Protokoll der Sitzung vom 16.07.2014

(Abg. Walter Heiler SPD: Was jetzt?)

Im Gegenteil: Der pädagogische Wert ist für mich unstrittig. Aber die Eltern müssen es wollen, und es muss vor Ort, mei ne Damen und Herren, immer eine gleichwertige Alternative geben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Das ist entscheidend, um tatsächlich eine echte Wahlmöglich keit zu bieten.

Wenn wir Ihren Gesetzentwurf genau betrachten, stellen wir Folgendes fest: Wenn eine Grundschule eine verbindliche Ganztagsschule sein möchte, dann haben die Eltern nun ein mal keine andere Wahl; ihr Kind muss andernfalls die Schu le wechseln. Dies wird vom Städtetag massiv kritisiert. Er sagt – zu Recht –: An einer solchen Schule muss auch ein anderes Angebot verfügbar sein. An einzügigen, vor allem aber an mehrzügigen Grundschulen muss die Landesregierung neben der verpflichtenden Form auch freiwillige Angebote ermögli chen. Dies jedoch lassen Sie, Herr Minister, nicht zu. Wir for dern: Lassen Sie eine echte Wahlfreiheit für die Eltern zu. An diesem Mangel krankt Ihr Gesetzentwurf.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Es ist klar: Der Unmut bei den Eltern wird mittlerweile spür bar. Dabei ist der Prozess noch gar nicht richtig in Gang ge kommen.

Ich darf aus einem Schreiben einer Elterninitiative in Ravens burg

(Abg. Walter Heiler SPD: CDU-Eltern!)

zitieren, das dem dortigen Gemeinderat vorliegt:

Die Verwaltung versteht unter Wahlfreiheit eine einmali ge Entscheidung der Eltern, ob ihr Kind halbtags oder ganztags die Schule besuchen möchte. Im Gegenzug wer den die flexiblen Hortbetreuungsangebote eingestellt. Ge nau dies nimmt den Eltern die Wahlfreiheit. Für die Schü ler, die nur für halbtags angemeldet werden, hätte dies fa tale Folgen. Sie werden praktisch von den schulischen Angeboten abgehängt und erleiden dadurch Nachteile.

Das Problem ist mittlerweile auch bei Ihnen, Herr Minister, angekommen. Ich darf auf eine Veranstaltung verweisen, die Sie selbst erst vor wenigen Tagen in Echterdingen abgehalten haben. Die „Stuttgarter Zeitung“ hat darüber berichtet – ich zitiere –:

„Für Irritationen sorgt zudem das Thema Ganztagsschu le.“... Minister Stoch gab zu, dass die Förderung durch das Land nur beim verbindlichen Ganztagsbetrieb grei fe.

Die folgende Aussage von Ihnen – passen Sie bitte auf, Herr Stoch – ist besonders heikel:

Eltern, die eine flexible Betreuung wünschen, seien in die sem Modell die Verlierer.

So stand es in der „Stuttgarter Zeitung“. Herr Minister, wol len Sie plötzlich mit Ihrem Konzept Bildungsverlierer produ zieren?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Zuruf des Abg. Walter Heiler SPD)

Meine Damen und Herren, um es in aller Deutlichkeit zu sa gen: Dieses Problem kommt bei Ihnen an. Ermöglichen Sie, auch durch ein flexibles Angebot bei der Nachmittagsbetreu ung, eine echte Wahlfreiheit.

Gerade nach der Anhörung des Bildungsausschusses müssen Ihnen erst recht die Ohren klingen. Der Städtetag sprach so gar von einem „Einheitsmodell“.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Das passt zur Einheitsschule!)

Natürlich haben die kommunalen Landesverbände den Aus bau von Ganztagsschulen mit Ihnen gemeinsam besprochen. Aber die kommunalen Landesverbände fordern unisono mehr Flexibilität. Gerade dieser Wunsch nach Flexibilität wird in der Fläche sehr deutlich geäußert.

Deswegen fordern wir: Ermöglichen Sie eine echte Wahlfrei heit, indem an jedem Standort jahrgangsbezogen – natürlich nicht bezogen auf jeden Schüler; man kann es selbstverständ lich nicht jedem Schüler recht machen – neben einem verbind lichen Angebot auch ein anderes Angebot besteht. Das sehen Sie in Ihrem Gesetzentwurf nicht vor.

Ganz entscheidend ist: Lassen Sie die Betreuungsangebote, die Sie jetzt eliminieren wollen – also die Hortbetreuung am Nachmittag oder die verlässliche Grundschule –, als Ergän zung wieder zu, damit eine echte Wahlfreiheit ermöglicht wird, auch bei den Ganztagsschulen, die Sie nach Ihrem Mo dell durchsetzen wollen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Für die Fraktion GRÜNE spricht Kol legin Boser.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der nun anstehenden Verabschiedung des Gesetzentwurfs zur Ganztagsschule set zen wir heute ein weiteres wichtiges bildungspolitisches The ma in die Realität um. Endlich wird aus dem jahrzehntelan gen Modellversuch eine Schulgesetzänderung, die Städten und Gemeinden Rechtssicherheit bietet und auf die Schüler und Lehrer ebenso wie die Gemeinden lange warten mussten.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Damit schaffen wir ein weiteres Mal eine wichtige Vorausset zung, um Kindern beste Bildungschancen zu ermöglichen.

Dass es dabei einen großen Nachholbedarf gibt, hat nicht zu letzt die Bertelsmann Stiftung in den vergangenen Wochen wieder dokumentiert.

