Protokoll der Sitzung vom 10.06.2010

(Zuruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)

Sie sind jetzt nicht dran –, dass es eine europäische Solida rität für Griechenland gibt – keinen Blankoscheck, aber eine europäische Solidarität –, in der „Bild“-Zeitung als „eiserne Kanzlerin“ feiern lassen, die gesagt hat: Wir geben nichts, wir helfen nicht, es ist die Sache Griechenlands und nicht die uns rige. Für diese Aussage hat sie sich über Tage feiern lassen und die internationalen Spekulanten angeheizt, gegen Grie chenland zu setzen, weil sie Griechenland nach dieser Aussa ge der Kanzlerin isoliert wähnen mussten. Die Absicht – die man nur vermuten kann, weil sie das in der „Bild“-Zeitung nicht gesagt hat – war, dass sie das Thema Griechenland hin ter die NRW-Wahl schieben wollte, weil sie wusste, dass die Hilfsaktion unpopulär ist. Dann haben sich die Ereignisse überschlagen.

(Zuruf von der CDU: Wie war das Abstimmungsver halten der SPD?)

Es gab dann keine andere Alternative mehr, als rasch eine Zu sage zu machen und dann auch rasch den Schirm zu zimmern, um den Fall des Euro zu verhindern. Denn das stand letztlich zum Ziel.

Deshalb erfolgte die Aussage, die Kanzlerin habe sich wegen der Wahl in Nordrhein-Westfalen vor einer rechtzeitigen Ent scheidung gedrückt. Da brauchen Sie keine Opposition auf zumachen, es ginge um einen Blankoscheck oder um ein Aus sitzen. Es wäre aber darum gegangen, sich als größter Staat und als verantwortungsvolle Regierung in Europa nicht von Franzosen und Italienern das Tempo und die Richtung bestim men zu lassen, sondern am Ende selbst Führungsstärke zu zei gen.

(Beifall bei der SPD)

Minister für Bundes-, Europa- und internationale Ange legenheiten Dr. Wolfgang Reinhart: Wissen Sie, Herr Schmiedel, die Wahrheit ist manchmal etwas komplizierter und nicht so schlicht, wie Sie es darstellen.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Ich hatte nur drei Mi nuten, aber das war der Kern! – Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Es kommt der Wahrheit aber näher!)

Diese Mär über Spekulanten ist eben auch zu schlicht. Es gibt schlichtweg Ursachen für die Probleme, die wir derzeit ha ben. Die Ursachen liegen in den öffentlichen Haushalten der betroffenen Südländer; das wissen Sie. Nun ist es eben so, dass in Berlin zu Recht Konditionen aufgestellt wurden – zu diesem Thema lasse ich Ihnen gern meine eigene Rede im Bundesrat zukommen –, dass wir nämlich gesagt haben: Wir wollen zumindest jetzt konditionieren, dass eine solche Situ ation nicht wieder eintreten kann. Das ist übrigens ein gutes Beispiel dafür, dass wir Europa und internationale Regeln brauchen, weil es der Nationalstaat allein nicht regeln kann.

Um welche Konditionen handelt es sich? Die Konditionen sind, dass wir gesagt haben, wir brauchen Restrukturierungs lösungen. Es kann nicht sein, dass es für den Fall, dass Staa ten überschuldet sind, keine Regeln gibt und dass dann in Zu kunft die Gemeinschaft die Folgen trägt. Deshalb lautet unse re Forderung: Wir wollen Insolvenzregeln und vor allem auch mehr Regulierung auf den Finanzmärkten, u. a. auch bei CDS; daher auch die heutige Entscheidung zum Leerverkaufsver bot. Auch das war eine Forderung, die wir aufgestellt haben, weil wir im Grunde genommen sagen: Es kann nicht sein, dass, wenn wir jetzt nicht daraus lernen, dadurch in unregle mentierten Bereichen die gesamte Finanzarchitektur Europas oder weltweit gefährdet wird.

