Winfried Kretschmann

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Herr Präsident, meine Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen! Baden-Württemberg ist wirtschaftlich bärenstark. Das haben wir heute schon einige Male gehört. Aber ich wiederhole es gern:
Baden-Württemberg ist die Wachstumslokomotive Deutsch lands. Baden-Württemberg hat eine Rekordbeschäftigung mit 400 000 Arbeitsplätzen mehr als 2010 und die niedrigste Ar beitslosenquote in ganz Deutschland. Baden-Württemberg hat einen innovativen Mittelstand und erfolgreiche große Konzer ne, die auf den Weltmärkten reüssieren.
Nirgendwo in Europa wird so viel in Forschung und Entwick lung investiert wie in Baden-Württemberg, nämlich 5 % des Bruttoinlandsprodukts.
Baden-Württemberg ist also ein wirtschaftlich starkes, inno vatives Land. Aber es ist auch ein schönes Land:
Ich nenne Bodensee und Blautopf, romantische Wasserfälle wie die Allerheiligen-Wasserfälle oder den Uracher Wasser fall,
großartige Mittelgebirge wie die Schwäbische Alb oder den Schwarzwald,
die feinstrukturierten Gäulandschaften, das Hohenlohische oder den fruchtbaren Kraichgau, urige Höhlen wie die Bären höhle
oder die Erdmannshöhle in Hasel, wilde Moorlandschaften wie das Weingartener Moor oder das Natur- und Landschafts schutzgebiet Bodenmöser, erholsame Schutzgebiete wie den Neckar-Odenwald-Naturpark oder den Naturpark Obere Do nau, eine der schönste Flusslandschaften Deutschlands.
Also: Gepflegte Landschaften,
Kulturlandschaften, eine kleinteilige Landwirtschaft,
kostbare Streuobstwiesen – das zeichnet unser Land aus. Ba den-Württemberg ist ein wirtschaftlich wohlhabendes Land. Das haben wir geschaffen.
Baden-Württemberg ist aber auch ein schönes Land. Das ha ben wir erhalten und nicht selbst geschaffen. Deswegen ha ben wir die Pflicht, es weiter zu erhalten.
Beides ist unverzichtbar für eine hohe Lebensqualität im Land: dass Baden-Württemberg ein starker Industriestandort bleibt, dass wir aber auch unsere reichen Kulturlandschaften erhal ten. Das ist in der Tat eine große Herausforderung. Denn weil Baden-Württemberg ein Industriestandort ist, besteht ständig Druck auf die Landschaften in unserem Land – durch weite re Infrastrukturen und Ähnliches mehr. Deswegen gehört es zu den großen Herausforderungen, ein solches Land so zu re gieren, dass beides möglich ist, und beides ist nur durch Qua lität auf beiden Seiten möglich.
Denn zur Wahrheit gehört auch, dass die Wirtschaft in unse rem Land noch nicht nachhaltig ist. Wir betreiben immer noch Raubbau an unserem Planeten, belasten die Umwelt und ge fährden damit langfristig unseren Wohlstand und unsere Na tur. Denken Sie nur an den Klimawandel oder das Artenster ben. Vor diesem Hintergrund verfolgt die Landesregierung zwei zentrale Ziele:
Erstens: Wir wollen das Wirtschaftswachstum Schritt für Schritt vom Naturverbrauch entkoppeln. Das ist eine der großen Auf gaben dieses Jahrhunderts.
Deswegen setzen wir die Energiewende konsequent um. Wir fördern systematisch Ressourceneffizienz. Wir machen grüne Technologien zum Markenzeichen und zum Exportschlager für Baden-Württemberg. Denn erst dann, wenn wir zeigen, dass wir mit diesen grünen Technologien in allen Bereichen auch wirtschaftlich erfolgreich sind, wird dies globale Effek te haben, wenn dann auch andere Regionen diesen Weg ge hen, weil wir damit ein Prosperitätsversprechen verbinden können.
Zweitens: Wir wollen erhalten, was uns erhält. Deswegen ha ben wir den Naturschutz vom Rand in das Zentrum der Poli tik gerückt.
Nur so können wir die Vielfalt unserer heimischen Tiere, Pflanzen und Lebensräume sichern, und nur so werden wir unserer Verantwortung für die Schöpfung und die Schönheit unserer Heimat gerecht.
Dabei geht es nicht um eine grüne Spielwiese für Idealisten und Waldschrate – obwohl man auch die braucht –,
sondern es geht um nicht weniger als um unsere Lebensver sicherung. Der biologischen Vielfalt verdanken wir, dass in
unserem Land die Böden fruchtbar bleiben, die Ernährung ge sichert ist und das Klima im Gleichgewicht bleibt. Deswegen setzen wir auch im Naturschutz auf höchste Ansprüche und Qualität.
Lassen Sie mich ein paar Punkte nennen, die wir in den letz ten fünf Jahren angepackt haben:
Wir haben die Naturschutzstrategie Baden-Württemberg neu ausgerichtet. Wir haben den Naturschutz als Querschnittsauf gabe verankert, der alle Ressorts verpflichtet sind, und ihn als gesamtgesellschaftliche Aufgabe definiert – eine völlig neue Qualität. Baden-Württemberg hat heute die modernste Natur schutzstrategie ganz Deutschlands.
Wir haben den Nationalpark Schwarzwald geschaffen, das Biosphärengebiet Schwäbische Alb personell gestärkt und das Biosphärengebiet Schwarzwald neu eingerichtet. Baden-Würt temberg ist jetzt auch im Bereich der Großschutzgebiete gut aufgestellt.
Nahezu flächendeckend wurden Landschaftserhaltungsver bände eingeführt – ganz wichtige Weichen für die Pflege un serer Kulturlandschaft.
Wir haben landesweite Planungsgrundlagen für den Biotop verbund geschaffen. Das ist wirklich ein echter Meilenstein.
Wir haben die Moorschutzkonzeption erstellt – ein ganz wich tiger Beitrag für den Erhalt und die Renaturierung der Hoch- und Niedermoore in unserem Land.
Wir haben die Streuobstkonzeption auf den Weg gebracht und Förderprogramme zur Streuobstpflege aufgelegt. Baden-Würt temberg besitzt mit neun Millionen Obstbäumen die größten zusammenhängenden Streuobstbestände Europas. Damit hat das Land eine besondere Verantwortung für den Erhalt dieser wertvollen Kulturlandschaft
von hoher ökologischer Bedeutung, und wir werden dieser Verantwortung gerecht.
