Protokoll der Sitzung vom 22.04.2009

Für die SPD-Fraktion erteile ich Frau Abg. Altpeter das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der 11. März 2009 hat sich auf eine schreckliche Art und Weise in unsere Herzen gebrannt – in Winnenden, in Wendlingen, in den Landkreisen und im ganzen Land. Man muss sich nur vorstellen, dass man morgens die Kinder zur Schule geschickt hat und sie nicht mehr zurückgekommen sind.

Wir alle haben es nicht glauben können. Wir sind auch heute noch an vielen Stellen sprachlos. Wir können keine Lösungen bieten. Wir können keine Kinder mehr zurückgeben. Aber wir haben auch Verantwortung für die Kinder, die wir haben, für die Kinder, die da sind.

Es hat – das ist vielleicht eine sehr persönliche Bemerkung, aber das möchte ich an dieser Stelle sagen – Auswirkungen auf alle Kinder in unserem Land. Wir können einerseits sagen: Amerika ist weit weg. Erfurt war auch weit weg. Unsere Kinder sind hier. Unser Nachbarsjunge saß am Ostersonntagnachmittag weinend vor der Tür. Ich habe ihn gefragt: „Was hast du denn?“ Er hat mir geantwortet: „Es bedrückt mich so, dass die Unglücke immer näher kommen.“

Welche Antwort gibt man einem solchen Kind, welche Antwort, die nicht vielleicht banal klingen würde? Welche andere Antwort gibt es denn als die, dass wir alle gemeinsam – hier möchte ich auch im Sinne des Kollegen Palm sprechen – dafür sorgen, dass es für die Menschen im Land – insbesondere für unsere Kinder – die größtmögliche Sicherheit davor gibt, dass die Unglücke eben nicht mehr so nahe herankommen können?

Mit der Einsetzung dieses Sonderausschusses werden wir versuchen, im Landtag von Baden-Württemberg die Dinge zu bewältigen, die Dinge zu tun, die wir tun können. Wir werden uns nicht kleinkariert darüber herumstreiten können, ob es eine oder anderthalb mehr Lehrerstellen gibt, sondern wir werden uns noch mit ganz anderen Dingen auseinanderzusetzen haben. Wir werden uns auch mit der Frage auseinanderzusetzen haben: Was ist eigentlich los in unserem Land, dem es so gut geht, das wirtschaftlich so gut dasteht? Was ist los in unserem Landkreis, wo fast jeder sein eigenes Häuschen mit einem Garten darum herum hat, wo die Zahl der Arbeitslosen gering ist? Was ist geschehen, dass wir oft die Sprache, die unsere Kinder und Jugendlichen sprechen, nicht mehr verstehen, dass es uns manchmal scheinen muss, als lebten sie in einer anderen Welt, die beherrscht ist vom Internet, vielleicht auch von Spielen und Zugängen zu Dingen, die wir lieber nicht sehen wollen?

Wir müssen uns auch in diesem Sonderausschuss die Frage stellen: Wie kann es uns gelingen, durch Maßnahmen auf politischer Ebene – sei es auf der Bundesebene, wo wir in Fragen des Waffenrechts auch Einfluss zu nehmen haben, sei es aber auch ganz konkret auf der landespolitischen Ebene – Zugang zu diesen Kindern, zu diesen Jugendlichen zu bekommen, ihnen Sicherheit zu vermitteln, ihnen Kompetenzen im Medienbereich zu vermitteln, ihnen Perspektiven zu vermitteln, dass man weiß, wo man hingehen kann, wenn man mit seinen Problemen nicht mehr fertig wird, und dass man diese Probleme überhaupt erst einmal formulieren kann?

Wie kann es uns gelingen, Schule so zu gestalten, dass wir nicht nur die erkennen, die auffällig sind und immer laut schreien, sondern dass wir auch die sehen, die mitlaufen, und auch Möglichkeiten zu schaffen, uns um diese Jugendlichen zu kümmern?

Ich glaube, all dies wird unsere Aufgabe im Ausschuss sein. Wir werden daran arbeiten. Wir werden sicher am Schluss nicht in jedem Punkt einer Meinung sein. Aber ich glaube, wenn unser Konsens ist, für unsere Kinder und unsere Jugendlichen das Beste zu tun, um ihnen Sicherheit zu geben, dann haben wir, auch wenn es nur ein kleiner Trost ist, etwas für die betroffenen Eltern und Angehörigen getan.

In diesem Sinne: Ich freue mich auf ein konstruktives Arbeiten und auf gute Ergebnisse.

Vielen Dank.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Für die Fraktion GRÜNE darf ich Herrn Abg. Sckerl das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann nahtlos an die Worte des Kollegen Palm und der Kollegin Altpeter anschließen, bei denen ich mich sehr herzlich für ihre Ausführungen bedanken möchte. Diese entsprechen in vollem Umfang unseren und auch meinen persönlichen Intentionen.

