Protokoll der Sitzung vom 29.07.2010

Baden-Württemberg ist das zweite Bundesland überhaupt, das eine verbindliche Sprachstandsdiagnose eingeführt hat.

Damit Sie jetzt nicht wieder denken, ich würde ein Loblied auf unsere eigene Arbeit singen – was sicherlich auch nicht verkehrt wäre, was ich an dieser Stelle aber nicht tue –, zitie re ich nur die von mir sehr geschätzte Frau Kollegin Lösch, die genau dies in einer Plenarrede am 18. Juni des vergange nen Jahres festgestellt hat.

(Beifall der Abg. Dr. Birgit Arnold FDP/DVP – Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Ich dachte, du zitierst Kretschmann!)

Nein, lieber dich.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft!)

Nun ist es so, dass diese Sprachstandserhebung ein Teil der ESU, der Einschulungsuntersuchung, ist – aber eben nur ein Teil. Zweck der ESU ist der Blick auf das Kind, das sowohl unter medizinischen als auch unter pädagogischen Aspekten untersucht werden soll. Wir denken, dass das richtig ist. Denn darauf bauen letztlich die individuelle Förderung und auch die individuelle Sprachförderung auf.

Aber natürlich kann sich aus einer solchen Einschulungsun tersuchung auch ein ganz anderer Förderbedarf herauskristal lisieren – Stichworte Feinmotorik, Grobmotorik, Logopädie. Vieles ist da denkbar.

Deswegen halten wir es schon für richtig, diese Einschulungs untersuchung, die Sprachstandsdiagnose zu machen und erst dann mit der Sprachförderung darauf aufzubauen. Kein Arzt würde ein Rezept ausstellen, bevor er nicht die Diagnose ge stellt hat. Ich glaube, das gilt hier analog.

Deswegen ist auch die Entkopplung, wie Sie sie mit Ihren An trägen wollen, einfach falsch. Entsprechendes gilt für den Ver zicht auf ein Testverfahren, wie ihn die Fraktion GRÜNE be antragt hat.

Das heißt aber nicht, dass nicht in den Fällen, in denen orga nisatorische Schwierigkeiten vorhanden waren, die Einschu lungsuntersuchung durchzuführen, andere Wege gegangen werden müssen. Ich darf daran erinnern, dass diese Untersu chung im Jahr 2009 für Kinder aus zwei Jahrgängen anstand. Wenn man sich vor Augen führt, dass ein Jahrgang in BadenWürttemberg etwa 92 000 Kinder umfasst, weiß man, welche Aufgabe dabei auf die Gesundheitsämter zugekommen ist. Daneben gab es natürlich auch noch ein paar Spezialfälle, bei denen man vom Verfahren abgewichen ist. Dass das dann auch nicht so leicht zu bewältigen ist, leuchtet ein.

Dies darf natürlich am Ende nicht auf dem Rücken von Kin dern ausgetragen werden. Deswegen – Herr Kollege Mentrup, Sie haben es schon gesagt – wird in den Fällen, in denen ein Sprachförderbedarf auch so deutlich erkennbar wird, wenn die Kindertageseinrichtung die Notwendigkeit sieht und wenn das Gesundheitsamt bestätigt, dass eine Einschulungsunter suchung nicht rechtzeitig möglich ist, schon heute die Sprach förderung für die betroffenen Kinder ermöglicht. Das ist auch richtig.

Ich will aber schon noch einmal eines deutlich machen. Herr Kollege Mentrup, Sie haben unseren früheren Ministerpräsi denten Günther Oettinger zitiert, der gesagt hat, dass für alle Kinder in der Kindertagesstätte Sprachförderung zur Verfü gung gestellt werden soll. Das ist auch der Fall. Sie müssen nur einräumen, dass es verschiedene Wege und Möglichkei ten der Sprachförderung gibt. Der Orientierungsplan gilt heu te faktisch in allen Einrichtungen, auch wenn er in Stuttgart vielleicht Einstein-Konzept und anderswo noch ein bisschen anders heißt. Aber letztlich erfüllen alle diese Einrichtungen den Orientierungsplan. Teil des Orientierungsplans ist natür lich das Handlungsfeld Sprache. Da wird Sprachförderung be trieben. Es ist ja nun auch nicht so, dass jedes Kind einen glei chermaßen hohen Sprachförderbedarf hat.

