben! – Abg. Carla Bregenzer SPD: Er hat die falsche Rede aus der Schublade ge- holt!)

Meine Damen und Herren, die Position der CDU ist klar. Wir haben in Baden-Württemberg trotz schwieriger Situation nach wie vor die beste Ausbildungsplatzsituation in ganz Deutschland.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb kommen viele junge Menschen aus ganz Deutschland – aus dem Norden und aus dem Osten – hierher. Sie sind willkommen, um ihre Chance hier in Baden-Württemberg zu nutzen, weil wir nicht nur die besten, sondern auch die innovativsten Ausbildungsplätze bieten.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Carla Bregenzer SPD: Reden Sie mit den Förder- und den Hauptschülern!)

Ich denke, dass das in der Regierungserklärung von Ministerpräsident Oettinger verkündete neue Ausbildungsbündnis sehr wertvoll und ein wichtiger Akt der Landesregierung ist.

Ich möchte Sie auffordern, meine Damen und Herren, in Ihren Wahlkreisen selber Ihren Beitrag zu leisten, um im eigenen Umfeld konstruktiv für Ausbildungsplätze zu sorgen. Das wäre eine wichtige Aufgabe für jeden Landtagsabgeordneten. Da könnten wir gemeinsam etwas bewegen.

(Beifall bei der CDU)

Zweitens – ich meine, das hat auch den Applaus der Opposition verdient – wird ein Sonderprogramm der Landesregierung dafür sorgen, dass viele neue Ausbildungsmöglichkeiten mit 2 Millionen € aus dem ESF geschaffen werden, vor allem für Altbewerber, also Auszubildende oder Schulabgänger, die schon ein Jahr lang einen Ausbildungsplatz suchen. Der Mittelstand bekommt eine Chance, über diese Förderung neue Ausbildungsplätze zu schaffen. Das ist, meine Damen und Herren, reale Sozialpolitik zwischen Staat und Wirtschaft, zwischen Staat und Mittelstand, Hand in Hand für junge Menschen in Baden-Württemberg. Toll – weiter so, Landesregierung!