Ich bin davon überzeugt, dass wir mit diesem Sonderausschuss eine sehr wichtige Aufgabe übernehmen werden, dass große Erwartungshaltungen uns gegenüber bestehen. Wir sollen sehr schwerwiegende Probleme lösen. Ich glaube, wir müssen auch unser Bestes geben. Wir müssen uns sehr anstrengen. Dazu ist es notwendig, die Kräfte zu bündeln.

Deshalb sagt unsere Fraktion auch ausdrücklich: Es ist kein Ausschuss wie sonst; es ist etwas Neues. Wir müssen alles dafür tun, möglichst im Konsens alle Anstrengungen zu unternehmen, um jenseits des sonstigen parteipolitischen Gefechts, der Auseinandersetzungen gemeinsam überzeugende Vorschlä ge zu erarbeiten. Das empfinden wir – so haben wir das bei uns diskutiert – und das empfinde ich auch persönlich als Verpflichtung. Es ist für uns auch in den nächsten Monaten kein Thema von Wahlkämpfen. Es kann kein Thema billiger politischer Auseinandersetzung sein, sondern es muss gemeinsam sehr ernsthaft behandelt werden. Das Ereignis, der Amoklauf von Winnenden und Wendlingen, ist bis zum heutigen Tag einfach zu erschütternd und zu außergewöhnlich, als dass man von diesem Prinzip leichtfertig abweichen könnte.

Es wird wichtig sein, meine Damen und Herren, dass wir alle Fragen, die anstehen, tatsächlich auf den Prüfstand stellen und dass wir Tabus in diesem Zusammenhang nicht akzeptieren, sondern mit der gebotenen Gründlichkeit und Offenheit diese Fragestellungen untersuchen und bearbeiten und die Anhörung von Sachverständigen durchführen und möglichst gemeinsam nach Lösungen suchen.

Für uns – ich glaube, das empfinden wir alle so – sind die beiden offenen Briefe der betroffenen Eltern und auch die Tätigkeit des neu gebildeten Aktionskreises, dem ich meine ganz ausdrückliche Bewunderung und meinen großen Respekt aus

spreche, eine sehr hohe Verpflichtung zum politischen Handeln.

Ich darf mich – gestatten Sie mir das – bei meinem Fraktionsvorsitzenden Winfried Kretschmann sehr herzlich für seine Initiative im Zusammenhang mit der Bildung dieses Ausschusses bedanken. Dass wir das gemeinsam aufgegriffen haben, zeigt, glaube ich, dass in allen Fraktionen eine hohe Übereinkunft in dieser Frage besteht. Wir haben schon ein paar Gespräche geführt. Herr Kollege Palm, ich glaube, dass wir auf einen guten Weg kommen werden, dass wir sehr schnell und sehr zeitnah die notwendigen Fragen anpacken.

Es gibt den Arbeitskreis der Regierung. Ich denke, es ist notwendig, dass auch auf dieser Seite mit Experten beraten wird. Ich darf sagen, dass wir hoffen und dafür arbeiten wollen, dass möglichst eine Zusammenarbeit, ein Ineinanderverzahnen stattfindet. Wir empfinden es jedenfalls nicht als Konkurrenzveranstaltung, dass der Landtag auch einen Sonderausschuss einsetzt. Es darf auch nicht so sein, dass z. B. ein Wettlauf mit der Zeit – wer macht schneller Vorschläge? – oder irgend so etwas stattfindet, sondern man muss sich von Anfang an auf ein gemeinsames Handeln – jeder mit seiner unterschiedlichen Aufgabenstellung – verständigen.

Ich erkläre für meine Fraktion die ausdrückliche Bereitschaft, möglichst im Konsens und mit gemeinsamem Einsatz die bestmöglichen Antworten auf diese Katastrophe von Winnenden und Wendlingen zu finden.

Vielen Dank.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Für die FDP/DVPFraktion erteile ich Herrn Abg. Kluck das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die FDP/DVP-Fraktion begrüßt die Einrichtung dieses Ausschusses. Nach einem solch schrecklichen Geschehen, für das wir noch immer keine Erklärungen finden und das man auch schlecht in Worte fassen kann, kommen immer Forderungen. Es ist wichtig, dass diese Forderungen nicht irgendwie parteipolitisch instrumentalisiert werden und wir uns gegenseitig mit wieder anderen Gegenforderungen über diese Sache hermachen.

Wir alle wissen: Gesetze allein können keinen Amoklauf verhindern. Nicht nur die Angehörigen der Opfer, sondern wir alle stellen uns immer wieder die Frage, wie es dazu kommen konnte. Diese Frage ist – wenn überhaupt – natürlich nur unter Beleuchtung aller Seiten zu beantworten. Dabei ist es wichtig, dass wir mit Bedacht an die Sache herangehen und nicht mit einem unkoordinierten Tatendrang.

Wir erwarten von der Einsetzung dieses Ausschusses, dass er sich mit dem Thema umfassend beschäftigt und ein in sich schlüssiges Konzept vorlegt, das alle berührten Themen mit einschließt.