Deswegen glauben wir schon: Die Zusage der Sprachförde rung für jedes Kind in dem Rahmen, wie es das Kind braucht, ist eingelöst. Man muss fairerweise auch diese Differenzie rung entsprechend den Bedürfnissen der Kinder vornehmen können und natürlich auch im Hinblick auf das, was die Sprachstandsdiagnose jeweils ergibt. Ich glaube, da haben wir als CDU und da hat auch die Landesregierung durchaus Wort gehalten. Aber auch Gutes kann man selbstverständlich im mer noch besser machen.

Die Gründe, warum wir Ihre Anträge ablehnen, habe ich schon genannt. Die Verknüpfung der individuellen Sprachförderung, der besonderen Sprachförderung mit der Einschulungsunter suchung halten wir nach wie vor für notwendig. Ich persön lich – das habe ich auch schon in der Vergangenheit gesagt – wäre dem Anliegen durchaus aufgeschlossen, in der Sprach

förderung vielleicht noch einen Schritt über den SETK 3-5 hi nauszugehen. Aber das Problem kennen Sie alle: Wir haben keine anderen standardisierten Verfahren. Dass es richtig ist, auf standardisierte Verfahren zurückzugreifen, sollte wohl au ßer Frage stehen.

Weil wir diesen beiden Kernforderungen nicht folgen können, aber trotzdem einen Weiterentwicklungsbedarf sehen, haben wir einen Änderungsantrag vorgelegt. Uns geht es darum, die Sprachförderung weiter zu verstetigen, aber auch zu schauen, wo es vielleicht noch nicht ganz so läuft, wie wir es uns vor stellen. Wir wollen also die Sprachförderung evaluieren und sie anhand der Ergebnisse weiterentwickeln. Wir wollen auch das Antragsverfahren zur Sprachförderung weiter optimiert sehen, und wir wollen zudem die Rückkopplung in die Arbeit der Erzieherinnen. Wir wollen also Qualitätskriterien entwi ckeln, die für die Erzieherinnen via Fortbildungsmaßnahmen hilfreich sein können, um die Sprachförderung weiter zu ver bessern.

Wir versuchen, ganzheitlich zu denken. Da ist es, glaube ich, wichtig, nicht nur den Blick auf die Kindertagesstätte zu rich ten, sondern auch auf den daran anschließenden Grundschul bereich. Deshalb wollen wir mit unserem Änderungsantrag auch auf den Weg bringen, künftig bedarfsgerechte Sprach förderangebote über den Kindergarten hinaus auch in der Grundschule anbieten zu können.

Ich bitte um Verständnis, dass wir Ihre Anträge ablehnen wer den. Wir freuen uns aber natürlich, wenn Sie unserem Ände rungsantrag zustimmen können.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Dr. Arnold für die Fraktion der FDP/DVP.

Verehrte Frau Präsiden tin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Da men und Herren! Sprache ist die zentrale Schlüsselkompe tenz, die jedes Kind haben muss, wenn es eingeschult werden soll. Wir alle wissen, dass wir hier noch einiges zu verbessern haben. Noch ist es nicht so weit, dass alle Kinder, die in Ba den-Württemberg eingeschult werden, ausreichend Deutsch sprechen. Aber, Herr Mentrup, wir sind nicht nur ein kleines Schrittchen vorangekommen, sondern aus unserer Sicht ist die Landesregierung einen großen Schritt nach vorn gegangen im Bemühen, diesen Zustand deutlich zu verbessern.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Wir sind sehr froh darüber, dass die Landesregierung jetzt die Sprachförderung in Baden-Württemberg als einem der ersten Bundesländer überhaupt flächendeckend übernommen hat, und zwar sowohl in der Organisation als auch in der Finan zierung.

Herr Mentrup, Sie haben es schon angesprochen: Wir müssen hier wirklich zwei Dinge auseinanderhalten: auf der einen Sei te den Orientierungsplan, der in dem alltäglichen Arbeiten die Sprache als wichtiges Handlungsfeld enthält, und auf der an deren Seite die ganz gezielte Sprachförderung von Kindern,

bei denen ein darüber hinausgehender Förderbedarf festge stellt wird.

Ich darf an dieser Stelle noch einmal betonen, dass wir auch deshalb an der Verbindlichkeit des Orientierungsplans fest halten wollen, damit dieses Handlungsfeld Sprachförderung tagtäglich in der Arbeit im Kindergarten so intensiv umgesetzt werden kann, wie wir es uns wünschen.

