Nachdem diese Konzepte und Maßnahmen nun zu einem Großteil das Umsetzungsstadium erreicht haben – übrigens anders als bei der Digitalen Agenda der Bundesregierung –, ist es an der Zeit, die Gesamtstrategie der Landesregierung zu skizzieren. Dabei werde ich mich auf fünf Punkte konzentrie ren.
Erstens: Sicherheit und Vertrauen. Die erste Anstrengung be trifft eine Ressource, die in Wirtschaft, Gesellschaft und Po litik gleichermaßen essenziell ist: Vertrauen. Das heißt, bezo gen auf die Wirtschaft: Nur wenn der Unternehmer weiß, dass er seine Betriebsgeheimnisse nicht leichtfertig dem Diebstahl aussetzt, wird er die Vernetzung seiner Firma vorantreiben. Denn Industrie 4.0 heißt ja nicht nur: Alles, was in der Fabrik ist, wird vernetzt. Industrie 4.0 heißt auch: Raus aus der Fab rik.
Und es heißt, bezogen auf die Bürgerinnen und Bürger: Nur wenn die Bürgerinnen und Bürger wissen, dass ihre Privat sphäre gesichert ist, dass ihre persönlichen Daten vor Miss brauch und Diebstahl geschützt sind, werden sie den digita len Wandel auf Dauer auch konstruktiv begleiten.
Je digitaler die Welt wird, desto sicherer müssen die digitalen Anwendungen und Werkzeuge sein, die wir verwenden. Zwar werden wir die Netze wohl nie richtig sicher bekommen. Doch wir können es schaffen, die Anwendungen sehr viel sicherer und einfacher handhabbar zu machen. Schritte in diese Rich tung sind ein wichtiges Signal – für den Mittelstand genauso wie für die Bürgerinnen und Bürger.
Deshalb bauen wir das Forschungszentrum Informatik zur an wendungsnahen IKT-Sicherheitsagentur aus. Deshalb haben wir über die Baden-Württemberg Stiftung ein Forschungspro gramm Informations- und Kommunikationstechnologien mit einem Fokus auf Sicherheitsfragen aufgelegt. Deshalb stre ben wir den Aufbau eines „TÜV“ für zertifizierbare Software und Sicherheitssysteme für baden-württembergische Unter nehmen an. Deshalb haben wir umfassende Maßnahmen zur Bekämpfung der Cyberkriminalität auf den Weg gebracht. Und deshalb habe ich die Initiative ergriffen, die in Deutsch land vorhandenen Initiativen und Kompetenzen auf dem Ge biet der Cybersicherheit zu bündeln und zu koordinieren.
Eine Zersplitterung der Kräfte können wir uns in Deutschland gerade auf diesem wichtigen Feld nicht leisten. Wir müssen umgekehrt die Stärken des Föderalismus nutzbar machen, in dem wir Schwerpunkte bilden, diese in einer nationalen Platt form zusammenführen und so zu guten Ergebnissen kommen. Denn eine Zersplitterung der Kräfte können wir uns in Deutschland auf diesem Gebiet nun wirklich nicht leisten.
Es geht aber nicht nur um Datensicherheit, es geht auch um Datenschutz und die Entwicklung eines digitalen Ordnungs rahmens.
Deshalb werde ich auf den neuen Digitalkommissar der Eu ropäischen Union, Günther Oettinger, zugehen und ihn in sei ner neuen Funktion nach Baden-Württemberg einladen.
(Abg. Claus Schmiedel SPD: Der ist doch jede Wo che dreimal da! – Abg. Peter Hauk CDU: Wenn Sie öfter im Land unterwegs wären, würden Sie ihn tref fen! – Weitere Zurufe von der CDU – Oh-Rufe von den Grünen und der SPD)
Die Treffen mit einem Kommissar, der ein so wichtiges Res sort hat, überlasse ich jetzt nicht dem Umstand, ob ich ihm zufällig in Baden-Württemberg einmal begegne.
