Protokoll der Sitzung vom 15.04.2010

Punkt 3 der Tagesordnung ist damit erledigt.

Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des In nenministeriums – Integration braucht Vorbilder – syste matische Öffnung des öffentlichen Dienstes für Migran tinnen und Migranten – Drucksache 14/3968

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Be gründung fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion, wobei gestaffelte Redezeiten gelten.

Das Wort zur Begründung des Antrags erteile ich Frau Abg. Rastätter.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Was?)

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Wir haben diesen Antrag zur besse ren Versorgung aller Ämter und Behörden des Landes mit Menschen mit Migrationshintergrund eingebracht, weil wir, wie auch Sie wissen, in diesem Bereich einen riesigen Hand lungsbedarf haben. Die Bevölkerung Baden-Württembergs weist im Vergleich zu der anderer Flächenländer den höchs ten Anteil von Migranten auf. Er beträgt hier im Land rund 25 %. Sie wissen auch, dass wir bei den jungen Menschen, bei den Jugendlichen bis 18 Jahren, sogar einen Migranten anteil von 33 % haben. Das ist für unser Bundesland als Ein wanderungsland

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Das ist doch positiv!)

genau, Herr Kollege – sehr positiv. Somit haben wir eine Bereicherung durch Menschen aus vielen Herkunftsstaaten, einen Reichtum an Sprachen, an interkultureller Kompetenz. Wir haben allerdings das Problem, dass Menschen mit Mig rationshintergrund bei uns in vielen Bereichen unterrepräsen tiert sind.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Ich möchte hier an erster Stelle die Schule nennen. In diesem Bereich haben wir das riesige Problem, dass zwar, wie gesagt, 33 % der Schülerinnen und Schüler einen Migrationshinter grund haben, aber der Migrantenanteil bei den Lehrkräften bei unter 1 % liegt, und zwar an allen Schularten. Wir Grünen set zen uns schon seit langer Zeit dafür ein, die Quote an Migran ten in den Lehrerzimmern deutlich zu erhöhen. Solche Lehr kräfte sind eine Bereicherung für die Schule, sie sind Vorbil der für unsere Schüler und Schülerinnen.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Sie reden den Lehrer beruf schlecht!)

Wir können auch die Bildungschancen von jungen Menschen in unserem Land nachhaltig verbessern, wenn wir diese jun ge Menschen in unser Bundesland bringen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Zweitens: Das, was ich gesagt habe, betrifft aber natürlich auch Bereiche wie z. B. die Polizei, die Justiz, es betrifft die Ämter und Behörden in unserem Land. Überall dort hat das Land die Aufgabe, die Quote an Beschäftigten mit Migrati onshintergrund deutlich zu erhöhen. Wir brauchen hierzu ei nen ganz besonderen Ausbauplan. Wir fordern Sie auf, end lich die Anträge, die wir zu diesem Thema eingebracht haben, vor allem auch den jetzt vorliegenden Antrag, den unsere Fraktion gestellt hat, umzusetzen. Wir werden ihn nachher zur Abstimmung stellen. Dazu werden wir aber in der zweiten Runde noch sprechen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Pauli.

Sehr geehrter Herr Prä sident, liebe Frau Kollegin Rastätter, meine sehr geehrten Da men und Herren! Das Thema, das die Grünen-Fraktion mit

dem vorliegenden Antrag in die Debatte bringt, ist sicherlich sehr wichtig. Es muss uns beschäftigen, und wir müssen uns darauf konzentrieren, dass überall in unserer Gesellschaft Kraftanstrengungen unternommen werden, um die Ziele, die die Frau Kollegin dargestellt hat, zu erreichen.

