Protokoll der Sitzung vom 09.06.2010

Im Übrigen finde ich es schon ungewöhnlich, wenn Sie im Entschließungsantrag etwas fordern, was noch nie Aufgabe des Gesetzgebers war, nämlich Vergütungsstrukturen für be stimmte Berufsbilder festzulegen.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Unmögliche Leistungen!)

Das ist schlicht und einfach nicht möglich, und das wollen wir auch nicht. Wir hoffen vielmehr, dass dann, wenn diese wei tergebildeten Fachkräfte zur Verfügung stehen, ganz selbst verständlich seitens der Träger Arbeitseinsatzmöglichkeiten geschaffen werden und dass dann hoffentlich auch die Finan zierung entsprechend verbessert wird. Denn das ist tatsäch lich eine Frage für die jungen Menschen: Wie kann ich mit ei nem solchen Beruf überhaupt eine Familie gründen? Lassen Sie uns deswegen alles dafür tun, um den Zugang zu erleich tern und die Attraktivität zu steigern.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Deshalb schröpft die FDP die Familien mit ihrem Sparpaket!)

Lassen Sie mich zum Schluss Folgendes sagen: Ein Stück weit heißt Attraktivität auch öffentliche Wertschätzung. Ich möch te schließen mit meinem Ausdruck höchster Wertschätzung für alle Menschen, die in Pflegeberufen arbeiten, ob ehren amtlich, bürgerschaftlich engagiert oder als verantwortliche Pflegefachkräfte in den Einrichtungen. Ihnen allen herzlichen Dank!

Wir werden mit diesem Gesetzentwurf weitere Möglichkei ten für Menschen schaffen können, in diesen Pflegeberufen zu arbeiten.

(Beifall bei der FDP/DVP – Glocke der Präsidentin)

Herr Abgeordne ter, gestatten Sie noch eine Nachfrage der Frau Abg. Altpeter? Ich bitte Sie aber, Ihre Redezeit zu beachten; Sie haben Ihre Redezeit bereits erheblich überschritten.

Ob ich das einhalten kann, kommt auf die Frage an.

Frau Abg. Altpeter, würden Sie sich bitte kurzfassen.

Herr Kollege Dr. Noll, ich möch te Sie fragen, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass bereits heute eine ausgebildete Pflegefachkraft Tätigkeiten ausüben kann, die in ärztlicher Delegation erfolgen. Das ist beispielsweise bei jeder Spritze der Fall, die sie verabreicht, bei einem Verbandwechsel und bei vielem mehr.

Das ist mir bekannt.

Des Weiteren möchte ich Sie fra gen: Wo liegt der Unterschied, wenn man später, nach einem sogenannten Studium, auch nur Tätigkeiten gemäß ärztlicher Delegation übernehmen kann, zur Situation, wie sie schon heute besteht? Heute wird in einem dreijährigen Ausbildungs gang zur Pflegefachkraft ausgebildet.

Genau darum soll ja in Mo dellen erprobt werden,

(Abg. Stephan Braun SPD: Das heißt, ihr wisst es nicht?)

an welchen Stellen man über schon heute mögliche delegier bare Tätigkeiten hinaus durch Fortbildung, durch erweiterte Kenntnisse noch mehr in Delegation übernehmen kann,

(Abg. Katrin Altpeter SPD: Darf die Kraft dann auch operieren?)

damit sich der Arzt bzw. die Ärztin auf ihre Kernkompetenz beschränken kann und damit auch ein Stück weit entlastet wird. Darum geht es.

Die klare Aussage lautet: Wir wollen nicht etwa eine Dequa lifizierungsstrategie, sondern wir wollen, dass die ärztliche Kompetenz – dafür studieren die Mediziner; übrigens durch laufen sie nicht Bachelor- oder Masterstudiengänge, sondern

nach wie vor die klassische Medizinerausbildung – erhalten bleibt. Die Ärzte tragen letztlich die Verantwortung. Was je doch delegierbar ist, das muss man in der Tat in Modellver suchen eruieren und muss herausfinden, welche Möglichkei ten über das bereits Bestehende hinaus künftig gegeben sein sollen.

