Protokoll der Sitzung vom 15.04.2010

(Beifall bei der SPD)

Ein zweiter Punkt – hier möchte ich ausdrücklich auf Frau Ar nold eingehen –: Sie haben uns die Forschung zur frühkind lichen Erziehung ein Stückchen nähergebracht und die Bedeu tung von Bindung und Beziehung für den gesamten Bildungs- und Entwicklungserfolg der unter Sechsjährigen, vor allem aber der unter Dreijährigen deutlich gemacht. Wie soll dann aber einer Erzieherin vermittelt werden, dass sie den Orien tierungsplan in all seinen Qualitäten umsetzen soll – mit dem Bildungs-, Bindungs- und Beziehungsanteil –, wenn sie dies für 25 Kinder mit nicht mehr als 1,8 Personalstellen abbilden soll? Das funktioniert nicht.

Auch da ist also der limitierende Faktor nicht der, dass die Er zieherinnen und Erzieher hierzu nicht bereit wären, und der limitierende Faktor ist auch nicht, dass diesen das nicht bei gebracht würde – es wird ihnen beigebracht –, sondern die Ar beitsbedingungen lassen es noch immer nicht zu, und der Aus bau der Qualität im Rahmen der Einigung mit den kommuna len Trägern ist eine Schnecke verglichen mit dem, was wir gleichzeitig an Forderungen an diesen Bereich richten.

Ein dritter Punkt – dies nenne ich nur als ein kleineres Bei spiel –: Solange wir uns so niederschmetternde öffentliche Diskussionen liefern müssen wie z. B. in Bezug auf die Ein führung der Einschulungsuntersuchung, die Organisation der Sprachförderung, aber auch – um Frau Lösch hier ein Stück weit zu vertreten – z. B. über die Berufsbezeichnung der Ab solventen der Studiengänge – Sie haben hier nämlich ver schwiegen, dass die Jugend- und Familienministerkonferenz erst im Jahr 2011 überhaupt eine einheitliche Berufsbezeich nung für die Absolventen dieser neuen Studiengänge herbei führen wird, die ersten Absolventen aber bereits in diesem Jahr auf den Arbeitsmarkt kommen und uns diese Menschen zurückmelden: „Wir wissen nicht, wo wir einsteigen können; wir wissen nicht, mit welcher Besoldung wir einsteigen kön nen, und wir wissen auch nicht, unter welcher Bezeichnung wir einsteigen können“ –, so lange haben wir auch hier limi tierende Faktoren, an denen deutlich wird, warum die Zahl der Studienplätze zwar ausreichen mag, jedoch nicht die Zahl der Interessentinnen und Interessenten, die wir uns vorstellen, erreicht wird.

Frau Ministerin, ich denke, was die Frage der Statistiken an geht, werden wir uns einig. Aber bei der Betrachtung der li mitierenden Faktoren müssen wir noch ein paar Niveaustufen tiefer, nämlich in die Praxis, einsteigen, um erkennen zu kön nen, wo die Notwendigkeiten sind, denen sich die Landesre gierung stellen muss. Insofern haben wir, bei aller Harmonie und bei allem pastoralen Ton,

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Das war ein herzerfri schender Ton!)

noch einiges an politischen Auseinandersetzungen zu bestrei ten, damit dies am Ende zu einer Qualitätssteigerung führt. Eine Imagekampagne reicht dazu nicht aus. Wir sind uns si cher einig: Mit einer Imagekampagne allein bekommen wir diese Kuh nicht vom Eis.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Mir liegen keine wei teren Wortmeldungen vor.

Wir kommen nun zur Behandlung der Anträge. Die Anträge Drucksachen 14/4021 und 14/4530 sind reine Berichtsanträ ge, die mit der heutigen Aussprache erledigt sind.

Der Antrag Drucksache 14/5534 ist ein Beschlussantrag. Es wurde beantragt, ihn an den Sozialausschuss zu überweisen.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: An den zuständigen Bildungsausschuss!)

An den zuständigen Bildungsausschuss. – Sie stimmen der Überweisung zu. Damit ist der Antrag an den Ausschuss für Schule, Jugend und Sport überwiesen.

Punkt 6 der Tagesordnung ist damit erledigt.

Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des Mi nisteriums für Kultus, Jugend und Sport – Ganztagsschu len in Baden-Württemberg – vom Schulversuch zur Re gelschule – Drucksache 14/4027

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Be gründung des Antrags fünf Minuten und für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion, wobei gestaffelte Redezeiten gel ten.

