Protokoll der Sitzung vom 08.07.2009

Auch da geht es nicht gegen die Willen anderer. Fünftens muss er über einen Ausbildungsplatz oder über einen Arbeitsplatz verfügen. Beim Ausbildungsplatz haben wir Möglichkeiten für einen sinnvollen Einsatz. Nach Ihrer Meinung müsste er dann einfahren, müsste den Ausbildungsplatz aufgeben und würde möglicherweise eine große Chance verlieren.

Der Gefangene muss bereit sein, sich im Voraus einem vereinbarten Tages- und Wochenablauf und weiteren Anweisungen zu unterziehen. Auch hier lernt er Strukturen. Er darf nicht einfach vor sich hinwursteln, sondern er ist am langen Band der elektronischen Überwachung.

Ich darf darauf hinweisen: Die elektronische Überwachung darf jederzeit widerrufen werden, wenn der Überwachte gegen Auflagen, gegen die Vereinbarung verstößt. Die elektronische Überwachung funktioniert über einen Sender, der über dem Knöchel befestigt wird. Herr Kollege Kluck und ich haben diese Möglichkeit der elektronischen Fußfessel im September des letzten Jahres in Wien besichtigt.

(Zuruf von der CDU: Ausprobiert? – Abg. Thomas Blenke CDU: Wie weit sind Sie gekommen? – Abg. Karl Zimmermann CDU: Und der Funk ging bis nach Horb!)

Das war hochinteressant. Herr Kollege Oelmayer und Herr Kollege Sakellariou, auch der dortige Modellversuch ist sinnvoll und wird verlängert. Ich weiß nicht, warum man gegen sinnvolle und bewährte Modelle wettert. Man will es einfach nicht wahrhaben. Herr Kollege Sakellariou, Sie sind hierbei der eigentliche Konservative.

(Abg. Nikolaos Sakellariou SPD: Wertkonservativ!)

Ich komme zu dem Ergebnis: Der elektronisch überwachte Hausarrest ist sinnvoll. In jeder Richtung bietet er nur Vorteile und Chancen. Die Vollzugsform ist eine sinnvolle Ergänzung zum Strafvollzug. Sie ist, wie ich schon gesagt habe, kein Allheilmittel.

Durch den Hausarrest wird der Gefangene nicht mehr aus seiner gewohnten sozialen Umgebung herausgerissen. Er kann bei seiner Familie bleiben. Der Gefangene kann seinen Arbeitsplatz behalten. Der Strafvollzug ist humaner und enthält gleichzeitig eine Warnfunktion. Der elektronisch überwachte Hausarrest spart Haftplätze und damit auch Kosten.

(Abg. Rainer Stickelberger SPD: Wer überwacht? – Gegenruf des Abg. Karl Zimmermann CDU: Die Ehefrau!)

Das heißt, der elektronisch überwachte Hausarrest bietet wirklich nur Vorteile.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Ich komme zum Schluss. Dem Justizminister und seinen Mitarbeitern danke ich für die konsequente Umsetzung dieser Gesetzesvorlage. Die FDP/DVP-Fraktion stimmt ihr zu. Meine sehr verehrten Damen und Herren in diesem Hohen Haus, ich rate Ihnen allen, der Gesetzesvorlage uneingeschränkt zuzustimmen.

(Zuruf des Abg. Rainer Stickelberger SPD)

Sie helfen damit Baden-Württemberg in seinem modernen Strafvollzug hin zu einer guten Entwicklung. Wir sind auf einem guten Weg. Stehen Sie ihr nicht im Weg, sondern helfen Sie mit.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Sie stimmen der Überweisung des Gesetzentwurfs der Landesregierung, Drucksache 14/4670, zur weiteren Beratung an den Ständigen Ausschuss zu. – Es ist so beschlossen.

Damit ist Punkt 6 der Tagesordnung erledigt.

Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:

Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für Baden-Würt temberg und anderer Gesetze – Drucksache 14/4680

Das Präsidium hat eine Aussprache mit einer Redezeit von zehn Minuten je Fraktion festgelegt, wobei gestaffelte Redezeiten gelten.

