Protokoll der Sitzung vom 05.11.2009

Es geht zum einen darum, Hilfestrukturen und Versorgungsformen zu entwickeln, die den Bedürfnissen sowohl der Erkrankten als auch der pflegenden Familienmitglieder oder Betreuer mehr entgegenkommen, als dies bisher der Fall ist. Es geht zum Zweiten darum, den Stellenwert der stationären Einrichtungen im Versorgungsnetz zu erhöhen.

Im Einzelnen sehen die angestrebten Ziele folgendermaßen aus:

Deutliche Sensibilisierung der breiten Öffentlichkeit für alle Probleme, die die Erkrankungen mit sich bringen.

Deutlich verbesserte Frühdiagnostik und Therapie. Dass daran gearbeitet wird, zeigen die unterschiedlichsten Forschungsgruppen an den zuständigen baden-württembergischen Universitäten.

Deutliche Verbesserung von Hilfen und Entlastungsmöglichkeiten für Angehörige. Dabei soll keinesfalls kleingeredet werden, was von vielen staatlichen und privaten Leistungserbringern bereits auf die Beine gestellt wurde.

Deutliche personelle Erhöhung der ambulanten und stationären pflegerischen Versorgung. Dabei ist besonders erwähnenswert, dass mit einem abgestuften Hilfesystem annähernd eine flächendeckende Hilfe erreicht werden soll. Noch haben wir nach den mir vorliegenden Auskünften ein deutliches Gefälle von der städtischen zur ländlichen Versorgung.

Innovative Fort- und Weiterbildungsangebote, die sowohl gezielte Informationen über das Krankheitsbild Demenz bein

halten als auch alle rechtlichen Ansprüche auf Leistungen aus Kranken- und Pflegeversicherung sowie die zu beachtenden Rahmenbedingungen zum Inhalt haben.

Nicht zuletzt, aber wohl nur über einen längeren Zeitraum durchführbar und finanzierbar: die Planung und Schaffung von ergänzenden Wohnformen und damit die Chance für die Demenzkranken zur Einrichtung von Wohngemeinschaften. Ers te Ideen und Vorstellungen dazu gibt es bereits bei den Trägern der Altenhilfe und Altenpflege in Baden-Württemberg.

Meine Damen und Herren, wir können die Augen vor der vorhin aufgezeigten Entwicklung nicht verschließen. Die dauerhafte Finanzierung aller angeführten möglichen Vorhaben wird uns vor große Probleme stellen. Dabei darf die eventuell nötig werdende höhere finanzielle Belastung des Erkrankten nicht ein Maß erreichen, bei dem Akzeptanzprobleme entstehen.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut! – Bei- fall des Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP)

Die Leistungsanteile der Kassen oder der Pflegeversicherungen, staatliche Zuschüsse und Eigenmittel der Erkrankten müssen hinterfragt und politisch geklärt werden.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen: Die Fraktion der FDP/ DVP begrüßt die Antwort der Landesregierung zur Großen Anfrage der Fraktion der CDU ausdrücklich. Bei der Umsetzung sind viele Personen und Institutionen mit eingeplant. Am Schluss werden in der Antwort bei allen Anregungen und Punkten die Leistungserbringer genannt. Das reicht von der Ärzteschaft und den Pflegekräften im ambulanten und stationären Bereich über die Träger und Anbieter der Altenhilfe und die gerontopsychiatrischen Beratungsstellen bis hin zu den Kranken- und Pflegekassen. Dazu kommen die Freiwilligeninitiativen und Selbsthilfegruppen. Man sieht: Das ist eine große Vielfalt von an der Umsetzung Beteiligten.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut!)

Nicht überall werden wir Freudenschreie hören.

