Protokoll der Sitzung vom 04.02.2010

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Gutes Land!)

verfügt mit vier Millionen Einwohnern gerade einmal über gut ein Drittel der Einwohnerzahl von Baden-Württemberg, macht in diesem Jahr aber fast gleich viel Schulden wie wir.

Berlin, mit 3,4 Millionen Einwohnern

(Zuruf des Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU)

eine große Stadt und ein kleines Land, macht mit 2,8 Milliarden € Schulden weit mehr neue Schulden als Baden-Würt temberg.

Hessen – ich will es einmal parteineutral sehen –, das viel kleiner ist als Baden-Württemberg, macht deutlich mehr Schulden als unser Land. Bei sechs Millionen Einwohnern nimmt Hessen in diesem Jahr 3,4 Milliarden € an Schulden auf.

Deswegen kann ich nur sagen: Die Tabelle zeigt auf, dass Baden-Württemberg gerade auch in diesem Jahr, obwohl die Wirtschaft bei uns stärker als in jedem anderen Land eingebrochen ist, mit einer maßvollen Verschuldung, mit weniger Schulden pro Kopf, als dies in den meisten anderen Ländern der Fall ist,

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: So ist es!)

durch das Jahr gehen wird.

Deswegen ist meine Bitte: Reden wir den Haushalt nicht schlechter, als er ist. Es ist ein dem Umfeld angemessener, wirklich guter und solider Haushalt 2010.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Was sind die Gründe dafür? Damit komme ich zu dem, was Baden-Württemberg wirklich beschäftigen muss. Wir haben unseren sozialen Wohlstand in den letzten Jahrzehnten auf langlebige Wirtschaftsgüter, auf Industriegüter und auf deren Verkauf ins Ausland aufgebaut. Die beiden Faktoren sind: Werkzeugmaschinen, Pressen, Lkws und Pkws auf der einen Seite, mehr Export als Import auf der anderen Seite.

Ich bin der festen Überzeugung, dass dies der richtige Weg war und dass dieser Weg auch bleiben muss und bleiben wird. Ich glaube, dass das Wirtschaftswachstum in der Welt insgesamt in den nächsten Jahrzehnten stärker sein wird als das im eigenen Land. Also baue ich darauf, dass unsere Wirtschaft und dass unsere Arbeitnehmer, Tüftler, Denker und Unternehmer weiter auf stark wachsenden Weltmärkten wie China, Indien, Asien generell und Osteuropa erfolgreich sind. Deswegen sind Forschung und Bildung, Köpfe, Herz, Verstand von Klein und Groß, von Arbeitnehmern und Unternehmern, von Wissenschaftlern und Verkäufern die wichtigste Form der Standortsicherung.

Zweitens glaube ich, dass ein Land, dessen Bevölkerung immer älter wird und dessen Einwohnerzahl zudem schrumpfen wird, mit Inlandskonsum nicht so viel an Arbeitsplätzen sichern kann, wie mit dem Verkauf ins Ausland möglich ist. Man könnte auch sagen: Wenn man wie ich Optimist ist und glaubt, dass es auch in Zukunft mehr gute als schlechte Jahre gibt, dann bleibt unser Kurs richtig. Wer anders denkt, muss sich korrigieren.

Aber klar ist, dass der Zyklus von Wachstum und Schrumpfung in Baden-Württemberg stärker als in Brandenburg ist – wegen der Abhängigkeit vom Weltmarkt und auch deswegen, weil man für langlebige Wirtschaftsgüter die Ersatzbeschaffung auch einmal ein Jahr, zwei oder drei Jahre zurückstellen kann.

Kollege Schmiedel spricht jetzt als Wunderwaffe sein Mittelstandsprogramm, den Mittelstandsfonds, an.

(Zuruf von der SPD: Das ist eine Komponente! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Ihr macht ja nichts!)

Liebe Frau Kollegin Haußmann, kein Land hat derart viele Programme in diesem Bereich wie Baden-Württemberg schon jetzt.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Oje!)

„Oje!“ – Der Deutschlandfonds – von Steinmeier, Steinbrück und Merkel aufgelegt; 100 Milliarden € sind abrufbar – ist bisher nur zu 16 % belegt. Das ist die erste Tür, die offen steht.