Wir haben den Staatswald mit dem FSC-Label zertifiziert. Das stärkt den Naturschutz im Wald erheblich.
Wir haben mehr Geld aus Brüssel für die Bauern in unserem Land herausgeholt. Die Landwirtschaft in unserem Land ist ja sehr kleinteilig;
diese gilt es zu fördern und zu stützen. Wir in Baden-Würt temberg setzen auf Klasse statt Masse.
Wir haben den Aktionsplan „Bio aus Baden-Württemberg“ er folgreich umgesetzt.
Heute haben wir rund 17 % mehr ökologisch bewirtschaftete Flächen als 2011. Was auf den Teller kommt, soll schmecken und gesund sein. Auch hier setzen wir auf höchste Qualität.
Wir haben Baden-Württemberg gentechnikfrei gehalten. Denn wir wollen genauso wie 90 % der Verbraucherinnen und Ver braucher im Land Gentechnik weder auf den Äckern noch auf unseren Tellern.
Wir haben die Mittel für den Naturschutz im Land insgesamt auf 60 Millionen € erhöht und damit mehr als verdoppelt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist eine starke Bilanz für eine gesunde und schöne Natur, eine Politik, die höchsten Naturschutzansprüchen genügt.
Es ist eben keine Ideologie, Herr Rapp, sondern wir verfah ren natürlich nach dem Prinzip „Schutz durch Nutzung“,
„Schutz mit Nutzung“ und „Schutz vor Nutzung“. Die Rei henfolge ist ganz klar: der Großteil heißt „Schutz durch Nut zung“, ein kleinerer Teil „Schutz mit Nutzung“ und nur ein ganz geringer Teil „Schutz vor Nutzung“.
Für diese erfolgreiche Strategie, die eben fern jeder Ideologie ist, sondern die dies je nach den Erfordernissen sachgerecht abschichtet, und für das Erreichte möchte ich mich bei Minis ter Bonde recht herzlich bedanken,
aber auch bei beiden Regierungsfraktionen, die das unterstüt zen.
Bedanken möchte ich mich auch bei allen Beteiligten: den Umweltverbänden, den ehrenamtlich Tätigen, den Landwir tinnen und Landwirten, den Naturschützerinnen und Natur schützern, den Förstern, den Jägerinnen und Jägern sowie den beteiligten Verwaltungsbehörden.
Ohne den unermüdlichen Einsatz von haupt- und ehrenamt lich Tätigen wäre es nicht möglich gewesen, diese Natur schutzstrategie so kraftvoll umzusetzen.
Meine Damen und Herren, das Naturbewusstsein ist bei den Menschen in Baden-Württemberg viel stärker ausgeprägt als sonst in Deutschland. Wir Baden-Württemberger und BadenWürttembergerinnen sind geprägt von unserem Land, seinen
vielfältigen Regionen und Landschaften. Da, wo wir heimisch sind, wollen wir uns auch wohlfühlen. Eine intakte Natur, kla re Seen, saubere Luft, naturnahe Wälder gehören einfach da zu. Naturschützerinnen und Naturschützer pflegen also im besten Sinn unsere Heimat; sie sind auch Heimatpfleger.
Wir Baden-Württemberger wollen erhalten, was uns erhält. Diese Grundhaltung vieler Menschen im Land und ihr Enga gement für unser Land, das ist ein echtes Pfund, auf das wir stolz sein können.
Ich möchte noch einmal sagen: Die Liebe zur Natur hat mich zum Mitgründer der Grünen gemacht. Deswegen möchte ich am Schluss noch ein Projekt unserer Landesregierung nennen, das mir besonders am Herzen lag und liegt und auf das ich be sonders stolz bin:
Das ist der Nationalpark Schwarzwald,
10 000 ha Natur, die sich selbst überlassen werden. Dieses Projekt zu verwirklichen war bekanntlich nicht immer stress frei, aber die Mühen haben sich gelohnt.
In Zukunft muss niemand mehr nach Bayern fahren, um ein Stück wilde Natur zu erleben. Vor allem aber wird dieser Na tionalpark unseren Kindern, Enkelkindern und Kindeskindern noch sehr viel Freude bereiten; da bin ich mir sicher. Ein Ur wald mit all seinen Besonderheiten und den Geheimnissen, die er bereithalten wird und die gelüftet werden können, wird für unsere Nachkommen ein ganz großes Ereignis sein.
Zwei Jahre nach Eröffnung des Nationalparks ist die Akzep tanz für ihn stetig gewachsen und ist sehr hoch, auch unter früheren Skeptikern vor Ort. Der Nationalpark wird als Ort für Rückzug und Erholung immer beliebter. Er entwickelt sich zu einem echten Tourismusmagneten.
Letztes Jahr hat Baden-Württemberg so viele Touristen ange lockt wie nie zuvor.
Es gab über 50 Millionen Übernachtungen. Das zeigt auch, dass das magische Dreieck zwischen Landwirtschaft, Natur schutz und Tourismus funktioniert und die richtige Weichen stellung war.
Viele lockt natürlich nicht nur unsere vielfältige Natur hier her, sondern auch unser gutes Essen. Nirgendwo sonst kann man so gut schlemmen wie bei uns. Wir haben die höchste Dichte an Michelin-Sternerestaurants in ganz Deutschland.
Wir dürfen froh sein, dass Baden-Württemberg als Genießer land heute in ganz Deutschland einen Namen hat und bekannt ist.
Es ist ja auch so: Wenn man heimische Produkte isst und da für auch etwas mehr hinlegt, ist das schon der beste prakti zierte Naturschutz, den man persönlich betreiben kann.
Aber auch unsere schöne Natur, unsere Kulturlandschaft, die schönen Städte locken viele Urlauber hierher. Das heißt, klu ger Naturschutz macht natürlich auch ökonomisch Sinn. Ja, wir können also stolz sagen: Wir leben dort, wo andere gern Urlaub machen.
Baden-Württemberg ist wirtschaftlich stark
und hat eine schöne Natur. Beides ist unverzichtbar für eine hohe Lebensqualität im Land. Diese Lebensqualität, die sich auf diese beiden großen Standbeine gründet, wollen wir in Ba den-Württemberg auch in Zukunft sichern. Dafür werden wir uns beharrlich und mit Leidenschaft einsetzen.
