Protokoll der Sitzung vom 23.04.2009

Ich werde Ihnen einen Brief von der Staatsanwaltschaft vorlesen.

(Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE: Das unterliegt aber dem Datenschutz, Herr Kollege!)

(Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE: Doch!)

Ich werde nur vortragen.

(Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE: Ach so!)

Gegenstand war das Ermittlungsverfahren gegen L. an A. wegen gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung.

Sehr geehrter Herr,

das Ermittlungsverfahren habe ich mit Zustimmung des Gerichts mit Verfügung vom 18. März nach § 153 (1) StPO eingestellt.

Gründe: Ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung ist nicht gegeben. Die Schuld wäre als zu gering anzusehen. Es ist zu keinen gravierenden Verletzungen gekommen bis auf die doppelte Nasenbeinfraktur des Geschädigten. Die Beschuldigten sind strafrechtlich in diesem Sinn nicht einschlägig bekannt. Etwaige zivilrechtliche Ansprüche werden von dieser Entscheidung nicht berührt.

Das ist auch Realität. Deshalb Vorsicht mit Statistiken.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Was wollen Sie uns da- mit sagen?)

Ich möchte damit nur sagen, dass die Jugendkriminalität und die Kriminalität allgemein in den vergangenen Jahren teilweise zurückgegangen sind. Was aber die Gewaltkriminalität angeht, zu der auch von Amts wegen ermittelt werden musste, weil es vor Ort Opfer gegeben hat, so ist diese massiv gestiegen, und zwar derart massiv, dass man jetzt nicht mit Zahlen operieren muss. Wir haben es ja zuvor schon gehört: Oftmals liegt Alkoholmissbrauch zugrunde.

Dennoch tun wir sehr viel in Baden-Württemberg. Sie haben die Projekte erwähnt, beispielsweise Creglingen als einen Standort des „Projekts Chance“ sowie weitere Vorhaben. Ich denke, Herr Minister, hierbei sollte das Ministerium vorangehen. Ich habe positive Signale gehört, dass man die JVA in Rastatt, bei der der Schwerpunkt auf der Untersuchungshaft liegt, zu einer modernen Jugendarrestanstalt um- und ausbauen möchte.

Ich rede zwar als CDU-Abgeordneter, will aber auch sagen: Ob die Erhöhung des Strafmaßes von zehn auf 15 Jahre, wie wir sie vorsehen, ein ideales Maß darstellt und das Problem löst, lassen wir einmal dahingestellt.

(Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE: Oh! Hört, hört!)

Es gibt die eine oder andere Straftat, bei der man davon ausgeht, dass man sie mit nur zehn Jahren nicht ahnden kann. Deshalb hat man das diskutiert. Nehmen Sie allein Bad Buchau. Dort ist es zu einer wirklich schweren Straftat gekommen. Wenn Sie dann womöglich nur zwei Drittel des Möglichen annehmen, dann weiß ich nicht, ob man nicht doch ein höheres Strafmaß braucht.

Aber das beseitigt nicht das Problem. Ich sehe andere Möglichkeiten der eigenständigen Sanktion wie z. B. die Verhängung eines Fahrverbots oder den verzögerten Erwerb des Führerscheins. Damit meine ich nicht das, was wir jetzt schon haben, wenn die Straftat im Zusammenhang mit einem Fahrzeug steht. Vielmehr soll völlig unabhängig davon gesagt werden können: Du warst Straftäter; deshalb darfst du nicht mit 17 oder mit 18 Jahren den Führerschein machen.

Zum anderen kämpfe ich – ich möchte heute die Gelegenheit wahrnehmen und dies nochmals erwähnen – für ein E-Learning-Projekt. Herr Kollege Sakellariou, Sie weisen völlig zu Recht darauf hin, dass die durchschnittliche Haftdauer von Jugendlichen, z. B. in Adelsheim, elf Monate beträgt. In der Regel haben diese Jugendlichen keinen Schulabschluss, keinen Ausbildungsabschluss. Nach durchschnittlich elf Monaten sind sie dann draußen; wir investieren aber sehr viel. Deshalb möchte ich ganz schnell ein E-Learning-Projekt eingeführt

wissen. Herr Minister, vielleicht sollten wir mit einem Pilotprojekt beginnen, bei dem die Ausbildung mittels E-Learning nach der Haft weitergeführt wird.