Weiter haben wir im Land bei der L-Bank den Mittelstandsfonds, wir haben L-MezzaFin, wir haben den Garantiefonds, wir haben die Venture Capital GmbH, wir haben bei der Bürgschaftsbank und der L-Bank auch Darlehens- und Bürgschaftsprogramme in ausreichendem Umfang und werden die se erhöhen, falls notwendig. Wir haben die MBG mit dem Ge

nussrechtsprogramm, dem Risikokapitalfonds, dem Programm „Expansion und Unternehmenssicherung“, und die KfW kommt ergänzend mit ihrem ERP-Programm und ihrem eigenen Genussrechtsprogramm hinzu. Ich behaupte also: Dort, wo ein Unternehmen zukunftsfähig ist und Perspektiven hat, gibt es unverändert genügend Eigen- und Fremdkapital.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Aber beschäftigen muss uns, dass trotz aller Qualität der Arbeit in Forschung und Entwicklung von Arbeitnehmern und Unternehmen nicht jeder Betrieb in Baden-Württemberg zukunftsfest und zukunftsfähig ist. Das ist der eigentliche Punkt: Wir müssen besser werden. Wir müssen mit dem, was wir bauen, produzieren oder an Dienstleistung erbringen, besser werden. Nicht die Banken sind entscheidend, sondern die Menschen, und deshalb müssen in Baden-Württemberg Qualifikationen in der Erstausbildung und in der Weiterbildung vermittelt werden.

Sie sprachen die Autowaschanlage am Pragsattel an, Thema Mindestlöhne. Klar ist doch schon jetzt, dass sittenwidrige Löhne bei uns verboten sind. Deswegen mein Rat: Gehen Sie mit Ihrer Information, dass 4 € Lohn gezahlt werden, zu einer Behörde und zeigen Sie diesen Arbeitgeber gegebenenfalls an.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Hier sitzen doch lauter Behördenvertreter! Die können sich auch darum küm- mern!)

Gut. Ich bitte meine Kollegin Dr. Stolz, dem Sachverhalt nachzugehen und zu prüfen, ob dort, wie Sie es behaupten, unanständige und damit sittenwidrige Löhne gezahlt werden. Wenn dies der Fall sein sollte, wird das schnellstmöglich abgestellt.

Aber zu glauben, dass die Festsetzung von Mindestlöhnen Vollbeschäftigung sichert und Löhne garantiert, ist abwegig.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Im Gegenteil! – Zuruf: Absurd!)

Denn die Autos, die dort gewaschen werden, kommen eben zum Teil aus Ländern, in denen Löhne gezahlt werden, die aus Ihrer Sicht sittenwidrig sind. In Korea werden unanständige Löhne für Autobauer gezahlt, und die Autos werden bei uns gekauft. Oder wir könnten hier auch einmal einen Vergleich anstellen und fragen, wo Ihre Krawatte und wo meine Krawatte gefertigt worden sind. Möglicherweise tragen wir beide Textilien, die in Ländern hergestellt wurden, die die Färbstoffe ins Meer einleiten, in denen Kinderarbeit und eine sittenwidrige Lohnhöhe herrschen – möglicherweise.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Das ist doch kein Argu- ment!)

Zu glauben, dass ein Mindestlohn den Standort Deutschland sichert – in einem globalen Markt mit offenem Handel –, ist schlichtweg abwegig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Deswegen müssen wir erreichen, dass die Menschen, die dort arbeiten, durch gute Bildung und Weiterbildung so qualifiziert

werden, dass sie aus eigener Kraft für 10 €, 12 €, 14 € gut sind. Mir ist es lieber, jemand verdient nur 7 € und bekommt 3 € vom Staat hinzu, als dass er, wenn es einen Mindestlohn gibt, daraufhin arbeitslos wird und die 10 € vollständig vom Staat bezahlt bekommt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Ha- gen Kluck FDP/DVP: Jawohl!)