Ich schließe mit einem geflügelten Wort, das bei Gerontologen gelegentlich die Runde macht: Man muss nur alt genug werden, um die eigene Demenz zu erleben.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU, der SPD und der Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Staatssekretär Hillebrand.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Man braucht kein Prophet zu sein, um zu sagen, dass dieses Thema heute sicherlich nicht zum letzten Mal auf der Tagesordnung des Hohen Hauses stehen wird. Aber dass es nicht an prominenter Stelle behandelt wird, liegt sicherlich nicht an der Landesregierung, sondern das hat, wie Sie alle wissen, das Hohe Haus selbst in der Hand.

(Abg. Rainer Stickelberger SPD: Sie kennen doch die Mehrheitsverhältnisse im Präsidium!)

Verfahren Sie danach, lieber Kollege Stickelberger.

Frau Altpeter, es ist schon von mehreren Kolleginnen und Kollegen gesagt worden: Aufgrund der steigenden Lebenserwartung werden wir im Jahr 2020 rund 200 000 Menschen haben, die an Demenz leiden, mit weiterhin steigender Tendenz. Ich freue mich, dass erkannt wurde – in fast allen Redebeiträgen ist das zum Ausdruck gekommen –, dass sich die Landesregierung dieser Entwicklung stellt. Ich bin auch für den Dank, den Sie teilweise ausgesprochen haben, dankbar. Ich denke, das Thema ist eine enorme gesellschaftliche Herausforderung. Wir alle in diesem Hohen Haus sehen das so.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass dies eine gesellschaftliche Herausforderung ist, habe ich gesagt. Deshalb brauchen wir bei diesem Thema in erster Linie eine noch intensivere Informations- und Aufklärungspolitik. Es erstaunt immer wieder, wie lückenhaft das Wissen um diese Krankheit sowohl in der Bevölkerung als auch in Teilen der medizinischen Praxis noch ist.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Wohl wahr!)

Die ärztliche Diagnose wird in bis zu 60 % aller Fälle leider noch immer nicht frühzeitig genug gestellt. Kollege Hoffmann hat es angesprochen: Ein überraschend hoher Anteil der Betroffenen wird nicht demenzspezifisch behandelt. Frühzeitige medizinische Interventionen in Diagnostik und Therapie sind aber sehr, sehr wichtig.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Ja! – Beifall des Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP)

Hierdurch kann ein längerer Verbleib in der häuslichen Umgebung ermöglicht werden. Auf jeden Fall kann der letztlich oft nicht vermeidbare Umzug ins Heim immerhin verzögert werden. Dies ist für mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht nur eine ökonomische Frage. Vielmehr ist es auch eine Frage der Lebensqualität und vor allem, lieber Herr Kollege Kleinmann, eine Frage der Würde des betroffenen Menschen.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: So ist es!)

Aus diesem Grund ist es meiner Ministerin, Frau Dr. Stolz, und mir persönlich wichtig, dass sich die Bevölkerung verstärkt mit der Problematik der Demenz sowie mit den therapeutischen Möglichkeiten auseinandersetzt. Hierfür ist in ers ter Linie die Sensibilisierung der Bevölkerung erforderlich.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, zu diesem Zweck fördert das Land beispielsweise die Alzheimer Gesellschaft als eine überregional und vor Ort tätige Selbsthilfeeinrichtung. Auch die Universitäten des Landes befassen sich mit Fragestellungen zur Demenz. Das Spektrum reicht von der Ursachenforschung über die Erforschung von Therapiestrategien bis zur Umsetzung von Behandlungsansätzen im Alltag der Versorgung. Das Ministerium für Arbeit und Soziales unterstützt Veranstaltungen und Kongresse zu Demenzthemen und beteiligt sich daran. Das gilt beispielsweise für einen anstehenden Kongress zum Thema „Wohnen bei Demenz“.

Demenzkranke brauchen früher oder später Pflege.

(Abg. Katrin Altpeter SPD: Ja!)

Diese Pflege erfolgt Gott sei Dank oft noch in den Familien.

(Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Aber das heute noch hohe pflegerische Leistungspotenzial der Familie wird – man braucht kein Prophet zu sein, um dies zu sehen – künftig nicht ausreichen. Die wachsenden Anforderungen – jetzt und insbesondere in der Zukunft – sind nur im Pflegemix zu bewältigen. Nur in einer Kooperation der professionell Pflegenden mit den pflegenden Angehörigen, den ehrenamtlich und bürgerschaftlich Engagierten, die es auf diesem Sektor Gott sei Dank in großer Zahl gibt, sowie der Selbsthilfe kann die Versorgung gelingen. Dies gilt übrigens nicht nur für den ambulanten Bereich, sondern auch für stationäre Strukturen.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Baden-Württemberg hat im Bundesgebiet das dichteste Netz niederschwelliger Betreuungsangebote für Demenzkranke. Auch die Kommunen im Land haben sich bisher sehr engagiert. Alle 44 Stadt- und Landkreise halten Betreuungsangebote vor. Die Zahl der Betreuungsangebote steigt stetig. Im Jahr 2001 betrug sie 78, und heute liegt sie bereits bei 449.

Darüber hinaus hat Frau Ministerin Dr. Stolz Anfang 2006 eine Bundesratsinitiative zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements in der Pflege gestartet.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut!)

Der Bundesgesetzgeber hat dieses Anliegen aufgegriffen und hierfür im Pflege-Weiterentwicklungsgesetz zusätzlich 15 Millionen € aus Mitteln der Pflegekassen bereitgestellt.

Das Land hat zur Förderung von Angeboten des Ehrenamts und der Selbsthilfe in der Pflege ebenfalls Mittel bereitgestellt. Gefördert werden Seniorennetzwerke und Pflegebegleiterinitiativen. Gemeinsam mit den Kommunen und den Pflegekassen ist derzeit die Unterstützung von bis zu 100 Initiativen mit jeweils 5 000 € möglich. Ich bin davon überzeugt, dass die Einbeziehung von ehrenamtlich Engagierten in die Pflege für alle Seiten ein Gewinn ist.

Liebe Kollegin Altpeter, Sie haben die Pflegestützpunkte angesprochen und kritisiert, diesbezüglich ginge es nicht entsprechend voran. Sie alle wissen, dass wir gesagt haben: Die 50 Pflegestützpunkte sind ein Anfang; sie sind nicht das Ende der Fahnenstange.

(Zuruf der Abg. Katrin Altpeter SPD)

Es muss einmal ein Anfang gemacht werden. Der Anfang hat sich in der Tat schwieriger gestaltet, als wir alle uns das gewünscht hätten. Das ist aber nicht darauf zurückzuführen, dass das Sozialministerium hier versagt hätte; das wissen Sie auch ganz gut. Vielmehr ist die LAG Pflegestützpunkte Herr des Verfahrens. Die Träger dieser LAG wiederum sind die Pflegekassen und die Kommunen. Das Sozialministerium moderiert hier nur. Man könnte jetzt sagen: leider, wie so oft.

(Abg. Katrin Altpeter SPD: Genau! – Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Aber es ist von der Rechtslage und von der Konstruktion her eben so. Ich kann Ihnen, liebe Kollegin Lösch, aber versprechen, dass wir auch hier am Ball bleiben. Ich bin mir ganz sicher, dass wir dies alles auf einen guten Weg bringen werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, für viele Demenzkranke bleibt ein Heimumzug unvermeidlich. Deshalb muss

die Pflege- und Betreuungsqualität in unseren Einrichtungen sichergestellt werden. Dies war auch das Ziel unseres Landesheimgesetzes und der Landesheimbauverordnung. Auch dies hat Kollege Hoffmann bereits angesprochen.

Nach den jetzt vorgesehenen Regelungen soll grundsätzlich allen Heimbewohnern ein individueller Wohnbereich, das heißt in der Regel ein Einzelzimmer, zur Verfügung stehen.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Da hat es schon Proteste gegeben!)

Besonders hinsichtlich Demenzkranker ist die Schaffung einer Binnendifferenzierung der Heime in Wohngruppen bzw. Wohn- und Hausgemeinschaften wichtig.

(Beifall des Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP – Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut!)