Wir kennen das Problem, dass es in Deutschland viele Waffen gibt. Wir haben kein zentrales Waffenregister. Aber nach Schätzungen des Bundesinnenministeriums gibt es rund 10 Millionen erlaubnispflichtige Waffen, die legal in den Händen von rund 4 Millionen Waffenbesitzern liegen. Experten

schätzen, dass die Zahl der illegal in Besitz befindlichen Waffen mindestens doppelt so hoch ist.

Wir werden alle Vorschläge ernsthaft prüfen. Aber wir werden auch zu der Erkenntnis kommen, dass sich derjenige oder diejenige, die sich selbst umbringen und dabei andere mit in den Tod reißen wollen, trotz noch so vieler Sicherungen wahrscheinlich Waffen beschaffen können.

Wir können unsere Jugendlichen auch nicht vor der Medienwelt schützen, in der unbestritten viele schädliche Einflüsse lauern. Aber wir können die jungen Menschen zu gefestigten Persönlichkeiten machen, die verantwortungsvoll mit diesen Gefährdungen umgehen.

(Beifall der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Auch hier gilt aber: Verbote allein lösen keine Probleme.

Wir müssen auch berücksichtigen, dass es dazu unterschiedliche wissenschaftliche Anschauungen gibt. Die einen sagen: Das hat einen ursächlichen Zusammenhang. Die anderen sagen: Es gibt dort keinen monokausalen Zusammenhang, beispielsweise zwischen Computerspielen und aktiver Gewalt. Das müssen wir uns genau anschauen und beleuchten.

Gewalt unter Jugendlichen hat zumindest nach dem Eindruck der Öffentlichkeit in den letzten Jahren stark zugenommen. Die Gründe dafür sind vielschichtig und sollen im Rahmen dieses Ausschusses möglichst umfassend beleuchtet werden. Auch hier muss ein in sich schlüssiges Konzept her, das im frühen Kindesalter einsetzt und alle Facetten einschließt.

Wir kennen die Forderungen nach mehr Sicherheit an Schulen. Aber auch da muss man wieder sehen, dass selbst hoch gesicherte Schulen nur bedingt vor einem Amoklauf schützen können. Um wirksame Sicherheitskonzepte zu entwickeln, wird der Ausschuss sachverständige Experten hinzuziehen.

Wir müssen uns aber auch mit dem Schulalltag auseinandersetzen. Häufig wird ein Gefühl der Zurücksetzung als Mitursache für Gewaltausbrüche vermutet. Deshalb haben Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern, Schulleitungen und Schulaufsicht die Pflicht, konsequent gegen Ausgrenzung und Mobbing, gegen Kränkung und Benachteiligung vorzugehen.

„Grausamkeit ist das Heilmittel des verletzten Stolzes“, hat Friedrich Nietzsche einmal festgestellt, und bei Antoine de Saint-Exupéry können wir nachlesen: „Der Mensch, der nicht geachtet ist, bringt um.“

Wir Liberalen werden den Blick des Sonderausschusses auch darauf richten, dass gerade durch die Achtung des Einzelnen, durch das Verständnis für andere und durch den Respekt vor der Würde eines jeden Mitmenschen der Boden für das Aufgehen der Saat der Gewalt steiniger wird.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir kommen deshalb zur Abstimmung über den Antrag.

Wer dem Antrag Drucksache 14/4325 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist einstimmig angenommen worden.

Wir kommen jetzt zur Wahl der Mitglieder und der stellvertretenden Mitglieder des Sonderausschusses nach § 18 Abs. 3 der Geschäftsordnung. Es ist vorgesehen, dass dem Sonderausschuss 18 ordentliche Mitglieder angehören sollen und stellvertretende Mitglieder bis zur dreifachen Zahl möglich sind. Ein gemeinsamer Wahlvorschlag der Fraktionen liegt Ihnen hierzu vor (Anlage 3).

Erhebt sich gegen den Wahlvorschlag Widerspruch? – Dies ist nicht der Fall. Somit stelle ich fest, dass das Haus der Wahl der vorgeschlagenen Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder zustimmt, sodass diese damit gewählt sind.

Damit ist Tagesordnungspunkt 5 erledigt.

Bevor wir in die Beratung des Tagesordnungspunkts 6 eintreten, darf ich mitteilen, dass inzwischen Herr Alfred Sebenico aus Albstadt auf der Besuchertribüne Platz genommen hat. Am 28. Februar 2009 wurde Herr Sebenico 100 Jahre alt. Somit gehört er zu den ältesten Besuchern des Landtags.

(Lebhafter Beifall bei allen Fraktionen)

Herr Sebenico, ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt im Landtag. Nachher gibt es, wie ich gehört habe, noch ein Kaffeetrinken. Vor allem wünsche ich Ihnen noch viele glückliche Lebensjahre. Alles Gute!

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf: