Wer dem Gesetz im Ganzen zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Somit ist das Gesetz bei einer Gegenstimme beschlossen.
Zweite Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz über Einheitliche Ansprechpartner für das Land Baden-Württemberg (EAG BW) – Drucksache 14/5345
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Präsidium hat für die Allgemeine Aussprache eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Gesetz über Einheitliche Ansprechpartner für das Land Baden-Württemberg setzen wir die Dienstleistungsrichtlinie des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 2006 in nationales Recht um. Wer sich noch an die Geburtswehen dieser Richtlinie auf europäischer Ebene, aber auch an die Kontroversen bei der Umsetzung in nationales Recht erinnert, vermag heute kaum zu glauben, dass nach dem Anhörungsverfahren alle beteiligten Verkehrskreise in hohem Maß zufrieden sind – und zwar, wie ich meine, zu Recht.
Die Richtlinie ist ein Markenzeichen für die Vollendung des Europäischen Binnenmarkts, für die Verwirklichung der Lissabon-Strategie und für das Verwaltungsverfahren in unserem Land. Europa rückt noch näher zusammen. Denn trotz Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit standen nationale Beschränkungen und komplexe Behördenwege dem weiteren Wirtschaftswachstum und der Schaffung von Arbeitsplätzen im Weg.
Unsere exportorientierten Unternehmen haben das oft beklagt. Auch wir haben viele bürokratische Hürden aufgebaut. Damit ist jetzt Schluss.
Wer sich künftig in einem anderen europäischen Land niederlassen oder vom Ursprungsland aus seine Dienstleistung anbieten will, kann dies zügiger, kostengünstiger und durch ein elektronisches Verfahren effizienter verwirklichen als früher. Alle Informationen, alle Verfahren, Formalitäten und Genehmigungen werden künftig aus einer Hand von einem Einheitlichen Ansprechpartner abgewickelt.
Hat der Dienstleistungserbringer alle Unterlagen vorgelegt – darauf muss der Einheitliche Ansprechpartner hinwirken –, muss sein Antrag in einer Regelbearbeitungsfrist von drei Monaten bearbeitet sein. Ansonsten kann durch Rechtsvorschrift eine Genehmigungsfiktion eintreten.
Dem Einheitlichen Ansprechpartner steht keine eigene sachliche Entscheidungskompetenz zu. Über ihn läuft die gesamte Kommunikation. Er ist der Verfahrenskoordinator. Er nimmt Kontakt mit den zuständigen Behörden auf. Er sammelt alle notwendigen Informationen und holt Genehmigungen ein. Der Einheitliche Ansprechpartner ist für inländische und europäische Dienstleister ein Angebot, das man nutzen kann, aber nicht nutzen muss.
Die Verortung des Einheitlichen Ansprechpartners ist Ländersache. Bei uns sind die Kammern Einheitliche Ansprechpartner. Zusätzlich können die Stadt- und Landkreise Einheitlicher Ansprechpartner werden. Alle Kommunen wollen diese Option auch wahrnehmen. Wir verstehen das nicht als Wettbewerb der Selbstverwaltungssysteme. Das duale Modell nutzt die Vorteile und die Expertise von Kammern und Kommunen. Mit dieser Kooperation lässt sich die Qualität der behördlichen Entscheidungen verbessern. Der Städtetag und die Kammern sehen das positiv und werden ihre Zusammenarbeit intensivieren.
Ein Artikelgesetz bündelt die notwendigen verfahrensrechtlichen Anforderungen. Ein Binneninformationssystem wird eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit, die sich aus den national unterschiedlichen Verwaltungs- und Verfahrensabläufen ergibt, steuern und staatliche Hindernisse weiter abbauen. Mit einem Normenscreening treibt die EU die Vereinheitlichung der Verwaltungsverfahren auf allen Ebenen weiter voran.
Mit dem Dienstleistungsportal „service-bw“ haben wir eine elektronische Plattform geschaffen, die 800 Verwaltungsdienstleistungen beschreibt und in 50 Lebenslagen bündelt. Die Plattform stellt alle Informationen zur Verfügung, um eine elektronische Verfahrensabwicklung interaktiv zu ermöglichen und alle Antrags- und Genehmigungsprozesse zu vernetzen.
