Protokoll der Sitzung vom 23.07.2014

(Abg. Walter Heiler SPD: Mit Krawatte!)

Ganz herzlichen Dank. – Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Stel lungnahme zu dem vorliegenden Antrag habe ich interessan te Zahlen vorgefunden. Im Schuljahr 2012/2013 besuchten 3 319 Schüler an einer Haupt- oder Werkrealschule eine Vor bereitungsklasse. Gemessen an einer Gesamtschülerzahl von 141 482 Haupt- und Werkrealschülern ist dies ein Anteil von 2,34 %. Gleichzeitig besuchten in diesem Schuljahr 29 Ge meinschaftsschüler eine Vorbereitungsklasse, was bei 2 063 Gemeinschaftsschülern insgesamt einen Anteil von 1,40 % ausmacht. Das heißt, gemessen an der Gesamtschülerzahl ha ben die Gemeinschaftsschulen einen um rund 40 % geringe ren Anteil an Schülern in einem Vorbereitungskurs.

Zugegeben: Dies war das Startjahr der ersten Gemeinschafts schulen; da ist es sicherlich zu früh, um einen Trend festzu stellen. Aber die FDP/DVP hat beim Statistischen Landesamt nachgefragt, ob die Zahlen für dieses Jahr schon vorliegen. Und tatsächlich: Im Schuljahr 2013/2014 besuchten 3 959

Haupt- und Werkrealschüler eine Vorbereitungsklasse. Ge messen an der Gesamtzahl sind es 3,11 %. An den Gemein schaftsschulen befinden sich 79 Schüler in einer Vorberei tungsklasse. Gemessen an der Gesamtzahl sind es 0,91 %. Und nun wird das Bild schon klarer.

Während die Haupt- und Werkrealschulen im laufenden Schul jahr trotz rückläufiger Schülerzahlen insgesamt die Zahl der Schüler in den Vorbereitungsklassen deutlich gesteigert haben und deren Anteil an der Gesamtschülerzahl um rund ein Drit tel gestiegen ist, ist dieser Anteil bei den Gemeinschaftsschu len um rund ein Drittel gesunken.

Die Aktivität der beiden Schularten bei der Integration kommt auch durch die Zahl der gebildeten Vorbereitungsklassen zum Ausdruck. Bei den Haupt- und Werkrealschulen waren es 218 Vorbereitungsklassen im Schuljahr 2011/2012, 234 im Schul jahr 2012/2013 und 274 im Schuljahr 2013/2014. Bei den Ge meinschaftsschulen, deren Zahl zum jetzigen Schuljahr von 41 auf 128 gesteigert wurde, wurden 2012/2013 zwei und 2013/2014 sechs Vorbereitungsklassen gebildet.

Meine Damen, meine Herren, dieser Befund bestätigt ein drucksvoll, dass die Haupt- und Werkrealschulen den weitaus größten Anteil an der schulischen Integrationsarbeit leisten. Gleichzeitig muss man angesichts dieses Befunds in erhebli chem Maß bezweifeln, dass die von Grün-Rot stark privile gierte und mit aller Macht vorangetriebene Gemeinschafts schule Integration besser kann als die von Grün-Rot geschmäh te Haupt- und Werkrealschule.

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Lassen Sie uns einmal die Zahlen der Schulen aus Rotten burg, Tübingen und Mössingen abwarten! Dann un terhalten wir uns noch einmal!)

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Zumindest auf der Grundlage dieser Zahlen kann die Gemeinschaftsschu le nicht den Titel „Beste Integrationsschule“ für sich bean spruchen.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Daniel Andreas Le de Abal GRÜNE: Es geht auch um die Gemeinschafts schulen, die jetzt erst diesen Status beantragt haben!)

Ihr Argument, die Gemeinschaftsschulen stünden erst am An fang und müssten noch Aufbauarbeit leisten, kann nicht gel ten. Immerhin bauen die Gemeinschaftsschulen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, auf Haupt- und Werkrealschulen auf. Da wäre es bei gutem Willen möglich und auch naheliegend gewesen, Vorbereitungsklassen und -kurse fortzuführen.

Wenn Sie nun einwenden, die Vorbereitungsklassen seien ei ne Form der Differenzierung und damit nicht mit dem Kon zept der Gemeinschaftsschule vereinbar, will ich Ihnen Fol gendes ins Stammbuch schreiben: Auch wenn Grün-Rot dies in der Öffentlichkeit mit Genuss anders darstellt, sind wir Li beralen nicht grundsätzlich gegen neue Wege in der Bildungs politik. Aber die FDP wird jedem Versuch entschieden entge gentreten, der einen bewährten Weg aus schlichter Verbohrt heit versperren will. Denn nach der „reinen Lehre“ der Ge meinschaftsschule hieße das ja, dass man keinen eigenen Kurs mehr für diejenigen anbieten darf, die ohne Sprachkenntnis se oder mit nur geringen Sprachkenntnissen zu uns kommen.