Als ich allerdings den Antrag der Grünen einschließlich des sen Begründung gelesen habe, wonach nur mit den Weichen stellungen, die Sie vorschlagen, eine Erhöhung des Migran tenanteils im öffentlichen Dienst gelingen würde, ist mir ein gefallen, dass wir in vielen Bereichen der öffentlichen Ver waltung und insbesondere der kommunalen Selbstverwaltung, die in unserer Verfassung verankert ist, schon Entsprechendes haben. Man bekommt auch stets etwas Bauchgrimmen, wenn immer von Entbürokratisierung geredet wird, aber aus Ihrem Antrag im Grunde genommen dann auch herausquillt, dass man mehr Bürokratie vorschreiben möchte. Ich glaube, dass die Verantwortlichen vor Ort, insbesondere in unseren kom munalen Ämtern, durchaus die Notwendigkeit und die Wich tigkeit von interkultureller Kompetenz erkannt haben.

In den letzten Tagen habe ich beim Personalamt meines Land ratsamts noch einmal nachgefragt, wie es dort mit dem Mig rantenanteil aussieht. Wir liegen ganz gut im Schnitt. Wir ha ben vor einigen Jahren auch damit begonnen – das ist das, was Sie auch vorgeschlagen haben: Vorbilder nach außen zu zei gen –, dass wir bei unseren Einbürgerungsfeiern auch Persön lichkeiten mit Migrationshintergrund zur Sprache kommen lassen, die auch anderen als Vorbilder dienen können. Das tun wir auch. Vor zwei Jahren hatten wir einen Schulleiter mit griechischem Hintergrund, im letzten Jahr eine Praktikantin aus meinem Haus, die brasilianischer Herkunft ist, und in die sem Jahr wird es eine Auszubildende aus meinem Haus mit türkischem Hintergrund sein.

Wir haben also diese Vorbilder, und ich glaube, dass man die Chancen, die die interkulturelle Kompetenz bietet, durchaus im ganzen Land verantwortungsbewusst und wachsam auf greift und kreativ einbaut. Aber bitte, Frau Kollegin Rastätter, sehen Sie davon ab, mir das vorschreiben zu wollen oder Quo ten einzufordern, Rezepturen verordnen zu wollen, die uns nicht weiterbringen.

Ich denke, es ist wichtig, dass wir alle geschlossen sensibili sieren und für mehr interkulturelle Kompetenz werben. Die Polizei bei uns im Land hat auch bereits vorbildliche Projek te eingeleitet. Auch in diesem Bereich haben wir gute Erfah rungen gemacht.

Der Kabinettsausschuss Integration wird in wenigen Wochen erste Vorschläge unterbreiten. Wir warten das ab. Daher wer den wir heute Ihre Begehren ablehnen.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Sa kellariou.

Herr Präsident, meine Da men und Herren! Es ist schon viel Richtiges gesagt worden.

Der Antrag ist wichtig. Die Gesellschaft, die von der Zuwan derung profitiert, muss als Aufnahmegesellschaft die Weichen entsprechend ausrichten. Eine dieser Weichen ist eben die In tegration auch durch Vorbilder in der Gesellschaft und im öf fentlichen Dienst. Darum geht es schwerpunktmäßig.

Es ist schön, dass der Antrag der Grünen wieder einmal die Gelegenheit bietet, an Frieder Birzele zu erinnern, der es in revolutionärer Weise fertiggebracht hat, in Baden-Württem berg durchzusetzen, dass Nichtdeutsche als Polizisten Dienst tun können.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Sehr gut! – Abg. Dr. Diet rich Birk CDU: Große Koalition!)

In der Großen Koalition; sehr richtig, sehr gut. – Es ist wun derbar, dass wir heute nach Jahren feststellen können, dass die in der Stellungnahme zu dem Antrag genannten 137 Nicht deutschen im Polizeidienst dazu beigetragen haben, dass sich die Aufklärungsarbeit, die Konfliktlösungen und die Zeugen bereitschaft verbessert haben. Das heißt, allein dieser Schritt in diesem einzelnen Bereich, in dem wir das bislang durchge setzt haben, führt zu mehr Opferschutz. Es war eine gute, klu ge Entscheidung, und sie geht in die richtige Richtung. In dem vorliegenden Antrag geht es nun darum, das auf weitere Be reiche auszuweiten.

