Protokoll der Sitzung vom 30.07.2009

Herr Abgeordneter, ich darf Sie bitten, zum Ende zu kommen.

Ich will das Fazit ziehen: Wenn es letztlich um die Sicherung von persönlichen Mandaten geht, können sich die Wähler schon auf CDU und FDP/DVP verlassen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sie verfolgen doch persönliche Interessen! – Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Das ist lächerlich!)

Bei uns können sich die Wähler darauf verlassen, dass wir ein solches Spiel nicht mitmachen. Deshalb werden wir diesen Gesetzentwurf ablehnen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Sie sind persönlich mehr be- troffen als wir! Sie brauchen bestimmte Prozent- zahlen, wir nicht! Also ist Ihr persönliches Interesse größer! – Gegenruf der Abg. Ursula Haußmann SPD: Oje! Das sagt der Richtige! – Gegenruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es, Frau Hauß- mann!)

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich Frau Abg. Bauer das Wort.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Das Ziel der geplanten Wahlkreisreform – so weit sind wir uns hier im Haus fraktionsübergreifend einig – ist die Stärkung des demokratischen Grundprinzips: Jede Stimme soll bei der Wahl möglichst das gleiche Gewicht haben. Der Schlüssel für dieses demokratische Grundprinzip ist aber ganz klar die Anpassung der Wahlkreisgröße und nur die Anpassung der Wahlkreisgröße.

Es ist schon betont worden: Die Wahlkreisgrößen unterscheiden sich in Baden-Württemberg erheblich. Wir haben durch Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Staatsgerichtshofs Anlass, einzugreifen. Wir führen die Debatte über die Unterschiedlichkeit unserer Wahlkreise schon sehr lange. In jeder Legislaturperiode gibt es mit schöner Regelmäßigkeit eine Minimalreform und eine Anpassung von einigen wenigen Wahlkreisen. Jetzt haben wir diesmal interfraktionell verabredet, eine nachhaltige Wahlkreisreform in die Wege zu leiten.

Ich möchte aber noch einmal auf Folgendes zurückkommen: In den früheren Jahren waren die Ansprüche an die Deutlich

keit der Anpassung schon einmal höher. Es gab eine Koalitionsvereinbarung für die Jahre 1996 bis 2001. Darin hatten die Koalitionspartner verabredet, eine maximale Abweichung von der durchschnittlichen Wahlkreisgröße von 5 % anzustreben. Dazu ist es nie gekommen, aber wenigstens war der Anspruch schon einmal formuliert worden.

Die Grünen haben zu Beginn dieser Legislaturperiode ihre Eckpunkte für eine Wahlkreis- und Wahlrechtsreform vorgelegt. Wir haben gefordert, dass die Abweichung von der Durchschnittsgröße aller Wahlkreise maximal 10 % betragen darf. Wir haben außerdem das Zweistimmenwahlrecht gefordert, das sich für die Bundestagswahl und inzwischen auch für fast alle Landtagswahlen etabliert hat. Ferner haben wir auch damals schon betont: Auszählverfahren sollen die Wahlbeteiligung als Faktor berücksichtigen und nicht ignorieren, und selbstverständlich dürfen sie kleine Parteien nicht benachteiligen.

Wir sind – Kollege Scheffold hat es schon erwähnt – in den Prozess eingetreten, eine gemeinsame Parlamentsreform mit den Bestandteilen auf den Weg zu bringen, die auch schon erwähnt wurden. Ich glaube, nur ein Bestandteil ist vergessen worden, nämlich die Funktionszulagen, die auf eine gesetzliche Grundlage gestellt und in ihrem Umfang beschränkt werden sollen. Die Umsetzung dieses Bausteins steht noch aus. Aber darüber sind wir im Gespräch miteinander.

Allen ist klar – alle haben es, glaube ich, auch erlebt –: Es waren für alle Seiten bislang konstruktive Gespräche; es waren schwierige Kompromissbildungen notwendig. Wir sind bis zum jetzigen Zeitpunkt bei allen Bestandteilen, die wir auf den Weg gebracht haben, zusammen vorgegangen und haben letztlich interfraktionelle Verabredungen getroffen.

Aber beim Thema Wahlkreisreform sind wir nur dazu gekommen, die Eckpunkte miteinander zu verabreden: Die Abweichung von der durchschnittlichen Wahlkreisgröße soll im Grundsatz eine Spanne von 10 bis 15 % nicht überschreiten.