Noch haben wir Medienbrüche. Wird aber die elektronische Signatur zum Standard – daran müssen wir noch arbeiten –, wird das Verfahren noch effizienter. Durch Schnittstellen zu Kommunen und Kammern lassen sich zusätzliche Dienstleis tungen im Bereich der Wirtschaftsförderung oder spezielle Interessen im Bereich der Existenzgründung weiter integrieren.
Das Land trägt die Kosten für den Betrieb und die Pflege des Systems. Im Übrigen müssen die Kammern und Kommunen ihre Kosten ausschließlich durch Gebühren abdecken.
Es ist klar, dass die Verwaltung ihre Verfahrensprozesse auf dieses neue Verfahren einstellen muss. Kundenorientiertes Denken ist unumkehrbar und wird zur europäischen Verwaltungsmaxime. Wir sind gut aufgestellt im Land. Dennoch werden wir die Tätigkeit der Einheitlichen Ansprechpartner nach drei Jahren evaluieren. Wir müssen die Impulse der Richtlinie für die Weiterentwicklung unserer Gewerbepolitik nutzen. Wir müssen in einem wachsenden innereuropäischen Wettbewerb unsere Chancen vergrößern. Die Voraussetzungen dafür sind günstig.
Dem Gesetz, das Wirtschaftswachstum fördert, entbürokratisiert und die Verwaltung zum Dienstleister macht, wird die CDU zustimmen.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die EU zwingt uns, unsere Bürokratie in einem wichtigen Punkt kundenfreundlicher und bürgerfreundlicher zu machen. Was wir in Sonntagsreden immer versprechen, müssen wir jetzt auf Druck der EU machen.
Bei Gewerbeanmeldungen musste der Kunde, der Bürger, bisher zum Finanzamt, zur Rentenversicherung, zum Zoll, zur Berufsgenossenschaft, zur Gewerbeaufsicht, zur Gemeinde, zur Kammer, zu seiner Innung usw. Er musste bisher acht bis zwölf Stationen durchlaufen. Wir haben es nicht geschafft, das Verfahren zu vereinheitlichen und zu vereinfachen. Die EU sagt: Nein, ihr müsst das Ganze für den Bürger auf eine Station reduzieren. Das ist Bürokratieabbau.
Aber wir haben dafür drei Jahre Zeit gehabt. Wir hätten das schon vor zwei Jahren machen können. Wir versuchen es jetzt auf den letzten Drücker. Wir werden auch auf den letzten Drücker, nämlich im Dezember 2009, damit nicht fertig. Es fehlt nämlich noch ein Fachgesetz, das die verschiedenen Behörden auf die neue Bürokratie- bzw. Verwaltungskultur verpflichtet. Andere Bundesländer sind da weiter.
Einige haben lange versucht, die Sache abzuwehren. Jetzt kommt das Ganze notgedrungen; dabei handelt es sich um eine rundum gute Sache. Alles, was Gewerbeanmeldungen, Betriebsübernahmen oder Existenzgründungen verfahrensmäßig erleichtert, nützt unserem Land und nützt dem Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg.
Leider fahren wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht die volle Ernte für das Land ein. Wo ist dieser Einheitliche Ansprechpartner? Er wird auf die Standorte der Kammern – das sind meist Großstädte – und auf die Stadtkreise, Großstädte und Landkreise beschränkt. Der Bürger muss also aufs Landratsamt, obwohl die Landratsämter in der Vergangenheit
keine große Kompetenz in Fragen von Gewerbeansiedlungen gehabt haben. Das gehörte eigentlich nicht zu ihrem Bereich, sondern das war in erster Linie Gemeindeangelegenheit.