Ich verstehe mich mit ihm persönlich auch gut. Das können Sie in dem Interview nachlesen. Insofern sind dafür beste Vo
raussetzungen geschaffen, und wir dürfen uns freuen, dass er Digitalkommissar werden wird. Alle Aussagen, er habe kein Schlüsselressort, halte ich für albern unter dem Aspekt des sen, was uns bevorsteht.
Ich wünsche ihm jedenfalls alles Gute und viel Erfolg, und ich hoffe, dass ich dabei im Namen des ganzen Hauses spre che.
Es ist ganz klar: Die Gespräche, die wir seit Langem mit Un ternehmen führen, haben klar ergeben, dass die europäische Datenschutzgrundverordnung ganz oben auf die Agenda ge hört. Dabei muss es gleichermaßen um hohe Datenschutzstan dards wie auch um die Ermöglichung von Wertschöpfung ge hen. Zudem müssen wir in Europa diejenigen sein, die die re levanten Standards setzen. Dabei wollen wir die Chance nut zen, als Europas „Modellregion 4.0“ gemeinsam mit der Kom mission die Weichen für die Zukunft zu stellen.
Auch unsere Arbeitswelt verändert sich durch die Digitalisie rung stark. Es entstehen neue Anforderungen an Kommuni kation, Qualifizierung und Arbeitsorganisation. Dementspre chend müssen wir unsere Arbeits- und Sozialstandards wei terentwickeln. Die Gewährleistung von guter Arbeit und so zialer Sicherheit auch in Zeiten der Digitalisierung – das ist unser Ziel.
Datensicherheit, Datenschutz, eine wirksame Bekämpfung der Cyberkriminalität und die Anpassung unserer Arbeits- und So zialstandards an die neuen Realitäten – mit diesen Bausteinen bauen wir an einem sicheren Fundament für die digitale Welt der Zukunft.
Zweitens: Starke Wirtschaft. Es geht nicht allein um Sicher heit. Wir dürfen uns nicht in der unrealistischen Vorstellung absoluter Sicherheit einigeln. Ohne Neugier, ohne den Schritt ins Ungewisse gibt es keine Zukunft. Forscher-, Tüftler- und Unternehmergeist sind die unerlässlichen Treiber des Fort schritts. Das gilt für die digitale Revolution in besonderem Maß. Es reicht nicht aus, Technik und Geschäftsmodelle in kleinen Schritten weiterzuentwickeln.
Denken Sie an den drastischen Umbruch in der Musikindus trie: gestern noch hochrentabel, heute weitgehend von digita len Geschäftsmodellen verdrängt. Wie viele Plattenläden gibt es noch in Ihrer Heimatstadt? Oder denken Sie an die Krise des Journalismus aufgrund kostenfreier Angebote im Internet.
Wir brauchen daher nicht nur die Anpassung an die neue Tech nik. Wir brauchen auch die Suche nach völlig neuen Ge schäftsmodellen, und zwar nicht nur im Hinblick auf unsere Produkte, sondern auch im Hinblick auf die produktbegleiten den Dienstleistungen, die an das digitale Hirn der Geräte an koppeln. Das „Internet der Dinge“ hängt mit dem „Internet der Dienste“ aufs Engste zusammen. Apple macht bei vielen Kunden mit produktbegleitenden Dienstleistungen bereits heute mehr Umsatz als mit dem I-Phone.
Beides ist für uns in Baden-Württemberg eine große Heraus forderung. Wir denken traditionell eher von der Technik her, müssen nun aber verstärkt lernen, auch in Geschäftsmodellen zu denken. Wir schätzen das Produkt traditionell besonders hoch ein, müssen nun aber verstärkt lernen, uns auch auf pro duktbegleitende Dienstleistungen zu fokussieren.
Die Avantgarde der Unternehmen im Land hat die Herausfor derung und die Chance, die in dieser Entwicklung liegen, klar erkannt. Ich denke an Unternehmen wie Daimler, SAP, Bosch, Trumpf, Festo oder Wittenstein.