Für die Fraktion GRÜNE darf ich Frau Abg. Rastätter das Wort erteilen.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Ist die Fraktion so klein? – Gegenruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Ich glaube, wir sind uns hier alle ei nig, dass Ganztagsschulen aus Gründen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie notwendig sind. Der Bedarf wird in den nächsten Jahren noch steigen, weil wir aufgrund des sich ab zeichnenden Fachkräftemangels insbesondere auch auf qua lifizierte Frauen im Erwerbsleben nicht verzichten können.

Wenn wir aber von den Kindern aus denken, stellt sich die Frage anders. Die Frage lautet dann: Was brauchen Kinder, und wie muss die Ganztagsschule ausgestaltet werden, um den Entwicklungs- und Lernbedürfnissen sowie den Bedürfnissen nach sozialen Kontakten von Kindern entsprechen zu können?

Ganztagsschulen können bessere Bildungsleistungen gewähr leisten, indem sie mehr Förderangebote integrieren – z. B. Hausaufgabenbetreuung –, sodass Kinder, wenn sie die Ganz tagsschule verlassen, Zeit mit ihren Familien verbringen kön nen. Ganztagsschulen können und müssen vor allem auch er weiterte Bildungsangebote – z. B. im Bereich des Sports und im Bereich der kulturellen Bildung – zur Verfügung stellen. Dies bezieht sich beispielsweise auf Theater und das Erlernen eines Musikinstruments, aber auch auf andere erweiterte Bil dungsangebote wie etwa Enrichment-Angebote für hochbe gabte Kinder,

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Was für ein Ding?)

die auch in einer Ganztagsschule besser gefördert und gefor dert werden können.

Für uns Grüne ist allerdings auch wichtig, dass Schulsozial arbeit integraler Bestandteil der Ganztagsschule wird. Daher beklagen wir noch immer die mangelnde Bereitschaft des Lan des, sich an der Schulsozialarbeit zu beteiligen. Wir brauchen die Beteiligung des Landes – hierbei handelt es sich um eine Drittelfinanzierung –, damit die Kommunen schneller Schul sozialarbeit in der Fläche einrichten können.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Scheffold rückt das Geld nicht raus! – Zuruf von der CDU: Immer Geld ausgeben wollen!)

Ganztagsschulen, die ein gutes Konzept haben, sind keine Vor mittagsangebote mit einem additiven Betreuungsangebot, son dern haben ein rhythmisiertes Angebot, das Freizeitangebote, Pausen und Rückzugsmöglichkeiten, aber auch Phasen hoher Konzentration und Anspannung beinhaltet. Sie müssen die sem Rhythmus von Kindern über den Tag hinweg gerecht wer den. Nur dann sind sie Lern- und Lebensräume für Kinder. Ganztagsschulen sind nur als echte Lern- und Lebensräume für Kinder vorstellbar.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Hagen Kluck FDP/ DVP: Die armen Kinder! – Gegenruf des Abg. Alfred Winkler SPD: Landeskinder!)

Was die Landesregierung hierbei macht, ist ihrer Stellungnah me zu unserem Antrag zu entnehmen. Dazu haben wir die Zahlen von 2007 – neuere Zahlen waren noch nicht verfüg bar – hochgerechnet. Danach sieht die Situation folgenderma ßen aus: Zugesagt wurde ein Ausbau der Ganztagsschulen um 40 % bis zum Jahr 2015. Wo stehen wir heute? Rund 12 % der Grundschulen sind Ganztagsschulen. Plätze sind aber nur für 6,8 % der Kinder vorhanden.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Wollen Sie Grund schüler den ganzen Tag in die Schule schicken?)

Von den Hauptschulen sind tatsächlich schon 33 % Ganztags schulen. Plätze sind für 33 % der Schüler vorhanden. Von den Realschulen sind nur 20 % Ganztagsschulen, aber nur 7,3 % der Realschüler in Baden-Württemberg haben de facto einen Ganztagsplatz.