Herzlichen Dank.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Wir erleben aktuell eine Zeitenwende, eine globale Krise. 60 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Staaten im ara bischen Raum implodieren. Der IS treibt in Syrien und im Irak sowie auch anderswo schon sein Unwesen und greift jetzt auch nach Europa. Jeden Tag kommen Tausende Flüchtlinge nach Deutschland. Allein im Oktober kamen mehr Flüchtlin ge zu uns nach Baden-Württemberg als im ganzen Jahr zuvor. Das fordert uns alle enorm heraus und bringt uns immer wie der an die Grenzen der Belastbarkeit und manchmal auch da rüber hinaus.
Viele Menschen haben aufgrund dieser Situation den Ein druck, die Politik sei nicht in der Lage, die anstehenden Pro bleme zu lösen. Das muss uns sehr besorgen. Dieser Eindruck wird natürlich bestärkt, wenn immer wieder unausgegorene Vorschläge gemacht werden, die nachher nicht umgesetzt wer den, nicht umgesetzt werden können, weil sie gar nicht funk tionieren, weil sie rechtlich nicht möglich sind oder weil kein Konsens darüber hergestellt wird. Ich glaube, es ist nicht sehr verantwortlich, immer wieder neue Steine ins Wasser zu wer fen, die hohe Wellen schlagen, jedoch nicht zur Lösung des Problems beitragen. Das ist wirklich Gift für die öffentliche Stimmung.
Es ist klar: Das Delta zwischen diesen scheinradikalen Lösun gen, die da dauernd kommen, und dem, was nachher gemacht werden kann, ist oft erheblich. Das bleibt dann alles bei den rechtspopulistischen Parteien hängen.
Deswegen mein Rat: Weniger radikal klingende Schnellschüs se und weniger Scheinlösungen. Das ist, glaube ich, schon das Richtige.
Ein bayerischer Vorschlag mit den Transitzonen war so einer; der wurde nachher eingesammelt.
Also: Jeder muss sich Vorschläge überlegen, wie diese Krise gelöst werden kann. Jeder muss aber auch diese Vorschläge durchdenken, sie mit anderen beraten. Wir müssen sie bewer ten, und wir müssen dann Kompromisse aushandeln, einen Konsens herstellen und sie dann auch umsetzen. Das ist, glau be ich, der richtige Weg, der Vertrauen in der Bevölkerung schafft und eine Spaltung verhindert.
Die eigentliche Krise, die da dahintersteckt – das sollten wir alle uns noch einmal sehr bewusst machen –, ist eine europä ische Krise größten Ausmaßes, die sich da anbahnt. Das eu ropäische Projekt steht gerade auf dem Spiel. Europa ist in der Flüchtlingsfrage zerstritten. Von Solidarität spüren wir nicht viel, sondern auf offener Bühne wird von Überforderung ge sprochen. Viele Mitgliedsstaaten kommen noch nicht einmal ihrer Verpflichtung zur Finanzierung des UNHCR und des Welternährungsprogramms in ausreichendem Umfang nach, was dazu führt, dass in den Aufnahmelagern rund um Syrien Kinder hungern müssen und die Gesundheitsversorgung nicht gewährleistet ist.
Bundesminister Müller hat das zu Recht gerade noch einmal angeprangert. Das ist nicht nur unmenschlich, sondern eine solche Kurzsichtigkeit ist auch völlig unbegreiflich. Denn es ist klar: Damit zwingt man ja die Leute geradezu, diese Lager zu verlassen und anderswohin aufzubrechen.
Also: Wir können diese Dinge nur im europäischen Rahmen ordnen und in beherrschbare Bahnen bringen. Ohne eine fai re Verteilung der Flüchtlinge in ganz Europa, ohne eine Si cherung der Außengrenzen, ohne das Instandsetzen der Hot spots, damit sie ihren Aufgaben auch nachkommen können, werden wir bald eben nicht nur gefordert, sondern überfordert sein.
Der Zustand Europas macht mir sehr ernsthafte Sorgen. Eu ropa steht vor einer seiner großen Bewährungsproben, einer Bewährungsprobe für seine Handlungsfähigkeit und einer für seine Werte zugleich. Wenn Europa in dieser Frage scheitert, droht ein epochaler Rückfall in nationales Klein-Klein. Die
Folgen wären dramatisch. Das wissen wir hier in Baden-Würt temberg genau, in einem Land, das vom Export lebt und mit ten in der Globalisierung steht. Ich denke, wenn der europäi sche Kontinent hier auseinanderbricht, darf niemand ernsthaft glauben, dass wir hinterher mit 28 Außenpolitiken noch ir gendetwas in der globalisierten Welt bewegen können.
Nur wer diese Dimension sieht und erkennt, der versteht auch den Kurs der Kanzlerin und versteht, warum sie bei ihrem Kurs auch die volle Unterstützung der Landesregierung hat. Ihre Furcht, dass Europa an dieser Frage auseinanderbrechen könnte, teilen wir, und deswegen gehen wir auf Europa zu. Ich werde im Dezember – möglicherweise auch mit anderen Kollegen – nach Europa fahren, um das auch dort vorzubrin gen.
Ich werde nach Brüssel fahren, um das vorzubringen. – Ich glaube, das ist ganz entscheidend.
Alles andere, was derzeit so auf dem Markt gestreut wird, wo mit versucht wird, zu suggerieren, wir könnten diese Fragen rein national durch irgendwelche radikalen Scheinlösungen lösen, wird diese Fragen nicht lösen. Wir können sie wirklich nur europäisch lösen, sonst setzen wir Europa aufs Spiel.
Wir brauchen eine humane und zugleich zupackende und pragmatische Politik in dieser Frage, eine Politik ohne Angst vor dieser Herausforderung, ohne Angst vor den notwendigen Schritten, die wir gehen müssen, und auch eine Politik, die den Menschen keine Angst macht, die ihre Sorgen allerdings durchaus ernst nimmt.
Ich war am Montag bei der Trauerfeier zu Ehren von Helmut Schmidt, unserem geschätzten Altbundeskanzler. Ich glaube, man kann von ihm einiges zur Lösung dieser Krise lernen. In der Krise braucht man eine klare Haltung, einen klaren Kom pass.
Den hatte Helmut Schmidt.
„In der Krise beweist sich der Charakter“, das war seine Aus sage dazu.
Wir sollten einen kühlen Kopf bewahren und die Krise Schritt für Schritt lösen und nicht wie ein aufgeregter Hühnerhaufen herumflattern.
In dieser globalen Krise sind die Akteure nicht einfach, wie manche meinen, Deutschland oder gar die Länder. Die zent
rale Größe, auf die es dabei ankommt, ist Europa. Ich denke, das ist etwas, was wir von Altbundeskanzler Helmut Schmidt übernehmen können: die Sicht der Dinge in solchen Krisen.
