Protokoll der Sitzung vom 08.07.2009

(Beifall bei der SPD)

Das Dritte: Wenn man darüber nachdenkt – darüber kann man ja nachdenken, das hat in sich seine Berechtigung –, ob nicht zu viele Einkommen vom Spitzensteuersatz betroffen sind und deshalb in eine Steuersenkung einbezogen werden müssen, sollte man, wenn man sagt, ab 52 000 € beginne für den ers ten zusätzlichen Euro der Spitzensteuersatz, die Tatsache nicht verwischen, dass im Durchschnitt für das gesamte Einkommen bis 52 000 € 25 % Steuer fällig werden und eben nicht 42 %.

(Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Was ändert das am Haushalt?)

Jetzt kann man darüber nachdenken und feststellen, bei 52 000 € setze diese Steuer zu früh ein, weil davon viele im Facharbeiterbereich betroffen seien. Die kommen allmählich da hinein. Okay, denken wir darüber nach. Dann muss man aber eine ernsthafte Gegenfinanzierung vorlegen und kann nicht darauf verweisen, dass es schon irgendwie mehr Steuereinnahmen gebe. Wenn man sagt, man brauche für die Gastronomie eine Entlastung bei der Mehrwertsteuer, ist es schon putzig – –

(Heiterkeit – Abg. Stefan Mappus CDU: Schmiedel und Kretschmann, alles putzig!)

Wer jetzt nach oben geschaut hat bei dem Gemälde, dass die Deutschen über den Bodensee in die Schweiz zum Essen fah ren, weil dort der Mehrwertsteuersatz niedriger ist, oder ins Elsass, hat bei Herrn Straub ein fettes Grinsen gesehen, weil der im Leben nicht auf die Idee kommt, in die Schweiz zum Essen zu fahren, nie!

(Heiterkeit)

Warum auch? Dort ist doch alles teurer. Das ist nicht das Argument.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Nein, der Präsi- dent schätzt gute deutsche Küche!)

In Deutschland lassen sich durch den Wettbewerb keine höheren Preise durchsetzen. Deshalb sind hier die Preise deutlich niedriger. Darum geht es nicht, sondern unser Problem in der Hotellerie, in der Gastronomie, in den Tourismusregionen ist, dass zu wenig übrig bleibt,

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

dass die Unternehmen nicht in der Lage sind, die notwendigen Investitionen für die Zukunft zu tätigen, um sich im Wettbewerb für die Zukunft aufstellen zu können.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Weil ihr die zu stark besteuert!)

Deshalb muss man darüber nachdenken, aber dann muss man eine Gegenfinanzierung hinlegen, die vertretbar ist. Herr Ministerpräsident, mit Ihrem Vorschlag der Gegenfinanzierung, dass wir am ermäßigten Mehrwertsteuersatz drehen – 75 % der betroffenen Artikel sind Lebensmittel, und die Lebensmittelausgaben spielen für die Bezieher niedriger Einkommen eine wichtige Rolle, eine wesentlich größere Rolle als für die, die hohe Einkommen erzielen –, mit diesem Gegenvorschlag, ausgerechnet bei denen eine Erhöhung vorzuschlagen, haben Sie dieses Thema „Reduzierter Mehrwertsteuersatz für die Gastronomie“ in den Sand gesetzt.

(Beifall bei der SPD)

Da bekommen Sie bei der CDU keine Mehrheit, bei der FDP keine Mehrheit und schon gar nicht bei der SPD. Da stehen Sie mutterseelenallein.