Etwa 32 % der Gymnasien sind Ganztagsschulen, aber nur 12 % der Schüler an Gymnasien haben einen Ganztagsplatz. Das ist besonders bedauerlich, weil das Gymnasium durch die Einführung des G 8 faktisch durch die Hintertür heimlich zur Ganztagsschule geworden ist, ohne dass die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt gewesen sind; denn die meisten Ganz tagsschulen im gymnasialen Bereich, Herr Kollege Röhm, sind nach den Bestimmungen der Kultusministerkonferenz genehmigt worden. Danach sind nur an drei Tagen sieben Stunden vorgesehen. Diese Vorgabe liegt natürlich unterhalb der im Ganztagskonzept des Landes beschriebenen offenen Ganztagsschule, wonach mindestens an vier Tagen in der Wo che jeweils sieben Stunden vorgesehen sind. Deshalb erhal ten diese Gymnasien in Ganztagsform die geringste Lehrer stundenzuweisung. Insgesamt besteht sowohl quantitativ als auch qualitativ ein hoher Bedarf beim Ausbau der Ganztags schulen.

Eingangs habe ich geschildert, wie die Ganztagsschule nach unseren Vorstellungen auszugestalten ist, damit die Kinder da von profitieren. Diese Qualität ist aber noch nicht erreicht. Das kann ich an zwei Punkten festmachen. Zum einen ist die Lehrerstundenzuweisung tatsächlich zu gering. Die Gymna sien bekommen eine zusätzliche Stunde, die Realschulen zwei und die Hauptschulen ebenfalls zwei zusätzliche Stunden.

Die Grundschulen erhalten vier zusätzliche Stunden. Bei der Grundschule sind aber allein vier Stunden notwendig, um in der ersten Klasse überhaupt den Vormittag stundenmäßig ab zudecken. Deshalb ist klar, dass der gesamte Nachmittagsbe reich überhaupt keine Lehrerstunden beinhaltet.

Anders sieht es bei den sogenannten Brennpunktschulen aus. Diese sind etwas besser ausgestattet. Derzeit werden aber bei den Brennpunktschulen, den Alterlassschulen, die Stunden zuweisungen gekürzt. Wir haben das kritisiert. Wir haben da zu einen Antrag in den Landtag eingebracht, der im Schulaus schuss behandelt wird.

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Mit Deckungsvorschlag?)

Jetzt, da wir schon erreicht haben, dass die Brennpunkthaupt schulen und -grundschulen mit sieben bzw. zehn Stunden mehr ausgestattet sind, kann es nicht sein, dass wir das Ni veau herunternivellieren.

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Ohne Deckungsvor schlag ist das unseriös!)

Wir brauchen gerade für diese Schulen,

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Wann gehen die Kin der zum CVJM? – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Kein Deckungsvorschlag! Wie immer! Nur mehr fordern! – Gegenruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

die insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund und Kin der mit großen Förderbedürfnissen haben, und für diese Kin der weiterhin diese gute und solide Stundenausstattung. Das können Sie sich von jedem Schulleiter einer dieser Schulen sagen lassen. Wir fordern, dass diese Stunden auch tatsäch lich gewährleistet werden.

(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Ohne zu sagen, wo das Geld herkommt! Wie immer!)

Ansonsten ist die Ganztagsschule mit ehrenamtlichen Jugend begleitern ausgestattet. Wir Grünen stellen fest, dass das rei ne Ehrenamt nicht die tragende Säule einer Ganztagsschule sein kann.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Karl Zimmermann CDU: Oh!)

Deshalb muss im Bereich der Qualität von Ganztagsschulen in den nächsten Jahren nachgebessert werden.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU – Abg. Ha gen Kluck FDP/DVP: Alle verbeamten! – Gegenruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE – Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Bei uns besteht die Tendenz, dass insbesondere bei den Real schulen und den Gymnasien die Eltern auf teure, sehr gute pri vate Ganztagsschulen ausweichen.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Ist das schlimm? – Gegenruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Ja! Das hängt vom Geldbeutel der Eltern ab! – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Da gehen noch mehr hin, wenn wir die Einheitsschule haben!)

Dazu stelle ich fest, dass es nicht sein kann, dass der Zugang zu einer guten Ganztagsschule vom Geldbeutel der Eltern ab hängt.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Hagen Kluck FDP/ DVP: Tut er nicht! – Gegenruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Doch, tut er! – Gegenruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Es gibt das Sonderungsver bot! – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Da gehen die al le hin, wenn wir die Einheitsschule haben! – Weite re Zurufe, u. a. des Abg. Karl Zimmermann CDU – Unruhe – Glocke des Präsidenten)