Insoweit hat die Kanzlerin mit Sicherheit von all denen Un terstützung gehabt, die sagen: keine Schnellschüsse und kei ne Blankoschecks, sondern wenn schon, dann klare und har te Bedingungen, übrigens auch zu den Themen Ratingagen turen und Hedgefonds und vielen mehr. Ich kann nur auf die Entschließung verweisen, an der auch Baden-Württemberg im Bundesrat mitgewirkt hat und der das Land letztlich auch zu gestimmt hat. Die Dinge sind also etwas komplizierter, als dass man einfach sagen könnte, es ginge hier um einen Wahl zeitpunkt.

(Beifall des Abg. Thomas Blenke CDU – Abg. Jür gen Walter GRÜNE: Das war ein guter Abschluss!)

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, es ging auch um die Themen Euroschirm, Finanzmarktregulierung und Euro pa-2020-Strategie. Ich spreche das deshalb an, weil ich glau be: Aus all dem wird klar, dass dies, wenn wir heute über Sub sidiarität reden – da haben Kollege Blenke und Kollege Noll völlig recht gehabt –, keine Gegensätze sind. In meinen Au gen bedingt vielmehr das eine das andere.

Sie haben den Tenor als reine Abwehrhaltung dargestellt. Ich kann sagen: Wir brauchen Europa in wichtigen Bereichen, die ich eben genannt habe, auch bei der Frage der Terrorabwehr, bei der Frage des Klimas, um nur einige zu nennen, weil wir nur mit europäischen oder gar weltweiten Regeln weiterkom men. Aber wir brauchen Europa nicht überall und nicht bei je der Kleinigkeit.

(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Da sind wir uns doch einig!)

Deshalb ist es richtig, dass übrigens auch im Lissabon-Ver trag das Subsidiaritätsprinzip seinen Niederschlag gefunden hat.

(Zuruf des Abg. Jürgen Walter GRÜNE)

Es entspricht übrigens auch unserer Überzeugung. Herr Kol lege Walter, die CDU war nicht nur unter Helmut Kohl eine Europapartei,

(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Jetzt ist sie es aber gar nicht mehr!)

sie ist es auch heute,

(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Na, na, na!)

und sie ist eine tragende Führungskraft auch in diesem ge meinsamen Europa.

(Zuruf des Abg. Jürgen Walter GRÜNE)

Nein, nein.

Ich will Ihnen schon sagen: Es ist berechtigt, wenn man sagt – das wurde von den Kollegen auch hier angesprochen –, dass man nicht bei jeder Sache – – Das Beispiel Citymaut war z. B. sehr zutreffend, das Beispiel Bodenschutz ist auch zutreffend. Im Übrigen trifft auch Ihr Einwand beim Verbraucherschutz zu, dass man auch dort Spielraum braucht, übrigens nicht nur in die eine Richtung, sondern auch in die andere Richtung.

Dieses Europa in Vielfalt muss die Handlungsspielräume für den Nationalstaat offenhalten, es muss aber auch das Europa der Regionen und der Kommunen im Auge behalten. Deshalb kann ich nur sagen: Das eine schließt das andere nicht aus. Denn wir haben hier natürlich Beispiele, bei denen es gerade um Subsidiarität geht.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Z. B. bei Schuläpfeln! Warum machen wir denn so einen Quatsch mit? Eu ropäische Schuläpfel! – Weitere Zurufe)

Schauen Sie einmal, wo die Akteure in Brüssel unterwegs waren, dann werden Sie sicherlich auch – übrigens bei Ihren eigenen Parteifreunden, Herr Schmiedel – mit Überzeugungs arbeit beginnen können.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Moment! Das ist eine Regierungsthematik! Subsidiarität! Und wir befassen uns hier mit europäischen Schuläpfeln!)

Ich bin überzeugt davon, dass das noch das geringste Prob lem ist, wenn die Schüler die Äpfel vom Bodensee in gesun der Ernährung genießen. Ich glaube, da müssen wir Europa nicht vertieft problematisieren.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU zu Abg. Claus Schmiedel SPD: Haben Sie etwas gegen baden-würt tembergische Agrarprodukte? – Zuruf des Abg. Jür gen Walter GRÜNE)

Es geht darum: Eine europäische Regelung soll nur erfolgen, soweit einzelne Bereiche auf EU-Ebene besser zu lösen sind. Aber umgekehrt gilt das eben auch.