Zunächst erfolgt die Begründung des Gesetzentwurfs durch die Regierung. Das Wort dazu erteile ich Herrn Minister Rau.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Einführung der Werkrealschule in Baden-Württemberg legt die Landesregierung ein innovatives Schulkonzept vor. Es wird die Bildungschancen der Schülerinnen und Schüler mit praktischer Orientierung und mit besonderem Förderbedarf entscheidend erhöhen. Dadurch wird die Stellung Baden-Würt tembergs als – wie Jürgen Baumert es nannte – „modernstes Bildungsland“ abermals unter Beweis gestellt.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Für uns ist Bildungspolitik vor allem eine Politik der Schulentwicklung, eine Politik also, die die Schulen fit für die Zukunft macht – die Zukunft unserer Kinder und Jugendlichen, die Zukunft von uns allen.

Für die Schulentwicklung sehe ich keine Alternative zu einem ganzheitlichen Ansatz, zu einem Konzept, welches das nachweislich Bewährte bewahrt und gleichzeitig innovativ auf die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler und auf die Anforderungen der Zeit reagiert.

Erstens sind wir uns sicher, dass individuelle und differenzierte Förderung in einem differenzierten Schulsystem gerade für die sogenannten schwächeren Schülerinnen und Schüler besser möglich ist. Darum halten wir am differenzierten Schulsystem fest.

Zweitens leistet die Hauptschule schon jetzt hervorragende Arbeit für jene, die einer besonderen Integrationsanstrengung bedürfen. Darum wird es auch künftig eine Schule geben, die diesen Anforderungen entspricht.

Drittens wissen wir, dass viele der jetzigen Hauptschülerinnen und Hauptschüler das Zeug zur mittleren Reife haben und dass in vielen Bereichen heute und künftig die mittlere Reife als Eingangsvoraussetzung verlangt wird. Darum führen wir in Baden-Württemberg die Werkrealschule ein. Das müssen und wollen wir im Schulgesetz verankern.

Viertens spricht für unser Modell die weitere Verzahnung von allgemeiner und beruflicher Bildung. So ist der Erfolg eines Schulsystems nach den Übergängen zu beurteilen. Wir haben in Baden-Württemberg eine im nationalen und im internationalen Vergleich sehr kleine Zahl junger Menschen ohne Schulabschluss. Wir haben eine Jugendarbeitslosenquote, die europaweit zu den niedrigsten gehört. Die „PISA-Stars“ aus dem Norden dagegen haben eine Jugendarbeitslosenquote, die etwa fünfmal so hoch ist wie die bei uns in Baden-Württemberg.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Das wird aber anders ge- rechnet! Das haben wir Ihnen schon einmal erklärt! Das ist einfach eine falsche Aussage!)

Unsere größte Stärke ist also schon jetzt der Zusammenhang von allgemeiner und beruflicher Bildung, den wir ganz anders verstehen und pflegen. Solange uns dies gelingt, werden wir für alle Jugendlichen ein erfolgreiches Bildungssystem haben, ein erfolgreicheres als skandinavische Einheitsschulsysteme mit guten Testergebnissen, aber einer großen Zahl an Schülern ohne einen brauchbaren Abschluss

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

und damit einer um ein Mehrfaches höheren Zahl an jugendlichen Arbeitslosen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Wie zukunftweisend unsere Konzeption ist, zeigt sich auch daran, dass das bayerische Kabinett nun ein Zukunftspaket für die Hauptschulen vorgelegt hat, das unter der Überschrift „Mittelschulen“ gleichfalls eine enge Kooperation mit beruflichen Schulen und einen direkten Weg zu einem mittleren Abschluss vorsieht. Andere Länder stehen ebenfalls vor inhaltlichen und strukturellen Weiterentwicklungen.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Ganz oder gar nicht!)

Interessant wird sein, zu sehen, wo es ebenfalls zu Angeboten der Zusammenarbeit mit dem beruflichen Bereich kommen wird.

Das baden-württembergische Original in seiner konsequenten Konzeption will ich noch einmal kurz skizzieren. Grundidee

der Werkrealschule ist der eigene und durchgängige sechsjährige Bildungsgang ab Klasse 5 mit dem Ziel der mittleren Reife. Dieser stellt die einzelne Schülerin und den einzelnen Schüler mit deren jeweiligen Lernansprüchen in den Mittelpunkt.

Eine starke Orientierung auf berufliche Perspektiven wird zum Markenzeichen der Werkrealschule. Wir haben die Abschlüsse und Übergänge im Blick; dazu gehören Erfahrungen mit der Arbeitswelt.