Es ist natürlich klar, dass Deutschland dabei eine besondere Verantwortung zukommt. Bei dem, was wir in Deutschland, dem größten und stärksten Land in der Mitte des Kontinents, tun – in einer Situation, in der wir im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten gerade nicht von großen Wirtschaftspro blemen geplagt sind –, kommt uns eine große Verantwortung zu, denn es strahlt auf die anderen aus.
Deshalb muss alles, was wir auf Bundesebene entwickeln, eu ropafähig und europatauglich sein. Daher halte ich eine ein seitig von Deutschland festgelegte Obergrenze für unrealis tisch und falsch. Es wäre nur mit der Abschottung Deutsch lands, mit Mauern, Zäunen und militärisch gesicherten Gren zen lösbar. Das ist letztlich genau das Gegenteil dessen, was wir brauchen, um die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu meistern. Derartige nationale Lösungen bergen die Gefahr, das Projekt schlicht zu sprengen.
Ich möchte noch einmal sagen: Die Stabilisierung der Flücht lingslager im Libanon, in Jordanien und in der Türkei ist die allerdringendste Aufgabe, die die Europäische Union im Mo ment hat. Wenn wir diese Lager stabilisieren, besteht die gro ße Aussicht, dass viele Bürgerkriegsflüchtlinge dort bleiben und sich nicht weiter auf den Weg machen.
Es ist klar, dass diese Staaten damit überfordert sind, wenn wir einmal daran denken, dass z. B. im Libanon 25 % der Be völkerung Flüchtlinge sind. Also müssen wir sie mit allen Kräften und auch mit viel Geld unterstützen.
Das ist einfach ein Gebot der Stunde und der praktischen Ver nunft.
Im Zusammenhang damit müssen wir natürlich auch mehr für die Sicherung und die Kontrolle der Außengrenzen tun
und die sogenannten Hotspots in den Zustand versetzen, dass sie die Aufgaben auch wahrnehmen können.
Es darf nicht nur Geld sein, sondern wir müssen sie auch in jeder anderen Hinsicht unterstützen; denn wir haben ja gute Erfahrungen darin, wie man so etwas macht.
Wenn wir dies tun und uns zugleich mit den Nachbarstaaten, den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union über Kontin gente verständigen, dann halte ich das für einen sinnvollen Weg.
Nur so kommen wir einer gerechten Verteilung der Flüchtlin ge in Europa und einer Begrenzung der Flüchtlingszahlen in Deutschland wirklich näher.
Ich denke, wir sollten deshalb diesen Weg beschreiten, und ich sehe auch, dass alle demokratischen Kräfte gerade diesen Weg diskutieren. So können wir die Aufnahme von Flüchtlin gen besser steuern und mehr Ordnung in die Verfahren be kommen. Die Flüchtlinge müssten sich nicht mehr kriminel len Schleppern anvertrauen und sich nicht länger mit ihren Fa milien auf eine gefährliche Flucht begeben, und wir könnten das Schengener Abkommen und die offenen Grenzen inner halb der EU und damit die Grundfeste Europas und des euro päischen Geistes bewahren. Aber wenn jedes Land wieder sei ne eigenen Grenzen schützen will und Zäune errichtet und mehr, dann ist die Rückabwicklung Europas eingeleitet.
Natürlich ist auch eine Kontingentlösung alles andere als leicht umzusetzen; das ist mir vollkommen bewusst. Deshalb sollte die Bundeskanzlerin, die Bundesregierung unser aller Unterstützung in dieser wichtigen Frage haben. Daher wer den wir uns in Brüssel auch selbst für eine solche Lösung ein setzen.
Meine Damen und Herren, das Land, die Kommunen, wir ste hen am Ende der Wirkungskette. Auf das, was ich gerade ge schildert habe, haben wir nur einen bescheidenen Einfluss. Aber ich denke, was wir hier im Land tun können, das tun wir.
Mehr noch: Wir setzen Maßstäbe damit, wie wir das Problem handeln. Wir waren bundesweit die Ersten, die auf einem Flüchtlingsgipfel alle Akteure an einen Tisch geholt und in ei ne Verantwortungsgemeinschaft eingebunden haben. Auf ei nem zweiten Flüchtlingsgipfel haben wir es noch einmal ver tieft. Ich will sagen: Wir haben die Verantwortungsgemein schaft, von der wir immer sprechen, im Land hergestellt. Land und Kommunen stehen in dieser Verantwortungsgemeinschaft und nehmen sie auch tatkräftig wahr.
Wir haben die Erstaufnahmekapazität ausgebaut, inzwischen vervierzigfacht. Wir unterstützen unsere Kommunen so, wie dies sonst nirgends geschieht, und wir haben ihnen schon sehr früh die Zusage gegeben, dass wir alles dafür tun werden, da mit keine Flüchtlinge, deren Status nicht geklärt ist, in die Kommunen weitergereicht werden. Wir sind voll dabei, dies umzusetzen. Wir haben die Pauschalen für die Flüchtlingsun terbringung erhöht und erstatten jetzt mit einer nachlaufenden Spitzabrechnung den Kommunen die Kosten vollständig.
Wir fördern das Engagement der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer so umfassend, wie dies nirgendwo sonst erfolgt. Weil wir wissen, dass wir das Problem ohne die vielen ehren amtlichen Helfer überhaupt nicht lösen könnten, sei allen noch einmal recht herzlich gedankt. Wir fördern das mit den För derprogrammen zur Unterstützung lokaler Bündnisse und eh renamtlicher Helferkreise, mit praktischen Hilfestellungen und der Schaffung eines Ombudswesens an jeder Landeserstauf nahmeeinrichtung.
Wir haben in den Erstaufnahmeeinrichtungen und den Regie rungspräsidien Hunderte neue Stellen geschaffen, um die stei gende Zahl der Flüchtlinge bewältigen zu können. Wir haben die Polizei vor Ort in den Erstaufnahmestellen verstärkt. Wir haben zusätzliche Verwaltungsrichter eingestellt, und wir ha ben pro 100 Flüchtlinge eine Sozialarbeiterstelle geschaffen.
Zudem richten wir gerade eine neue Abteilung „Bevölke rungsschutz und Krisenmanagement“ im Innenministerium ein, schaffen zusätzliche Stellen im Integrationsministerium und richten im Regierungspräsidium Karlsruhe eine zusätzli che Abteilung „Flüchtlingsangelegenheiten, landesweite Steu erung, Aufnahme, Unterbringung, Verteilung“ ein. Auch bei der Umsetzung des Asylkompromisses und des Asylpakets sind wir Vorreiter; wir setzen es konsequent um. Denn gera de in der Krise ist Verlässlichkeit unverzichtbar. Ich denke, dass in einer Krise wie dieser der Konsens der demokratischen Parteien ein großer Wert ist.
