Protokoll der Sitzung vom 18.07.2012

Meine Damen und Herren! Ich darf Sie bitten, Ihre Plätze einzunehmen. Ich eröffne die 43. Sit zung des 15. Landtags von Baden-Württemberg.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Krankgemeldet sind Herr Abg. Marwein und Herr Abg. Ren konen.

Dienstlich verhindert ist Frau Staatsrätin Erler.

Meine Damen und Herren, auf Ihren Tischen finden Sie eine Vorschlagsliste der Fraktion der CDU für Umbesetzungen in verschiedenen Ausschüssen (Anlage). – Ich stelle fest, dass Sie den vorgeschlagenen Umbesetzungen zustimmen.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Ich darf Sie um Ruhe bitten, damit wir in die Tagesordnung eintreten können.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Regierungserklärung – Die Energiewende – Chance für die Wirtschaft, Schutz für das Klima, Gewinn für die Men schen

und Aussprache

Ich erteile dem Herrn Ministerpräsidenten das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Energiewende ist eine Aufgabe von historischer Tragweite. Sie ist ein Generationenprojekt, und sie bietet große Chancen für Baden-Württemberg und darüber hinaus. Deshalb hat sich die Landesregierung zum Ziel gesetzt, Pionier und Antreiber der Energiewende zu sein. Wir haben hierzu in den vergange nen Monaten wichtige Projekte auf den Weg gebracht. Wir sind auf einem guten und richtigen Kurs.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Peter Hauk CDU: Die Frage ist: Wohin?)

Wenn wir heute von der Energiewende reden, dann sollten wir uns zunächst vor Augen halten, wie lange es diesen Begriff schon gibt. Im Jahr 1980, als ich zum ersten Mal diesen Ple narsaal betrat, saßen im Öko-Institut in Freiburg drei Exper ten zusammen und beendeten eine wegweisende Studie mit dem Titel „Energiewende – Wachstum und Wohlstand ohne Erdöl und Uran“.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Darin wurden die Notwendigkeit und die Machbarkeit einer Abkehr von der Atomkraft und von der übermäßigen Nutzung fossiler Energieträger skizziert.

Mehr als drei Jahrzehnte hat es gedauert und einiger ein schneidender Ereignisse bedurft, bis aus dieser Vision ein par teiübergreifendes politisches Konzept wurde, das im Konsens beschlossen wurde. Es begann mit den Demonstrationen ge gen den geplanten Bau des Atomkraftwerks in Wyhl am Ober rhein ab Mitte der Siebzigerjahre, die maßgeblich von Win zern, Landwirten, Hausfrauen und Studierenden organisiert wurden. Trotz der breit getragenen Proteste wurde in den fol genden Jahren der Bau von weiteren AKWs durchgesetzt. Dies führte zu einer tief greifenden Spaltung der Gesellschaft in der ganzen Republik.

Eine große Leistung der ersten rot-grünen Bundesregierung ab 1998 bestand darin, mit dem Atomausstiegskonsens, den sie mit der Energiewirtschaft ausgehandelt und dann in ein Gesetz gegossen hat, den Weg zu einer Befriedung dieses Großkonflikts gewiesen zu haben.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Es war ein politischer Erfolg, den Ausstieg aus einer unver antwortbaren Risikotechnologie begonnen zu haben.

Leider wurde dieser Konsens wieder aufgekündigt. Erst die schrecklichen Ereignisse von Fukushima haben bei vielen po litisch Verantwortlichen, die die Wende rückgängig machen wollten, ein Umdenken ausgelöst. In der Folge ist es gelun gen, in einem breiten politischen Konsens aller Parteien im Bundestag und mit allen Bundesländern zu einem verbindli chen Zeitplan für den Ausstieg aus der Atomenergie zu kom men.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Die Bundesregierung hat nach Fukushima die Konsequenzen aus dieser Katastrophe gezogen. Sie hat ihre eigenen Be schlüsse zur Verlängerung der Laufzeit der Kernkraftwerke infrage gestellt und zu einer Ausstiegslösung zurückgefunden, die im Kern von der rot-grünen Vorgängerregierung stamm te.

Nun stehen wir vor der großen Herausforderung, die Leistung der Atomkraftwerke durch andere Energieerzeugungsformen zu ersetzen. Dazu gibt es einen weiteren breiten Konsens: Statt mit Atomkraft soll der Strom künftig in erster Linie aus er neuerbaren Energien erzeugt werden.

Nach dem Stromeinspeisungsgesetz, das die Grundlagen für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen geschaf

(Ministerpräsident Winfried Kretschmann)

fen hat, konnte mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz vom März 2000 der Grundstein für eine beispiellose Erfolgsge schichte im Ausbau der regenerativen Energien gelegt wer den, und diese Erfolgsgeschichte muss weitergehen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Dabei ist zwingend erforderlich, dass der massive Ausbau der erneuerbaren Energieträger von einer deutlichen Reduzierung des Energieverbrauchs sowie einer Steigerung der Energieef fizienz begleitet wird. Diese drei Leitplanken der neuen Ener giepolitik – mehr erneuerbare Energien, mehr Einsparung und mehr Effizienz – müssen nun ernsthaft und konsequent um gesetzt werden.

Ich möchte nun eine Bilanz des vergangenen Jahres ziehen – ein Jahr, in dem wir ganz entscheidende Weichen stellen und zentrale Projekte auf den Weg bringen konnten.

Wir haben uns im Bund erfolgreich für einen beschleunigten Atomausstieg eingesetzt, bei dem zeitlich gestaffelt konkrete Abschaltzeitpunkte für die einzelnen Reaktoren gesetzlich festgeschrieben sind.