Ebenso trete ich ganz persönlich schon seit Längerem für den sogenannten „kleinen Handwerkerschein“ ein. Das wird immer wieder auf die lange Bank geschoben, und auch hierauf möchte ich heute mit Nachdruck hinweisen. Wenn jemand in Adelsheim – wo ausgezeichnete schulische, aber auch berufliche Ausbildung stattfindet – eineinhalb oder zwei Jahre Elektriker, Maurer oder Gipser lernt, dort aber keinen Abschluss erwerben kann und dann aus der Haft entlassen wird, hat er wieder gar nichts. Er sollte aber doch wenigstens einen Nachweis haben, dass er das kann. Das wäre für die Strafentlassenen ein idealer Tätigkeits- oder Fähigkeitsnachweis.

Ganz zum Schluss möchte ich noch auf die Katastrophen dieser drei brutalen Verbrechen zu sprechen kommen. Sie sind wie ein Gewitter über uns hereingebrochen. Wahrscheinlich können wir in solchen Fällen mit Prävention gar nichts erreichen. Wir kennen, gerade was Eislingen angeht, bis heute noch nicht einmal die Motive. Sie scheinen im ganz persönlichen Bereich zu liegen. Ich bin selbst gespannt, sie zu erfahren. Aber ich sage Ihnen auch ehrlich, was mich ängstigt. Ich bin nicht der Meinung von Herrn Professor Gallwitz, der noch am Tattag, gleich am 11. März, sagte, dass diese sogenannten Killerspiele Gott sei Dank keinen Einfluss hätten. Ich bin anderer Ansicht.

Vielleicht hat der eine oder andere Kollege sich bei diesem Thema auch schon eingelesen. Woher kommen denn die Killerspiele? Bei meinen Recherchen habe ich erfahren, Herr Kollege Gall, dass die Killerspiele aus den Neunzigerjahren stammen. Damals hat das Pentagon 50 Millionen Dollar zur Entwicklung sogenannter War Games ausgegeben. Diese wurden zur Ausbildung der Rekruten, insbesondere für den Golfkrieg und für andere Auslandseinsätze, entwickelt. Aus diesen Kriegsspielen haben sich die Killerspiele entwickelt. Bei ihnen geht es also um das Training zum Töten. Ob das ein Spiel ist oder nicht, wird kontrovers diskutiert.

Wirklich abscheulich ist aber aus meiner Sicht, dass das Pentagon im Juli 2007 weltweit 200 000 Dollar ausgelobt hat. Jeder konnte weltweit an einem Killerspiel teilnehmen. Gewinner war, wer in kürzester Zeit mit geringstem Einsatz von schweren Waffen die meisten Menschen tötete. Dabei zählten also nur sogenannte Body Counts.

Lassen Sie mich meine Rede mit einem afrikanischen Sprichwort beenden. Ich weiß nicht, aus welchem Land in Afrika es stammt. Sie kennen es vielleicht auch. Es betrifft die Frage, wie man Jugendkriminalität in den Griff bekommen kann. Das Sprichwort lautet: „Es bedarf eines ganzen Dorfes, um ein Kind zu erziehen.“ Ich meine, der Sonderausschuss sollte unter Berücksichtigung dieses Zitats schauen, was davon er mit seiner Arbeit abdecken kann.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Reinhold Gall SPD: Respekt! Sie waren heute ausnahmsweise einmal richtig sachlich!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Oelmayer für die Fraktion GRÜNE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Uns liegen fünf Initiativen zum Thema „Jugendkriminalität, Jugendstrafrecht und Jugendstrafvollzug“ vor. Drei Fraktionen haben sich durch entsprechende Initiativen um dieses Thema gekümmert. Heute, ziemlich genau ein Jahr nach Beantwortung dieser Initiativen durch die Landesregierung, befassen wir uns nun damit. Die Beantwortung ist im Übrigen nicht nur durch das Justizministerium, sondern auch durch das Innenministerium erfolgt, was aus meiner Sicht ja auch zum Strafrecht passt, das hier zum Thema geworden ist. Die Beantwortung der fünf parlamentarischen Initiativen befasst sich auf 87 Seiten mit den Fragen des Jugendstrafrechts, des Jugendstrafvollzugs und der Jugendkriminalität im Allgemeinen.