Herr Pauli, Sie haben gesagt – das ist löblich –, dass Sie bei Einbürgerungsfeiern dafür sorgen, dass die Migranten auch Vorbilder erhalten und diese zu diesem Anlass auch präsen tiert bekommen. Aber genau darum geht es nicht. Viel wich tiger wäre es, dass die Migranten in ihrem Alltag Menschen begegnen, die es als Migranten in Behörden, als Lehrer, als Beschäftigte im Landratsamt zu etwas gebracht haben, und in dieser Interaktion feststellen: Wir sind gleichberechtigte Teil haber in dieser Gesellschaft.

Wir beobachten leider bundesweit – mir liegen jetzt keine Zahlen für Baden-Württemberg vor –, dass der Anteil von Mi granten im öffentlichen Dienst zurückgeht. Im Jahr 2001 be trug er nach einer Studie 2,2 %, und im Jahr 2005 waren es 1,7 %. Die Entwicklung geht also in die falsche Richtung. Der Anteil dort sinkt, während ihr Anteil in den übrigen Bereichen steigt.

(Abg. Günther-Martin Pauli CDU: Das stimmt so nicht!)

Andere Länder sind da besser aufgestellt. Deswegen sind wir der Meinung, dass der Antrag der Grünen – jedenfalls in gro ßen Teilen – unterstützt werden muss.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Ich bin froh, dass Sie keine Quote gefordert haben. Hätten Sie in Ihrem Antrag eine Quote gefordert, hätten wir dem nicht zustimmen können. Eine Quote hielte ich auch für falsch.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Wir wollen den An teil erhöhen! Keine Quote!)

Obwohl Herr Pauli es anders dargestellt hat, ist eine Quote auch nicht gefordert worden.

Die Ziffern 1 bis 3 von Abschnitt II, in denen u. a. begehrt wird, Kampagnen zu entwickeln, um gerade solche Vorbilder, wie ich sie eben beschrieben habe, zu implementieren und den jungen Menschen dadurch Mut zu machen, sich zu bewerben, anstatt sie zu entmutigen, unterstützen wir. Wir halten es auch für richtig, solche Vorbilder in Schulen einzusetzen, und wir halten es für richtig, Kampagnen durchzuführen.

Ziffer 4 von Abschnitt II werden wir uns allerdings nicht an schließen. Darin fordern die Grünen, „Interkulturalität als Qualitätskriterium“ einzusetzen und sie als eine zusätzliche Einstellungsvoraussetzung einzuführen. Da muss ich sagen, bei aller Liebe: Diese interkulturelle Kompetenz zu erwerben bedeutet, von Geburt an in einer Familie außerhalb des gast gebenden Landes groß geworden zu sein. Eine solche Kom petenz kann nur jemand erwerben, der selbst in einer solchen Situation aufgewachsen ist. Ich möchte aber niemanden des halb benachteiligen, weil er nicht in dieser Lebenssituation groß geworden ist. Vielmehr möchte ich, dass die interkultu relle Kompetenz kein eigenes Kriterium wird, sondern dass sie im Rahmen der Gesamtbewertung einer Bewerbung ein fließt. Es darf nicht so sein, dass dies ein anderes Kriterium quasi „herausschießen“ kann.

Deswegen werden wir den Antrag der Grünen in den Ziffern 1 bis 3 von Abschnitt II unterstützen, während wir der Ziffer 4 nicht zustimmen können. Ich bitte daher um Einzelabstim mung.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erhält Herr Abg. Kluck.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich teile die Auffassung des Kollegen Sakellariou zu Ziffer 4 von Abschnitt II, dass dieses Begehren unan gebracht ist. Wenn ich einen Chemiker brauche, kann die in terkulturelle Kompetenz nicht ein anderes Voraussetzungs merkmal ersetzen.

Die anderen drei Begehren dieses Beschlussteils, denen die SPD zustimmen will, sind unserer Auffassung nach in unse rem Land längst verwirklicht.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Dann könnt ihr ja zustim men!)

Diese Forderungen sind überflüssig. Deswegen werden wir den Antrag der Grünen in allen Punkten ablehnen.