Es gab die Befürchtung, dass auch das Taschengeld in den Erstaufnahmeeinrichtungen ein Grund ist, weshalb Menschen ihre Heimat verlassen. Die Abschaffung der Geldleistungen ist Teil des Asylkompromisses geworden – bei vertretbarem Verwaltungsaufwand. Daran halten wir uns,
obwohl ich hinzufügen möchte: Wenn wir das größte Prob lem, nämlich die lange Dauer der Verfahren, so lösen, wie wir es in Heidelberg lösen, wird es keine große Rolle mehr spie len.
Es ist doch ein Unterschied, ob wir, wie jetzt, das Asylverfah ren in wenigen Tagen abschließen. Dann kommen noch mög licherweise 14 Tage Gerichtsverfahren dazu, und dann ist das ganze Verfahren in einem Monat wirklich abgeschlossen.
Da sind wir wirklich dabei. Dann spielt es doch nur noch ei ne untergeordnete Rolle. Aber wie dem auch sei – –
Wie dem auch sei, Herr Schebesta: Wir halten uns an den Kompromiss, und wir setzen ihn um.
Erstens gilt das Sachleistungsprinzip ohnehin in den Erstauf nahmeeinrichtungen; das möchte ich noch einmal betonen. Das Taschengeld ersetzen wir durch eine elektronische Leis tungskarte, und wir arbeiten mit Hochdruck daran, dies auch
schnell umzusetzen. Sie sehen daran: Wir halten uns nicht nur an Kompromisse, wir setzen sie auch intelligent und innova tiv um.
Auch beim Thema Gesundheit stellen wir das bisherige büro kratische Verfahren um und entlasten die Beteiligten. Sie er halten eine Gesundheitskarte, mit der sie direkt zum Arzt ge hen können. Die Entscheidung liegt dann beim Arzt; der Leis tungskatalog wird nicht erweitert, sondern bleibt der Gleiche. Wenn Sie natürlich – Herr Wolf, daran darf ich Sie noch ein mal erinnern – behaupten, dies sei eine Rundumversorgung, dann erzeugen Sie Pull-Effekte, nicht die Gesundheitskarte.
Baden-Württemberg ist das erste Bundesland, das ein syste matisches Rückkehrmanagement eingeführt hat. Dabei liegt die Priorität auf der freiwilligen Rückkehr. Deshalb führen wir jetzt eine systematische Rückkehrberatung ein.
Hierfür haben wir auch das entsprechende Personal zur Ver fügung gestellt. Denn eine freiwillige Rückkehr ist der ein fachste, kostengünstigste und erfolgversprechendste Weg. Aufgrund der bisherigen Erfahrung können wir davon ausge hen, dass sich die Hälfte der ausreisepflichtigen Flüchtlinge zur freiwilligen Ausreise aus Deutschland bewegen lässt;
diese fallen dann aber natürlich nicht mehr in die Statistik der Rückführung insgesamt; das muss man vielleicht auch ändern.
Aber dort, wo das nicht der Fall ist, führen wir die Menschen konsequent zu rück – ohne dabei humanitäre Standards zu verletzen; auch das möchte ich klipp und klar sagen.
Es wird bei den Menschen nachgeprüft – –
Einen Moment. – Es wird bei den Menschen beispielsweise – ich habe dieses Beispiel schon einmal angeführt – nachgeprüft, ob jemand, der Diabetes hat, dort, wo er hinkommt, auch die erforderli chen Medikamente bekommt. Solche Dinge werden gemacht; das ist ganz klar. Aber wir führen diese Leute konsequent zu rück; daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen.
Wenn Sie sich die Zahlen anschauen, sehen Sie, dass auch die anderen Bundesländer etwa in der gleichen Größenordnung liegen. Das hatte seine Gründe, und diesen Gründen wirken wir entgegen. Die Passersatzbeschaffungsstelle habe ich seit einem Jahr gefordert; jetzt wird sie endlich eingerichtet, und auf Basis der Verträge, der Abkommen, die wir mit den Bal
kanstaaten haben, wird dies dann auch umgesetzt. Das war ei nes der großen Hindernisse der Rückführung. Diese Dinge muss man eben klären und darf nicht nur darüber klagen.
Sie sehen daran: Alle Probleme, die dabei entstehen, werden angegangen; sie werden angepackt, und sie werden auch ge löst, so gut sie eben lösbar sind.
Bitte.
Die Minister präsidentenkonferenz hat sich im Gegenzug gegenüber dem Bund dazu verpflichtet, dass diese Verfahren innerhalb von 14 Tagen abgeschlossen werden.
Der Bund hat sich verpflichtet, dass die Verfahren selbst in nerhalb von drei Monaten abgeschlossen werden. Sie sehen, wir machen dies innerhalb von wenigen Tagen. Die Länder haben sich dazu entschlossen, die nachlaufenden juristischen Verfahren innerhalb von 14 Tagen abzuschließen – natürlich immer, sofern dies möglich ist.
Diese Aussage bedeutet, dass wir die Kapazitäten dafür be reitstellen, dass dies möglich ist. Wenn dies in Einzelfällen ju ristisch nicht möglich ist, kann es natürlich nicht gemacht wer den;
das ist damit nicht gemeint, und das müssen wir jetzt auch nicht vertiefen, Herr Kollege.
Wir haben mit dem Registrierungszentrum in Heidelberg bun desweit einen Maßstab gesetzt. Nirgendwo läuft das Verfah ren so schnell und effektiv ab wie bei uns. Aufnahme, Regis trierung, Erfassung im EASY-System, erkennungsdienstliche
Behandlung, Gesundheits- und Röntgenuntersuchungen und das Stellen des Asylantrags haben wir gebündelt und aufein ander abgestimmt. Das heißt, das Kompetenzzentrum, das Sie fordern, läuft bereits seit Tagen in Volllast.
So schaffen wir alle wichtigen Verfahrensschritte innerhalb von zwei bis vier Tagen und damit so schnell wie sonst nir gends. Damit sorgen wir auch dafür, dass so wenige Flücht linge wie möglich verschwinden.
Baden-Württemberg hat außerdem, wie beim Asylkompro miss vereinbart, den Stau bei der Registrierung abgebaut. Die Nachregistrierung bisher nicht registrierter Personen ist abge schlossen; auch hier handeln wir schneller als andere Länder.