Dass einzelne Gemeinschaftsschulen hier einen pragmatischen Weg gewählt haben und Vorbereitungskurse anbieten, zeigt im Grunde noch deutlicher die Absurdität und Weltfremdheit grün-roter Bildungspolitik.

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Die Klas sen waren halt an Schulen, die jetzt erst die Gemein schaftsschule beantragt haben!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Grün-Rot, Sie sind mit Ihrer einseitigen Bildungspolitik auf dem Holzweg. Sie erwei sen denjenigen, die von zu Hause aus weniger mitbringen, ei nen Bärendienst, wenn es um ihren sozialen Aufstieg geht, in dem Sie ein differenziertes und leistungsorientiertes Bildungs wesen durch ein Einheitskonzept ersetzen.

Sie verfolgen in Ihrer Bildungspolitik einen Kurs der besten Absichten. Wir bevorzugen eine Bildungspolitik der nach weisbar besten Ergebnisse im Interesse der Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg. Dazu gehört für uns, das ge gliederte Bildungswesen schlicht noch durchlässiger zu ma chen. Wenn Sie von der SPD-Fraktion mit Ihrer Bildungspo litik an diesem wichtigen Ziel arbeiten würden, statt das nach weislich erfolgreiche gegliederte Bildungssystem abzuschaf fen, dann hätten Sie auch uns Liberale an Ihrer Seite.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Für die Landesregie rung erteile ich das Wort Herrn Kultusminister Stoch.

(Zurufe von der SPD: Endlich! – Guter Mann!)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Es freut mich, dass sich die SPD mit ihrem Antrag des wichtigen The mas der Kinder mit Migrationshintergrund, die in unser Schul system kommen, angenommen hat. Ich danke ganz ausdrück lich auch den jeweiligen Rednern, Herrn Kollegen Bayer, Frau Kollegin Engeser und Herrn Kollegen Lede Abal, für ihre sehr sachlichen Einlassungen zu diesem Thema. Es zeigte sich – auch bei Frau Kollegin Engeser –, dass sich dieses wichtige Thema nicht zu parteipolitischem Streit eignet. Denn wir tei len das gemeinsame Ziel, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund gute Startchancen in unserem Schul- und Bildungssystem haben.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Wenn dagegen Herr Kollege Dr. Kern glaubt, in seiner Dau ernummer die Gemeinschaftsschule auch unter der Überschrift Integration „bashen“ zu können, dann hilft ihm vielleicht fol gendes Erklärungsmodell:

Gemeinschaftsschulen sind bisher überwiegend in ländlich strukturierten Gebieten entstanden, in denen der Ausländer anteil nachweislich geringer ist als in Städten. Wenn man die ses Faktum einbezieht, eignen sich die von ihm an den Haa ren herbeigezogenen Zahlen in keiner Weise,

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: An weni gen Haaren herbeigezogen!)

die Gemeinschaftsschule zu diskreditieren. Diese Versuche, Herr Dr. Kern, wirken nahezu hilflos.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD – Abg. Wolfgang Raufelder GRÜNE: Richtig!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, infolge der weltwei ten Zunahme gewaltsamer Konflikte suchen immer mehr Flüchtlinge in Europa und damit auch in Deutschland und in Baden-Württemberg Zuflucht. Es ist unsere gemeinsame hu manitäre Pflicht, diesen Menschen zu helfen. Die Zahl der Menschen aus Krisen- und Kriegsgebieten, die in unserem Land Schutz vor den gewaltsamen Auseinandersetzungen in ihren Heimatländern suchen, nimmt stetig zu. In Baden-Würt temberg stieg die Zahl der Asylanträge allein von 2012 bis 2013 um 75 % auf knapp 14 000. Diese Entwicklung wird sich – das zeigen die aktuellen Zahlen – noch fortsetzen. Schät zungen zufolge sind rund 20 % der zugewanderten Menschen schulpflichtige Kinder und Jugendliche.

Dabei steht außer Frage, dass wir diesen Menschen in ihrer Not helfen und sie in unser sicheres und wohlhabendes Land aufnehmen. Es steht auch außer Frage, dass wir versuchen müssen, all diesen Menschen in bestmöglicher Weise eine In tegration in unser Gemeinwesen zu ermöglichen, und dass wir ihnen auch perspektivisch gesellschaftliche Teilhabe ermög lichen – auch wenn ein Großteil dieser Menschen wünscht, möglichst bald, nach Ende der dortigen Krisen, in ihr Heimat land zurückkehren zu können.