Ich glaube auch, dass mehr möglich sein wird, als mancher vielleicht heute noch meint. Dabei bringe ich immer das schö ne Beispiel vom Zahnarzt; da weiß ich, wovon ich rede.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Abgeordne ter, bitte kommen Sie zum Ende.

Vor 30 Jahren hätte eine Zahnarzthelferin nie eine Zahnreinigung machen dürfen. Heu te ist das ganz selbstverständlich, weil die Zahnärzte das nicht als Konkurrenz,

(Vereinzelt Heiterkeit)

sondern als Bereicherung ihrer beruflichen Tätigkeit sehen. Ähnliches prognostiziere ich auch für den ärztlichen Bereich.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Hagen Kluck FDP/ DVP: Jawohl!)

Das Wort erteile ich Frau Ministerin Dr. Stolz.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Eigentlich könnte dies ein guter Tag für die Pfle ge werden. Ich freue mich über so viel grundsätzliche Über einstimmung und würde mich natürlich noch mehr freuen, wenn sich diese grundsätzliche Übereinstimmung auch in ei ner übergreifenden Zustimmung zum Gesetzentwurf äußern würde.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Machen wir!)

Ich denke aber, es ist so oder so ein guter Tag für die Pflege. Denn wir können mit dem Gesetzentwurf hier vieles errei chen.

Dabei geht es im Wesentlichen um dreierlei: Zum Ersten schaffen wir wichtige Voraussetzungen dafür, dass wir die er forderlichen zusätzlichen ca. 90 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege gewinnen bzw. ausbilden können, die wir in den nächsten Jahren aufgrund der demografischen Entwicklung brauchen werden. Zum Zweiten sprechen wir nicht nur über die Weiterentwicklung der Berufe in der Pfle ge, sondern wir gestalten diese Weiterentwicklung auch aktiv mit. Zum Dritten machen wir die Berufe in der Pflege attrak tiv, indem wir die Durchlässigkeit bis hin zur Hochschule aus bauen und gleichzeitig auch für junge Leute ohne Hauptschul abschluss neue Chancen schaffen.

(Beifall des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Richtig!)

Das sind große Chancen und Möglichkeiten, die auch zu ei ner Steigerung der Attraktivität in diesen Berufen führen.

Baden-Württemberg ist mit diesem Gesetzentwurf das erste Bundesland, das in einem Gesamtkonzept die Konsequenzen aus der demografischen Entwicklung und aus der Diskussion über die Weiterentwicklung der Pflegeberufe zieht. Ich sage ganz bewusst: Es ist ein Gesamtkonzept. Es geht dabei dar um, die Kompetenzen, die wir als Landesgesetzgeber haben, wirklich auszuschöpfen.

Die vorliegenden Anträge aber, die sicherlich gut gemeint sind – ich meine das gar nicht negativ –, gehen schlichtweg über die Kompetenzen des Landes hinaus. Man kann darüber re den. Ich verschließe mich dem nicht. Aber hier geht es um ein Landesgesetz, um die Kompetenz, die wir als Land haben. Mit diesem Gesetz schöpfen wir wirklich das aus, was uns als Lan desgesetzgeber möglich ist. Denn weder die Regelung der heilberuflichen Tätigkeit noch Regelungen zur Vergütung lie gen in unserer Kompetenz; dies kann auch nicht in einem Lan desgesetz geregelt werden. Bei diesem Thema muss ich ein fach um Verständnis bitten, wobei ich davon ausgehe, dass diese Diskussion über die Pflegeberufe auch weitergeführt werden muss. Es gibt auch vonseiten der Landesregierung kei ne Scheuklappen, aber eben Begrenzungen in der Kompetenz.

Ich will auf einen Punkt eingehen, der hier angesprochen wur de; das war praktisch der Stein des Anstoßes. Es geht um die Ermächtigungsgrundlage für eine akademische Weiterbildung für Pflegekräfte zur Übernahme von heilberuflichen Tätigkei ten im Rahmen ärztlicher Delegation. Das ist das Thema.