Ich habe es bereits gesagt: Wir haben zwei weitere Kammern bei den Verwaltungsgerichten eingerichtet. Damit leisten wir einen Beitrag, um die Verfahren des einstweiligen Rechts schutzes in Asylstreitigkeiten auf möglichst nur zwei Wochen zu verkürzen; so haben wir es mit dem Bund vereinbart. Im Gegenzug erwarten wir jetzt natürlich, dass auch der Bund liefert. Die Asylverfahren dauern noch immer viel zu lang. Bis jetzt ist die Bearbeitungsdauer nur um 0,1 Monate auf 5,2 Mo nate gesunken. Das ist natürlich viel zu wenig. Denn ein kur zes Asylverfahren ist der Dreh- und Angelpunkt in dieser Kri se.
Meine Damen und Herren, wir befinden uns in einer histori schen Herausforderung. Zur Lösung dieser Krise gibt es kei nen Masterplan. Den hat niemand; den haben schon gar nicht diejenigen, die dies behaupten –
es sei denn, Herr Kollege Mack, man betrachtet das Polarisie ren bereits als Masterplan.
Das ist allerdings ein Weg, den wir nicht gehen werden. Ich gehe konsensorientiert in die Verhandlungen. Ich tue nichts, was den Zusammenhalt schwächt, und tue alles, was den Zu sammenhalt stärkt.
Ich glaube, das ist der richtige Weg. Deswegen müssen wir Schritt für Schritt die Probleme dieser Krise lösen. Wir fah ren auf Sicht – ich sage es noch einmal –, obwohl mir bewusst ist, dass dies ungewöhnlich ist, für uns selbst, für die Journa listen und erst recht für die Bevölkerung. Wir müssen reali sieren, dass wir in einer solch schweren Krise nicht einfach einen Schalter haben, den man umlegen kann. Den hat nie mand, der mit diesen Problemen verantwortlich umgeht.
Aber auf Sicht zu fahren bedeutet nicht, dass wir im Nebel stochern. Wir haben einen klaren Kompass und eine klare Hal tung, und wir tun alles dafür, dass die Verantwortungsgemein schaft aller staatlichen Ebenen zusammenhält. Wir unterstüt
zen die Bundeskanzlerin dabei, Schritt für Schritt zu vernünf tigen Lösungen zu kommen.
Ich bin dankbar, dass der Vorsitzende der CDU Baden-Würt temberg dies ebenso sieht. Er hat noch einmal deutlich gesagt – ich zitiere –:
Es bringt nichts, einseitig eine Obergrenze auszurufen. Der Effekt läge bei null. Und was wäre überhaupt die Konsequenz, wenn die Obergrenze erreicht wäre? Nein, es muss darum gehen, dass wir gemeinsam mit unseren europäischen Freunden und mit Ländern wie der Türkei zu einer Kontingentlösung kommen. Das wird – zusam men etwa mit dem Schutz der EU-Außengrenzen – einer der entscheidenden Bausteine, um den Flüchtlingsstrom nach Deutschland zu steuern und zu begrenzen.
Dem kann man, glaube ich, nur zustimmen. Wir tun daher al les, damit diese Verantwortungsgemeinschaft aller staatlichen Ebenen zusammenhält. Wir setzen das Asylpaket konsequent um. Wir handeln entschlossen; wir setzen auch Maßstäbe – von der Einbindung Ehrenamtlicher bis zur Beschleunigung der Aufnahme und der Verteilung der Flüchtlinge. Das heißt, wir geben dort, wo wir Verantwortung tragen, unser Bestes, um diese historische Herausforderung zu meistern. Das tun auch unsere Gemeinden und Landkreise, und wir helfen ih nen dabei, dass sie das meistern können.
Ich will noch einmal betonen: Wenn alle Verantwortlichen in ihrem Zuständigkeitsbereich – Gemeinden, Kreise, Land, Bund,
aber vor allem auch Europa – anpacken und zupacken, statt zu jammern, wenn Europa endlich zusammenfindet und ge meinsam handelt, dann – davon bin ich überzeugt – können wir es schaffen.
Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich muss Ihre Zeit noch einmal et was bemühen. Wenigstens muss ich ja versuchen, dass Legen den, die Sie zu stricken versuchen, entgegengewirkt wird.
Erst einmal, Herr Fraktionsvorsitzender Wolf: Von Selbstzu friedenheit dieser Regierung kann überhaupt keine Rede sein. Alle, die mit dieser Frage beschäftigt sind, arbeiten fast rund um die Uhr. Ich erinnere nur an den Lenkungskreis, den wir rechtzeitig eingerichtet haben. Alle, die in ihm arbeiten und mit ihm arbeiten, machen wirklich einen außerordentlich am bitionierten Job. Jedes Problem, das auftaucht, wird dort zu lösen versucht. Da kann von Selbstzufriedenheit überhaupt keine Rede sein –
und von Selbstgerechtigkeit schon überhaupt nicht, Herr Kol lege Wolf.
Wenn ich selbstgerecht wäre, würde ich im Bundesrat nur den Dingen zustimmen, von denen ich persönlich überzeugt bin oder bei denen die Landesregierung davon überzeugt ist, dass sie auch richtig sind. Dann würde ich keine Kompromisse ein gehen.
Aber genau das tun wir nicht. Wir sind nicht selbstgerecht, sondern wir versuchen, dass die Dinge zusammen gelöst wer den, und nehmen deswegen auch die Argumente von anderen ernst. Auch wenn wir es anders sehen, suchen wir den Kon sens. Darum kommen wir in den Fragen auch voran, Herr Kol lege Wolf.
Die Ministerpräsidentenkonferenz zusammen mit der Kanz lerin – der Flüchtlingsgipfel – hat zugesagt – ich sage das, da mit das noch einmal klargestellt wird –, dass wir die Ressour cen zur Verfügung stellen, die notwendig sind, um etwa bei Eilverfahren das Verfahren innerhalb von 14 Tagen abzu schließen.
Wir stellen die Ressourcen zur Verfügung. Wir haben nicht beschlossen, in die richterliche Unabhängigkeit eingreifen zu wollen
oder darüber hinaus die Verfahren beschleunigen zu wollen. Es ging ausschließlich darum, dass die Länge der Verfahren, die Verfahrensdauer nicht in den Ressourcen begründet ist und dass wir die erforderlichen Ressourcen zur Verfügung stellen. Das tun wir. Wenn sie nicht ausreichen, werden wir nachsteu ern.