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wenn man diese Debatte um Veränderungen an Steuertarifen führt, dann kann man nicht die allgemeine Konjunkturentwicklung pauschal als Gegenfinanzierung da hinstellen – das ist bei den zusätzlichen Schulden, die wir in diesen Krisenjahren aufhäufen, völlig unseriös –, sondern muss man echte Gegenfinanzierungsvorschläge machen. Wir sagen: Wir legen eine Schippe obendrauf bei der Reichensteuer, die wir gemeinsam eingeführt haben. Die können mehr tragen als die Bezieher kleiner Einkommen. Ferner gehen wir an die Börse und erheben eine Börsenumsatzsteuer, damit der Staat, damit die allgemeinen Steuerzahler entlastet werden, und zwar durch die Abführung eines Teils der Gewinne, die an der Börse erzielt werden, wenn die Wirtschaft wieder läuft. Das ist ein klares Profil, klare Kante, das ist durchgerechnet. Darauf kann man sich verlassen. Deshalb sind wir zuversichtlich, dass wir einen großen Zuspruch für dieses Konzept bekommen und dass Sie für Ihre allgemeinen Versprechungen am Ende keine Zustimmung haben.

(Beifall bei der SPD – Lachen des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)

Nach § 82 Abs. 4 der Geschäftsordnung erhält der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Herr Abg. Mappus, das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die heutige Debatte trägt die Überschrift: „Steu

erpolitik in der Krise braucht Glaubwürdigkeit“, Herr Kretschmann. Ich sage Ihnen ganz offen: Wenn ich aus einem Grund ganz besonders hoffe, dass die Große Koalition nach dem 27. September nicht mehr besteht, dann vor allem deshalb, weil ich der Überzeugung bin, dass man danach bestimmte Dinge im Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitik, die mit Glaubwürdigkeit zu tun haben, wieder offener diskutieren kann, ohne dass es sofort missbraucht wird.

Schauen Sie: Wenn es um die Mehrwertsteuer geht, kann doch, glaube ich, niemand bestreiten, dass die Steuersätze in Deutschland manchmal schon ein bisschen schwer zu begründen sind.

(Zuruf des Abg. Dr. Nils Schmid SPD)

Wenn in einem Land Kindernahrung mit 19 % besteuert wird und Pornohefte mit 7 % besteuert werden, muss doch die Frage erlaubt sein, ob das in Ordnung ist, meine Damen und Herren. Es muss doch erlaubt sein, einmal darüber zu reden,

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Dr. Nils Schmid SPD)

ohne dass gleich argumentiert wird: Da will jemand Steuern erhöhen oder Ähnliches tun. Dies ist mit der SPD in diesem Land nicht möglich, wie man an der heutigen Debatte übrigens auch wieder sehr schön sehen kann.

Deshalb hoffe ich, dass wir die Große Koalition im Bund im September dieses Jahres beenden können.

Wenn Sie von Glaubwürdigkeit sprechen, Herr Kretschmann: Ich bin der Überzeugung: Zur Glaubwürdigkeit eines Steuersystems gehört, dass sich Leistung in einem Land lohnt.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Ich möchte, dass in Deutschland in Zukunft ein Grundsatz wieder gilt, der im Moment meines Erachtens nicht gilt. Ich möchte einfach, dass jemand, der morgens aufsteht und arbeiten geht, deutlich mehr hat als einer, der liegen bleibt. So einfach ist das!

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Win- fried Kretschmann GRÜNE: Das ist schon so!)

Nein, das ist nicht so. – Wenn Sie das Steuersystem in Deutschland betrachten – deshalb bin ich der Überzeugung, dass das einzige Steuerversprechen, das im Programm der CDU enthalten ist, auch richtig ist –, fällt etwas auf, bei dem ich mich – das muss ich ganz offen sagen – eigentlich wundere, dass nicht die SPD die Partei ist, die dieses Thema von morgens bis abends fährt. Vielleicht erklärt das auch, warum Herr Schmiedel die etwas bescheidenen Ergebnisse der Umfrage der SPD, die er zuerst geheim halten wollte, jetzt doch einmal an das Licht der Öffentlichkeit rücken müsste, leider nicht so ganz mit den Zahlen, die er sich im Zweifel bei der ganzen Thematik erhofft hat.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Völliger Unsinn!)