Das, was jetzt von CDU und FDP/DVP vorgelegt wurde, ist meines Erachtens ein glatter Bruch dieses miteinander verabredeten Kompromisses. Es ist ein glatter Bruch, weil insgesamt 14 Wahlkreise von 70 Wahlkreisen – in der Vorlage steht eine falsche Zahl – die 15-%-Grenze überschreiten. Wenn man die 10-%-Grenze zugrunde legt – von ihr sind wir in den gemeinsamen Eckpunkten auch ausgegangen –, kommen noch einmal 23 Wahlkreise hinzu, die in der Abweichung diese Grenze überschreiten.

Ich habe versucht, das Ganze einmal zu visualisieren, um es Ihnen leichter zu machen.

(Die Rednerin hält einen Papierbogen in die Höhe, auf dem, farblich differenziert, eine Einteilung der Landtagswahlkreise in Baden-Württemberg darge- stellt ist.)

Ich habe eine Karte gemalt. In den Wahlkreisen, die in Orange dargestellt sind, beträgt die Abweichung mehr als 15 %, und in den grün dargestellten Wahlkreisen beträgt die Abweichung von der Durchschnittsgröße mehr als 10 %.

Resultat: Mehr als die Hälfte aller Wahlkreise erfüllen also nach wie vor nicht das von uns gemeinsam verabredete Ziel.

(Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Frau Kollegin, mehr als 10 %!)

Wir haben miteinander verabredet: 10 bis 15 %. Ich habe jetzt einfach einmal beide Grenzwerte dargestellt. Ich finde: In der Summe kann man mit dem Ergebnis nicht zufrieden sein. Mit der Stimmengleichheit ist es, wenn es so kommt, nach wie vor nicht weit her. Ich prognostiziere: Mit der Nachhaltigkeit dieser Wahlkreisreform wird es auch nicht weit her sein.

Die Flickschusterei in Bezug auf die Einteilung der Wahlkreise in Stuttgart haben Sie, Kollege Gall, schon erwähnt. Dazu werde ich keine Ausführungen mehr machen.

Lassen Sie mich noch zum zweiten Bestandteil dieser Wahlrechtsreform kommen, nämlich der Umstellung bei der Vergabe der Zweitmandate, der Umstellung von der bisherigen Vergabe nach absoluten Stimmenzahlen auf die Vergabe nach prozentualen Stimmenanteilen. Wir halten dies im Vergleich zu dem, was wir bisher haben, für einen glatten Rückschritt. Eine solche Maßnahme passt überhaupt nicht in die Zeit. Es ist ein Verfahren, bei dem der Faktor Wahlbeteiligung ignoriert wird. Es wird künftig egal sein, ob es den Bewerberinnen und Bewerbern gelingt, eine hohe Wahlbeteiligung herzustellen. Es wird egal sein, ob 50 % oder ob 70 % zur Wahl gehen. Ich finde, es ist in dieser Zeit überhaupt nicht zu erklären, warum wir den Faktor Wahlbeteiligung so beiseiteschieben.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und des Abg. Reinhold Gall SPD)

Aus diesen beiden Gründen – mangelnde Konsequenz bei der Anpassung der Wahlkreisgrößen und Rückschritt unter dem Gesichtspunkt der Berücksichtigung der Wahlbeteiligung bei der Zweitausteilung – werden wir dem Gesetzentwurf, den CDU und FDP/DVP vorgelegt haben, nicht zustimmen können. Wir werden aber in die weiteren Beratungen noch einmal Ideen und Vorschläge von uns einspeisen und hoffen, dass der eine oder die andere von Ihnen noch zu überzeugen sein wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erhält Herr Abg. Kluck für die Fraktion der FDP/DVP.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wenn sich jemand von dem gemeinsamen Beschluss des Landtags vom 26. Juli 2007 verabschiedet hat, dann sind das die SPD und die Grünen.

(Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: So ist es!)

Dort haben wir die beiden Eckpunkte festgelegt, nämlich eine maximale Abweichung von in der Regel 15 % und die Zweitausteilung nach prozentualen Anteilen.

(Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: „10 bis 15 %“ steht im Entschließungsantrag! – Abg. Reinhold Gall SPD: Wir haben in den Eckpunkten nicht nach Pro- zenten festgelegt! – Gegenruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Klar! 10 bis 15 %!)