Die Gemeinden aber, die unterhalb der Ebene der Stadt- und Landkreise angesiedelt sind, dürfen die Funktion eines Einheitlichen Ansprechpartners nicht ausüben. Dabei haben gerade die Großen Kreisstädte schon längst bewiesen, dass sie genau diese Rolle des Einheitlichen Ansprechpartners durch ihre Bürgerämter und durch andere Stellen, z. B. Starter-Center – in diesem Fall auch in Zusammenarbeit mit den Kammern –, hervorragend meistern. Sie sind kompetent, sie haben bürgernahe Verwaltungen, einige machen diese Starter-Center schon heute. Künftig können sie diese Funktion nach diesem Gesetz nicht mehr wahrnehmen.
Dabei wäre das besonders für unser Bundesland Baden-Würt temberg wichtig. Kein anderes Bundesland hat das, was die SPD-Fraktion immer „Flächenstärke“ nennt, in diesem Ausmaß. Wir haben auch historisch bedingt die größte Zahl an ehemaligen freien Reichsstädten; heute sind das häufig Große Kreisstädte. Die haben das alles im Grunde genommen schon seit Jahrhunderten gemacht und haben die Innovationskraft dafür, gerade bei uns. Wir leben nicht wie das Land Hessen ausschließlich vom Rhein-Main-Gebiet, wir leben nicht von einem bestimmten Ballungsgebiet – Bayern lebt hauptsächlich vom Ballungsraum München –,
sondern wir sind in der gesamten Region wirtschaftsstark. Das ist aus historischen Gründen schon seit 200 Jahren so.
Schon seit 200 Jahren haben wir diese Flächenstärke mit wechselnden Schattierungen, Herr Kollege Bullinger. Aber das zeichnet unser Land aus. Gerade das hätten wir unterstützen müssen, indem wir die Türen, durch die ein Existenzgründer gehen kann, überall im Land anbieten. Da hätte es gar kein Problem geben dürfen.
Aber dafür war der Horizont bei der Regierungskoalition zu eng. Man will den Kunden – wohlgemerkt, gezwungen von der EU – entlasten, aber man belastet ihn neu durch größere Wege, die man jetzt einführt. Natürlich hat keine Fraktion dieses Ziel so deutlich unterstützt wie die SPD-Fraktion, aber angesichts dieser halbherzigen Umsetzung werden wir dem Gesetz nicht zustimmen, jedoch auch nicht dagegen stimmen.
(Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU: Wie ist es denn in den SPD-geführten Län- dern?)
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die EU-Dienstleistungsrichtlinie ist ein richtiger und wichtiger Impuls, insbesondere in Bezug auf die One-Stop-Agencies bzw. die Einheitlichen Ansprechpartner. Sie werden in Zukunft als Lotsen für ausländische und – was besonders wichtig ist – auch für inländische Dienstleistungserbringer fungieren. Damit werden wir zu besserem Service und weniger Bürokratie kommen, die Wege werden kürzer, und wir werden so insgesamt mehr Kundenorientierung erreichen.
Wichtig für uns Grüne und sehr richtig ist, dass die Kommunen jetzt mit im Boot sind, dass sich das von der FDP/DVP bevorzugte Allkammernmodell nicht durchgesetzt hat.
Deswegen habe ich auch schon in der ersten Lesung angekündigt, dass wir dem vorliegenden Gesetzentwurf zustimmen werden.
Unsere Kritik war und ist, dass die Umsetzung zu spät kam. Man hätte schon sehr viel früher in die Umsetzung gehen können, wenn es nicht bei der Ansiedlung dieser One-Stop-Agencies innerhalb der Regierungsfraktionen große Kontroversen gegeben hätte. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass noch immer das Artikelgesetz fehlt – es wurde bislang nicht in den Landtag eingebracht –, auch wenn heute dieses Gesetz über Einheitliche Ansprechpartner verabschiedet wird. Das hat dazu geführt – das hatte ich bereits angesprochen –, dass die Kommunen und Kammern die Umsetzung vorbereiten müssen und sich in der Umsetzung befinden, obwohl der Landtag noch nicht die gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen hat. Unserer Ansicht nach darf so etwas in Zukunft nicht wieder vorkommen, meine Damen und Herren.