Wenn ich die Ausführungen des Kollegen Wacker höre, ist mir allerdings auch klar, warum der Ausbau in den vergangenen Jahren kontinuierlich versäumt wurde. In Baden-Württemberg nehmen gerade einmal 18,9 % der Schülerinnen und Schüler ein Ganztagsangebot wahr, während diese Zahl bundesweit etwa 32 % beträgt. Dieser Nachholbedarf ist nicht darin be gründet, dass wir in den vergangenen Jahren nicht aktiv ge wesen wären; vielmehr ist das ein Versäumnis der schwarzgelben, der CDU-geführten Landesregierung in den Jahren zuvor.

Ich freue mich wirklich, dass wir heute unsere Anstrengun gen für einen Bildungsaufbruch fortsetzen können und dass wir damit einen großen Schritt für das Land Baden-Württem berg gehen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Ich finde es in diesem Zusammenhang interessant, dass von seiten der CDU immer wieder betont wird, wie wichtig die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist. Ja, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist für uns in Baden-Württemberg ein wichtiges Thema. Aber für uns ist, wenn es um die Ganztags schule geht, auch die Qualität ein wichtiges Thema. Wenn ich mir allein die Standards anschaue, die die Kultusministerkon ferenz für die Ganztagsschule definiert, muss ich sagen: Die CDU hat den Blick für Qualität völlig verloren – völlig!

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Georg Wacker CDU: Ihnen gehen die Argu mente aus!)

Die Vorschläge, die in den vergangenen Wochen bezüglich der Flexibilität an Ganztagsschulen von der CDU gemacht wurden, haben nichts mit der Realität von Ganztagsschulen zu tun. Selbst die Kultusministerkonferenz definiert Ganztags schule wie folgt – ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsi dent, aus dem entsprechenden Bericht –:

Ganztagsschulen sind Schulen, bei denen an mindestens drei Tagen in der Woche ein ganztägiges Angebot für die Schülerinnen und Schüler bereitgestellt wird, das täglich mindestens sieben Zeitstunden umfasst.

(Abg. Georg Wacker CDU: Offen, gebunden oder teilgebunden, das sagt die KMK auch! Das müssen Sie dazusagen! Zitieren Sie die KMK korrekt! – Ge genruf von der SPD: Ruhe! – Glocke des Präsiden ten)

So weit war ich noch gar nicht, Herr Kollege Wacker. – Im Papier der Kultusministerkonferenz steht aber mit keinem Satz, dass es Ganztagsschulen gibt, die an einem oder an zwei Tagen geöffnet sind. Da verlassen Sie den Weg der Qualität.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Wir haben den Anspruch, dass Qualität und Verlässlichkeit für die Schülerinnen und Schüler und für die Schulen insgesamt gegeben sind, damit wir am Ende auch die Möglichkeit schaf fen, die Bildungsgerechtigkeit in Baden-Württemberg einen Schritt voranzubringen.

Studien zeigen ganz klar, dass im gebundenen Angebot eine Möglichkeit besteht, die Leistungsfähigkeit von Schülerinnen und Schülern zu verbessern. Es wurde festgestellt, dass auch die Noten verbessert werden können. Das konnte man für an dere Maßnahmen nicht feststellen.

Daher sehen wir darin einen wichtigen Ansatz, dass wir den Schulen die Möglichkeit geben, ein gutes Angebot für die Schülerinnen und Schüler bereitzustellen.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Aber nur, wenn kei ne Ferien sind!)

Das haben wir mit diesem Ganztagsschulgesetz definiert.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Ich will noch einen weiteren Punkt unterstreichen. Ein rhyth misiertes Ganztagsangebot, wie wir es in unserem Ganztags schulgesetz definieren, ist gerade für die Schülerinnen und Schüler im Grundschulbereich wichtig, deren Konzentrations fähigkeit noch nicht so hoch ist, dem Schulunterricht den gan zen Tag lang folgen zu können. Hier hat man die Möglichkeit, für die Schülerinnen und Schüler Aktivphasen mit Bildungs angeboten bzw. dem Unterricht zu verbinden. So schaffen wir für die Schülerinnen und Schüler beste Lernvoraussetzungen, damit sie am Ende zu dem Bildungserfolg geführt werden können, der ihnen entspricht. Ich glaube, das ist ein wichtiger Beitrag für die Bildungschancen der Kinder im Land. Davon profitieren nicht nur die Kinder und die Eltern, sondern davon profitiert das ganze Land Baden-Württemberg. Wir kommen damit unserer Verantwortung ein weiteres Mal nach.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Es entspricht einem großen Anliegen unsererseits, dass wir bei dem Ganztagsschulgesetz die außerschulischen Partner mit involviert haben. Die Rückmeldungen von vor Ort – ge rade nach der Vereinbarung, die mit dem Landessportverband und mit Vereinen getroffen wurde – zeigen, dass es im Land eine große Rückendeckung dafür gibt, dass wir außerschuli sche Partner in die Schulen einbinden, um die Akzeptanz vor Ort zu stärken und um die Gemeinschaft vor Ort verstärkt aus zubauen.

Diese Vereinbarung ist ein wichtiger Beitrag auch dafür, dass die Vereine bei uns im Land eine stärkere Nachfrage erfahren. Schon in den vergangenen Jahren haben wir erlebt, dass die Vereine immer mehr Mitglieder verlieren, dass die Nachfra ge nach Vereinsangeboten für Kinder immer weiter abnimmt. Das ist keine Entwicklung, die auf die Ganztagsschule zurück geht; diese haben wir nämlich bisher noch gar nicht in gro ßem Stil realisiert. Vielmehr zeigt dies, dass wir für die Ver eine neue Wege brauchen, damit sie auch Schülerinnen und Schüler ansprechen.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Diesen Weg sind wir mit dem Jugendbegleiter schon längst gegangen!)