Abschließend glaube ich, dass wir bezüglich unserer Haushaltsstruktur vor einer gesamtstaatlichen Aufgabe stehen. Kein Land und keine Kommune packt es aus eigener Kraft. Es geht um die Frage, ob ein regelmäßiges Wirtschaftswachstum von jährlich 2 bis 3 % zurückkehrt. Wenn dies der Fall ist, kommt Baden-Württemberg garantiert wieder in die Nullneuverschuldung hinein. Wenn ein Wirtschaftswachstum in dieser Höhe nicht mehr erreichbar sein sollte, etwa wegen der demografischen Altersstruktur, aufgrund des weltweiten Wettbewerbs oder aus anderen Gründen, werden wir gesamtstaatlich die Frage besprechen müssen, was wir uns noch leisten können und was wir uns nicht mehr leisten können.

Manche Kommunen sind derzeit, weil ihre Verschuldungsrechte restriktiver sind, weiter als jedes Land und viel weiter als der Bund. Deswegen glaube ich, dass die Situation bezüglich dessen, was in der jetzigen Lage an Schulden gemacht wird, für alle öffentlichen Haushalte nur bundesweit, gesamtstaatlich verändert werden kann. Meine Erwartung ist, dass dies bundesweit von allen demokratischen Parteien und von allen Ländern – noch regieren in der Mehrzahl der Länder Sozialdemokraten, Grüne, FDP und CDU; vier demokratische Parteien – angegangen wird. Ich glaube, dass die Haushaltspolitik nicht allein in diesem Haus, sondern bundesweit nun von allen gemeinsam angegangen werden muss. Einer allein wird nicht die Kraft haben, dort hinzukommen, wo man hinkommen muss.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Mit meiner Rede löse ich sicherlich Erwiderungen der Kollegen Schmiedel und Kretschmann aus. Ich glaube aber nicht, dass sie in der Lage sein werden, mich ausreichend zu provozieren. Ich werde also im Anschluss daran nicht mehr reden.

Deswegen darf ich Ihnen allen nun Dank sagen. Ich finde, wir hatten – auch im Vergleich zu anderen Parlamenten – bei allem Streit doch eine ordentliche, kameradschaftliche Umgangsform und Kollegialität. Ich habe mich in diesem Kreis – das gilt natürlich am stärksten für meine Fraktion, aber auch für die drei anderen Fraktionen – immer sehr wohlgefühlt.

Alles Gute. Brüssel steht offen.

Vielen Dank.

(Die Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP spen- den stehend anhaltenden Beifall. – Beifall bei der SPD und den Grünen)

Nach § 82 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion, Herrn Abg. Schmiedel, das Wort.

(Zurufe von der CDU: Oh nein!)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Ministerpräsident, ohne dass ich mich von Ihnen provoziert fühlen würde, ist es aus meiner Sicht dennoch notwendig, ein paar Dinge zurechtzurücken.

Ich habe das Beispiel mit der Waschanlage deshalb angeführt, weil dies aus meiner Sicht eine neue Qualität der Niedriglohnbeschäftigung darstellt.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Da können Sie doch zum Ausgleich ein anständiges Trinkgeld ge- ben! Sie nutzen doch selbst die Leute aus! – Leb- hafter Widerspruch bei der SPD – Gegenruf des Abg. Reinhold Gall SPD: Das ist doch Unsinn! Man soll doch nicht die verhöhnen, die für einen Niedriglohn arbeiten müssen! – Gegenruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Er geht ja selbst dahin! Woher weiß er es denn sonst? – Gegenruf des Abg. Reinhold Gall SPD: Unglaublich! – Weitere Zurufe – Unruhe)

Herr Ministerpräsident, schon bisher wurden Tariflöhne unterboten; sie wurden aber in Produktions- oder Dienstleis tungsbereichen eingesetzt, die auf dem Stand der Technik waren. Das heißt, man hat sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil und einen Extraprofit verschafft. Aber es ist eine neue Qualität, wenn jemand einen mehrstelligen Millionenbetrag in die Hand nimmt und eine Investition tätigt, die sich nur dann auf Dauer auszahlen kann, wenn diese Niedriglöhne auf Dauer zur Verfügung stehen. In diesem Zusammenhang zu sagen: „Mir ist es lieber, jemand verdient 4 € pro Stunde und der Staat zahlt hinterher mit Steuergeldern die Differenz zu dem Betrag, den man zum Leben braucht“, das animiert ja geradezu zu solchen Investitionen.