Protokoll der Sitzung vom 15.10.2014

(Zuruf der Abg. Beate Böhlen GRÜNE)

Wir müssen für Sicherheit in der digitalen Welt sorgen. Denn auch Kriminelle nutzen das Internet. Mehr als 40 % der Un ternehmen haben bereits Angriffe auf ihre IT erlebt. Aber nicht nur die Wirtschaft muss sich vor Cyberangriffen schützen. Auch unsere öffentliche Infrastruktur, z. B. die Stromversor gung, der Verkehr oder die Geldautomaten, ist zunehmend ITgestützt.

(Abg. Alexander Salomon GRÜNE: Was tut die Bun desregierung dafür?)

Sie wird dadurch immer besser, aber auch angreifbar.

Wir wollen ein erfolgreiches, aber auch ein lebenswertes Ba den-Württemberg.

(Abg. Alexander Salomon GRÜNE: Sonntagsrede!)

Auch in Zukunft dürfen die Menschen weder überfordert noch gegängelt werden. Auch im digitalen Zeitalter sollen die Men schen in Baden-Württemberg gern und zufrieden leben. Ja, es soll ihnen noch besser gehen. Das muss der Anspruch einer Landesregierung sein. Wir müssen beim Thema Digitalisie rung vorn dabei sein und dürfen nicht wie bisher anderen Re gionen wie Bayern, Berlin, Tel Aviv oder auch Estland hinter herhecheln.

Herr Ministerpräsident, es ist fünf vor zwölf. Wir haben kei ne Zeit mehr zu verschenken und zu verlieren.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Ihre Regierungserklärung kommt spät, und es ist bemerkens werterweise Ihre erste Regierungserklärung zur Wirtschafts politik nach sage und schreibe dreieinhalb Jahren.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Es läuft eben gut!)

Das Hauptproblem aber ist ein anderes. Ihr Politikentwurf ist zu ambitionslos – finanziell wie konzeptionell. Eine dritte in dustrielle Revolution kann doch nicht mit einem Forschungs institut oder einem Gesprächskreis bewältigt werden. Das ist alles gut und schön, aber es reicht nicht aus.

(Abg. Alexander Salomon GRÜNE: Was wollen Sie denn?)

Baden-Württemberg braucht eine Zukunftsinitiative, die den Namen wirklich verdient,

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

und eine solche Offensive darf konzeptionell kein Abklatsch vergangener Offensiven sein, so erfolgreich diese auch immer waren.

(Staatssekretär Jürgen Walter: Wie sieht es denn nun aus?)

Einfach ein bisschen zuhören, Herr Walter. Wir haben freie Redezeit vereinbart; das nötigt Sie, mir noch etwas Gehör zu schenken.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Heiterkeit des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Die jetzt nötige Digitalisierungsoffensive unterscheidet sich maßgeblich von den vorangegangenen Innovationsoffensiven: Anders als beim Aufbau des Automobillands im 20. Jahrhun dert lässt sich die Digitalisierung nicht quasi auf dem Reiß brett um einige wenige Produkte und große Industrieanlagen herum planen. Aufgrund der Innovationsbeschleunigung ist nicht absehbar, wie die digitalen Technologien und ihre An wendungen in der Zukunft tatsächlich aussehen werden.

Anders als bei den Hightechoffensiven kann bei der Digitali sierung auch nicht einfach auf konkrete, singuläre und meist auch eher statische Leuchtturmprojekte gesetzt werden. Welt weite Exzellenz entsteht erst aus dem wirksamen Zusammen spiel und der Vernetzung unterschiedlichster Stärken in einem digitalen Ökosystem und nicht aus voneinander unabhängi gen und nebeneinander existierenden Vorzeigeprojekten, wie sie uns heute präsentiert wurden. Vielmehr müssen diese im Zusammenspiel wie ein kräftiger Hebel wirken, um kreatives Wachstum und beste Ideen zu entfalten.

(Zuruf des Abg. Alexander Salomon GRÜNE)

Beispiele wie der Niedergang von Yahoo zeigen, dass das Licht von zunächst hell scheinenden Leuchttürmen leicht er löschen kann, wenn diese Unternehmen nicht die weltweit besten, sondern nur gut sind.

