Protokoll der Sitzung vom 27.07.2006

(Abg. Reinhold Gall SPD: Von oben runter schon!)

Die Kollegin Rastätter hat, glaube ich, das Beispiel des Kreises Waldshut vorher hier eingebracht, auf das Sie jetzt anspielen. Im Kreis Waldshut hat inzwischen der Landrat die Koordination übernommen. Es gibt eine ständige Gesprächsrunde zwischen ihm und den Schulträgern, um dort ein vernünftiges, angepasstes Konzept in dem Sinne zu erstellen, wie ich es jetzt gerade vorgetragen habe. Man hat diesen Bürgermeistern in einer ersten Phase vorzumachen versucht, dass die Einführung von Regionalschulen die Auflösung gut funktionierender Realschulen und damit die Sicherung der Standorte in jedem dieser Dörfer bedeutet hät

te. Inzwischen haben sie kapiert, dass man die Schulentwicklung nach anderen Kriterien vornehmen muss

(Abg. Reinhold Gall SPD: „Kapiert“!)

als nach dem, was hier auf ideologischer Basis untergejubelt wurde.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Lachen bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Jürgen Walter GRÜNE)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Zeller?

Ja.

Bitte schön, Herr Abg. Zeller.

Herr Minister, sind eigentlich die Heidelberger Kinder klüger als die Heilbronner Kinder?

(Abg. Reinhold Gall SPD: Ausgeschlossen! – Abg. Elke Brunnemer CDU: Der kennt sich nicht aus im Land! – Unruhe bei der CDU)

Ich will Ihnen das anhand von Zahlen aufzeigen. Im Stadtkreis Heilbronn liegt der Anteil der Kinder, die auf die Hauptschule wechseln, bei 40,7 % und der Anteil derjenigen, die auf das Gymnasium wechseln, bei 32,6 %. In Heidelberg beträgt der Anteil der Kinder, die auf die Hauptschule wechseln, 17,8 % und derer, die auf das Gymnasium wechseln, 56,4 %.

(Abg. Werner Pfisterer CDU: Da ist ein anderes Angebot in Heidelberg!)

Das ist es, genau. Da ist ein anderes Angebot. Das brauchen wir überall.

(Zuruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU – Un- ruhe)

Ich glaube, Sie machen einen ganz schwerwiegenden Fehler, wenn Sie die Übergangsquote auf weiterführende Schulen als Beleg dafür werten, ob Kinder klüger oder weniger klug sind und ob wir sie für klüger oder weniger klug halten. Das sind Schullaufbahnentscheidungen, die von sehr unterschiedlichen Faktoren abhängen. In einem Stadtkreis, der von einer Universität geprägt ist, sehen diese Faktoren natürlich anders aus als in einem ländlichen Bereich. Genau dieser Unterschiedlichkeit werden wir mit einem differenzierten Bildungsangebot gerecht. Mit diesen Zahlen belegen Sie überhaupt nichts. Damit bringen Sie auch nichts in Gang.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Ich danke Ihnen für die Unterstützung für unser Konzept und setze darauf, dass wir gemeinsam mit den kommunalen Landesverbänden die aufgrund der Zahlen notwendige Standortentwicklung vernünftig auf den Weg bringen werden.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Rastätter.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Rau, Bürgermeister Keller aus dem Hotzenwald hat mir einen Brief geschrieben und mir noch einmal mitgeteilt, dass er es sehr bedauert, dass die Anträge der acht Gemeinden, in ihrer Region Modellschulen und Schulversuche einzurichten, in denen neue Unterrichtskonzepte mit einem heterogenen Umgang mit der Schülerschaft erprobt und neue Unterrichtsformen entwickelt werden können, abgelehnt wurden. Er hat gesagt, der Minister habe ihm eindeutig erklärt: „Es bleibt dabei: Die Hauptschule wird dort erhalten.“ Aber angesichts der Schülerzahlen und des Drucks der Eltern in jedem dieser Dörfer wird es wohl so sein, dass die Standorte nicht erhalten bleiben können. Er hat mich dann gebeten: Wenn sie schon keine Modellschulen bekommen, soll ich ihn unterstützen, dass sie dort wenigstens ihre Hauptschulen behalten können.

Wir sehen also: Das sind doch Problemlagen, die die Kommunen vor Ort haben. Ich halte es für wichtig, dass diese Öffnung und das, was von unten kommt, was in der Tat in den Orten vorhanden ist, gestärkt wird.

Ich möchte hier ein Beispiel nennen. Es gibt eine Kommune in Baden-Württemberg, bei der ebenfalls das Problem bestand, dass ihre Hauptschule perspektivisch vor einer Auflösung gestanden hätte. Diese Schule hat es mit einem mutigen, engagierten Bürgermeister und einem engagierten Schulleiter geschafft, dass dort eine Modellschule entstanden ist. Die Übergangsquoten auf diese Schule waren schon auf unter 30 % gesunken. Inzwischen liegen die Übergangsquoten auf dieses ländliche Schulzentrum – für diese Schule ist auch ein neuer Titel gefunden worden: Ländliches Schulzentrum – bei 55 %. Dieser Bürgermeister sitzt als neuer Kollege unter Ihnen in der CDU-Fraktion: der Kollege Locherer aus Amtzell. Sie können sich bei ihm persönlich informieren, wie ein solches Modell auf den Weg gebracht wurde.

(Beifall bei den Grünen – Zuruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Meine Damen und Herren, das ist doch zu schaffen; es ist doch möglich.

Sehr verehrter Minister Rau, Sie halten an Strukturen fest. Wir wollen das Beste für die Schüler und Schülerinnen. Wir können doch nicht die Augen vor den Problemlagen verschließen. Wir müssen doch zugeben, dass die Probleme bestehen, und müssen Lösungen zulassen.

