In Stuttgart haben 50 % der Eltern von Kindern mit einer Grundschulempfehlung „Hauptschule/Werkrealschule“ Wi derspruch gegen diese Bildungsempfehlung eingelegt. Ich ha be mit Schulleitern aus dem ländlichen Raum telefoniert: Noch nie war die Quote der Widersprüche, der Einsprüche ge gen die Grundschulempfehlung „Hauptschule/Werkrealschu le“ so hoch wie jetzt.
Fazit: Die Eltern wollen keine solch absurden Schulkonstruk tionen, wie sie jetzt entstehen, mit rotierender vertikaler und horizontaler Teilung, von denen sie wissen, dass künftig kei ne Verlässlichkeit da ist.
Die Eltern wissen auch, dass in dieser Werkrealschule nun wirklich keine Realschule drin ist. Denn in keiner anderen Schulart gibt es eine Notenhürde mitten im Bildungsgang bzw. vor dem Ende des Bildungsgangs.
Frau Kultusministerin Schick, Ihr Kronzeuge für die neue Werkrealschule, Arbeitgeberpräsident Hundt, hat bei der Ein führung im Neuen Schloss ganz klar gesagt, dass die Noten hürde von ihm vehement abgelehnt wird. Es gibt in keiner an deren Schulart eine Notenhürde vor der Abschlussprüfung.
(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Doch! Im Gymna sium z. B.! Selbstverständlich gibt es im Gymnasium eine! Ich erkläre es Ihnen nachher! Die Schüler müs sen Kurse erfüllen, sonst werden sie nicht zugelas sen! Es gibt sehr wohl eine Hürde!)
Es gibt keine Notenhürde von 3,0 im Gymnasium oder an der Realschule ein Jahr vor der Abschlussprüfung. Eine solche Hürde bedeutet, dass Schüler, die dies – innerhalb eines durch gängigen Bildungsgangs – nicht schaffen, als Schulabbrecher stigmatisiert werden. Deshalb wollen die Eltern – das haben sie in Stuttgart gesagt – die echte Realschule und keine Mo gelpackung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Bargel-Gutachten der Universität Konstanz hat ganz klar gezeigt: In Baden-Würt temberg gibt es trotz der demografischen Entwicklung die Möglichkeit, wohnortnahe, attraktive Schulstandorte in der Fläche aufrechtzuerhalten. Nicht alle Standorte können auf rechterhalten werden,
aber doch ein erheblicher Anteil derer, die durch Ihr Konzept künftig wegfallen. Das heißt aber, es müssen integrative Schulmodelle zugelassen werden. Es ist der Wunsch vieler Schulen, es ist der Wunsch vieler Gemeinden, solche neuen Konzepte anbieten zu können, die nichts anderes beinhalten, als auch Bildungsstandards auf Realschulniveau anzubieten, sodass es für die Eltern eine attraktive Schulform ist und sie die Gewissheit haben können, dass ihre Kinder in einem Bil dungsgang unterrichtet werden, der bis zum Ende offen ist und auch zu einem Realschulabschluss führt. Ein solcher Wunsch ist da. Deshalb fordere ich Sie auf: Blockieren Sie nicht die Innovationen, die von unten kommen. Hören Sie auf, immer nur Einheitsstrukturmodelle von oben zu verordnen,
(Lachen bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Pe ter Hofelich SPD: Sehr gut! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Vor allem die Basisschule! – Zuruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)
sondern lassen Sie die Innovationen zu. – Ich freue mich über Ihre Freude, weil genau das Ihre Politik ist:
Innovative Modelle von unten werden blockiert, während Sie von oben neue Strukturmodelle überstülpen.
Deshalb bleibe ich dabei: Geben Sie die Blockaden auf. Las sen Sie die Menschen, die hoch engagierten, motivierten Schulleiter und Eltern, die Gemeinden sich in dieser Entwick lung engagieren. Dann werden wir gemeinsam mit den Be troffenen in Baden-Württemberg tatsächlich spitze werden können.
(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Es lebe die Basis schule! – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Wir bedan ken uns auch!)
(Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Jetzt wird wieder zur Sache gesprochen! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Alles wird gut! – Gegenruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Gut erkannt, Frau Kollegin!)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will zu Beginn meines Diskussionsbeitrags noch einmal an das erinnern, was die Herausforderungen in der Schule sind, vor denen wir bei der Entscheidung zur Ein führung der Werkrealschule gestanden haben. Da ist zum ei nen die Entwicklung, dass wir in den nächsten Jahren in vie len Berufsfeldern, in vielen Berufsbildern, im Fachkräftebe reich, aber auch weit darüber hinaus einen großen Bedarf an qualifizierten Jugendlichen haben werden, die in diese Aus bildungsberufe, in diese Berufsbilder hineingehen können.
Ich habe in der Schulgesetzberatung die Studien mit den ent sprechenden Zahlen und Prognosen genannt. Vor diesem Hin tergrund ist es wichtig, dass wir für die Schülerinnen und Schüler, die im Moment in bestimmte Berufsbilder nicht hin einkommen, die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sie die se Chancen doch ergreifen können. Wir werden also unsere pädagogische Arbeit in allen Schularten weiter verbessern, auch durch die Weiterentwicklung der Hauptschule zur Werk realschule.