Herr Kollege Walter, Sie haben gesagt, es müsse mehr geben als den Markt. Auch Kollege Hofelich hat das sinngemäß an gesprochen. Da kann ich Ihnen nur recht geben. Das ist genau die Diskussion, der wir uns irgendwann stellen müssen in der Frage, wie weit wir Europa erweitern wollen. Natürlich darf Europa nicht nur ein Europa der Ökonomen sein, sondern Eu ropa ist mehr: Europa ist eine Herkunft, eine Tradition, Euro pa ist griechischer Geist, römisches Recht, jüdischer Ein-GottGlaube, christliches Abendland, Aufklärung, Dichter und Den ker, Humanismus. Das heißt, Europa ist auch eine Wertege meinschaft.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Da sind wir uns ja einig! – Zuruf des Abg. Peter Hofelich SPD)

Ja. Nur, Herr Kollege Hofelich, das müssen wir auch an wenden, wenn wir fragen: Wie weit wollen wir Europa erwei tern, und wie viele Staaten wollen wir aufnehmen?

(Abg. Peter Hofelich SPD: Darüber hat ja keiner ge redet!)

Ich bin sicher: Europa ist mehr als ein geografischer Begriff. Deshalb müssen wir immer sagen: Diejenigen, bei denen noch übereinstimmende Werte vorhanden sind, können zur europä ischen Familie hinzukommen. Wo aber die Werte nicht geteilt werden, müssen wir uns sehr, sehr gut überlegen, ob wir Eu ropa nicht überdehnen.

(Beifall bei der CDU – Abg. Peter Hofelich SPD: Dieses Thema habe ich gar nicht aufgebracht!)

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, deshalb glaube ich: Wir sollten keine Abwehrkampfdiskussion führen,

(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Sehr gut!)

wie sie heute begonnen wurde

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf)

ja, keine Abwehrkampfdiskussion –, sondern wir müssen diese Themen, Herr Kollege, differenziert angehen. Da bin ich überzeugt davon, dass es darum gehen wird, übrigens jetzt auch bei der Europa-2020-Strategie – – Herr Kollege Walter meinte, ich ließe mich feiern. Jetzt will ich Ihnen einmal ein Beispiel nennen, ein abschließendes Beispiel.

(Zuruf des Abg. Jörg Döpper CDU)

Dann komme ich zum Schluss.

Es geht um das Thema Bildung, das von den Kollegen auch angesprochen wurde.

(Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP: Feiern lassen darf man!)

Ja, Herr Kollege Noll, Sie wissen, da sind wir belastbar.

Das Beispiel Bildung ist ein sehr gutes Beispiel, weil es die ses Plenum, diese Abgeordneten, diesen Landtag betrifft, was die Kompetenz und die verfassungsmäßige Zuständigkeit an geht. Deshalb war ich bei diesem Thema sehr leidenschaft lich. Das ist wahr. Ich habe den Bundesrat und die Europa kammer zum ersten Mal seit zehn Jahren überhaupt einen ent sprechenden Beschluss fassen lassen. Das war vor dem Tref fen des Rates im März in Berlin. Übrigens habe ich bei einer EMK in Brüssel den neuen Ratspräsidenten Van Rompuy ein geladen.

Diese Beschlüsse waren uns wichtig, weil wir bei den fünf neuen Kernbereichen der Ziele vielem zustimmen und in vie lem übereinstimmen. Die Forderung in der Europa-2020-Stra tegie, 3 % des Bruttoinlandsprodukts der EU in Forschung und Entwicklung zu investieren, ist in Ordnung. Die Forde rung nach einer Beschäftigungsquote bei den 20- bis 64-Jäh rigen in Höhe von 75 % teilen wir. Das alles tragen wir mit. Aber auch die Klimaschutzziele 20-20-20 der EU– das heißt, 20 % regenerative Energien, 20 % mehr Effizienz, 20 % we niger CO2-Ausstoß – halten wir für wichtig für Europa und tragen wir mit.

Aber wir haben gesagt: Bei der Bildung können wir als Ziel keine quantitativen Vorgaben geben.