Die Beantwortung liegt ein Jahr zurück. Der Kollege Sakellariou hat dies dargetan. Damals gab das scheußliche Verbrechen – man muss es so nennen – in der U-Bahn in München Anlass, auch medialen Anlass, darüber zu berichten, darüber politische Debatten zu führen und Konsequenzen anzukündigen, die insbesondere auch im Bereich des Strafrechts angesiedelt waren. Auch dazu hat der Kollege Sakellariou einige Punkte aufgezählt, sei es die Verschärfung des Jugendstrafrechts, die Anwendung des Erwachsenenstrafrechts oder seien es viele andere Punkte, die er erwähnt hat.

Das liegt jetzt ein Jahr zurück. Der Kollege Zimmermann hat zu Recht darauf abgehoben, dass es inzwischen noch eine ganz andere Qualität gibt. Diese möchte ich aber gar nicht in den Bereich der Jugendkriminalität einordnen, über den wir heute diskutieren. So begehen junge Menschen aus unserer Gesellschaft – nicht aus den neuen Bundesländern, nicht irgendwo in den USA, sondern konkret hier in Baden-Würt temberg – Verbrechen, für die die Vorstellungskraft eigentlich gar nicht ausreicht. Dazu hat der Landtag einen Sonderausschuss eingesetzt. Darüber will ich jetzt nicht weiter diskutieren.

Aber eine Bemerkung sei mir gestattet: Der Ständige Ausschuss, dem ich als Mitglied angehöre, hat in diesem Plenarsaal vor anderthalb Jahren eine sehr qualifiziert besetzte Anhörung durchgeführt – mit Kriminologen, mit Gehirnforschern, mit Medienforschern usw. Wir waren uns fraktions übergreifend alle einig, dass es keine monokausale Erklärung gibt – Medien, Killerspiele –, sondern eines breiten Erklärungsansatzes bei der Frage bedarf, warum Gewalt in unserer Gesellschaft gerade bei Jugendlichen zunimmt.

Jetzt bin ich jemand, der immer darauf achtet und darauf abhebt: Welche Konsequenzen sind daraus entstanden? Wir haben inzwischen einen schönen Bericht über diese Anhörung bekommen. Jetzt hätte ich als Abgeordneter des Landtags von Baden-Württemberg, der sehr wohl weiß, dass eine der Kernkompetenzen unseres Landtags, unserer Landespolitik im Bereich der Bildungspolitik liegt, gedacht, dass dieser Bericht in allen Schulen – ich betone bewusst: in allen Schulen – implementiert worden wäre, dass man mit den Schülerinnen und Schülern, aber vorher vielleicht auch mit den Lehrkräften die Konsequenzen aus diesem Bericht diskutiert hätte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit Schrecken stelle ich fest, dass dies an keiner der Schulen, an denen ich vorbeikomme – und ich komme an vielen Schulen vorbei, weil ich viele Kinder habe –, der Fall war. Mein Hinweis ist sehr ernst gemeint

und betrifft auch die Kompetenz des Landtags: Wir können nicht Anhörungen durchführen und Sonderausschüsse einsetzen und daraus keine Konsequenzen entstehen lassen.

(Beifall bei den Grünen)

Es ist zentral wichtig, dass das, was uns Sachverständige sagen, nachher in die konkrete Politik einfließt, für die wir als Land zuständig sind. Das wünsche ich mir, und das erhoffe ich mir von dem Sonderausschuss, den wir eingesetzt haben.

Ich hoffe, dass es nachher nicht nur eine schöne Broschüre gibt oder vielleicht auch eine Bundesratsinitiative, weil das Waffenrecht ja nicht in unserer Zuständigkeit liegt. Es liegt aber in unserer Zuständigkeit, das Waffenrecht zu kontrollieren. Es wäre interessant, wenn der Sonderausschuss dazu konkrete Vorschläge machen würde, die wir nachher auch umsetzen. Es sollte nicht so gehen wie bei der Anhörung des Ständigen Ausschusses, als qualifizierte Sachverständige angehört worden sind und eine tolle Broschüre erstellt worden ist, die hinterher konsequenzlos in den Bücherregalen gelandet ist.