Doch das reicht nicht. Wir müssen die Digitalisierung und die mit ihr verbundene Herausforderung in die gesamte Breite un seres Mittelstands bringen, auch in die kleinen und die mitt leren Betriebe. Das ist bei diesem Thema wirtschaftspolitisch die eigentliche Herausforderung.
Deshalb hat Minister Dr. Schmid die Initiative ergriffen und eine Reihe wichtiger Maßnahmen für den Mittelstand erarbei tet.
Kleine und mittlere Unternehmen auf ihrem Weg in Richtung Industrie 4.0 bestmöglich zu unterstützen, das ist unser Ziel.
Deshalb werden wir ein Leuchtturmprojekt „Cloud Compu ting“ auf den Weg bringen, das kleinen und mittleren Unter nehmen ein integriertes Portfolio aus Infrastrukturleistungen, erweiterten Plattformdiensten und Softwareanwendungen bie tet. Deshalb werden wir eine Forschungsfabrik „Campus Ost“ gründen, die in enger Kooperation mit der Fraunhofer-Gesell schaft Technologievorsprünge erarbeiten soll.
Entgegen einer Vorabmeldung heute in der Presse haben wir im Januar 2014 das Smart Data Innovation Lab mit Sitz am KIT auf den Weg gebracht, das kleine und mittlere Unterneh men bei dem Aufbau von Big-Data-Kompetenz unterstützt.
Deshalb gründet der Wirtschaftsminister derzeit gemeinsam mit Vertretern der Wirtschaft und der Wissenschaft eine Alli anz Industrie 4.0, um das Thema in den kleinen und mittleren Unternehmen zu verankern. Vorsitzender der Allianz wird Dr. Manfred Wittenstein sein. Ich wünsche Herrn Dr. Wittenstein von dieser Stelle aus alles Gute und sichere ihm hiermit die volle Unterstützung der gesamten Landesregierung für seine wichtige Aufgabe zu.
Zur Mittelstandsoffensive kommt eine Gründeroffensive hin zu. Deshalb legen wir in Baden-Württemberg einen VentureCapital-Fonds auf, um innovative Gründerinnen und Gründer in der Anfangsphase zu unterstützen.
Deshalb werden wir im „House of IT“ nicht nur Schwerpunk te bei der Grundlagenforschung, der angewandten Forschung und dem Wissens- und Technologietransfer setzen, sondern auch gezielt Unternehmensgründungen auf dem Feld der di gitalen Wirtschaft fördern.
Dann geht es natürlich auch um eine zutiefst kulturelle Fra ge: Welches Bild haben wir von Menschen, die unternehme rische Wagnisse eingehen?
Ich meine: Wir brauchen höchsten Respekt vor allen Men schen mit Unternehmergeist. Dieser Respekt schließt aus drücklich all diejenigen mit ein, die mit ihrem Start-up eine Bauchlandung gemacht haben.
Ich wünsche mir für Baden-Württemberg eine Kultur der zweiten und dritten Chance, so wie es in den USA schon seit Langem selbstverständlich ist. In den USA steht insbesonde re das Silicon Valley für eine solche Kultur. Dadurch ist es zu einem der Innovationskerne der digitalen Revolution gewor den, der auch für die Wirtschaft unseres Landes von großer Bedeutung ist. Deswegen werde ich im Mai kommenden Jah res mit einer großen Wirtschaftsdelegation eine Reise mit dem Schwerpunkt „Digitalisierung der Wirtschaft“ dorthin unter nehmen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum dritten Punkt: Bil dung und Wissenschaft. Eine dritte Anstrengung betrifft die Felder Bildung und Wissenschaft. Dabei geht es um die Be fähigung junger Menschen für die digitale Welt der Gegen wart und der Zukunft.
Wir wollen die Fähigkeiten fördern, die junge Menschen für die Jobs der Zukunft oder für die Gründung eines Start-ups brauchen. Wir wollen zu einem reflektierten Umgang mit den neuen, digitalen Kulturtechniken befähigen. Denn keine Tech nik kann gesellschaftlichen Zusammenhalt ersetzen.
Wer will in einer Gesellschaft leben, in der man Tausende di gitale Freunde hat, aber keinen einzigen echten?