Also, machen Sie sich da mal gar keine Sorgen.
Etwas anderes war damit nicht gemeint.
Es tut mir leid, wenn ich mich da missverständlich ausge drückt habe.
Die Durch schnittsdauer der Verfahren in Asylstreitigkeiten des einstwei ligen Rechtsschutzes auf möglichst zwei Wochen zu verkür zen, das war gemeint.
Damit ist das hoffentlich voll aufgeklärt.
Deswegen stelle ich es klar.
Zweitens – „Augenhöhe mit den Kommunen“ –:
Vor etwa 40 Jahren fand die Gemeindereform statt. Bis dahin gab es 3 000 selbstständige Gemeinden. Jetzt gibt es noch 1 100. Das Recht von 2 000 selbstständigen Gemeinden, selbstständig zu sein, haben Sie damals per Beschluss abge schafft.
Sie auch. – Sehr oft geschah das auch gegen den Widerstand der jeweiligen Gemeinde. Da kann man ja nicht gerade von „Augenhöhe“ sprechen, wenn man jemandem das Selbstbe stimmungsrecht nimmt.
Herr Kollege Wolf, verfassungsrechtlich stehen die Kommunen mit dem Land nicht auf Augenhöhe
ja, so ist das; das brauchen Sie nicht zu hören, Sie müssen nur in die Verfassung schauen –, die Gesetzgebungsorgane liegen bei Europa, beim Bund und bei den Ländern.
Die Gemeinden haben keine Gesetzgebungskammern,
die kommunale Selbstverwaltung findet im Rahmen der be stehenden Gesetze statt. Das ist die Verfassungslage.
Meine Aussage bei einer Versammlung des Gemeindetags hat te mit dem Thema Flüchtlinge überhaupt nichts zu tun, son dern sie bezog sich auf die Änderung der Gemeindeordnung, in der beschlossen wurde, die Rechte etwa kleinerer Fraktio nen zu stärken. Darüber gab es einen Dissens mit dem Ge meindetag. Der ist auch nicht aufgehoben worden.
Und so hat es der Landtag mit Mehrheit beschlossen – gegen den Widerstand
jedenfalls des Gemeindetags und seines Präsidiums.
Mehr habe ich dazu in der Flüchtlingsfrage überhaupt nicht gesagt.
Das habe ich auch auf dem Gemeindetag gesagt: Wir verhan deln immer auf Augenhöhe mit den Gemeinden. Es gibt kei nen einzigen Punkt in der Flüchtlingsfrage, in dem wir ohne Konsens mit den Kommunen aus Verhandlungen herausge gangen wären; keinen einzigen Punkt.
Das zeigt: Wir ziehen mit den Kommunen an einem Strang. Das gilt auch bezüglich der Flüchtlingspauschalen, bei denen wir dem Wunsch, dass wir eine Spitzabrechnung machen, nach wiederholten Bitten aufgrund der großen Krise und des Aufwuchses schließlich und endlich auch nachgekommen sind.
Es kann also gar keine Rede davon sein, dass wir mit den Kommunen da nicht ordentlich verhandeln. Wir machen das im gemeinsamen Interesse, wir sind letztlich für dieselbe Bür gerschaft zuständig und für dieselben Probleme verantwort lich. Und ich habe gesagt, dass die Kommunen und das Land, soweit es in ihren eigenen Machtbereichen steht, die Dinge bisher gut und ordentlich gelöst haben. Alles andere entsprä che nicht den Tatsachen.
Bitte.
Genau das wer de ich nicht machen.
Hinter den Kompromissen, die ich und die Landesregierung schließen, stehen wir, und diese werden in ihrer Gesamtheit in der Öffentlichkeit vertreten. Alles andere untergräbt die Kompromisse.
Ja, das glauben wir, sonst hätten wir es ja nicht so beschlossen.
Und wenn dies nicht ausreicht, muss man nachsteuern.
Das ist ganz üblich.
Aber verstehen Sie: So, wie Sie das machen, können Sie es ja als Opposition tun. Aber Sie müssten auch einmal sagen, wie Sie all die Ziele, die Sie haben, unter einen Hut bringen. Bei dem, was Sie so innerhalb von vier Wochen alles fordern,
haben Sie doch überhaupt keinerlei Anmutung,
wie Sie das alles aus dem Haushalt finanzieren wollen. Das geht bei Ihnen immer nur nach der Devise: Viel hilft viel.
Das machen wir nicht.
Wir prüfen die Dinge genau und stellen passgenau das Perso nal und die Sachmittel, die benötigt werden, zur Verfügung. Darauf können Sie sich verlassen.
Drittens – „Das Boot ist nie voll“ –: Ich habe das in einem kla ren Zusammenhang gesagt, nämlich: Das Boot ist bezüglich des Asylrechts nie voll,
weil Grundrechte quantitativ nicht begrenzt sind.
Ich habe nicht gesagt und auch nicht gemeint, dass Deutsch land beliebig viele Zuwanderer aufnehmen kann. Das habe ich noch nie behauptet. Das ist im Übrigen dieselbe Aussage wie die der Bundeskanzlerin: Grundrechte haben keine Ober grenze. Das ist auch dieselbe Aussage wie die von Herrn de Maizière: Grundrechte sind nicht quantitativ beschränkt. Et was anderes heißt diese Aussage nicht, und etwas anderes ha be ich auch nicht gesagt. Aber ich meine, man muss halt da mit leben, dass Sätze aus dem Zusammenhang gerissen wer den.
Ich möchte zum Schluss noch einmal Folgendes sagen.
Die Fragen, die wir beantworten müssen, was jetzt die Begrenzung der Zahl der Flüchtlinge betrifft, können wir nur auf zweierlei Weise beantworten. Sie wollen den reinen Weg der Abschottung ge hen.
Ich glaube, dass dieser Weg nicht erfolgreich ist. Deswegen haben wir verhandelt, etwa mit den sicheren Herkunftslän dern, dass zugleich ein Ausbildungs- und Beschäftigungskor ridor für die Menschen aus dem Balkan, die hier arbeiten wol len und sich hier ausbilden lassen wollen, geschaffen wird. Wir, die Landesregierung, hatten gestern ein Gespräch mit dem Ministerpräsidenten aus dem Kosovo. Ich hatte im ver gangenen Jahr Gespräche mit weiteren drei Ministerpräsiden ten aus dem Westbalkan.
