Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit eröffnet, an den Schulen wegen des Konfliktpotenzials, das dort durch den verstärkten Pluralismus verschiedener Religionen herrscht, einen Weg der strikteren Neutralität im Sinne der Laizität zu gehen. Dies ist aber nur unter folgender Bedingung möglich – ich zitiere –:
Schließlich bedarf die Einführung einer Dienstpflicht, die es den Lehrern verbietet, in ihrem äußeren Erscheinungsbild ihre Religionszugehörigkeit erkennbar zu machen,
auch deshalb einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, weil eine solche Dienstpflicht in verfassungsmäßiger … Weise nur begründet und durchgesetzt werden kann, wenn Angehörige unterschiedlicher Religionsgemeinschaften dabei gleich behandelt werden.
Dagegen haben Sie in Ihrem Gesetz offenkundig verstoßen; denn Sie wollten mit Rücksicht auf die in einer staatlichen Schule unterrichtenden Nonnen aus Baden-Baden-Lichtenthal gewährleisten, dass sie weiter unterrichten können, und haben in Ihrem Gesetz deswegen ein christliches Privileg eingeführt, durch das christliche Glaubensbekundungen vom Verbot ausgenommen sind.
Jetzt hat eine Klage vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart ergeben, dass Sie in Bezug auf die Anweisung des Oberschulamts an eine muslimische Lehrerin, ihr Kopftuch abzunehmen, unterlegen sind, weil Sie in Ihrer Verwaltungspraxis Ihr eigenes Gesetz ungleich anwenden, das heißt, weil Sie Trägern des Nonnenhabits ausdrücklich erlauben, solche Bekundungen im Unterricht zu tätigen, dies einer muslimischen, kopftuchtragenden Lehrerin allerdings nicht gestatten. Das heißt, Ihr Gesetz ist in seiner konkreten Anwendung klar rechtswidrig. Das Gericht hat eine Berufung auch deshalb nicht zugelassen, weil der Grundsatz strikter Gleichbehandlung schon vom Verwaltungsgericht und vom Bundesverfassungsgericht eindeutig klargelegt wurde.
Welche Konsequenz ist jetzt daraus zu ziehen? Daraus ist die Konsequenz zu ziehen, dass Ihr Gesetzentwurf nicht tauglich ist.
Ausgerechnet Sie als CDU-Fraktion sind den Weg des Laizismus gegangen, wollten ihn aber trickreich nur auf nichtchristliche Religionen anwenden und haben deswegen die christliche Religion privilegiert. Das geht natürlich nicht. Entweder Sie streichen jetzt diesen Absatz aus Ihrem Gesetz; dann betriebe ausgerechnet die CDU den Weg von einem säkularen in einen laizistischen Staat an unseren Schulen. Das ist meiner Ansicht nach und nach der Ansicht der Mehrheit in meiner Fraktion ein völliger Irrweg. Oder Sie folgen jetzt endlich unserem Gesetzentwurf,
der die Tradition der offenen, übergreifenden Neutralität aufnimmt und sagt: Unter Gleichheitsgrundsätzen haben alle Religionen die Möglichkeit, im öffentlichen Raum – auch in den Schulen – ihre Religiosität auch offen zu zeigen und zu bekunden, wenn dabei die Neutralitätspflicht etwa des Lehrers nicht gefährdet wird. Das heißt, wir fordern Sie dazu auf – –
Herr Kollege Kretschmann, haben Sie zur Kenntnis genommen, dass das Verwaltungsgericht Stuttgart in einem konkreten Fall entschieden hat, und zwar in einem speziellen Fall? Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat nicht für alle Fälle des Tragens eines Kopftuchs entschieden. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass das Verwaltungsgericht Stuttgart nicht darüber entschieden hat, ob das Gesetz verfassungsgemäß ist oder nicht, weil es dazu gar keine Kompetenz hat?
Das Verwaltungsgericht sagt klar, dass Sie Ihr Gesetz rechtskonform und verfassungskonform umsetzen müssen. Das heißt, Sie müssen dann alle Trägerinnen religiöser Symbole gleich behandeln. Solange Sie den Lichtenthäler Nonnen erlauben, im Nonnenhabit zu unterrichten, können Sie muslimischen Frauen nicht verbieten, ohne Kopftuch
mit Kopftuch zu unterrichten. Das geht aus der schriftlichen Begründung des Urteils ganz klar hervor.
Zweitens: Zugang zu öffentlichen Ämtern nach Leistung, Befähigung und Eignung im Einzelfall. Denn es handelt sich ganz klar um eine Einzelfallbestimmung. Wir nehmen niemand unter Kollektivhaftung, nur weil andere das Kopftuch vielleicht aus Gründen tragen, die wir nicht akzeptieren können.
Drittens: Ausgleich suchen im Konflikt. Dazu schafft unser Gesetzentwurf ein klares Verfahren. Dieser Ausgleich wird vom Bundesverfassungsgericht explizit gefordert.
Wie kann man das zusammenfassen? Ihr Gesetzentwurf – das hat sich jetzt noch einmal klar gezeigt – übermittelt den muslimischen Migrantinnen und Migranten folgendes Sig
nal: „Du kannst tun, was du willst, du kannst die freiheitliche Grundordnung aktiv verteidigen – es nützt nichts; du wirst diskriminiert. Ein Christ dagegen kann ohne jede Vorleistung in den Schuldienst.“
Die Botschaft, die unser Gesetzentwurf aussendet, ist eine ganz andere. Sie lautet: Jeder und jede kann, wenn er oder sie nach Eignung, Leistung und Befähigung dazu in der Lage ist – das heißt bei einem Lehrer oder einer Lehrerin: aktiv für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten; das ist eine wichtige Voraussetzung – und die sonstigen Anforderungen erfüllt, ohne Ansehen der Person bei uns unterrichten, auch wenn er eine Muslima ist, die ein Kopftuch tragen möchte.
Unser Gesetzentwurf sendet die Botschaft aus: Gleichheit vor dem Gesetz und Integration. Ich finde, nach der Integrationsdebatte am heutigen Vormittag ist es angesagt, solche Signale auszusenden.
Wenn wir Lehrerinnen, die ihren Job bisher gut gemacht haben – wie die betreffende Kollegin – und die sich nichts zuschulden kommen lassen haben, sondern im Gegenteil an der Schule sehr positiv wirken, auch was die Integration betrifft, den Zugang zum Unterricht ermöglichen, leisten wir einen fundierten Beitrag zur Integration.
Wir alle haben etwas davon, wenn die Religion nicht durch Laizismus abgedrängt wird. Sie sollte im öffentlichen Raum verbleiben – unter dem kritischen Blick einer säkularen Öffentlichkeit – und sich nicht in irgendwelchen Hinterhöfen verstecken müssen, wie wir es heute Morgen schon besprochen haben. Das ist der Vorteil unseres Gesetzentwurfs.
Deswegen fordere ich Sie in Ansehung des Urteils des Verwaltungsgerichts Stuttgart auf, Ihre Position zu überdenken, im Ausschuss mit uns darüber zu diskutieren und dann unserem Gesetzentwurf in dieser oder in modifizierter Form zuzustimmen.
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Zu Beginn meiner Ausführungen möchte ich zunächst die Überzeugung der CDU-Landtagsfraktion aus den Debatten der vergangenen Legislaturperioden wiederholen. Wir halten das Kopftuch einer Muslima – darauf sind Sie gar nicht eingegangen, Herr Kretschmann; über den Symbolgehalt des Kopftuches haben Sie gar nichts gesagt – auch für ein politisches Symbol, nicht nur für eine religiöse Bekleidungsform.