Wir haben in den Verhandlungen der Bundesregierung mit den Ländern dafür gesorgt, dass kein Atomreaktor als Kaltreser ve vorgehalten wird.

Mit unserem Eckpunktepapier zur Endlagerung radioaktiver Abfälle ist die festgefahrene Diskussion in diesem Bereich aufgebrochen worden.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Nach monatelangem Streit um das Erneuerbare-Energien-Ge setz wurde jetzt ein vernünftiger Kompromiss gefunden. Der Einspeisevorrang für die erneuerbaren Energien bleibt erhal ten. Die Förderung wird zwar abgesenkt, aber es bleibt ein vernünftiges Niveau erhalten, und die Anpassung wird auch für unsere Anbieter verträglich gestaltet.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Hört, hört!)

Die Novelle des Landesplanungsgesetzes und ein Windener gieerlass sind verabschiedet. Damit haben wir die Rechts grundlagen für einen deutlichen Ausbau der Windenergie in Baden-Württemberg geschaffen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Wir haben Vorschläge für ein neues Kapazitätsmarktmodell für die Stromwirtschaft vorgelegt, das ausreichende Investiti onsanreize für den Bau von Kraftwerken und Speichern bie tet, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

Wir haben die Eckpunkte für ein Landesklimaschutzgesetz und ein integriertes Energie- und Klimaschutzkonzept be schlossen, mit denen wir dem Klimaschutz einen gesetzlichen Rahmen geben werden, und wir haben die Haushaltsmittel für die Umsetzung der Energiewende und für die Energiefor schung im Land erheblich aufgestockt.

Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht – nicht so der Bund, wo ein Jahr verschlafen wurde. Dies ist umso misslicher, als viele Projekte der Energiewende vom Bund ins Werk gesetzt werden müssen.

Zudem ist es wichtig, dass wir die europäische Dimension nicht aus den Augen verlieren und gesamteuropäische Lösun gen anstreben, etwa bei so zentralen Themen wie dem Netz ausbau. Auch über die Landesgrenzen hinaus sind wir mit un seren Nachbarn und Partnern auf einem guten Weg, z. B. am Oberrhein mit dem TRION-Projekt, wo wir die Potenziale der Energieeffizienz und der erneuerbaren Energien grenzüber greifend betrachten, z. B. am Bodensee mit den Klimaschutz kongressen der Internationalen Bodenseekonferenz oder dem BAER-Projekt, das die Internationale Bodenseehochschule fördert.

Auch im Donauraum spielen Energiefragen eine ganz wesent liche Rolle. So lassen sich etwa mit Unterstützung von „Con necting Europe“-Mitteln Potenziale in den Bereichen Wasser kraft, Speicherung, Sonne, Wind und Biomasse erschließen. Diese grenzübergreifenden Aktivitäten sind wichtig, damit wir in keine einseitigen Abhängigkeiten kommen.

Welche Herausforderungen und Chancen liegen nun vor uns? Der Ausstieg aus der Atomkraft und der Umbau der Energie versorgung sind ganz zweifellos von historischer Tragweite. Die ganze Welt schaut auf dieses Projekt, das wir hier in Deutschland umsetzen wollen.

In ihrer Dimension ist die Energiewende mit der ersten indus triellen Revolution vergleichbar. Der Historiker David Lan des fasst den technischen Kerngehalt der ersten industriellen Revolution in drei Punkten zusammen: Im Zentrum standen erstens die Energieerzeugung und -umwandlung durch die Dampfmaschine, zweitens die massenhafte Verwendung von Kohle und Eisen und drittens die Mechanisierung von Hand arbeit durch Maschinen.

Auch die erste industrielle Revolution beruhte also auf einer Änderung der Art und Weise, wie wir Energie erzeugen und wie wir sie nutzen. Auch die erste industrielle Revolution brachte massive technische, wirtschaftliche und natürlich auch soziale Veränderungen mit sich. Auch die erste industrielle Revolution rief den Widerstand all derjenigen hervor, deren Geschäftsmodelle durch die neue Technik bedroht waren.

Daher wundere ich mich natürlich auch nicht über die Gegen wehr unserer Tage. Es vergeht derzeit kein Tag, an dem nicht von interessierter Seite versucht wird, die Energiewende zu diskreditieren, sei es mit Horrorszenarien von dunklen Städ ten und kalten Wohnungen oder sogar dem Gespenst einer De industriealisierung. Begleitet wird dies dann von solchen Sprüchen wie dem, die Energiewende sei schwieriger als die Mondlandung.

Dabei wird so getan, als gäbe es eine bessere Alternative und als könnte man den Umbau des Energiesystems aufhalten. Aufhalten kann man ihn genauso wenig, wie man die erste in dustrielle Revolution hätte aufhalten können. Man kann ihn höchstens bremsen. Aber ist das vernünftig?

Unbestritten ist, dass Öl und Gas knapper werden. Wahr scheinlich ist schon in wenigen Jahren der Höhepunkt der Öl förderung erreicht. Unbestritten ist des Weiteren, dass zugleich die Nachfrage nach Öl und Gas immer weiter steigen wird. Grund dafür ist natürlich der Energiehunger aufstrebender Länder wie China und Indien und eine immer noch schnell wachsende Weltbevölkerung. Unbestritten ist auch, dass auf

(Ministerpräsident Winfried Kretschmann)

grund des Emissionshandels die Preise für Stein- und Braun kohle stetig steigen werden.