Ich zitiere Papst Franziskus vom September vergangenen Jah res zum Umgang mit Flüchtlingen:

Sie einfach aufzunehmen reicht nicht.... Es reicht nicht, Brötchen an eine Person auszuteilen, die nachher nicht die Möglichkeit bekommt, auf eigenen Beinen zu stehen. Nächstenliebe, die einen Armen so lässt, wie er ist, ge nügt nicht. Wahre Barmherzigkeit verlangt nach Gerech tigkeit. Integration ist ein Recht.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Bei der Integration von Flüchtlingen und anderen Menschen mit Migrationsgeschichte spielt natürlich die Bildung eine zentrale Rolle. Für Kinder und Jugendliche gilt dies in ganz besonderem Maß. Für eine gelingende Integration ist Grund voraussetzung, dass der Erwerb von Sprachkenntnissen ge währleistet ist.

Darüber hinaus gilt es aber auch, entsprechende Bildungsan gebote bereitzustellen, um sowohl Erwachsenen als auch Kin dern und Jugendlichen mit Migrationsgeschichte erfolgreiche Bildungsbiografien zu ermöglichen. Für Kinder und Jugend liche ist unter Bildungsaspekten jedes Jahr, jeder Monat eine kostbare, nicht zu ersetzende Zeit. Deshalb dürfen bei Flücht lingskindern der jeweilige Status oder die voraussichtliche Aufenthaltsdauer keine Rolle spielen, wenn es darum geht, ihnen Zugang zu Bildungsangeboten zu verschaffen.

Die von der Bundesrepublik unterzeichnete UN-Kinderrechts konvention betont deshalb auch genau dieses Recht eines je den Kindes, auch eines Flüchtlingskinds, auf Bildung. In Ar tikel 28 dieser Konvention verpflichten sich die Vertragsstaa ten u. a. dazu, für alle Kinder den Besuch von Grundschulen und weiterführenden Schulen zu ermöglichen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, angesichts der er heblichen Steigerungsrate bei der Zuwanderung gerade auch von Kindern und Jugendlichen muss auch die Landespolitik

auf diese Veränderungen reagieren. Deswegen stellt die Lan desregierung die notwendigen Instrumente und Ressourcen zur Verfügung, um eine solche erfolgreiche Integration für möglichst alle Menschen zu ermöglichen.

Für das kommende Schuljahr – auch dies wurde bereits ge sagt – stellt die Landesregierung daher 200 zusätzliche De putate für Vorbereitungsklassen, Vorbereitungskurse und für VABO-Klassen, also für Schülerinnen und Schüler, die in be rufliche Schulen kommen, bereit.

(Zuruf des Abg. Georg Wacker CDU)

Unser Ziel ist es, dass Kinder aus Zuwanderungsfamilien ei ne kompakte Sprachförderung bekommen, um dann zügig in jenen Bildungsgängen ihren Platz zu finden, die ihren bishe rigen Bildungsbiografien und vor allem ihren individuellen Potenzialen angemessen sind.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sehr gut!)

Für Schülerinnen und Schüler ohne ausreichende Deutsch kenntnisse stehen über die Vorbereitungsklassen und die VABOKlassen im beruflichen Bereich Angebote zum Spracherwerb bereit. Die Vorbereitungsklassen können zurzeit – das ist die bisherige Regelung – an Grund-, Werkreal- und Hauptschu len sowie an Gemeinschaftsschulen eingerichtet werden. Ich habe jetzt verfügt, dass auch an Gymnasien und Realschulen solche Vorbereitungsklassen eingerichtet werden können.

(Abg. Georg Wacker CDU: Das ist tatsächlich ein mal Gleichbehandlung! – Glocke des Präsidenten)

Herr Minister, gestat ten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Röhm?

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Er hat sie mir noch nie verweigert!)

Eben.

Aber er muss trotzdem seine Zustimmung geben, sonst erhalten Sie nicht das Wort. – Also: Ja. Danke.

(Heiterkeit)

Bitte.

Herr Minister, ich kann al lem zustimmen, was Sie in den letzten Sätzen gesagt haben.

Konkrete Frage: Wie sieht es im folgenden Fall aus? Ein 16-jähriger Junge – nennen wir ihn Stefan – aus Bulgarien konnte bisher an der örtlichen Hauptschule in eine Sprachför derklasse geschickt werden. Nach vier Wochen hat er bereits einen guten Fortschritt gemacht und sagt mir, es sei ihm rela tiv langweilig, er möchte nicht nur gefragt werden, wie er heißt und wie alt er ist. Was würden Sie mir empfehlen, was ich für diesen Jungen tun kann? Ich habe ihm schon geholfen, aber verrate Ihnen jetzt nicht, wie.