Protokoll der Sitzung vom 05.11.2009

In der zweiten Runde sage ich noch etwas zu den Auswirkungen auf die Landespolitik.

Schönen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Das Wort erteile ich der Ministerin für Arbeit und Soziales, Frau Dr. Stolz.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vielleicht muss man die Sache etwas nüchterner betrachten. Ich verstehe die Euphorie des Kollegen Noll. In der Tat beinhaltet der Koalitionsvertrag Botschaften, die in die richtige Richtung gehen. Die Botschaften sind für uns Baden-Württemberger wichtig: weg vom Zentralismus,

(Beifall des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP)

weg von der Nivellierung, mehr Regionalität, mehr Kassenvielfalt und mehr Wettbewerb. Das sind gute Botschaften. Allerdings sind jetzt zunächst einmal die Koalitionäre gefragt, die Vorgaben des Koalitionsvertrags auch zu konkretisieren.

(Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP)

Vielleicht führen wir diese Debatte ein bisschen zu früh, weil diese Konkretisierung wirklich noch aussteht, sich aber letztlich erst in der Konkretisierung zeigt, wer davon profitiert. Ich würde heute noch nicht wagen, zu sagen, wer davon profitiert. Aber die Zielrichtung muss klar sein. Wir müssen uns bei allem, was wir tun, fragen: Was kommt bei den Menschen, bei den Patienten an? Sind sie gut versorgt? Sind sie genauso gut versorgt wie vorher? Können wir sie mit den neuen Regelungen besser versorgen als vorher? Das muss bei dem, was wir jetzt tun, über allem stehen.

(Beifall des Abg. Andreas Hoffmann CDU)

Wir haben viele positive Programmsätze in diesem Koalitionsvertrag, die allerdings mit Leben erfüllt werden müssen. Ein Programmsatz „Unnötige Ausgaben sind zu vermeiden“ ist ein guter Satz. Das muss konkretisiert werden. Dann wird es darauf ankommen: Was kommt beim Patienten an, und was macht die Sache besser? Wir haben viele Programmsätze. Die Freiberuflichkeit des Arztes, die Therapiefreiheit und die freie

Arztwahl müssen erhalten bleiben. Das ist ganz wichtig. Wir wollen ein einfaches und verständliches vertragsärztliches Vergütungssystem aufbauen. Das ist wichtig.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Sehr richtig! – Gegenrufe der Abg. Ursula Haußmann SPD und Bärbl Mielich GRÜNE)

Die Diskussion, die wir in den letzten Monaten mit den ärztlichen Kollegen geführt haben, sollte so nicht weitergehen. Die Ärzte sollten sich um die Versorgung der Menschen kümmern und nicht jahrelang um die Komplexität ihrer Vergütung streiten. Das muss klarer und verständlicher werden. Das ist ein guter Programmsatz.

MVZs müssen überprüft und zugelassen werden, aber auch von Ärzten geleitet werden.

(Beifall des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP)

Wir müssen die Instrumente zur Regulierung der Arzneimittelversorgung effizient neu ordnen. Das ist auch richtig und wichtig. Da kann sicher noch einiges getan werden. Da kann sicher auch noch einiges eingespart werden.

Wir müssen die Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln praktikabel und transparent gestalten. Auch da besteht Handlungsbedarf, richtig. Wir müssen Hospiz- und Palliativversorgung zügig umsetzen und nötigenfalls verbessern. Auch das ist richtig; ein ganz wichtiges Thema. Die Prävention muss gestärkt werden. Hier – so sagt der Koalitionsvertrag – haben regionale Angebote Vorrang.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Zuruf der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE)

Auch das ist richtig. Wir müssen sehen, dass die regionalen Versorgungsstrukturen gestärkt werden, weil die Verantwortlichen vor Ort meist besser wissen, was zu tun ist.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Genau, genau!)

Der Weg zur Einheitskasse muss gestoppt werden. Der Morbi-RSA muss überarbeitet werden. All das sind ganz richtige Sätze, die aber noch konkretisiert werden müssen; das ist die Aufgabe der Koalitionäre.

Kurzfristig – das muss man sagen; das gebietet die Wahrheit – werden wir in Baden-Württemberg keine spürbaren Verbesserungen feststellen können. Denn im Jahr 2010 werden wir aufgrund der Konvergenzregel weiterhin zusätzlich 100 Millionen € in den Risikostrukturausgleich einzahlen müssen. Das heißt, dass wir Baden-Württemberger letztlich 2,2 Milliarden € als Solidarbeitrag des Landes aufbringen müssen. Wir müssen, wenn ein Defizit von 7,5 Milliarden € gefüllt werden muss, schauen, was das für die Krankenkassen bedeutet. Es kommt hier sicher zu einer massiven Gefährdung weiterer Krankenkassen.