Wir haben darüber hinaus eine Schülerzahlenentwicklung, die man so laufen lassen kann. Dann geschieht das, was in den letzten zwei, drei Jahren in dieser Legislaturperiode schon ge schehen ist: Zu Beginn dieser Legislaturperiode hatten wir 1 200 Hauptschulen; im Schuljahr 2009/2010 waren es noch 1 150.
Dies haben wir zum Anlass genommen, ein attraktives Ange bot für die Kommunen zu machen als Antwort auf die inhalt lichen Anforderungen in dieser Schulart und mit neuer päda gogischer Konzeption. Gleichzeitig soll über die Vorausset zung der Zweizügigkeit für die Genehmigung eine Möglich keit geschaffen werden, eine Antwort auf die Veränderungen der Schülerzahlen an den jeweiligen Standorten zu geben.
Die Inhalte dieses pädagogischen Konzepts sind bekannt: Als Abschluss steht bei dieser Schulart neben dem Hauptschulab schluss ein mittlerer Bildungsabschluss. Darauf gibt es nicht nur durch Zusatzstunden eine Vorbereitung, sondern die Kon zeption sieht von Klasse 5 an eine individuelle Förderung in Richtung beider Abschlüsse vor; hinzu kommen Wahlpflicht fächer in den Klassen 8 und 9, die die berufliche Orientierung auf Berufsschulen und in die verschiedenen Berufsfelder hi nein vorwegnehmen, und eine Kooperation mit den berufli chen Schulen in der zehnten Klasse. Das alles ist inhaltlich und fachlich gut erarbeitet und hat dazu geführt, dass 500 Schulen dies aufgrund ihres Antrags genehmigt bekommen haben und als Werkrealschulen an den Start gehen.
Wir werden nach dem jetzigen Stand rund 400 verbleibende Hauptschulen haben, die nicht zu Werkrealschulen weiterent wickelt werden.
Die Differenz zu den 1 150 Schulen sind 250 Schulen. Diese sind künftig zum großen Teil Standorte von Werkrealschulen.
Das heißt, dass dieses Konzept gerade dafür Sorge trägt, dass die Schule im Dorf bleibt, anders als Sie es immer wieder zu suggerieren versuchen.
(Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD – Gegenruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Zurückhaltung, Frau Haußmann! – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU zu Abg. Ursula Haußmann SPD: Dann sollten Sie einmal etwas tun, z. B. mit einem Antrag!)
Ihre Argumentation, dass Sie dazu eine Alternative hätten, die mehr bringt, trägt – das wissen Sie auch ganz genau – beilei be nicht dazu bei. Es gibt nirgends in Deutschland die von Ih nen immer wieder in Schulgesetzentwürfen geforderte aus schließliche Zusammenfassung von Gymnasium, Realschule und Hauptschule. Nirgends hat sich das politisch durchgesetzt.
Es ist auch nicht richtig, als Alternative Hauptschule mit Re alschule anzubieten und die Übergangszahlen von der Haupt schule auf die Realschule zu übertragen. Denn – das ist Ihnen auch völlig klar, Frau Kollegin Rastätter – die große Frage ist, wie viele derjenigen Schülerinnen und Schüler, gerade im ländlichen Raum, die bisher mit einer Gymnasialempfehlung auf die Realschule gehen, auch zukünftig noch diesen Weg gehen.
Das heißt nicht, dass wir dadurch Chancen verbaut hätten. Wenn wir all die Landkreise im ländlichen Raum anschauen, stellen wir fest, dass dort die Übergangszahlen auf die Gym nasien nicht die höchsten sind.
Am höchsten sind dort aber die Zahlen derjenigen, die eine Hochschulzugangsberechtigung über die unterschiedlichen, differenzierten Wege schaffen. Ich habe hier schon mehrfach das Beispiel des Hohenlohekreises angesprochen, der die niedrigste Übergangsquote aufs Gymnasium aufweist, aber die höchste Quote an Hochschulzugangsberechtigten.
Diese Bildungswege werden Sie dadurch alle so nicht mehr haben, sondern Sie werden dadurch Übergangsquoten auf die Gymnasien in ganz anderer Größenordnung erfahren.
Dann kommen Sie mit dem Argument der sozialen Ungerech tigkeit und geben eine ganz einfache Antwort, indem Sie sa gen, die Einheitsschule helfe, diese Ungerechtigkeit zu über winden. Wenn das so einfach wäre, frage ich, warum es noch niemand versucht hat.
(Abg. Ursula Haußmann SPD: Das sagen doch alle Ex perten! – Zuruf des Abg. Franz Untersteller GRÜNE)
Gehen wir doch in die inhaltliche Diskussion darüber, was in diesem Bereich helfen kann. Gerade heute steht ein langes In terview mit Jürgen Baumert in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in dem er auf diese Frage eingeht.
In diesem Interview wird Herr Baumert auf die sozialen Pro bleme angesprochen. Als einen Punkt, an dem etwas gesche hen muss, führt er z. B. die Ausgangssituation für die fachli che Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer an den unter schiedlichen Schularten an.
Konzedieren Sie jetzt doch einfach, dass wir gerade an die sem Punkt etwas tun, indem wir nämlich die Lehrerausbil dung im Bereich von Haupt- und Realschulen zusammenfüh ren, indem wir die Grundschullehrerausbildung verändern und indem wir für beide Lehrerausbildungen nun acht Semester, also eine deutlich längere Studienzeit, vorsehen.