Wir werden das Problem nur lösen, wenn wir nicht nur rest riktive Maßnahmen ergreifen, sondern wenn wir den Ländern auch eine Perspektive eröffnen. Deswegen führen wir mit den Ländern Gespräche, wie wir sie bei einer wirtschaftlichen Ent wicklung unterstützen können. Das ist gestern wieder erfolgt. Die zuständigen Minister reisen dorthin, um das mit ihnen zu besprechen, aber auch um Aufklärungsarbeit zu betreiben, dass der Weg über das Asylrecht für sie eine Sackgasse ist.
Deswegen haben wir beschlossen, dass in diesen Korridor nur der kann, der es zwei Jahre lang nicht über das Asyl versucht hat. Es ist richtig, das in dieser Kombination zu machen. Das gilt ganz generell. Wir müssen uns immer auch um die Flucht ursachen und die Ursachen von Zuwanderung kümmern. Dass wir angesichts der bestehenden Situation auch restriktive Maßnahmen ergreifen müssen, ist ganz unbestritten, und das tun wir auch; aber wir versuchen den Menschen immer auch Perspektiven zu eröffnen.
Das gilt auch für die Sicherung der Außengrenze, Herr Frak tionsvorsitzender Rülke. Natürlich müssen wir die Außengren ze stärker sichern,
aber die Kontingentlösung bedeutet zugleich für die Menschen dort, dass sie dann auch über die Kontingente einen Weg ha ben, ganz normal hierher zu kommen, immer in der Verbin dung bestimmter Maßnahmen des Schutzes und der Restrik tion zusammen mit Perspektiven. Nur das kann ein erfolgrei cher Weg sein, wie wir in der Krise vorankommen.
Herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle sind tief erschüttert über die Terroranschläge, die letz ten Freitag in Paris verübt wurden. In Bars und Restaurants, vor dem Stade de France und in einer Konzerthalle wurden wahllos Menschen durch die Attentäter des sogenannten Isla mischen Staates ermordet. Mindestens 129 Männer und Frau en wurden mitten aus dem Leben gerissen. Rund 350 Men schen wurden verletzt; viele ringen noch immer mit dem Tod.
Gestern kam die nächste beklemmende Nachricht: Das Fuß ballländerspiel zwischen Deutschland und den Niederlanden in Hannover musste wegen akuter Terrorgefahr abgesagt wer den. Wir wissen zu den Hintergründen noch wenig Genaues. Es wäre auch vollkommen unangemessen, da Spekulationen anzustellen. Aber es führt uns auf erschreckende Weise vor Augen, dass auch bei uns in Deutschland Terroranschläge nicht ausgeschlossen werden können.
Wir spüren die Verletzlichkeit der freien Gesellschaften. Um so mehr sind unsere Gedanken in Frankreich. Wir alle geden ken der Toten. Wir fühlen mit den Angehörigen und Verletz ten. Wir sprechen allen Parisern und der ganzen französischen Nation in diesen schwierigen Stunden unser tiefes Mitgefühl und unsere unverbrüchliche Solidarität aus.
Viele von uns Baden-Württembergern haben enge Bindungen zu unserem Nachbarn Frankreich – Freunde, Verwandte. Wir pflegen allein 460 Städtepartnerschaften mit unserem Nach barn. Daher denke ich, im Namen aller Baden-Württember ger zu sprechen, wenn ich sage: Wir stehen an eurer Seite. Wir lassen uns durch den Terror nicht einschüchtern. Wir vertei
digen unsere Werte, unsere Freiheit, unsere offene Gesell schaft, unseren selbstbestimmten Lebensstil gegen jede Form von Fanatismus und Gewalt.
Wir Deutschen haben den Franzosen viel zu verdanken – Li berté, Egalité, Fraternité. Frankreich ist die Wiege der moder nen Demokratie und der Menschenrechte. Nicht zu vergessen, auch die französische Lebensfreude – das Savoir-vivre – hat uns beeinflusst und bereichert. Deshalb sage ich: Ja, die An schläge von Paris sind Anschläge auf uns alle, auf unsere Wer teordnung, auf unsere freie Gesellschaft und auf unseren selbstbestimmten Lebensstil.
Diese Werte werden wir uns nicht nehmen lassen – von nie mandem. Bei uns entscheidet jeder selbst, wie er sein Leben gestalten möchte. Bei uns entscheidet jeder selbst, ob er fei ert oder nicht und welche Kleidung er tragen möchte. Bei uns entscheidet jeder selbst, ob er an einen Gott glaubt oder nicht. Bei uns darf jeder seine Meinung frei äußern und sich frei be wegen. Bei uns gilt die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren.
All diese Freiheiten, all diese zivilisatorischen Errungenschaf ten haben die Fanatiker des IS im Visier. Die beste Antwort auf ihren Terror heißt: Wir lassen uns nicht spalten. Wir ste hen zusammen. Wir verteidigen unsere Freiheit. Wir verteidi gen die offene Gesellschaft gegen ihre Feinde. Denn wir wis sen: Unsere Werte, unsere Demokratie, unsere offene Gesell schaft sind stärker als die Verblendung und der Hass von Fa natikern. Wir werden nicht unseren liberalen Rechtsstaat auf geben, unsere Freiheiten schleifen. Denn dann würden wir ge nau das tun, was die Terroristen wollen. Dann hätten sie ge wonnen.
Wir werden uns nicht einschüchtern lassen; aber wir werden wachsam sein. Denn viele Menschen sind verunsichert und fragen sich: Sind wir bei uns in Baden-Württemberg noch si cher?
Unsere Sicherheitsbehörden leisten jeden Tag eine engagier te Arbeit mit allen Kräften, damit wir alle möglichst sicher le ben. An dieser Stelle möchte ich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unserer Sicherheitsbehörden ganz herzlich für ihre unermüdliche Arbeit danken.
Es gilt aber: Es gibt in einer freien Gesellschaft keine absolu te Sicherheit. Das zeigt auf erschreckende Weise auch die Ab sage des Länderspiels in Hannover. Natürlich ist es absolut richtig, im Zweifel ein solches Fußballspiel abzusagen. Denn im Zweifel gilt: Safety first. Der Schutz für Menschen hat Vor rang. Lieber mal ein falscher Alarm, als das Leben von Men schen zu riskieren.
Aber gleichzeitig stellt sich die Frage: Wo bleibt unsere Frei heit? Müssen wir bald auf Weihnachtsmärkte, Open-Air-Kon zerte und andere Großveranstaltungen verzichten? Die Ant wort ist ein klares Nein. Wir dürfen unser freies Leben nicht von Terroristen, deren Geschäft die Angst ist, infrage stellen oder gar zerstören lassen. Wenn wir uns von der Angst beherr