Aber natürlich steht da drin: Zweitausteilung nach prozentualen Stimmenanteilen. Das ist so. Wenn nun der Kollege Gall auch noch das gesunde Volksempfinden bemüht, dann, finde ich, passt das gar nicht hinein.

(Abg. Rainer Stickelberger SPD: Das ist nicht so gut!)

Das Allerwichtigste ist doch: Der nächste Landtag muss nach einem Wahlrecht gewählt werden, das den Kandidatinnen und Kandidaten Chancengleichheit gibt. Das haben auch Sie gesagt, Frau Bauer. Aber das erreichen wir doch am besten – weil wir die Wahlkreise eben nicht so hinbekommen, dass sie alle die gleiche absolute Zahl an Wahlberechtigten haben – durch eine prozentuale Regelung.

(Zuruf des Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE – Ge- genruf des Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Reden Sie doch keinen Unsinn! – Glocke der Präsidentin)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abg. Bauer?

Bitte schön.

Herr Kollege Kluck, stimmen Sie mit mir darin überein, dass man eine radikalere Anpassung der Wahlkreisgrößen dadurch erreichen könnte, dass man in Stuttgart anstatt vier drei Wahlkreise macht

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Das wollten wir!)

und in Südwürttemberg dafür einen neuen Wahlkreis schafft, entsprechend in Nordbaden einen Wahlkreis weniger und in Südbaden dafür einen mehr? Das wäre die Methode, mit der man zu einer guten Anpassung kommen könnte. Das haben wir auch miteinander diskutiert. Stimmen Sie mit mir überein, dass das der Weg wäre, um zu einer Lösung zu kommen?

(Lachen des Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist aber neu!)

Frau Kollegin Bauer, Sie greifen mir vor. Ich werde darauf noch eingehen. Daraus können Sie meine Antwort ersehen.

Wichtig ist doch, dass bei der Zweitausteilung der Mandate – – Die CDU hat es gut; sie ist auf die Zweitausteilung nicht angewiesen. Das könnte vielleicht beim nächsten Mal anders sein, das weiß ich nicht. Aber bisher ist sie nicht darauf angewiesen. Aber bei den anderen Parteien ist es eben so, dass das im Wahlkreis erzielte persönliche Ergebnis eines Kandidaten oder einer Kandidatin Maßstab sein muss.

Deswegen gibt es nur einen Weg, um das richtig zu machen, und das ist die Vergabe nach prozentualen Stimmanteilen. Damit wird auch eine sehr alte Forderung der FDP erfüllt. Deswegen sind wir dankbar, dass wir uns auf diese gemeinsame Linie einigen konnten.

Trotzdem ist natürlich die Angleichung der Wahlkreisgrößen wichtig, weil man in einem großen Wahlkreis bisher bevorzugt und in einem kleinen Wahlkreis benachteiligt ist. Nach der Einführung der Prozentregelung wird es umgekehrt sein, weil man in einem kleinen Wahlkreis quasi „Mund-zu-Mund

Beatmung“ machen kann. Also brauchen wir trotzdem die Angleichung der Wahlkreise.

Wir haben gesagt: In der Regel soll nicht um mehr als 15 % vom Durchschnitt abgewichen werden. Das ist nicht einfach, das muss doch jeder einsehen. Man sieht doch an dem, was uns das Innenministerium zugeliefert hat, wie schwierig das ist. Es ist nicht einfach, möglichst gleich große Wahlkreise zu schaffen. Natürlich haben Sie recht, Frau Kollegin Bauer, dass es am einfachsten wäre, man würde dem Regierungsbezirk Stuttgart einen Wahlkreis wegnehmen, dem Regierungsbezirk Tübingen einen mehr geben, und das Gleiche zwischen Karlsruhe und Freiburg.

Damit wäre natürlich die vom Staatsgerichtshof schon einmal festgestellte Ungleichheit zwischen Nord und Süd beseitigt. Nach der Bevölkerungszahl sind die „Nordstaaten“ überrepräsentiert, und die „Südstaaten“ – das kennen wir aus der Geschichte von anderen Kontinenten – sind etwas unterrepräsentiert.

(Heiterkeit – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Die sprechen aber nicht deutsch!)

Jetzt müssen wir schauen, dass der Süden so an Gewicht gewinnt, dass wir uns durchsetzen können. Der Herr Landtagspräsident hat dazu ja einen Vorschlag gemacht, den ich sehr sympathisch fand, der aber keine Mehrheit fand, weil, wie gesagt, die „Nordstaatler“ noch immer das Sagen haben.