Wir machen mit dem Gesetz und den neuen Möglichkeiten, die wir damit eröffnen, einen ersten Schritt zur Umsetzung der Empfehlungen, die der Sachverständigenrat zur Begutach tung der Entwicklung im Gesundheitswesen in seinem Gut achten aus dem Jahr 2007 formuliert hat. Dort wird eine Neu verteilung der Aufgaben innerhalb des Gesundheitswesens ge fordert. Wir wollen mit genau dieser Ermächtigungsgrundla ge unter dem Arbeitstitel „Arztassistent“ – mir ist es wichtig, noch einmal zu sagen: es ist ein Arbeitstitel – einen ersten Ein stieg in diese notwendige Neuverteilung der Aufgaben versu chen.

Ich gebe Ihnen recht: Anknüpfungspunkt ist für uns in der Tat, dass in den Kliniken schon längst Pflegefachkräfte...

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, die Unterhaltungen außerhalb des Plenarsaals zu führen.

... mit der Weiterbildung für den Operationsdienst auch kleinere Eingriffe am Patienten vor nehmen, allerdings unter voller Verantwortung des Arztes auch hinsichtlich der fachlichen Kompetenz.

(Beifall des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP – Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Das ist das Wichtigste!)

Dieser Graubereich – so wird er auch im Sachverständigen gutachten genannt – ist für alle Beteiligten unbefriedigend: zum einen für den beteiligten Arzt, weil er die fachliche Kom petenz der Pflegekräfte letztlich nur schwer beurteilen kann, zum anderen aber auch für die betroffenen Pflegekräfte, denn sie werden für ihre verantwortungsvolle Tätigkeit nicht ange

messen ausgebildet und erfahren auch nicht die ihnen dann eigentlich zustehende Anerkennung und Honorierung.

Der Arbeitstitel „Arztassistent“ soll nicht suggerieren, dass wir hier einen „kleinen Arzt“ haben wollen. Dafür müssen wir noch einen besseren Begriff finden. Wir wollen vielmehr mit diesem Weiterbildungsmodell zur Sicherheit aller Beteiligten Ordnung in diesen Graubereich bringen.

Ich weiß, dass dieses neue Weiterbildungsmodell bei den Be rufsverbänden auch unter verbandspolitischen Gesichtspunk ten ein ungeliebtes Kind ist. Auf der einen Seite will die Ärz teschaft keine Beschneidung ihres Wirkungskreises, und die Pflegeverbände auf der anderen Seite wären zwar bereit, so etwas anzunehmen, wollen es dann aber als eigenständige Aufgabe. Aber das ist letztlich Bundesrecht. Diese Aufgaben verteilung muss der Bund regeln. Wir können hier nicht ein greifen. Ich gebe jedoch gern zu, dass wir mit solchen Geset zesgrundlagen und Möglichkeiten durchaus auch eine Diskus sion auf Bundesebene fördern und für diese Diskussion auf Bundesebene wertvolle Erfahrungen in der Abgrenzung von Aufgaben liefern können. Aber mehr ist im Moment nicht möglich.

Wir wollen gerade in diesem Bereich nach zwei Jahren eine Zwischenbilanz ziehen und dann eventuell nachjustieren, weil wir hier, denke ich, in einem Prozess des Lernens sind. Ich gehe davon aus, dass wir damit eine ausgewogene Lösung ge funden haben.

Wir haben eine weitere Anhörung für nicht nötig gehalten, weil wir in der Tat die Ergänzungen, die ergänzenden Anre gungen und die Hinweise auf problematische Felder durch die Verbände wirklich sehr intensiv geprüft und auch das einbe zogen haben, was wir für verantwortlich gehalten haben.

Besonders wichtig ist mir, im Pflegegesetz das Thema Alltags betreuer zu regeln. Es ist eine Chance für die zu Pflegenden, dadurch qualitativ helfende Hände zu bekommen. Es ist auch eine Chance für junge Leute, einen Einstieg in einen Beruf zu bekommen, für den sie dann möglicherweise auch geeignet sind.