Herr Minister, niemand hat bestritten, dass es Präventionsprogramme gibt, dass es viele Bemühungen gibt. Der Kollege hat ein Beispiel genannt.
Ich selbst könnte auch ein Beispiel nennen, weil auch ich ein solches Projekt begleite. Das ist keine Frage.
Was würden Sie auf folgende Feststellung antworten, die jemand bei einer Veranstaltung der Frau Sozialministerin in Heilbronn getroffen hat, bei einer Veranstaltung, bei der es um Präventionsprojekte ging? Es wurde gesagt:
Jede Beratungsstelle, jede Schule macht ihre eigene Prävention. Es gibt kein Gesamtkonzept. Jeder wurstelt vor sich hin.
Immer wieder werden Projekte begonnen, die dann aber eingestellt werden müssen, weil die finanzielle Unterstützung fehlt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP – Gegenruf des Abg. Tho- mas Blenke CDU: Hagen, das war hart! – Zuruf der Abg. Katrin Altpeter SPD)
Herr Kollege Gall, es liegt doch auf der Hand, dass man Präventionsprojekte maßgeschneidert auf die Bedürfnisse vor Ort installieren muss. Das heißt, wir können hier nicht – das will ich auch nicht – landesweit, flächendeckend ein einheitliches Konzept – 08/15, für jeden, ob dick oder dünn, ob alt oder jung – überstülpen.
Vielmehr setzen wir darauf, dass die Verantwortlichen vor Ort in den allermeisten Fällen unter maßgeblicher Mitwirkung der Polizei Konzepte erarbeiten und diese dann umsetzen.
Sie sagen, es seien Präventionsprojekte begonnen worden, die abgebrochen worden seien, weil das Geld fehle. Da können wir ganz einfach zu einem gemeinsamen Nenner kommen: Sie sagen mir dies, und dann gehen wir dieser Frage gemeinsam nach. Dann werden Sie feststellen, dass dies nicht der Fall ist.
Meine Damen und Herren, 230 Personen sind gegenwärtig unter dem Stichwort „Mehrfach- und Intensivtäter“ landesweit erfasst. Polizei und Justiz haben ein Augenmerk auf die se Personen. Herr Justizminister, Kollege Goll, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass hier eine sehr, sehr enge Zusammenarbeit zwischen Polizei und Justiz stattfindet. Auch das sind zielgerichtete Maßnahmen. Dem Vergehen folgt die Strafe auf dem Fuß. Das ist das Ziel einer möglichst konzentrierten und schnel len Strafverfolgung.
Es gibt eine relativ kleine Gruppe von Minderjährigen, die immer wieder durch Gewalttaten auffallen. Dafür haben wir das Schwellentäterprogramm und die Konzentration auf jugendliche Intensivtäter. Diese Aktion trägt dazu bei, dass kriminelle Karrieren früh unterbunden werden. Seit 2002 geht dieses Konzept auch auf. So sinkt die Zahl der jugendlichen Intensivtäter kontinuierlich.
Meine Damen und Herren, für die erste Runde zum Schluss: Die Verhinderung von Gewalt ist und bleibt – unabhängig von allen geschilderten polizeilichen Aktivitäten – eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Da sind alle gefordert: Familie, Kindergarten, Schule, Vereine, jeder Einzelne. Mit der kommunalen Kriminalprävention bündeln wir die entsprechenden Initiativen. In rund 300 Kommunen, Herr Kollege Gall, bringen sich zahlreiche Bürgerinnen und Bürger gezielt und engagiert für die Sicherheit ein.
Aktuell laufen 245 Projekte. Dominierendes Thema ist dabei aber die Vermittlung „gewaltfreier“ Werte. Das ist nicht nur Aufgabe der Polizei. Da sind wir alle gefordert. In BadenWürttemberg werden derzeit unter Beteiligung der Polizei 79 Projekte durchgeführt. Insgesamt wurden im Jahr 2008 7 900 Veranstaltungen zum Thema Gewaltprävention durchgeführt.
Über 3 500 Veranstaltungen beschäftigen sich mit dem Thema „Schulische Gewaltprävention“. Das ist ein guter Weg, wie ich meine. Aber das ist – das ist überhaupt keine Frage – alles sehr personal- und zeitintensiv. Unsere Polizei leistet dies nach wie vor – allen Unkenrufen zum Trotz.
Noch einmal, meine Damen und Herren: Treten Sie selbst vor die Haustür, und schauen Sie nach, was es gibt. Darauf, dass Menschen dies tun, sind wir alle angewiesen. Solch tragische Schicksale, Herr Kollege Blenke, wie das von Dominik Brunner dürfen keineswegs dazu führen, dass die Menschen wegschauen, weglaufen oder nicht mehr helfen. Aber natürlich – Sie haben es angesprochen –: Oberste Prämisse dabei ist, dass man sich nicht selbst in Gefahr bringen darf und bringen sollte.
Gewalt im öffentlichen Raum kann nur dann wirksam zurückgedrängt werden, wenn wir alle zusammen helfen: die Kommunen, die Betriebe, Bus, Bahn, Polizei und die Partner der Sicherheitskooperationen, aber vor allem auch jede Bürgerin und jeder Bürger. Wir brauchen eine Kultur des Hinsehens, wir brauchen die Zivilcourage jedes Einzelnen. Dies ist nicht als Ersatzkonzeption gedacht.
Ich denke, die Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit unserem Staat, das Hinstehen und das Einstehen für unsere freiheitlich-liberale Gesellschaft, das ist das, was wir einfordern können, dürfen und müssen. Wir müssen aber auch als Staat selbst entschlossen auftreten, und wir müssen dies flankierend mit allen gesetzgeberischen Maßnahmen unterstüt
zen, die uns zur Verfügung stehen – nicht reflexartig, Herr Kollege Gall; da haben Sie mich wieder einmal gründlich falsch interpretiert.
Aber es kommt halt reflexartig immer wieder. Ich war gerade einer derjenigen, die am Tag nach der Tat in Winnenden und Wendlingen auch öffentlich gesagt haben: Reflexartige Reaktionen, wie sie in der Politik üblich sind, nützen diesem Thema und diesem Problem nicht.
Wir müssen die Dinge miteinander sachlich analysieren, die richtigen Folgerungen daraus ziehen und dann am Ende möglicherweise gesetzgeberische Maßnahmen treffen.
(Abg. Reinhold Gall SPD: Aber irgendwann muss es einmal über den Status der Ankündigungen hinaus- gehen!)
Sie werden Gelegenheit haben, fortlaufend über diese Themen zu diskutieren, weil wir unseren rechtlichen Rahmen mit Augenmaß fortentwickeln. Ich habe immer die Ansicht vertreten, dass unser Jugendstrafrecht, das im Kern den Erziehungscharakter trägt, ein gutes Instrumentarium ist, um den Jugendlichen gerecht zu werden, aber dass für junge Menschen, für Heranwachsende im Alter von 18, 19, 20 oder 21 Jahren, zunächst einmal grundsätzlich das Erwachsenenstrafrecht zu gelten hat. Da muss einfach das Regel-AusnahmeVerhältnis wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden.
(Beifall bei der CDU – Abg. Ursula Haußmann SPD: Dann macht doch einmal! Ihr seid doch in der Regie- rung!)