So dürfen wir mit diesem Thema nicht umgehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir müssen fraktionsübergreifend einer Meinung sein. Der Sonderausschuss hat nur dann Sinn, wenn er auch in der Konsequenz und in der Empfehlung dessen, was in dem Bericht steht, Vorschläge für die Umsetzung macht. Wir müssen als Landtag dafür Sorge tragen, dass dies im Rahmen unserer Landespolitik umgesetzt wird.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Sonst brauchten wir einen solchen Ausschuss auch gar nicht!)

Herr Kollege Zimmermann, Herr Kollege Gall hat schon gesagt, dass Sie heute sehr moderat waren. Das nehme ich zur Kenntnis. Sie haben sogar infrage gestellt, dass die Erhöhung der Jugendstrafe von zehn auf 15 Jahre final ist und das Ergebnis bringt, das wir uns erhoffen.

Ich möchte darauf abheben, dass das Jugendstrafrecht erst dann greift und Jugendkriminalität erst dann zum Thema wird, wenn junge Menschen eine Straftat begangen haben. Dies ist – auch das hat der Kollege bereits angesprochen – kein Problem von Menschen mit Migrationshintergrund. Dies ist auch kein Problem, das den sozial Schwächeren, den bildungsfernen Schichten, wie es immer so schön heißt, zugeordnet werden kann. Vielmehr spielt Jugendkriminalität in allen gesellschaftlichen Schichten eine Rolle.

Wir Grünen sind der Auffassung, dass wir im präventiven Bereich viel mehr tun müssen. Das ist besser, als hinterher Sanktionen zu verhängen und uns darüber zu unterhalten, ob wir das Strafrecht verschärfen sollen. Das kann man im Zusammenhang mit dem Jugendgerichtsgesetz selbstverständlich diskutieren. Ich bin auch der Meinung, dass man manche Debatte ergebnisoffen führen muss.

Wenn wir aber im Land Baden-Württemberg nicht für mehr Sprachförderung in Kindergärten sorgen, wenn wir die Selektion im Schulsystem nicht beenden, wenn wir die Schulsozialarbeit nicht stärken und wenn wir in Baden-Württemberg keine Zugangsgerechtigkeit im Hinblick auf Ausbildung und Arbeit herstellen, dann wird die Jugendkriminalität immer ein Thema bleiben. Sie bleibt so oder so ein Thema; so wird sie

aber immer gerade ein Thema für die Menschen bleiben, die durch das Raster fallen.

Es ist unser Job als Landtag und der Job der Landesregierung, den Menschen zu helfen und Kriminalität durch präventive Maßnahmen von vornherein zu verhindern.

(Beifall der Abg. Renate Rastätter GRÜNE – Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Wenn Kriminalität einmal entstanden ist, dann geht es um das Jugendstrafrecht. Dazu möchte ich jetzt gar nicht weit ausholen. Herr Kollege Sakellariou hat das Notwendige dazu gesagt. Deshalb will ich nur einen Gedanken äußern – auch als ein Mensch, der hin und wieder als Strafrechtler tätig ist –:

Das Jugendgerichtsgesetz stellt deshalb auf Kinder, Jugendliche und Heranwachsende ab, weil man davon ausgeht, dass diese Kinder, Jugendlichen und Heranwachsenden in ihrer Sozialisation nicht am Ende angelangt sind, sondern dass sie sehr oft gerade aufgrund von Sozialisationsdefiziten straffällig geworden sind. Deshalb hat der Gesetzgeber ein Jugendgerichtsgesetz geschaffen, um mit der ganzen Breite von Sanktionsmechanismen auf die Fehltritte von Jugendlichen reagieren zu können. Die überwiegende Zahl derjenigen – Herr Minis ter, das werden Sie mir bestätigen –, die einmal straffällig geworden sind, werden nie wieder straffällig, wenn ihr Handeln sanktioniert worden ist.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Das kann ich bestä- tigen!)

Bei einigen Jugendlichen wird es dagegen richtig heftig, sodass wir alle Möglichkeiten des Rechtsstaats einsetzen müssen. Dazu haben wir Beispiele gehört. Es geht aber nicht nur um Creglingen. Es geht auch um den Jugendstrafvollzug. Es geht um Adelsheim. Dabei geht es um die Frage, welche Ausbildung und welche Maßnahmen man den Jugendlichen angedeihen lässt, damit sie eine Sozialisierungschance haben. Bei vielen muss man das so sagen.