Das sind die Probleme, die uns im Jahr 2010 beschäftigen werden. Ich gehe jedoch davon aus, dass wir ab 2011 vielleicht noch einen Gesundheitsfonds haben, aber sicher nicht mehr den Gesundheitsfonds, wie wir ihn heute haben.

(Beifall der Abg. Wilfried Klenk CDU und Dr. Ulrich Noll FDP/DVP)

Darum geht es.

Meine Damen und Herren, ich glaube, es macht wenig Sinn, heute im Detail und ideologisch einen Rundumschlag bezüglich der Gesundheitspolitik zu betreiben. Ich gehe davon aus, dass der Koalitionsvertrag Möglichkeiten eröffnet, die flächendeckende, qualitätsorientierte Versorgung in den Ländern zu erhalten und zu stärken. Das Thema „Regionalität, regionale Freiräume“ hat einen wesentlichen Raum in diesem Koalitionsvertrag. Das ist gut, und das müssen wir mit Leben erfüllen.

Wir werden uns als Baden-Württemberger auch gern da einbringen, und wir werden uns in dem Sinn einbringen, dass wir darauf achten, dass eine Sonderbelastung Baden-Württembergs ausgeräumt werden muss. Wir werden uns so einbringen, dass wir keine Klientelpolitik befürworten werden.

(Abg. Katrin Altpeter SPD: Da müssen Sie Ihren Ko- alitionspartner in Schach halten!)

Wir werden uns so einbringen, dass ein sozialer Ausgleich gewährleistet ist. Über allem muss stehen: Wichtig ist, was bei den Patienten innerhalb unserer Versorgungsstrukturen in Baden-Württemberg ankommt. Da werden wir uns einbringen; das verspreche ich Ihnen.

Ich denke, die nächsten Debatten werden, wenn wir Konkreteres wissen, sinnvoller sein.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Das Wort erhält Herr Abg. Dr. Noll.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Ojemine! – Abg. Claus Schmiedel SPD zu Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Hast du gehört? Ideologie herausnehmen!)

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Ministerin hat, weil sie immer etwas mehr Redezeit hat als unsereins, all die positiven Bereiche, in denen wir als Land Baden-Württemberg jetzt unter dem Prinzip der Regionalität wieder Gestaltungsmöglichkeiten bekommen, dargelegt.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Was ist denn bisher passiert? Nichts!)

Das Einzige, was mich nicht freut, ist, dass Sie den Zeitpunkt dieser Debatte für zu früh halten.

(Abg. Gunter Kaufmann SPD: Zu Recht!)

Jetzt zu der Aussage, es stünde viel Gutes darin, aber es müsse zunächst einmal im Detail entwickelt werden:

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Genau das ist der Punkt!)

Wer sich das SGB V einmal zur Lektüre vorgenommen hat, weiß, dass es ein riesiges Gesetzeswerk ist. Das müssen wir

jetzt radikal umschreiben. Das kann man nicht in einem oder zwei Monaten schaffen. Vergleichen Sie einmal Folgendes: Die Große Koalition hat zwei Jahre lang beraten, bis sie den Gesundheitsfonds endlich so weit hatte. Wenn man dann sagt, liebe Frau Ministerin Dr. Stolz, wir seien jetzt zu früh dran – zu einem Zeitpunkt, zu dem wir Chancen haben, entlang der positiven Ansätze unser Gewicht einzubringen –, dann sage ich: Das kam mir im Vorfeld des Gesundheitsfonds auch so vor; jetzt jedoch weiß ich, dass wir uns als Land Baden-Würt temberg zu spät und nicht deutlich genug gegen diesen Gesundheitsfonds gewandt haben.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Hagen Kluck FDP/ DVP: So ist es!)

Jetzt will ich einmal versuchen, einige Aussagen, die falsch sind und dennoch immer wiederholt werden, zu korrigieren.

Solidarität spielt immer eine ganz große Rolle. Jetzt wird immer wieder gesagt, es werde entsolidarisiert.

(Abg. Katrin Altpeter SPD: Ja!)

Sie haben gesagt, die Solidarität zwischen Gesunden und Kranken sei die wichtigste Aufgabe jeder Krankenversicherung. Das ist bei der privaten Krankenversicherung genauso. Derjenige, der glücklicherweise gesund ist, zahlt Prämien, damit die Kranken versorgt werden können und damit auch er im Krankheitsfall versorgt werden kann. Es herrscht also das Prinzip „Gesund für krank“.

Das Prinzip „Jung für alt“ wird in der gesetzlichen Krankenversicherung weiterhin bestehen, weil in diesem neuen Sys tem keine individuellen Beiträge erhoben werden.

(Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Es sind immer solidarische Beiträge von Gesund und Krank, Mann und Frau, Jung und Alt. Ich habe das Gefühl, Sie verwechseln Solidarität mit Parität.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: So ist es! – Zuruf von der SPD: Nein!)