Die Richtlinie des Kultusministeriums zur Umsetzung der Sprachförderung vom Mai dieses Jahres wurde bereits ange sprochen. Auch wir sind sehr froh, dass unser Wunsch reali siert werden konnte, dass eine Sprachförderung nicht erst ab fünf Kindern einsetzen kann, sondern dass die Gruppen hier deutlich kleiner sein können. Das ist gerade für den ländlichen Raum sehr wichtig.

Wir freuen uns auch sehr darüber, dass die Elternarbeit in die sen Förderrichtlinien berücksichtigt wird. Denn dort, wo zu sammen mit der Sprachförderung eine konsequente Elternar beit gemacht wird, gibt es unter dem Strich mehr Geld.

Es ist aus unserer Sicht gut, dass diese Förderrichtlinien in ih rer Geltungsdauer zunächst einmal auf ein Jahr begrenzt sind. Denn wir wünschen uns sehr, dass wir das umsetzen, womit wir angetreten sind. Wir haben gesagt, dass im Kindergarten mindestens anderthalb Jahre lang diese Arbeit der Sprachför derung geleistet werden sollte. Deswegen sind wir froh, dass diese Richtlinie zunächst einmal nur ein Jahr lang gilt und wir bei Bedarf korrigieren können.

Wir halten daran fest, dass das Testverfahren, das Sie von der Einschulungsuntersuchung abkoppeln wollen, im Rahmen der Einschulungsuntersuchung erhalten bleibt. Denn die Evaluie rung des Projekts „Schulreifes Kind“ hat gezeigt, dass der Er zieherfragebogen, der Elternfragebogen und die Früherken nungshefte allein nicht ausreichen, um eine treffsichere Dia gnose stellen zu können. Das Gesundheitsamt nimmt auch sol che Aspekte in den Blick, die man durch eine reine Beobach tung gar nicht erkennen kann, nämlich entwicklungsneurolo gische Aspekte, die hier berücksichtigt werden müssen. Des halb ist für uns ganz wichtig, dass dieses Testverfahren in der Einschulungsuntersuchung erhalten bleibt, dass dies nicht voneinander getrennt wird.

Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal ausdrücklich Herrn Dr. Goll, unserem Integrationsbeauftragten, Dank sa gen, der mit dafür Sorge getragen hat, dass die frühe Einschu lungsuntersuchung umgesetzt und praktiziert werden kann.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Der ist für das Chaos verantwortlich!)

Frau Krueger hat unseren gemeinsamen Änderungsantrag be reits erläutert. Sie hat die Punkte genannt, bei denen wir noch Handlungsbedarf sehen. Ich möchte Sie von meiner Seite aus ebenfalls darum bitten, diesem Änderungsantrag zuzustim men, damit wir die Sprachförderung so umsetzen können, wie wir uns das wünschen.

Wir begrüßen – wenn ich das abschließend noch sagen darf – auch die Bereitschaft des Sozialministeriums, den Elternfra gebogen noch einmal zu evaluieren und näher anzuschauen. Wir begrüßen zudem die Bereitschaft, dass dieses Sprachdia

gnoseverfahren, das wir im Moment haben, das SETK 3-5, ein Stück weit überprüft werden soll. Denn wir wissen, dass es für Migrantenkinder nur partiell geeignet ist. Aber gerade um Migrantenkinder geht es uns vorrangig. Dieses Verfahren muss wohl ergänzt werden, damit wir wirklich zielsichere Di agnosen stellen können.

Alles in allem sind wir also sehr froh, dass wir so weit sind, wie wir sind. Aber wir haben durchaus noch Handlungsbe darf, der sich in dem Änderungsantrag widerspiegelt. Wir bit ten um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Machen wir!)