Grundintention und pädagogisches Leitprinzip der Werkrealschule ist die durchgängige individuelle Förderung in allen Klassenstufen. Sie baut damit auf der pädagogischen Arbeit der Grundschule auf und setzt diese fort. Deshalb werden auch alle Komponenten des im Sommer 2007 beschlossenen Maßnahmenpakets zur Stärkung der Hauptschulen übernommen und sind Teil der Gesamtkonzeption.

Zentrale Innovationen in der Werkrealschule setzen in den Klassen 8 und 9 an. Die bisherigen Stunden für den Praxiszug bzw. für den Werkrealschulzug werden in einem Stundenpool zusammengefasst, den die Schulen in vollem Umfang für Maßnahmen der individuellen Förderung einsetzen können.

Als weiteres, neues und profilprägendes Element kommen in den Klassenstufen 8 und 9 zweistündige Wahlpflichtfächer hinzu. Die Schüler können zwischen „Natur und Technik“, „Wirtschaft und Informationstechnik“ und „Gesundheit und Soziales“ wählen. Diese Wahlpflichtfächer werden inhaltlich mit der Ausrichtung der zweijährigen Berufsfachschule abgestimmt. Nun haben alle Schüler die Möglichkeit, Fächer und Schwerpunkte zu wählen, die ihren Neigungen und Qualifikationen entsprechen. Die Wahlpflichtfächer werden das Interesse an den Unterrichtsangeboten der Berufsfachschulen in Klasse 10 wecken und inhaltlich mit vorbereiten. Damit ist eine gute Grundlage für eine gelingende Berufswahl geschaffen.

In der Abschlussklasse 10 ist die enge und systematische Kooperation mit dem ersten Jahr der zweijährigen Berufsfachschule ein weiteres prägendes Element. Das gemeinsame Bildungsangebot umfasst hier den allgemeinbildenden Bereich der Werkrealschule und den berufsbezogenen Lernbereich der zweijährigen Berufsfachschule.

Die erforderliche Bildungsplanarbeit ist in Auftrag gegeben und wird vom Landesinstitut für Schulentwicklung geleistet. Unser Ziel ist es, die Bildungspläne bis Ende dieses Jahres fertigzustellen und im Jahr 2010 mit umfangreichen Fortbildungsangeboten für die Lehrkräfte zu beginnen.

Ein weiteres Kennzeichen der Werkrealschule ist eine kontinuierlich angelegte Berufswegeplanung ab Klasse 5 mit intensivierter Kooperation zwischen Schule und Betrieb. Entscheidendes Merkmal sind hierbei zeitlich flexible Praktikums phasen nach den Bedürfnissen der Schüler und entsprechend den Angeboten der Betriebe.

Wer die Werkrealschule nach Klasse 9 verlässt, legt, wie bisher auch schon, die Hauptschulabschlussprüfung ab. Die Entscheidung, welcher der beiden Schulabschlüsse angestrebt wird, muss erst in Klasse 9 getroffen werden. Der Hauptschulabschluss bietet auch weiterhin die Möglichkeit, eine Berufs

ausbildung aufzunehmen oder die Anschlussmöglichkeiten in der Berufsschule zu nutzen.

Nach diesen Ausführungen zum pädagogischen Konzept erlauben Sie mir noch einige Anmerkungen zur künftigen Schulorganisation. Keine Hauptschule wird gegen den Willen des Schulträgers geschlossen. Die Zweizügigkeit bleibt aber die Basis für die Umsetzung der Werkrealschule vor Ort. Sie orientiert sich am Klassenteiler, der im nächsten Schuljahr 32 beträgt und in den Folgejahren bis auf 28 abgesenkt wird.

Die Werkrealschule wird eine Wahlschule und damit der Realschule und dem Gymnasium gleichgestellt. Auf Wunsch des Schulträgers kann für sie für eine Übergangszeit ein Schulbezirk festgelegt werden. Alle Werkrealschulen können Ganztagsschulen werden. Wir ermöglichen damit den weiteren bedarfsorientierten Ausbau dieser Schulen mit Ganztagsangeboten.

Einzügige Hauptschulen werden auch nach der Einführung der Werkrealschule erhalten bleiben. Allerdings gilt für sie: Sie müssen sich inhaltlich dem neuen Konzept anpassen. Für die Schülerinnen und Schüler muss von jeder Klassenstufe aus ein Überwechseln auf die Werkrealschule möglich sein.