Jetzt kommen wir zu der Frage: Soll die Entwicklung von oben oder von unten aus stattfinden? Sie wissen, dass wir Grünen perspektivisch die Basisschule anstreben. Wir wollen das gegliederte Schulsystem grundsätzlich überwinden, und zwar aus einem einfachen Grund: Es gibt keine drei Begabungstypen. Wenn Sie sagen, die Hauptschule ist die Schule für die praktisch Begabten, dann würde das ja de facto bedeuten, dass zwei Drittel der Migranten praktisch begabt sind, während es bei den deutschen Kindern offenbar nur 20 % sind. Das kann auch entwicklungspsychologisch gesehen einfach gar nicht sein. Daher gibt es aus wis

senschaftlicher Sicht keine Begründung für ein dreigliedriges Schulsystem.

Zweitens gibt es aus wissenschaftlicher Sicht natürlich erst recht keine Begründung für ein zweigliedriges Schulsystem. Deshalb haben wir auch ein Problem damit, ein zweigliedriges Schulsystem von oben zu installieren.

Deshalb ist unsere Perspektive, das gegliederte Schulsystem langfristig zu überwinden und gleichzeitig Modelle von unten zu fördern. Ich bin der festen Überzeugung: Wenn wir diese Entwicklung zulassen – und das würde auch bedeuten, dass sich die Realschulen und auch die Gymnasien als Angebotschulen verändern müssen; auch sie müssen sich für alle Schüler und Schülerinnen öffnen –, werden wir auch einen Einstieg in ein sozial gerechteres, humaneres und zukunftsfähiges Schulsystem finden, wie es andere Länder haben.

Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Satz sagen: Wenn Sie den Hauptschulen wirklich Entwicklungsperspektiven geben möchten, wäre die Öffnung der Schulbezirksgrenzen eine Sofortmaßnahme. Lassen Sie die Hauptschulen durch möglichst gute Schulmodelle um ihre Schüler und Schülerinnen konkurrieren. Geben Sie die Grundschulempfehlung frei, damit Eltern sich entscheiden können, ob sie für ihre Kinder eine gute Hauptschule wählen. Führen Sie die Schulsozialarbeit wieder ein. Ändern Sie die Ausbildung der Hauptschullehrer und sehen Sie eine ebenso lange Ausbildung wie für Gymnasiallehrer vor, ebenso wie eine Bezahlung in gleicher Höhe.

Gehen Sie diese Schritte, und dann wird sich zeigen, wie sich die Schullandschaft entwickelt. Aber mit dem, was Sie jetzt machen – an dem bestehenden System starr festhalten und so tun, als ob die anderen, die die Probleme benennen, die Bösewichte wären –, machen Sie es sich zu einfach. Damit werden wir nicht den richtigen Weg zu einem guten Schulsystem in Baden-Württemberg finden.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Schebesta.

(Zuruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Frau Kollegin Rastätter, Sie haben wissenschaftliche Begründungen angesprochen. Es gibt durch die PISA-Studien wissenschaftliche Begründungen dafür, dass Verbesserungen im Unterricht erfolgen müssen. Aber es gibt eben auch die Aussage von Wissenschaftlern, dass dies alles nicht mit der Schulstruktur zusammenhängt.

Immer wenn der Kollege Bayer hier vortritt und von individueller Förderung spricht, wenn von Freiräumen für pädagogische Arbeit gesprochen wird, wird so getan, als ob dies alles nur dann ginge, wenn zuvor das Schulsystem umgestaltet wird.

(Zuruf des Abg. Norbert Zeller SPD)

Damit unterstellen Sie im Übrigen auch, dass dies alles im bisherigen Schulsystem gar nicht stattfindet. Eine solche er

folgreiche Arbeit findet aber im bisherigen Schulsystem, in den bisherigen Schularten schon statt.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

Sie erreichen auf diesem Weg überhaupt nichts, wenn Sie einfach nur die Schulstruktur ändern. Herr Kollege Bayer hat sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, darzulegen, inwiefern das, was er einfordert – individuelle Förderung, Freiräume –, mit der Aussage zusammenhängt, dass das gegliederte Schulsystem nicht mehr in die Landschaft passe. Im gegliederten Schulsystem, in einer erfolgreichen Hauptschule ist es möglich, all diese Lernkonzepte umzusetzen. Tun wir nicht so, als ob das alles nicht funktionieren würde.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Bravo! So ist es!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Bayer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst eine persönliche Vorbemerkung. Schon gestern hatten wir hier eine Situation, in der von „Störfeuer“ und „Hetzkampagne“ gesprochen wurde. Heute höre ich vom Minister die Formulierung „unsinnige Redensweise“ und die an mich oder wen auch immer gerichtete Aufforderung: „Gewöhnen Sie sich das einfach ab!“ Das ist ein Stil, der vielleicht in Ihre Schulphilosophie passt. Auf jeden Fall möchte ich mir diesen Stil verbitten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: „Restschule“!)

Sie müssen sich einfach daran gewöhnen, dass es andere Argumentationen gibt, dass es andere Personen gibt, die sich mit der gleichen Legitimität wie Sie um die besten Wege bemühen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Das akzeptieren wir!)

Nun wurde von Herrn Schebesta angesprochen, dass es von mir keinerlei Begründung für die Notwendigkeit eines Systemwechsels gegeben habe. Wir werden noch genügend Gelegenheit haben, das in ausführlicher Art und Weise dort zu diskutieren, wo es hingehört, nämlich im Schulausschuss.