Eine erfolgreiche Digitalisierungsstrategie muss daher die ba den-württembergischen Stärken analysieren und die Bereiche identifizieren, in denen unser Land bereits weltweit führend ist oder es im digitalen Zeitalter werden kann. Baden-Würt temberg muss ein weltweites Alleinstellungsmerkmal besit zen. Nur so wird der gesamte Südwesten von der Digitalisie rung profitieren können. Hierfür muss die Digitalisierungsof fensive die entscheidenden Impulse ganz gezielt setzen. Die sen strategischen Ansatz vermissen wir. Wir brauchen ein Ge samtkonzept, keine Gießkanne. Wir brauchen den großen Wurf und kein Stückwerk, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Ein Gesamtkonzept muss am Anfang und nicht, wie Sie vor schlagen, am Ende von Regierungshandeln stehen. Aus mei ner Sicht muss die Digitalisierungsoffensive für Baden-Würt temberg umfassender aufgebaut sein. Sie muss aus vier Säu len bestehen:

Die erste Säule heißt Exzellenz. Als Herzstück der Digitali sierung muss Baden-Württemberg ein weltweites Alleinstel lungsmerkmal in Schlüsselbereichen der digitalen Wirtschaft entwickeln. Hierbei haben Sie einen, aber leider halt nur e i n e n Akzent gesetzt. Ich unterstütze Ihre Pläne zur Cyber security. Sie sind wichtig und richtig. Sicherheit ist eine Quer schnittsaufgabe, reicht aber nicht aus. Vernetzte Mobilität, di gitale Produktion, digitale Gesundheitswirtschaft und Smart Data müssen ebenfalls kraftvoll angegangen werden.

(Zuruf des Abg. Alexander Salomon GRÜNE)

Die Digitalisierung bietet große Chancen für alle Wissen schaftler und Forscher, die bereit sind, im Verbund und im Team zu arbeiten und über den eigenen Fachbereich hinaus zuschauen. Die wollen wir fördern, indem wir international führende Forschungsverbünde in Baden-Württemberg etab lieren, um ein allein an der heimischen Forschungsstätte ori entiertes Denken zu überwinden. Wir brauchen ein digitales Kompetenzforschungszentrum, das die Forschungskompeten zen Baden-Württembergs bündelt, miteinander vernetzt und für alle Regionen unseres Landes nutzbar macht. Das muss eine „Marke Baden-Württemberg“ werden.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Zuruf des Abg. Sascha Binder SPD)

Zudem müssen wir nicht nur in der Forschung exzellent sein, sondern auch international sichtbare Anwendungsfelder in Ba den-Württemberg ausrollen. Im Silicon Valley z. B. ist ver netzte Mobilität bereits gelebte Wirklichkeit, im Mobilitäts land Baden-Württemberg indes nicht. Mit intelligenten Mo bilitätskonzepten sollten wir schleunigst in Pilotkommunen erproben, wie mithilfe örtlicher Daten der Verkehr vor Ort bes ser gesteuert werden kann.

Herr Ministerpräsident, ich muss doch noch auf einen Satz aus Ihrer Regierungserklärung Bezug nehmen. Sie haben ge sagt, eine solide Infrastruktur habe für die Landesregierung eine Toppriorität.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Sehr richtig!)

Wir wünschen uns, dass die digitale Revolution in BadenWürttemberg für die Regierung eine Priorität erhält, die die Bedeutung der Infrastruktur nochmals toppt, wenn Sie bei dem, was Sie für die Infrastruktur in Baden-Württemberg tun, bereits von „Toppriorität“ sprechen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Zuruf des Abg. Wolfgang Drexler SPD)

Wir sollten eine Baden-Württemberg-Verkehrs-App entwi ckeln lassen, die dem Anwender anhand der Verkehrslage die Entscheidung zwischen Auto und öffentlichen Verkehrsmit teln erleichtert und

(Abg. Martin Rivoir SPD: Haben wir doch schon!)

dabei Stauzeiten oder Verspätungen bei Bus und Bahn mit ein berechnet und die Verzögerungen für den Verkehrsteilnehmer somit insgesamt verringert.