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Staatssekretär Wacker für die Landesregierung.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Jetzt ist es bald aus, es sei denn, der Wacker redet wieder so lange! – Ge genruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Der Wacker spricht immer kurz! – Gegenruf des Ministers Ernst Pfister: Kurz und wacker! – Vereinzelt Heiterkeit)

Sehr geehrte Frau Präsiden tin, meine Damen und Herren! Ich glaube, beim Thema der individuellen Sprachförderung sind wir uns weitgehend einig. Das haben die bisherigen Debattenbeiträge gezeigt. Wir sind uns auch darüber einig, dass das Erlernen der deutschen Spra che eine der entscheidenden Grundvoraussetzungen für eine gelingende Bildungsbiografie ist und dass die Sprachförde rung selbstverständlich einen integrierten Bestandteil der tag täglichen Arbeit in den Kindergärten darstellt. Ich muss nicht noch einmal betonen, dass die integrierte Sprachförderung ei nen ganz besonderen Stellenwert im Orientierungsplan hat. Immerhin hat die Sprachförderung in einem der sechs Bil dungs- und Entwicklungsfelder einen besonderen Stellenwert.

Allerdings kann ich mir in diesem Zusammenhang nicht die Bemerkung verkneifen, dass viele Maßnahmen auf dem Ge biet der frühkindlichen Bildung Geld kosten. Das ist über haupt keine Frage.

Es gibt aber auch Maßnahmen in der tagtäglichen Arbeit, die keine zusätzlichen Mittel erfordern. Außerdem ist es selbst verständlich, dass die Erzieherinnen und Erzieher tagtäglich mit den Kindern sprechen und singen. Deshalb muss man in diesem Zusammenhang nicht unbedingt an die Erhöhung ei nes Personalschlüssels denken; denn es ist die tagtägliche Pra xis unserer Fachkräfte, mit den Kindern sehr früh in einen sprachlichen Dialog zu treten, ihnen zuzuhören, ihnen vorzu lesen, ihnen vorzusingen und mit ihnen zu sprechen. Das ist meines Erachtens der wichtigste Bestandteil der Sprachförde rung.

Das integrative Element ist also das eine. Es ist überhaupt kein Widerspruch zu diesem integrativen Ansatz, dass eine zusätz liche Sprachförderung, die wir jetzt flächendeckend in BadenWürttemberg anbieten, ein besonderes Instrument der indivi duellen Förderung darstellt. Insofern betrachten wir die indi viduelle Förderung als sinnvolle ergänzende Maßnahme, als ergänzende Maßnahme zur tagtäglichen Arbeit mit den Kin

dern, die die Fachkräfte in unseren Bildungseinrichtungen leisten.

Die wissenschaftliche Begleitung von „Sag’ mal was“, hat zum Ausdruck gebracht, dass bis zu 30 % der Kinder eines Jahrgangs einen Sprachförderbedarf haben. Dies ist eine Pro gnose. Anhand dieser Prognose haben wir dieses Konzept der Landesstiftung weiterentwickelt. Dabei ist zu beachten, dass Baden-Württemberg das erste Bundesland war, das eine sol che Sprachförderung angeboten hat. Insofern konnten keine Erfahrungswerte aus anderen Bundesländern berücksichtigt werden.

Deswegen war „Sag’ mal was“ deutschlandweit ein Pilotpro jekt mit entsprechendem Vorbildcharakter. Angesichts der Tat sache, dass wir mit „Sag’ mal was“ insgesamt 90 000 Kinder gefördert haben und in dieses Projekt insgesamt 39 Millio nen € investiert haben, muss man feststellen, dass es sich um eine finanzielle Kraftanstrengung handelte.

Nun sind die haushaltspolitischen Voraussetzungen dafür ge schaffen, diese Sprachförderung für alle Kinder als Landes programm anzubieten. Im Jahr 2010 stehen hierfür 3,3 Milli onen € zur Verfügung. Für das Jahr 2011 sind 10 Millionen € etatisiert. Außerdem haben wir wesentliche Weiterentwick lungen vorgenommen. „Sag’ mal was“ war ein Pilotprojekt. Aufgrund dieses Pilotprojekts haben wir Erfahrungen gesam melt, die wir bei der Ausschreibung der neuen Förderperiode berücksichtigt haben. In diesem Zusammenhang erwähne ich das vereinfachte Antragsverfahren. Komplizierte steuerrecht liche Prüfungen sind nicht mehr erforderlich. Diese waren im Vorfeld in der Tat ein Hemmschuh.

Die Förderung von Kleingruppen ist bereits erwähnt worden. Damit haben auch kleinste Einrichtungen die Möglichkeit, entsprechende Anträge einzureichen. Außerdem haben wir ein kompaktes Fördersystem mit etwa vier Wochenstunden, mit dem Kinder individuell gefördert werden können.