Bei diesem Thema, das eigentlich die SPD fahren müsste, ist doch eines klar: Untere und mittlere Einkommen – es gibt da

zu übrigens eine OECD-Untersuchung, keine von der CDU – sind in den letzten Jahren in Deutschland überdurchschnittlich belastet worden. Das ist übrigens auch relativ einfach zu begründen. Wenn Sie über eine Reihe von Jahren hinweg bescheidene Lohnsteigerungen haben, was wir wollten, weil es makroökonomisch richtig war, und gleichzeitig aber eine relativ hohe Inflation haben, dann muss doch jeder begreifen – das müssen sogar Sozialdemokraten und Grüne begreifen –, dass in diesen Bereichen das Nettoeinkommen in den letzten Jahren gesunken ist.

Wenn Sie die Einkommensentwicklung in der gesamten Republik betrachten, stellen Sie fest: Im oberen Segment lief es gut, im unteren Segment, bei den Transfereinkommen, haben wir mit regelmäßigen Steigerungen dafür gesorgt, dass es ganz ordentlich läuft, aber im unteren und mittleren Einkommensbereich derjenigen Menschen, die arbeiten müssen, ist in den letzten Jahren netto ein Minus herausgekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Zuruf von der FDP/DVP: So ist es!)

Da diese Menschen jeden Euro, den sie zusätzlich bekommen, nahezu zu 100 % verkonsumieren und das Geld deshalb zurück in den Kreislauf gelangt, was übrigens auch wieder das Steueraufkommen betrifft, ist es doch logisch, zu sagen, dass wir diese Menschen im Zuge der Abschaffung der kalten Progression unterstützen und die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen entlasten. Nichts anderes steckt hinter der Idee, die die CDU hat. Ich bin der Überzeugung, dass dies glaubwürdig ist, dass dies richtig ist und dass dies bei den Menschen auch richtig ankommen wird, meine Damen und Her ren.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Noch etwas zum Thema Glaubwürdigkeit: Ich kann niemandem erklären – vielleicht können Sie es –, dass ein Land 5 Milliarden € für eine Abwrackprämie übrig hat, den Menschen aber gleichzeitig sagt, 6 Milliarden € für einen ersten Schritt zur Abschaffung der kalten Progression aufzubringen sei eigentlich so gut wie nicht möglich. Das können Sie nicht erklären.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Ha- gen Kluck FDP/DVP: Sehr gut! So ist es! – Abg. Claus Schmiedel SPD: 15 Milliarden €! – Abg. Wolf- gang Drexler SPD: Wer ist an der Regierung? – Un- ruhe bei der SPD und den Grünen)

Ja, wir sind an der Regierung, ganz genau.

Ich halte das für einen großen Fehler, Herr Drexler, und deshalb müssen wir das korrigieren.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Das heißt, Sie halten die Abwrackprämie für einen Fehler? – Gegenruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Natürlich!)

Deshalb ist richtig, was im Programm steht. Die Kanzlerin sagt: Wenn die Wirtschaft wieder anspringt, geht ein Drittel dessen, was zusätzlich hereinkommt, in die Reduktion der Schulden, ein Drittel in die Senkung der Steuern im Zusammenhang mit der kalten Progression und ein Drittel in wichtige Zukunftsprojekte, vor allem im Bereich der Bildung. Ich

kann nicht erkennen, was daran unglaubwürdig sein sollte, im Gegenteil.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Weil es nicht geht! Die Schuldenbremse! Das geht nicht!)

Ich bin der Überzeugung, dass wir das entsprechend machen werden.

Beim Thema Glaubwürdigkeit zu Ihnen, Herr Kretschmann, nachdem die Grünen diese Aktuelle Debatte beantragt haben: Sie werfen der FDP vor, sie sei nur auf Postenjagd. Herr Kretschmann, dazu kann ich nur sagen: Ich kann mich an zwei Gespräche unmittelbar nach der Landtagswahl 2006 erinnern,

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Hört, hört! – Heiter- keit bei der FDP/DVP)

in denen ich, um mich sehr vorsichtig auszudrücken, nicht den Eindruck hatte, dass Sie damals bestimmten Posten besonders abgeneigt waren. Das sage ich auch klar.