Das europaweit führende Leitprojekt für vernetzte Mobilität muss in Baden-Württemberg entstehen. Ein Ausgangspunkt dafür kann der Großraum Stuttgart im Zusammenspiel mit den führenden Weltunternehmen Daimler, Bosch und Porsche und einem exzellenten Forschungsumfeld aus Uni Stuttgart, MaxPlanck-Instituten und Fraunhofer-Instituten sein. Gemeinsam mit dem heimischen Mittelstand können so Wirtschaft und Wissenschaft im Land ein international sichtbares Leitprojekt zur Mobilität der Zukunft durchführen. Dieses Leitprojekt zur Mobilität der Zukunft muss baden-württembergische Hand schrift tragen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Gleichzeitig müssen wir bei Smart Data weiter vorankommen. Das wichtigste Produkt der Digitalisierung sind Daten, und zwar in riesigen Mengen. Aber welche Daten sind hilfreich, welche nutzlos, und welche schaden uns sogar? Wir müssen lernen, mit diesen neuen, vollkommen unstrukturierten Da tenmassen umzugehen, und sie durch Analyse und Aufberei tung bestmöglich für den wissenschaftlichen Erkenntnisfort schritt nutzen. Baden-Württemberg soll bei der interdiszipli nären Datenanalyse im weltweiten Vergleich vorn mitspielen.

Deshalb schlage ich vor, ein baden-württembergisches BigData-Zentrum zu gründen. Das KIT hat mit dem Informatics Innovation Center einen der führenden Hochleistungsrechner in Europa. Hier könnte das KIT gemeinsam mit der Akade mie der Wissenschaften in Heidelberg ein deutschlandweit einzigartiges Kompetenzzentrum für interdisziplinäre Daten analyse schaffen.

Drittens sollen diese Analysefertigkeiten beispielsweise mit der Medizin gekoppelt werden. Für diesen Bereich könnten etwa in den Krebsforschungszentren Tübingen und Heidel berg vom Land noch energischer unterstützt Kompetenzen aufgebaut werden, um so signifikante Fortschritte in der Krebsfrüherkennung und damit in der Krebsheilung zu erzie len.

(Zuruf der Abg. Beate Böhlen GRÜNE)

Eine Botschaft der baden-württembergischen Digitalisierungs offensive muss eben auch lauten: Baden-Württemberg sagt dem Krebs den Kampf an.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Ich verstehe nicht ganz, warum man eine solche Idee schlecht finden kann. Es müsste doch unser gemeinsames Ziel sein, in Baden-Württemberg auch in diesem Bereich neue Zeichen zu setzen und an der Spitze der Bewegung in Sachen Krebsfor schung zu stehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Manfred Kern GRÜNE: Machen wir doch!)

Die zweite Säule der Digitalisierungsoffensive muss die ge samte Breite der baden-württembergischen Wirtschaft in den Blick nehmen. Baden-Württembergs Wirtschaft steht vor ei nem immensen Strukturwandel. Eine erfolgreiche Digitalisie rungsoffensive muss die betroffenen Branchen, insbesondere mittelständische Unternehmen, dazu befähigen, die kommen den wirtschaftlichen Veränderungen frühzeitig zu erkennen und Antwortstrategien zu entwickeln. Hierfür brauchen wir im Wirtschaftsministerium eine Stabsstelle, die aufgrund des sich abzeichnenden Strukturwandels schnell auf kurzfristige Unternehmenskrisen reagieren und mittel- und langfristig ei ne Zukunftsvision für das Mittelstandsland Baden-Württem berg entwickeln soll.

Die dritte Säule heißt Teilhabe. Wir müssen alle Bürgerinnen und Bürger befähigen, an der Digitalisierung teilzuhaben. Die Digitalisierung hat Auswirkungen auf den Alltag eines jeden Menschen in unserem Land. Um zu gewährleisten, dass jeder an den Chancen des digitalen Aufbruchs teilhaben kann, muss Baden-Württemberg die notwendigen Voraussetzungen schaf fen, damit jede Bürgerin und jeder Bürger mit den digitalen Möglichkeiten umzugehen lernt. Dafür brauchen wir vor al lem zwei Dinge: digitale Bildung und die Verfügbarkeit von Breitband.

Herr Ministerpräsident, Sie haben heute stolz verkündet, dass die Landesregierung die Mittel für den Breitbandausbau ver dreifacht. Damit kommt Baden-Württemberg jedoch nur auf ein Fünftel des bayerischen Mittelvolumens. Es hilft wenig, dass Sie auf Berlin verweisen. Fakt ist: Der Breitbandausbau muss das ganze Land erfassen, die Zentren und die Großstäd te in gleicher Weise wie die ländlichen Räume. Diese Balan ce zwischen Zentrum und ländlichen Räumen war immer ein Markenzeichen Baden-Württembergs.